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Norbert G. Pressburg Good Bye Mohammed  DE

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Norbert G. Pressburg

Good Bye Mohammed

Das neue Bild des Islam

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2012 Norbert G. Pressburg 3., überarbeitete Auflage

 

Umschlagdesign, Satz, Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

 

ISBN 978-3-8448-5372-8

„Die Wahrheit können wir nicht beweisen. Aber wir können die Unwahrheit beweisen und uns so der Wahrheit annähern“

Karl Popper

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung:

Die Islamforschung hat gerade erst begonnen................................................. 9

Der traditionelle Koran: Die fehlerlose Kopie aus dem Himmel.......................................................... 15

Das Buch, in dem Olivenöl ist: Der Koran der Wissenschaften...................................................................... 27

Vom Volk für das Volk: Hadithe: Sprüche und Taten des Propheten.................................................................. 53

Ein perfekter Mensch: Der Prophet Muhamad nach traditionellen Berichten................................... 65

200 Jahre Abwesenheit: Der historische Muhamad.............................................................................. 79

Exkurs: Die Kirche am Tempelberg ........................................................................... 99

Die Metamorphose: Von Jesus zu Muhamad................................................................................. 107

Die „Goldenen Zeiten“ des Islam: Verklärte Blicke in eine nicht existente Vergangenheit .............................. 147

Die tausendundzweite Nacht: Die Märchen von al-Andalus....................................................................... 179

„Wer hat uns das angetan ?“ Erinnerungen an die Wirklichkeit................................................................ 217

Literaturliste ................................................................................................ 239

Personen- und Sachregister.......................................................................... 243

Vorbemerkung:

Die Islamforschung hat gerade erst begonnen

 

Den ersten näheren Kontakt zum Islam, zu den „Anhängern Mahomets“, bekam Europa mit den Kreuzzügen. Das Heilige Land mit Jerusalem als Ursprung des christlichen Glaubens war von Falschgläubigen besetzt,

ein unerträglicher Gedanke für das tiefgläubige mittelalterliche Europa. Pilger berichteten von Schikanen und Gräueltaten, der Entehrung heili­ ger Stätten. Das Heilige Land musste den Falschgläubigen entrissen, die Zugangswege mussten gesichert werden, und so begann der erste - miss­ glückte - Kreuzzug im Jahr 1096. Drei weitere folgten, Endresultat war die Zerstörung nicht des islamischen, sondern des christlich-byzantinischen Reiches. Dies erst machte den Aufstieg des Osmanischen Reiches möglich, des größten islamischen Machtblocks der Geschichte. In seiner Expansion gelangten die Osmanen bis vor Wien, dies betrachtete man aber eher als ein Problem der österreichischen Habsburger denn als ein Problem Europas.

 

Der Islam war im Westen, im Gegensatz etwa zum Buddhismus, nie eine respektierte Religion. Man belächelte die seltsamen Gewohnheiten: kein Wein, kein Schwein, fünfmal am Tag beten, und man feixte nicht ganz ohne Neid über die Vielweiberei. Hunderte von Frauen soll der türkische Sultan gehabt haben!

Aber wirklich gewusst hat lange Zeit kaum jemand etwas über diese Religion, und es hat auch kaum jemanden interessiert. Engere Kontakte gab es erst wieder mit dem Aufkommen des Tourismus, aber auch da waren es eher die Relikte früherer Kulturen zwischen Nil und Tigris und die orientalischen Basare, die im Mittelpunkt des Interesses standen.

Eine romantische Komponente zum europäischen Islambild fügten die Erzählungen von „Tausendundeiner Nacht“ hinzu: das geheimnisvolle, sinnenfrohe Bagdad des Mittelalters mit seinem legendären Herrscher Harun al-Raschid.

Für die Generation unserer Großväter und Urgroßväter mag auch der Einfluss Karl Mays nicht unerheblich gewesen sein. So wie er das Bild des

 

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nordamerikanischen Indianers als edlen Wilden zumindest im deutsch­ sprachigen Raum verankert hat, prägte er auch das Bild vom Orientalen über Generationen hinweg. Kompliziert, rückständig, schlitzohrig, so ganz anders, aber doch irgendwie nett in seiner Art - Hadschi Halef Omar lässt grüßen.

 

Islamische Heere und Flotten hatten zwar mehrfach Europa bedroht, aber trotzdem traten die muslimischen Bewohner südlich und östlich des Mittelmeeres eher als Zerstörer antiker Bauwerke und als raffinierte Teppichhändler ins Bewusstsein Europas denn als gefährliche Eroberer. Ja, der Orient war interessant - solange man nicht selber orientalische Verhältnisse hatte. Er lag ja weit genug weg, und die hinken der moder­ nen Welt so weit hinterher, also lasst sie einfach machen. Öl spielte eine untergeordnete Rolle.

Dies änderte sich schlagartig, als mit dem Ölschock von 1973 der Nahe Osten, so hieß der Orient jetzt, ins Bewusstsein aller Europäer drang. Das Sonntagsfahrverbot für Autos betraf fast jeden, aber das Problem blieb auf einige wenige wirtschaftliche Fragen beschränkt.

Zu einer ganz anderen Dimension gehörten die Ereignisse Ende des

20. und Anfang des 21. Jahrhunderts: Gaddafi, Saddam Hussein, die re­ ligiös motivierten Attentate von New York, Tunis, London, Madrid, die Hamburger Moschee, der „Kalif von Köln“, al-Qaida, Ahmadinedschad. Islamische Bombenleger in den Zentren der westlichen Welt, Massenver- nichtungswaffen in den Händen von Leuten, die sich durch ihr Heiliges Buch und seinen Urheber Mohammed zu jeder auch noch so entsetzlichen Bluttat legitimiert fühlen.

Von vielen Muslimen bejubelt, von sehr vielen klammheimlich ge­ billigt und als Beginn des globalen, endgültigen Dschihad gefeiert, rief diese Art von Blutvergießen Abscheu und Besorgnis in der nichtislami­ schen Welt hervor. Was ist das für ein Heiliges Buch, das solche Gemetzel deckt ? Was ist das für ein Prophet, der zu solchen Taten aufruft ? Was ist das für eine Religion, die Andersgläubige entweder konvertieren oder vernichten will ? Jugendliche Abenteurer schlugen sich zwar in das Lager der bärtigen Kämpfer, der größte Teil der Bevölkerung Europas und der Welt aber brachte dieser Religion Ablehnung bis Feindseligkeit entgegen:

 

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„Islamophobie“. Die Attentate gerieten so zu einer Katastrophe nicht für die betroffenen Länder, sondern für die islamische Welt.

Allerdings erhoben sich auf islamischer Seite Stimmen, die sagten, diese Untaten widersprächen dem „wirklichen“ Islam, sie seien „unislamisch“ und eben nicht durch den Koran gedeckt. Allerdings konnten beide Seiten ihren Standpunkt durch Koranzitate belegen. Bei etwas näherem Hinsehen stellte sich heraus, dass die Muslime durchaus in sehr konträre Fraktio­ nen geteilt waren, aber ihre Standpunkte trotzdem mit jeweils passenden Koranstellen unterfüttern konnten. Während manche den Auftrag zur Produktion von Atomwaffen aus dem Heiligen Buch herauslasen, sahen andere in demselben Buch geradezu die Verkörperung der Toleranz.

Dies verursachte noch größere Unsicherheit in der nichtislamischen Welt. Wer hat nun recht? Wie kann man aus ein und demselben Text so verschiedene Dinge herauslesen? Wie geht das?

Ungefähr zeitgleich mit den Vorkommnissen, aber völlig unabhängig davon, beantwortete Christoph Luxenberg, Experte für alte semitische Sprachen, die Frage, indem er den Koran nicht als reines Arabisch, son­ dern als eine Mischsprache mit syro-aramäischen Elementen las. Mit so durchschlagendem Erfolg, dass er es als Verfasser eines Fachbuches, das nur auf Deutsch erschienen war, auf die Titelseite der „New York Times“ brachte. Seine Behauptung: Die Urtexte des Korans, teils weit vor Mohammed entstanden, waren nicht in Arabisch geschrieben, sondern zum Teil in Aramäisch, spätere arabische Editoren hätten aus Unkennt­ nis katastrophale Fehlinterpretationen geliefert. Weitere Wissenschaftler anderer Disziplinen widerlegten wesentliche Behauptungen der traditio­ nellen islamischen Geschichtsdarstellung.

Wissenschaftliches Unbehagen über die Quellen des Korans und der Geschichtlichkeit Mohammeds gab es schon vor geraumer Zeit, fand aber so gut wie keine Beachtung bei den klassischen Orientalisten und in der Öffentlichkeit.

 

Gustav Weil (1808 - 1889) war der Erste, der sich historisch-kritisch mit dem Thema befasste'. Für ihn sind die rein mündlichen Überlieferungen

 

Gustav Weil, „Mohammed der Prophet, sein Leben und seine Lehre“, Stuttgart 1843.

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des Lebens des Propheten, seiner Taten und Aussprüche, über Generatio­ nen weitergegeben, als Quelle für historische Vorgänge wertlos.

Etwa um dieselbe Zeit wurden die Mohammed-Biografien von Ibn Hischam (gest. 834) und at-Tabari (gest. 922) in verschiedene europäische Sprachen übersetzt.

In seinem Buch „Life of Mahomet“, veröffentlicht in vier Bänden zwi­ schen 1856 und 1861, konstatiert William Muir die vollkommen legen­ denhafte Struktur der islamischen Überlieferungen und nennt Quellen, die sich auf Geschichtenerzähler berufen, als vollkommen wertlos.

In seinen „Muhammedanischen Studien“ (Halle 1889) bezeichnet Ignaz Goldziher (1850 - 1921), der Altmeister der Islam-Forschung, die Hadithe (anekdotenhafte Sammlungen über Aussprüche und Taten Mohammeds) als pure Fälschungen aus späteren Zeiten.

Der italienische Frühislam-Spezialist Leone Caetani (1869 - 1935) und der Belgier Henri Lammens (1862 - 1937), der im Libanon lebte und die neuen wie die alten orientalischen Sprachen beherrschte, sind derselben Meinung. Nach dem sowjetischen Islamwissenschaftler Morozow ist der Koran nicht vor dem 11. Jahrhundert komplettiert worden, erst mit den Kreuzzügen habe der Islam eine eigene Identität angenommen. Sein Kol­ lege Lucjan Klimowitsch nennt Mohammed und die Kalifen mystische Figuren, die nachträglich etabliert worden seien. Sein Artikel „Hat Muha- mad wirklich gelebt ?“ (1930) konnte so zu dieser Zeit wahrscheinlich nur in der gottlosen Sowjetunion erscheinen.

Der Franzose Regis Blachere (1900 - 1973), Koranübersetzer und Spe­ zialist für arabische Literatur, fasst seinen Versuch, das Leben Moham­ meds zu rekonstruieren, so zusammen: Im Endresultat gebe es keine Quellen, die das ermöglichten. Die traditionellen Überlieferungen seien wissenschaftlich unbrauchbar, der Koran selber sage nichts zu diesem Thema.

 

Es gab auch muslimische Wissenschaftler, die sich kritisch mit den historischen Quellen des Islam befassten. Etwa Dr. Suliman Bashear (1947 - 1991), Professor an der Universität Nablus. Bei einer seiner Vorle­ sungen warfen ihn aufgebrachte Studenten aus dem Fenster im zweiten Stock, die Veröffentlichung seiner „Einführung in die andere Geschichte“

 

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(in Arabisch) kostete ihn 1984 den Job. Er hatte zu äußern gewagt, dass gewisse Traditionen einfach erfunden worden seien, um die Religions­ gründung nach Mekka zu verlegen.

Es gab also genügend Forscher und Forschungen, die sich dem Islam und seinem Gründer von den Fakten her annäherten und ein ganz an­ deres Bild als die herkömmliche Tradition zeichneten.

 

Wie konnte es aber sein, dass eine aufgeklärte, gebildete Öffentlichkeit da­ von keine Notiz nahm ? Wahrscheinlich, weil das Thema bis zum Einsturz der Türme des World Trade Centres in New York am 11. September 2001 kein Thema war. Auch waren die Vorbehalte diskret, ja fast verschämt vorgetragen worden.

Es dominierten weiter die klassischen Orientalisten, für die die tra­ ditionelle islamische Überlieferung eine solide Größe war. Sie waren of­ fensichtlich nicht in der Lage oder willens zu erkennen, dass sie mit den islamischen Quellen nur Sekundärquellen in der Hand hielten.

Primärquellen aber sind die unabdingbare Grundlage jeder histori­ schen Forschung. Das absolute Minimum jedes wissenschaftlichen Ar­ beitens ist es, vorhandenes Material auf seine Echtheit zu prüfen. Beides wurde von der klassischen Islamforschung unterlassen, von muslimischen Kommentatoren durfte man es erst gar nicht erwarten.

Referiert man über eine Schrift, zum Beispiel den Koran, ist es von ausschlaggebender Bedeutung, sich der Urschrift so weit wie möglich zu nähern. Woher stammt diese Schrift ? Wer hat sie verfasst ? Wann wurde sie verfasst ? In welcher Sprache ? In welcher Schrift ? Die Bewertung hat ausschließlich auf der Basis von Primärquellen zu erfolgen. Dabei geht es in keiner Weise um die Interpretation des Inhalts, das ist Sache der Religion. Worum es wieder und wieder geht, sind eben diese Primärquellen. Und wir stellen mit großem Erstaunen fest, dass die Orientalistik wiederum spätere Bearbeitungen als das Original betrachtete. Das ist nichts weniger als eine wissenschaftliche  Bankrotterklärung.  Die  deutsche  Islamforschung  des

19. Jahrhunderts war fortschrittlich und arbeitete historisch-kritisch. Sie ist verbunden mit Namen wie Sprenger, Nöldeke, Wellhausen und Gold- ziher. Sieht man davon ab, dass letztere im frühen 20. Jahrhundert starben, so ist zu konstatieren, dass die deutsche Islamforschung im Verlauf vom

 

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19 zum 20. Jahrhundert einen erschreckenden Verfall erlebte. Erst mit Günter Lüling in den 1970er Jahren leitete sich eine Wende ein. Die Ori­ entalistik hatte sich daran gewöhnt, die traditionellen islamischen Religi­ onslegenden 1:1 zu übernehmen und als Tatsachen zu verkaufen, als ob es einen Goldziher nie gegeben hätte. Einmal bei diesem wissenschaftlichen Supergau ertappt, brachten es die Herren und Damen bis auf einige Aus­ nahmen nicht zuwege, aus dieser Sackgasse zu retirieren, weil Verlust an Reputation oder gar des Lebenswerkes drohte. Wie es Wissenschaftlern erging, die sich gegen den akademischen Strom stellten, zeigt das Schicksal Günter Lülings, der förmlich vernichtet wurde. Ordinarius Anton Spitaler brachte nach Absprache mit Rudi Paret und anderen zu Protokoll, Lülings Habilitationsarbeit „würde die bisherigen Vorstellungen von Entstehungs­ geschichte, Text und Inhalt des Koran auf den Kopf stellen.“ Das durfte nicht geschehen, Lüling wurde aus der Universität gedrängt.

Der international bekannteste Islamforscher aus Deutschland, Chris­ toph Luxenberg, wurde geschnitten und ausgegrenzt. Eine Berliner „Kol­ legin“ gar zirkulierte im Nahen Osten seinen Klarnamen nebst Adresse

- Luxenberg ist ein Pseudonym, er selber ist ethnischer Araber. Wie man mit politisch unkorrekten Islamforschern verfährt, davon kann auch Prof. Muhamad Kalisch ein Lied singen.

Was die genannten Personen, stellvertretend für viele andere mehr ge­ mein haben, ist der kritische Ansatz. Traditionelle Positionen werden nicht mehr abgenickt, sondern werden hinterfragt, nicht mehr, nicht weniger.

 

So wie diese Frühgeschichte aus traditionell-islamischer Sicht beschrie­ ben wird, hat sie mit Sicherheit nicht stattgefunden, das wissen wir. Wie sie aber wirklich abgelaufen ist, darüber hat die Forschung gerade erst begonnen. Die Entstehungsgeschichte des Islam, des Propheten und der Herkunft seines Buches muss neu geschrieben werden. Wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung.

Dieses Buch referiert den gegenwärtigen Stand des Wissens. Die Er­ kenntnisse sind bereits jetzt atemberaubend: Noch weit davon entfernt, lückenlos zu sein, wird das neue Bild der Entstehung des Islam, basierend auf Fakten und nur auf Fakten, nichts mehr mit dem zu tun haben, was uns traditionellerweise vermittelt wird.

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Der traditionelle Koran:

Die fehlerlose Kopie aus dem Himmel

 

„Koranische Rede ist klar übermenschlich, wir finden überall einen gegenwärtigen Plan, den kein Mensch hätte erfinden können. “

Abdallah Draz, Korangelehrter, Kai

 

 

 

Für den gläubigen Muslim ist der Koran das Heilige Buch, in dem Gott durch den Propheten Muhamad2 den Menschen seine Offenbarun­ gen mitteilt. Nach der Tradition zog sich der Prophet in eine Höhle auf

dem Berg Hira in der Nähe Mekkas zurück, wo er die sogenannten mek- kanischen Suren empfing. Spätere Suren empfing er in Medina. Sie alle stammten direkt von Gott und wurden Muhamad vom Engel Gabriel in mündlicher Form übermittelt. Später gab Muhamad die Botschaften an Gefährten weiter, die sie memorierten oder aufschrieben.

 

Das zentrale Dogma bis auf den heutigen Tag lautet:

Der Koran ist unerschaffen. Muhamad hat den Text von Gott durch die Vermittlung des Erzengels Gabriel erhalten und 1:1 an seine Nachwelt überliefert. Jedes Wort ist korrekt, authentisch und unverrückbar, heilig und ewig gültig. Es gibt nichts auf der Welt, vergangen, gegenwärtig oder künftig, was nicht im Koran enthalten wäre. Der Koran in der Fassung des Kalifen Othman ist der einzig authentische Koran, so wie er dem Prophe­ ten Muhamad mitgeteilt wurde. Die Kairoer Fassung von 1924 entspricht vollkommen dem Koran des Othman und ist somit die identische Kopie des im Paradies aufbewahrten Originals.

 

Dies ist der Anspruch, der auch heute noch gilt und an dem sich der Koran messen lassen muss. Dieser Anspruch ist bei der weiteren Lektüre stets im Gedächtnis zu behalten.

 

„Mohammed“ ist die klassische deutsche Schreibweise. „Muhamad“ kommt der arabischen Schreib­ weise am nächsten. Das h wird als angedeutetes ch gesprochen, das erste a als angedeutetes ä.

 

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Der Koran besteht aus 114 Suren, die sich aus einer Anzahl von Versen,

4 bis 286 pro Sure, zusammensetzen. Diese Suren wurden nach traditi­ oneller Darstellung von Muhamad über einen Zeitraum von 23 Jahren seiner Umgebung vermittelt. Dies geschah mündlich. Verschiedene Per­ sonen in seiner Umgebung versuchten, die Verse zu memorieren, manche wurden aufgeschrieben: auf Tierknochen, Lederstücken, Blättern, was gerade zur Verfügung stand. Eine systematische Sammlung der einzelnen Sprüche zu Muhamads Lebzeiten gab es nicht. Muhamad hat sein Buch nie gesehen, nach islamischen Schilderungen konnte er weder lesen noch schreiben.

Bei diesem Umgang mit Materialien konnten Verluste nicht ausbleiben. Der Prophet selber zog bisweilen Suren zurück oder änderte sie ab, Verse verschwanden. So bezeugt der Schreiber Ubay, die Sure 33 (al-Ahzab) habe

200 Verse umfasst, vorhanden waren aber letztlich nur noch 73. Aischa, die Lieblingsfrau des Propheten, berichtete, sie habe ein paar Verse unter dem Bett aufbewahrt, die seien aber von einer Ziege gefressen worden.

Kurz nach dem Tode Muhamads begann sein schreibkundiger Ge­ fährte Ibn Thabit mit der Zusammenstellung der vorhandenen Schriftstü­ cke, aber es gab bald sieben verschiedene Versionen. Auf Befehl des dritten Kalifen Othman (Regentschaft 644-656) erstellte Ibn Thabit abermals, zusammen mit ausgewählten Helfern aus dem Stamme der Kuraisch, eine von Fehlern bereinigte Version, die in die vier Hauptstädte des Isla­ mischen Reiches, Medina, Damaskus, Kufa und Basra, versandt wurden. Dies ist der „Othmanische Koran“, nach islamischer Tradition die einzige gültige Version.

Allerdings wurde sie nicht von allen anerkannt, die Schiiten zum Bei­ spiel bemängeln, Othman habe Suren unterdrückt und gefälscht, um den eigentlichen recht mäßigen Kalifen Ali, auf den sich die Schiiten berufen, auszubooten.

Heute bezieht sich die islamische Hauptströmung, keineswegs die Ge­ samtheit der Muslime, auf die sogenannte Kairoer Koranausgabe von 1924, die auf den Versionen von Ibn Thabit und Othman beruhen soll. Es wird postuliert, dass diese Kairoer Ausgabe ohne Fehler und Abweichun­ gen zu 100 Prozent dem entspricht, was Muhamad von Gott mitgeteilt wurde.

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Der Koran ist schwer- bis unlesbar, vieles ergibt für den Leser keinen Sinn, man möge sich bitte selber überzeugen. Die Standardantwort von Muslimen lautet, dies scheine nur so, denn der Koran sei unübersetzbar, er könne sinnvoll nur auf Arabisch gelesen werden.

Nun ist es aber so, dass der Koran auch in Arabisch nicht besser ver­ standen werden kann. Er ist selbst für Araber nur anhand der Kommen­ tare verständlich, für nichtarabische Muslime gar nicht.

Es gibt Tausende von Kommentaren mit Tausenden von Subkommen­ taren. Manche Stellen werden dutzendfach verschieden interpretiert. Der klassische Kommentar von at-Tabari aus dem 10. Jahrhundert umfasst 30 Bände, in denen Vers für Vers erklärt wird. Tabari ist einer der aner­ kannten Kommentatoren. Aber selbst er bietet verschiedene Auslegungen an, und andere Kommentatoren kommen wiederum zu ganz anderen Lesarten.

Laut Gottes eigener Aussage ist die göttliche Botschaft „klar und deut­ lich in arabischer Sprache“ für die Araber zur Erde gesandt worden. Wa­ rum dann die Verwirrung? Weil Allahs Worte natürlich nicht in jedem Fall vom Menschen verstanden werden könnten, lautet die traditionelle Antwort. Was die Korangelehrten aller Zeiten nicht daran hinderte, ihre jeweilige Auslegung als das einzig wahre Wort Gottes mit ultimativer Bedeutung zu bezeichnen.

Aber es gibt noch weitere Eigenheiten.

Es wimmelt im Koran nur so von Fremdwörtern, aus dem Syro- Aramäischen, Persischen, Griechischen und Hebräischen, zum Beispiel die oft benutzten Begriffe dschehennam (Hölle, persisch) oder taurah (Thora, das Gesetz, hebräisch) oder Logos (das Wort, die Botschaft, grie­ chisch).

Fremdwörter dürften aber definitionsgemäß nicht vorkommen, und jeder gläubige Muslim würde eine derartige Behauptung entrüstet zu­ rückweisen. Es sind aber zweifellos die Sprachen im Koran vertreten, die zu dieser Zeit in der Region gesprochen wurden.

Auch arabische Sprachwissenschaftler bestätigen das Vorhandensein nichtarabischer Wörter im Koran, die offizielle Lehrmeinung ist jedoch nach wie vor, dass der Koran Fremdwörter nicht benutzt haben kann, weil er nach Gottes Fügung in reinem Arabisch gegeben wurde.

 

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Abdallah             Draz,             Koranausleger          an             der             Kairoer             Al-Azhar-Universität, schließt jede Möglichkeit fremden Einflusses prinzipiell aus. Nicht einmal Muhamad habe die Möglichkeit gehabt, die vom Engel Gabriel überbrachten Worte misszuverstehen oder gar durch eigene Reflexion zu verfälschen. Denn Muhamad habe selber keinerlei Ahnung von der Materie gehabt, er sei als des Lesens und Schreibens unkundig, reines Werkzeug Gottes gewesen, wie hätte er als Unwissender seine Meinung einbringen können ? Wohl hätte er vielleicht die Falschheit der Göt­ zenanbetung erkennen, aber nie die Wahrheit des richtigen Glaubens wissen können. Durch bloßes Denken hätte er von früheren Ereignissen nichts wissen können, und doch stimme der Koran in vielen Dingen mit der Bibel überein.

Der Korangelehrte traute Muhamad wohl keine Bibelkenntnis zu. Es gibt Übereinstimmung mit der Bibel, es gibt aber auch große Diskrepan­ zen. Der Islam erkennt zum Beispiel die Existenz Jesu an, nicht aber sei­ nen Tod am Kreuz. Dabei ist die Kreuzigung Jesu eine der ganz wenigen religiösen Episoden überhaupt, die historisch belegt ist.

Auch die zeitliche Abfolge kommt bisweilen aus dem Lot: So verlegt der Koran Aarons Schwester Maryam (gemeint ist Maria) in Sure 19 aus dem ägyptisch-pharaonischen Umfeld des Alten Testamentes ohne Probleme in die römische Zeit Palästinas und mutiert sie zur Mutter Jesu:

 

„Oh Schwester Aarons [Anm.: Aaron ist der alttestamentliche Bruder des Moses], dein Vater war kein Bösewicht und deine Mutter keine Dirne..."

(Sure 19:28)

 

Und sie deutete auf ihn. Sie sprachen: „Wie sollen wir mit ihm, einem Kind, in der Wiege reden ?“            (Sure 19:29)

 

„Und er [Jesus in der Krippe] sprach: Ich bin Allahs Diener, gegeben hat er mir das Buch3 und er machte mich zum Propheten ..." (Sure 19:30)

    Dass Allah Jesus „das Buch“ gegeben haben soll, birgt überdies theologischen Sprengstoff in sich.

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Kein Muslim käme je auf die Idee, diese wie andere Behauptungen des Korans in Zweifel zu ziehen, auch wenn dem noch so viele historische Tatbestände oder praktische Unmöglichkeiten entgegenstehen.

 

Des Weiteren fällt dem Leser des Korans die Unlogik und Beziehungslo­ sigkeit vieler Verse auf. Manche stehen offensichtlich nicht da, wo sie dem Zusammenhang nach hingehören, und es finden sich zahlreiche Wider­ sprüche. An einer Stelle zum Beispiel ist der Wein eine Gottesgabe (Sure 16:67), an anderer wird verboten, betrunken zum Gebet zu erscheinen (Sure 4:43), während an wieder anderer Stelle (Sure 2:219) der Wein für Muslime generell verboten wird. In Sure 47:15 wird den Gläubigen aber wiederum Wein im Paradies versprochen („Bäche von Wasser, Milch und Wein, köstlich den Trinkenden“).

Also was gilt nun?

Die zahlreichen Widersprüche sind natürlich bekannt und werden von Korangelehrten ganz offiziell als aufgehobene und aufhebende Verse bezeich­ net. Ein Vers kann also durch einen anderen aufgehoben werden. Je nach Lehrmeinung gibt es bis zu 500 solcher sich widersprechenden Verse.

 

Beispiel 1:

Vers 2 der Sure 73: „Steh auf zum Gebet die ganze Nacht bis auf einen kleinen Teil..."

Er wird aufgehoben durch Vers 20 der gleichen Sure: „Der Herr weiß, dass du zum Gebet aufstehst beinahe zwei der Drittel der Nacht oder die Hälfte oder ein Drittel davon ..."

Als Konsequenz daraus wird abgeleitet, dass das Nachtgebet zeitlich stark limitiert werden darf.

 

Beispiel 2:

Sure 4:7: „Den Männern steht ein Teil von dem, was die Eltern und Ange­ hörigen hinterlassen, zu, den Frauen steht ein Teil von dem, was die Eltern und Angehörigen hinterlassen, zu ..."

 

Die Stelle wird aufgehoben durch Vers 11 der gleichen Sure: „Gott trägt euch in Bezug auf eure Kinder Folgendes auf: Einem männlichen Kind steht

 

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der doppelte Anteil von einem weiblichen zu. Sind es nur Frauen, über zwei an der Zahl, so stehen ihnen zwei Drittel dessen, was er hinterlässt, zu, ist es nur eine, so steht ihr die Hälfte zu. Den Eltern steht jedem von ihnen ein Sechstel dessen, was er hinterlässt, zu, wenn er Kinder hat. Wenn er keine Kinder hat... Dies ist eine Pflicht vonseiten Gottes.“

Das bedeutet eine Modifizierung des Erbrechts.

 

Beispiel 3:

Sure 2:190: „Bekämpft mit Gottes Willen diejenigen, die euch bekämpfen, aber übertreibt nicht. Gott liebt nicht die Übertreter.“

 

Aufhebung in Sure 2:191: „Und tötet sie [die Ungläubigen], wo immer ihr sie trefft ..."

Weitere Aufhebung in Sure 9:5: „Wenn die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Ungläubigen, wo immer ihr sie findet, greift sie, belagert sie und lauert ihnen auf jedem Weg auf..."

Koran 2:190 spricht nur von bekämpfen, 2:191 spricht von töten. Koran 9:5 wiederholt den Tötungsauftrag, begrenzt ihn aber zeitlich. Dies be­ deutet, die Ungläubigen dürfen getötet werden, allerdings muss der Krieg während des Ramadan ruhen, wobei wiederum Interpretationsspielraum gegeben ist durch die Nennung von Monaten anstatt eines Monats.

Widersprüche über Widersprüche. Der gläubige Muslim hat jedoch keinerlei logisches Problem damit, denn alles ist für Gott möglich und erlaubt:

Sure 2:106: „Was wir auch an Versen aufheben, wir bringen bessere oder gleiche dafür. Weißt du nicht, dass Allah über alle Dinge Macht hat?“

 

Gängige Praxis ist, den späteren Suren, das sind die sogenannten medini- schen Suren, den Vorzug zu geben, weil sie die aktuelleren seien. Wer weiß aber wirklich, welches die späteren Suren waren, nachdem ihre Numme­ rierung einfach der Länge nach erfolgte ? Die medinischen Suren sind sehr viel radikaler und mehr auf die praktischen Dinge bezogen als die mekkanischen, die mehr theologischen Inhalts sind. Dies macht in vielen Fällen die jeweils radikalere Aussage zu der gültigen, auch wenn eine liberalere Passage an anderer Stelle vorhanden sein mag.

 

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Gemessen an einem göttlichen, perfekten Anspruch, sind dies eher irri­ tierende Praktiken. Für einen Gläubigen stellen sie aber kein Problem dar, denn diese Methodik ist nochmals abgedeckt von Sure 13:39: „Allah löscht aus, was er will, und bestätigt, was er will, denn er ist die Mutter des Buches.“

 

Oftmals sind Verse auch semantisch uneindeutig - ihre Bedeutung hängt von ihrer Betonung ab.

Ein Vers lautet um Beispiel: „Esgibt keinen Zwang in der Religion.“

Das wird von manchen so gelesen, dass jeder seine Religion durchaus selber wählen könne. Andere Auslegungen insistieren jedoch, der Vers müsse gelesen werden als „Es gibt keinen Zwang in der Religion“. Demnach wäre der Islam also die einzig mögliche Religion, aber innerhalb deren seien gewisse Toleranzen möglich.

 

Der Korangelehrte Abdallah Draz weiter:

„Die Sätze sind in würdigster Form so ausgedrückt, dass die kleinstmög­ liche Anzahl von Worten verwendet wird, um Gedanken von äußerstem Reichtum auszudrücken.

Koranische Rede ist klar übermenschlich, weil sie das psychologische Gesetz durchbricht, dass Intellekt und Gefühl immer im umgekehrten Ver­ hältnis zueinander stehen.

Zur Struktur einer Sure und des ganzen Korans übergehend finden wir ei­ nen überall gegenwärtigen Plan, den kein Mensch hätte erfinden können.“

 

Der übermenschliche Plan besteht darin, dass alle Suren der Länge nach absteigend angeordnet werden. Die längsten Suren stehen am Anfang, die kürzesten am Schluss.

So umfasst die Sure Zwei 286 Verse und Sure Vier 175 Verse. Sure Hundertelf hingegen hat zum Beispiel nur 5 Verse, und Sure Hundert­ zwölf nur 44.

 

4  Die Sure 1, die „Eröffnende“, zählt nicht als eigentliche Sure, denn sie wendet sich an Gott und kann daher nicht von Gott stammen. Setzt man allerdings Gottes Befehl „Sprich!“ davor, kann eine Sure als Anweisung gelesen werden und so doch von Gott stammen. Dieser Trick findet sich 350-mal im Koran.

 

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Durch diese Anordnung geht jeglicher zeitliche und thematische Zusammenhang verloren, und dies hat eine Unlogik zur Folge, die dem Verständnis des Textes nicht gerade förderlich ist. Ungläubige Koran­ forscher haben mit einigem Erfolg die zeitliche Abfolge und logische Zuordnung rekonstruiert und damit erst Sinn in viele Passagen ge­ bracht, stießen aber bei der islamischen Geistlichkeit auf wenig Be­ achtung.

 

Das muslimische                Hauptargument der Göttlichkeit des Korans liegt denn auch auf einer vollkommen anderen, nämlich auf einer emoti­ onalen Ebene: Die Form, also die Reimprosa der Suren und Verse, sei so vollkommen, dass sie niemals aus einer menschlichen Feder stam­ men könnte. Für jeden Muslim ist die Ästhetik der Dichtung allein unwiderlegbarer Beweis für die göttliche Herkunft des Korans. Es gibt unzählige Lobeshymnen über die Perfektion der Verse, jeder Gläubige wird die atemberaubende Dichtkunst bestätigen - auch wenn er sie nicht verstehen kann.

Es ist nun müßig, über die Ästhetik einer Sprache zu urteilen, die nicht Muttersprache ist. Aber zu allen Zeiten gab es arabische Persön­ lichkeiten, die dem Koran die ihm zugesprochene ästhetische Qualität der Sprache schlichtweg absprachen - und dies oft genug mit dem Le­ ben bezahlten. Bekannt sind auch zahlreiche grammatische Fehler. Ali Dashti5 listet detailliert eine ganze Reihe von grammatischen Fehlern und syntaktischen Unmöglichkeiten auf. Er schreibt: „Der Koran ent­ hält unvollständige Sätze ... Es kommen fremdsprachliche Begriffe vor, unbekannte arabische Ausdrücke und Wörter, die in einer anderen als der gewöhnlichen Bedeutung benutzt werden. Er missachtet die Regeln der Grammatik, ganz gleich, ob es sich um Femininum, Maskulinum, Verb oder Subjektiv, Adjektive oder Adverbien handelt. Dazu kommen unlogische und grammatisch falsche Pronomina, die an manchen Stellen keinen Bezug haben.“

 

 

5   Ali Dashti (1896-1981), Iraner. Studierte in Nedschaf Theologie und Geschichte. Schiitischer Geistlicher, später Journalist. Bekannter Oppositionspolitiker mit mehreren Inhaftierungen. 1979 von Khomeini in Haft genommen, wo er 1981 starb.

 

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Jeder Muslim sollte in seinem Leben den Koran zumindest einmal gelesen haben, und die meisten haben das auch getan, beginnend im Alter von drei bis sechs Jahren. Dies geht so vonstatten, dass der Unterrichtende einen Vers in Arabisch vorliest und der Schüler das Gehörte wiederholt. Nach einer gewissen Zeit ist er in der Lage, die Verse selbstständig zu sprechen. Gefragt, was das eben Gelesene bedeute, kann er jedoch keine Auskunft geben. Er hat gelernt, den Koran zu rezitieren, nicht aber zu verstehen. Hierfür bräuchte er eine Ausbildung in Koranarabisch.

Der Koran ist nämlich keineswegs in einem allgemein gebräuchlichen Arabisch geschrieben, denn „das“ Arabische gibt es nicht.

Da ist die jeweilige Umgangssprache wie Marokkanisch, Syrisch, Ägyp­ tisch, Jemenitisch, Golfarabisch und so weiter. Diese arabischen Dialekte können extrem unterschiedlich sein und unterscheiden sich ihrerseits wieder mehr oder weniger stark von der Arabiya, dem Hocharabischen. Die Arabiya ist die offizielle Sprache, sie wird vom Volk nur höchst un­ vollkommen beherrscht. Vom ehemaligen ägyptischen Staatspräsidenten Nasser, einem großen Redner, ist bekannt, dass er seine Reden oft in der Arabiya begann, aber an den entscheidenden Passagen in die Ammiya, die Umgangssprache, wechselte. Das waren dann die Momente, wo er die Volksseele zum Überschäumen brachte.

Die Sprache des Korans unterscheidet sich nun aber ihrerseits wieder von der Arabiya und wird außerhalb der Gelehrtenzirkel von niemandem verstanden. Selbst ein Saudi-Araber, also einer aus dem Lande des Pro­ pheten selber, ist damit überfordert. Nur ein rudimentäres Verständnis ist bei einem Ägypter, Iraker oder Marokkaner vorhanden, vollkomme­ nes Unverständnis herrscht bei nichtarabischen Muslimen. Was versteht ein Türke, Afghane, Pakistaner, Iraner, Malediver oder Indonesier vom arabischen Inhalt des Korans ? Buchstäblich nichts - auch wenn er ihn rezitieren kann.

Das Verständnis wird von ihm auch gar nicht erwartet, denn den In­ halt erfährt der Gläubige von Imamen und Vorbetern, die diesen in den allermeisten Fällen ihrerseits wieder mitgeteilt bekamen. Daher rühren auch die vielen unterschiedlichen, oft auf lokalen Traditionen beruhenden Anschauungen innerhalb der Religion, und es erklärt, warum muslimi­ sche Massen so leicht entflammbar sind:

 

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Es macht die Nachricht die Runde, dass in einer europäischen Zeitung der Prophet durch gotteslästerliche Karikaturen schwer beleidigt wurde. Sogar mit einer Schweineschnauze sei er dargestellt worden. Darauf ge­ hen Hunderttausende, vorwiegend nach den Freitagspredigten, auf die Straße, stecken Gebäude in Brand, es gibt Verletzte und Tote. Dabei hat nicht ein einziger der Demonstranten, nicht einmal die Prediger, die sie aufgepeitscht hatten, je eine dieser Karikaturen zu Gesicht bekommen, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Es ist nicht die allgemeine Praxis, sich religiöse Sachverhalte originär zu erschließen, die jeweils richtige Meinung ist stets vorgegeben.

Es gibt im Islam keine formale oberste theologische Autorität, aber tra­ ditionell hat die Al-Azhar-Universität in Kairo die Deutungshoheit über den Koran. Auf sie geht die Version von 1924 zurück, mit dem Anspruch, die einzig gültige für Muslime zu sein.

Seit einiger Zeit aber ist Saudi-Arabien der Hauptexporteur in Sachen islamischer Entwicklungshilfe. Auf Kosten des Königshauses strömen Heere von frommen Bartträgern in alle Teile der islamischen Welt, um das saudische Verständnis der richtigen Auslegung des Korans, den Wah­ habismus, zu verbreiten. Muslime, die sich dem Wahhabismus zuwenden, erhalten meist finanzielle Zuwendungen. So kommt es, dass lange Bärte und total verhüllte Frauen beispielsweise im Straßenbild von Male, der Hauptstadt der Malediven, auftauchen, was noch vor wenigen Jahren un­ denkbar gewesen wäre. Der Wahhabismus, diese extreme Ausformung von einst nur lokaler Bedeutung, hat sich durch die Petrodollars zu einer bedeutenden Richtung des Islam gemausert.

 

Wir wollen das traditionelle Verständnis von der Entstehung des Korans noch einmal zusammenfassen:

114 Suren mit bis zu 286 Versen pro Sure, das entspricht rund 600 Seiten in der Reclam-Ausgabe, wurden Muhamad vom Erzengel Gabriel nach traditioneller Lehrmeinung übermittelt, die er an seine Anhänger wörtlich ohne Fehl und Irrtum weitergab. Allerdings nicht als Buch, sondern wie eine imaginäre Schallplatte, denn die Weitergabe erfolgte ja nach der Tradition mündlich. Die Anhänger memorierten die Suren oder schrieben sie provisorisch auf, wobei mit dem Material bisweilen recht

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nachlässig umgegangen wurde. Aber auch hier gab es keine Fehler und keinen Irrtum. Mehrere „offizielle“ und sehr tief greifende Bearbeitungen folgten im Lauf der Jahre. Die vom Anspruch her vollkommen reine arabi­ sche Sprache des Korans enthält viele Fremdwörter und ist auch für Ara­ ber ohne Kommentar nicht lesbar. Zahlreiche Verse gehören offensicht­ lich nicht an die Stelle, an der sie sich befinden. Die Anordnung der Suren, der Länge nach absteigend von der längsten zur kürzesten, erschwert die Einordnung. Trotzdem steht heute noch der Anspruch, jedes Wort im heute kanonischen Koran, der Referenzausgabe von Kairo 1924, sei ohne Fehl und Irrtum Gottes Wort und damit ewig und unverrückbar.

Sehen wir uns im nächsten Kapitel an, was die Wissenschaft dazu sagt.

Das Buch, in dem Olivenöl ist:

Der Koran der Wissenschaften

 

„Studieren sie [die Zweifler] denn nicht den Koran ? Wenn er von Jemand anderem als von Gott wäre, würden sie in ihm viel Wider­ spruch finden. “

Koran, Sure 4:82

 

 

 

Rudi Paret (1901 - 1983), prominenter Koranübersetzer, schreibt in der Einleitung zu seiner deutschen Übersetzung: „Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass auch nur ein einziger Vers im ganzen Koran nicht von Mohammed stammen würde.“ Er, der sich in seiner Überset­ zungsarbeit quasi tagtäglich mit Widersprüchen, Unklarheiten, Fehlern, Ungereimtheiten logischer wie sprachlicher Natur herumschlagen musste:

Woher weiß er das ? Wie kommt er zu diesem Schluss ?

Ähnlich meint Tilman Nagel6, „Die Forschung muss sich an das hal­ ten, was als gesichert gelten kann, nämlich dass die Worte des Korans von Mohammed ausgingen ...“, und füllt unter dieser nicht einmal im Ansatz gesicherten Prämisse sage und schreibe 1000 Seiten.

Wie kommen die beiden Wissenschaftler zu einer so unwissenschaft­ lichen Aussage ? Sie geben die Meinung der traditionellen Orientalistik wieder. Nachdem die Orientalistik des 19. Jahrhunderts große Namen hervorgebracht hatte, sind bis auf ein paar erwähnenswerte Ausnah­ men zumindest von ihrem Zweig der Islamforschung bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts keine Ruhmestaten zu berichten. Typischerweise forschte man systemimmanent und schien sich nicht im Geringsten mit der Frage nach der Bonität von Quellen belästigen zu wollen. Man über­ setzte zum Beispiel den Koran getreu der arabischen Vorlage ins Deut­ sche. Sehr präzise, sehr gewissenhaft, ja sogar so brillant, dass manche Übersetzungen näher an der wahrscheinlichen Bedeutung sind als die arabische Vorlage selber. Die Übersetzungen gerieten bisweilen schon

 

6  Tilman Nagel, Mohammed, München 2008.

 

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zur Interpretation, aber der Autor konnte belegen, dass sich der arabi­ sche Bearbeiter (!) in diesem oder jenem Punkt wohl geirrt habe - wir kommen später auf einige Beispiele. Da hätten bei einem Wissenschaftler schon die Alarmglocken schrillen müssen, denn es handelte sich ja nicht um irgendeinen Text, sondern um eine göttliche Botschaft in angeblich reinstem Arabisch, die einen Wahrheitsanspruch erhob. Die Negierung augenfälligster Ungereimtheiten und der unglaublich schlampige Um­ gang mit Quellen haben die Orientalistik so in Verruf gebracht, dass sie in der Islamforschung negative Wissenschaftsgeschichte geschrieben hat.7

 

Nach traditioneller islamischer Überlieferung also verkündigte der Pro­ phet Muhamad zwischen 610 und 632 Offenbarungen und gründete da­ mit eine neue Religion. Zu seinen Lebzeiten existierten nur mündliche Überlieferungen, aber sein dritter Nachfolger, der Kalif Othman, soll nach traditioneller islamischer Auffassung das Material 20 Jahre später zu ei­ nem Buch zusammengefügt haben, dem sogenannten „Othmanischen Koran“. Dieser soll bereits die endgültige orthografische und inhaltliche Autorität repräsentiert haben. In wenigen Jahren sollen sich Buch wie Religion über Syrien, Arabien, Irak, Persien, Zentralasien, Ägypten und Nordafrika verbreitet haben. Ein epochaler Vorgang von unglaublicher Geschwindigkeit. Wenn es denn so war.

Wer behauptet das ? Oder andersherum: Wie sehen die Quellen aus ?

Von islamischer Seite haben wir keinerlei zeitgenössische Belege. Wir haben keinen Othmanischen Urkoran, keinerlei andere zeitnahe Anga­ ben, der erste bekannte Koran stammt aus dem Ende des 9. Jahrhun­ derts, auch die bisher bekannten Fragmente reichen nicht in die Zeit eines

 

7   Es könnte lohnend sein, einmal den Zusammenhang der deutschen Islamforschung des

  • Jahrhunderts mit der Politik zu untersuchen. Kaiser Wilhelm hatte sich Islamkritik an seinen Akademien mit Blick auf den osmanischen Bündnispartner verbeten. Im Dritten Reich gab es in zunehmendem Maße hochrangige Kontakte zu islamischen Würdenträgern, in Dresden entstand das Kuriosum der SS-Muftischule. Hitler äußerte in den „Tischgesprächen“ (Henry Picker), hätte Deutschland statt des Christentums den Islam bekommen, gehörte uns heute schon die Welt. In der Bundesrepublik drehte sich die offizielle Islamforschung weiter im Kreise. Unter einer Multikultiprämisse gilt auch wissenschaftliche Islamkritik als suspekt und ist kein - von öffentlichen Geldern abhängiges - „Forschungsdesiderat“

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behaupteten Kalifen Othman zurück. Der Herausgeber des Urkoran, der ominöse Kalif Othman, ist historisch nicht fassbar. Es gibt nicht einen einzigen außerislamischen Hinweis auf ihn, von einem Nachweis gar nicht zu reden. Erst zwei Jahrhunderte nach den behaupteten Ereignissen setzen die ersten islamischen Berichte über Muhamad und sein Buch ein, die meisten sind drei Jahrhunderte danach entstanden.

Der Wissenschaft allerdings sind Materialien aus der Zeit vor dem Propheten bekannt, die später im endgültigen Koran wieder auftauchen. Nach Schätzung des Koranforschers Günter Lüling macht das vormo­ hammedanische Material nicht weniger als dreißig Prozent des späteren Korans aus8. Der Wissenschaft also sind wenigstens Fragmente des spä­ teren Korans bekannt, die aus der Zeit Muhamads und davor datieren. Koranschriften aus der Zeit vor dem Gründer des Islam ?

 

Theodor Nöldeke9 hatte bereits 1909 einen Katalog zahlreicher Fehler und Eigentümlichkeiten der Koransprache erstellt. Er erwähnt Über­ schneidungen mit der syro-aramäischen Sprache, ohne aber weiter dar­ auf einzugehen. Der im Irak gebürtige Handschriftenforscher Alphonse Hormizd Mingana stellte 1927 als Erster die starke Durchmischung des Koranarabischen mit dem Syro-Aramäischen heraus. Lüling bestätigt und vertieft später diese Ergebnisse.

Es gibt zahlreiche Koranpassagen, die sogenannten „dunklen Stel­ len“, die auch für arabische Interpreten nicht vernünftig lesbar sind. Dies führte dann zu den vielen - oft völlig unterschiedlichen - Interpretatio­ nen, die für die islamische Lehre kennzeichnend sind. Nach islamischer Meinung ist ja die Sprache Gottes selber Arabisch. Wer diese Passagen nicht lesen könne, beherrsche demnach ganz einfach nicht das perfekte Arabisch Gottes.

Diese Erklärung mag Gläubige befriedigen, nicht jedoch Wissenschaft­ ler. Der Semitist und Sprachforscher Christoph Luxenberg10 nahm sich

 

8   Günter Lüling, „Über den Urkoran. Ansätze zur Rekonstruktion der vorislamischen Strophen­ lieder im Koran“, Erlangen 1974.

9  Theodor Nöldeke, „Geschichte des Qorans“, Faksimile der Ausgabe von 1909, Elibron Classic Series, Adamont Media Corporation 2005.

10  Pseudonym eines Professors an einer deutschen Universität.

 

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einige der „dunklen Stellen“ vor. Er begann, diese unklaren und schein­ bar sinnlosen Koranpassagen in der Sprache der Ursprungszeit zu lesen. Diese Sprache war Syro-Aramäisch. Und er kam zu sehr erstaunlichen Ergebnissen.

 

Die Sure 19 (Surat Maryam / Marien-Sure) ist solch eine Passage. Zu­ nächst beschreibt sie die Empfängnis Marias und kommt dann zu ihrer Verzweiflung über die uneheliche Geburt ihres Sohnes Jesus, sie wünscht sich deswegen den Tod herbei.

Im Vers 24 dieser Sure heißt es in der traditionellen Übersetzung:

 

„Und es rief er [Jesus] unter ihr: Bekümmere dich nicht, dein Herr hat unter dir ein Bächlein fließen lassen!“

 

In Syro-Aramäisch gelesen heißt der Vers hingegen:

„Da rief er [Jesus] ihr nach der Niederkunft zu: Sei nicht traurig, der Herr hat deine Niederkunft legitim gemacht.“

 

Ein vormals eigenartiger Satz bekommt plötzlich seinen Sinn! (Am Sprachgenie des Baby-Jesus darf man sich nicht stören, es wird in meh­ reren Koranstellen bemüht. Und, man streiche sich das geistig rot an, so finden wir das auch im Thomasevangelium)

 

Auch die Huris, die Paradiesjungfrauen, die der Koran den Märtyrern im Dutzend verspricht, sehen bei Luxenberg ganz anders aus.

Im Koran liest sich das in der traditionellen Übersetzung so:

 

Sure 44:54: „Und wir geben ihnen [den Gläubigen] großäugige Huris als Gattinnen.“

Dieser Vers heißt in der autorisierten arabischen Version: wa-zawwag- nahum bi-hur inin und kann nach Luxenberg im klassischen Arabisch gelesen werden als verheiraten. Aber nur dann, wenn man über das r und unter das h einen diakritischen Punkt setzt, der anzeigt, wie der Buch­ stabe präzise zu lesen ist. Diese diakritischen Punkte gab es aber nicht in

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den frühen Texten. Und ohne die Punkte liest sich das Wort rawwah-na- hum, was im Arabischen ausruhen lassen bedeutet.

Hur ist zweifellos der Plural von weiblich hawra, heißt also weiße.

In ist in Arabisch nicht verstehbar, deswegen interpretieren die ara­ bischen Bearbeiter des Korans in als Plural von ain (Auge, Brunnen), obwohl es korrekt uyun bzw. ayun heißen müsste.

Hur in wären also weiße Augen. Dies aber ist auch im Arabischen in diesem Zusammenhang Unsinn (an anderer Stelle im Koran, Sure 12:84, bedeutet weiße Augen denn auch erblindet). Deswegen bieten die arabi­ schen Koraninterpreten „großäugige Weiße“ an. Daraus wurden „groß­ äugige Huris“ - die „Paradiesjungfrauen“ waren geboren.

Luxenberg weist jedoch durch koranische wie außerkoranische Quer­ verweise nach, dass mit den „Weißen“ im Paradieskontext zweifelsfrei Weintrauben gemeint sind. Das arabisch unverstandene Wort in bedeutet in Aramäisch kristallklar, glänzend, prachtvolles Aussehen. Die hur in sind also keine Wesen, schon gar nicht Huris, sondern kristallklare, prachtvolle Weintrauben.

Und zuletzt meint bi nicht das arabische mit, sondern das aramäische unter. Der Gläubige wird also nicht mit den Huris verpaart, sondern er rastet unter den hur in, also unter den Weintrauben.

 

Sure 44:54 liest sich nach Luxenberg also richtig:

„Wir werden es ihnen unter prachtvollen Weintrauben behaglich machen.“

Ein nicht unbeachtlicher Unterschied, muss man konstatieren (und mit nicht unerheblichen Konsequenzen für die „Märtyrer“).

Den Huris dichten die Interpreten in verschiedenen Versen diverse Attri­ bute an.

Sure 2:25: „Im Paradies warten gereinigte Gattinnen auf sie.“

In Wirklichkeit ist die Rede von „allerlei Arten von reinen Früchten“.

 

Aus Sure 38:52 leiten die arabischen Koraninterpreten das Alter der Huris ab. Sie sind zunächst „gleichaltrig“, dann werden sie „jung“, „immerwäh­ rend jung“, und in späteren Interpretationen wird ihnen sogar ein Alter zugewiesen: „33 Jahre“. Nichts davon steht im Koran.

 

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Es geht um das Wort atrab, das im Arabischen nicht verständlich ist und deshalb mit den genannten Interpretationen versehen wurde. Die aramäische Wurzel bedeutet saftig, Fruchtfleisch.

 

Aus Sure 38:52 nach traditioneller Lesart:

„Während sie gleichaltrige [ewig junge, 33-jährige] Huris bei sich haben, die Augen niedergeschlagen ..."

wird in der korrekten aramäischen Übersetzung:

„Bei ihnen werden niederhängende, saftige Früchte sein.“

 

Den Vogel schießen die Interpreten mit Sure 55:56 und 74 ab, wo die Huris schließlich zu Jungfrauen ernannt werden. In weiteren Interpreta­ tionen bleiben sie sogar ewig Jungfrauen, auch wenn sie den Gläubigen bereits zur Verfügung gestanden hatten:

Sure 55:56: „Darin [in den Gärten] befinden sich auch, die Augen nie­ dergeschlagen, weibliche Wesen [die huris], die vor ihnen noch niemand [weder Mensch noch Dschinn] entjungfert hat.“

 

Die Interpretation des Ausdrucks lam yatmithunna als „entjungfern“ stammt vom Koraninterpreten at-Tabari und wurde kritiklos weiterge­ führt, wobei die syro-aramäische Wurzel ohne Zweifel lediglich verun­ reinigen, beflecken bedeutet.

Der ganze Satz heißt demnach: „Darin befinden sich herabhängende Früchte, die noch niemand angerührt hat.“

 

Luxenberg merkt zu dieser Stelle an: „Mit der Interpretation,entjungfern ist der Gipfel erreicht. Wer den Koran mit etwas Verständnis liest, muss an dieser Stelle geradezu die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Nicht nur Unwissenheit ist daran schuld, es gehört schon eine gute Portion Dreistigkeit dazu, bei einer heiligen Schrift sich so etwas auszudenken und dies dem Koran zu unterstellen.“

Man möchte hinzufügen: Da ist die schmutzige Fantasie mit den bär­ tigen Männern durchgegangen.

 

Aber es geht in diesem Stil weiter.

 

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Wir wissen von den Huris bereits, dass sie hübsch, 33 Jahre alt und ewig jungfräulich sind.

In Sure 78:33 erfahren wir ein weiteres Detail - sie sind vollbusig:

„[Die Gottesfürchtigen erwarten] junge Huris mit schwellenden Brüsten und einem Becher mit Wein, bis an den Rand gefüllt.“

Die schwellenden Brüste sind in Wirklichkeit üppige, saftige Früchte,

wie Luxenberg ausführlich nachweist.

 

Die Huris entstammen also vollkommen dem Reich der Fantasie, aber damit nicht genug, es gibt auch noch ewig junge Knaben im Paradies, die den Frommen zur Verfügung stehen.

Sure 76:19: „Ewig junge Knaben [wildanun muhalladuna] machen die Runde unter ihnen [den Gläubigen] ..."

Die „Knaben“ weist Luxenberg als aramäisch für „Saft“ oder „Wein“ nach („Kind der Weinrebe“ = Erzeugnis der Weinrebe = Saft oder Wein).

Muhalladuna bekommt durch Umsetzen eines einzigen Punktes (Un­ terpunkt statt Oberpunkt, aus h wirdg) seine aramäische Originalbedeu­ tung, nämlich eiskalt, eisgekühlt.

Es machen also statt ewig junger Knaben in Wirklichkeit eisgekühlte Früchte die Runde.

 

Eklatante Fehlübersetzungen der arabischen Editoren schufen ein Para­ diesbild, das nicht nur für anzügliche Bemerkungen von Ungläubigen sorgte,  nicht  nur  Hunderttausende  Glaubenskämpfer  erwartungsvoll in den Tod gehen ließ, sondern auch diametral zur ursprünglichen und wirklichen Aussage des Korans steht.

Dazu wird hier auch die Durchmischung von syrisch-christlichem und östlichem Gedankengut im Koran deutlich. Die Symbolfrucht par excellence des syrisch-christlichen Paradieses war die Weintraube, wie tausendfach dargestellt. Das war zugleich das Paradies der koranischen Urmaterialien.

In der späteren Version nimmt dieses recht bescheidene Paradies per­ sische Ausmaße an: Ohne großäugige Jungfrauen ist das Paradies keines, und kein persisches Fest, das diesen Namen verdient, ist denkbar ohne die Hierodulen, die Knaben, die für Gesang und andere Gunstbeweise

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zuständig waren. Aus dem persischen fairidaez (Paradies) wird das ara- bische faradis, und dieses ist ein sexistisches Paradies n. Es geht eigentlich nur um die Erfüllung sexueller Männerträume.12

Diese Änderung der originalen Texte ist nicht nur eine katastrophale übersetzerische Fehlleistung, sondern eine Änderung des Paradies-Kon­ zepts insgesamt.

Die gesamte „Kopftuchproblematik“ löst Luxenberg mit einer weiteren Präzisierung über das Aramäische auf.

Im Koran gibt es nur eine einzige Stelle, die scheinbar auf das Kopftuch Bezug nimmt.

Es ist die Sure 24, Vers 31:

Der ganze fragliche Satz lautet:

„Und sprich zu den gläubigen Frauen, dass sie ihre Blicke niederschlagen und ihre Scham hüten und dass sie nicht ihre Reize zur Schau tragen, es sei denn, was außen ist, und dass sie ihr Tuch über ihren Busen schlagen und ihre Reize nur ihren Ehegatten zeigen oder ihren Vätern oder den Vätern ihrer Ehegatten oder ihren Söhnen oder den Söhnen ihrer Ehegatten oder ihren Brüdern oder den Söhnen ihrer Brüder oder den Söhnen ihrer Schwestern oder ihren Frauen oder denen, die ein Recht auf sie besitzen, oder ihren Die­ nern, die keinen Trieb haben, oder Kindern, die ihre Blöße nicht beachten.“

Die Kernpassage hat Max Henning13 bereits recht frei übersetzt mit

„ihr Tuch über ihren Busen schlagen“.

Wörtlich übersetzt heißt diese Passage im arabischen Koran: „Sie sollen sich ihre chumur über ihre Taschen schlagen.“

Was sind nun diese chumur, und welchen Sinn sollen die Taschen er­ geben ? Tabari übersetzt chumur mit Kopfiuch und setzt, ohne Referenzen zu nennen oder Gründe anzugeben, hinzu, dass dieses Kopftuch Haar, Hals und Ohrgehänge zu bedecken habe.

11  Helmut Werner, „Das Islamische Totenbuch", Köln 2009, belegt die zentrale männlich-sexis­ tische Jenseitsvorstellungen mit zahlreichen Koranstellen.

12  In dieser Tradition hinterließ der 9/11 -Anführer Muhamad Atta die Anweisung zur Vorbereitung auf den Selbstmord, zu der es gehörte, den Penis zum besonderen, symbolischen Schutz zu bandagieren.

  1. Der Koran, Reclam, Ausgabe 2006.

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Luxenberg weist nun die ominösen chumur (Singular chimar) als das verschriebene aramäische gmar - Band, Gürtel nach. Weiter weist er nach, dass das Wort „schlagen“ im Zusammenhang mit den Begriffen „Band, Gürtel“ verwandt wurde, also eine Phrase bildete, die im Übrigen im heutigen Aramäisch noch in Gebrauch ist: „Das Band, den Stoffgürtel umschlagen“ Und zwar um die Lenden und nicht um die „Taschen“.

 

Der Satz heißt also in Wirklichkeit: „Sie sollen sich ihre Gürtel um die Lenden binden.“

 

Der Perser und arabische Philologe Tabari hatte nachträglich, um das Jahr 900, also 300 Jahre nach der kolportierten Zeit der Entstehung, in seinem Korankommentar14 das im Arabischen nicht existente Wort chu­ mur/ chimar schlicht nicht verstanden. Ohne eine Erklärung zu liefern, interpretiert er es als „Kopftuch“ und fügt hinzu, dieses Kopftuch „solle Hals, Haare und Ohrringe“ verdecken. Von da an nahm die islamische Welt das Gebot zum Kopftuch als Befehl Gottes an. Es ist in Wirklichkeit nichts weiter als die persönliche Meinung at-Tabaris.

Der Bedeutungswandel dieses Begriffs wird auf bemerkenswerte Weise in einem Hadith dargestellt15. Danach sollten Aischa, die jüngste Frau des Propheten, und andere Frauen ihre Stoffgürtel in Kopftücher umgearbei­ tet haben, als der entsprechende Vers offenbart worden war. Hier spiegelt sich wohl im Zeitraffer die historisch-etymologische Begriffsverdrehung des Wortes chimar wider: vom Stoffgürtel zum Kopftuch.

 

Nach Luxenberg „wären muslimische Frauen demnach berechtigt, die Authentizität des koranischen Wortlauts wiederherzustellen und aus den Kopftüchern, die man ihnen seit Jahrhunderten zu Unrecht aufgezwungen hat, wieder Gürtel zu machen.“

 

Wie kann es dazu kommen, dass arabische Editoren offensichtlich so große Probleme mit einem arabischen Text haben ? Mit einem Text, der

 

14  at-Tabari, „Tafsir al-Quran“, Bd. XVIII, Kairo 1968.

15  Ibn Manzur, „Lisan al-Arab“, X, 355a, Beirut 1955.

 

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angeblich „in reinem und klarem Arabisch zu den Menschen gekommen war“ ? Wie kann es geschehen, dass praktisch jeder Vers zum Verständnis interpretiert werden muss und dass viele Verse es leicht auf ein Dutzend verschiedene Interpretationen bringen ?

Fragt man einen Linguisten nach der Sprache „Arabisch“, kommt mit Sicherheit die Gegenfrage: „Welches Arabisch?“

Damals wie heute gab es eine Vielzahl arabischer Dialekte. Dazu kommt das klassische Arabisch, die Arabiya. Der Koran aber ist wieder in einer anderen Spielart abgefasst: dem Koranarabischen, das nur Spezi­ alisten lesen können (die Frage, inwiefern sie es verstehen, überspringen wir anhand der oben aufgeführten Beispiele besser).

Die vereinende Sprache der Zeit war das Aramäische. Der Koran ist so stark mit dem Aramäischen durchsetzt, dass Luxenberg von der Existenz eines aramäischen Urkorans ausgeht. Ob dieser aramäische Urkoran existierte, wissen wir nicht, aber mit Sicherheit sind die dem Koran zu­ grunde liegenden Schriften zu einem erheblichen Teil aramäische Texte.

Gesprochen wurde im damaligen Arabien also Aramäisch und/oder der jeweilige arabische Dialekt, geschrieben wurde durchwegs in Aramä­ isch. Daneben war in der Bildungsschicht Griechisch recht verbreitet. Die arabische Schrift entwickelte sich mit nabatäischen Elementen aus der aramäischen Schrift. Das traditionelle Koranarabisch hat es im 6. oder

7. Jahrhundert, der Zeit Muhamads und der behaupteten Herabsendung des Korans, nicht gegeben.

 

Semitische Schriften bestanden nur aus Konsonanten. In der Aussprache setzte man Vokale nach Erfahrung. Aufs Deutsche übertragen, könnte man also Rst je nach Kontext lesen als Rast, Rost, Rest, Rist, Erst, Erste und was es sonst noch an Möglichkeiten gibt.

Was heißt Lbnstnlst?

Lieben ist eine Lust! Oder eher Leben ist eine Last?

Es kommt aber noch schlimmer. Das früharabische Alphabet bestand aus 15 Zeichen, von denen ihrerseits aber nur sieben Zeichen eindeutig waren. Von den übrigen Zeichen waren sechs zweideutig, ein Zeichen drei- und ein weiteres Zeichen sogar fünfdeutig. In den frühen Hand­ schriften kann nicht unterschieden werden zwischen f und q, j und kh, s

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und d, r und z, s und sh, d und dah, t und z. Die Schrift bestand also nur aus Konsonanten und drei Halbvokalen, die ihrerseits nicht alle eindeutig definiert waren, und kurze Vokale wurden beim Lesen je nach Kontext und aus Erfahrung gelesen.

Dieses Konsonantengerüst („Rasm“) war also extrem schwach de­ finiert. Man konnte es ohne die Kenntnis des Sachverhaltes nicht ver­ nünftig lesen.

Das erläutert ein nettes Geschichtchen: Vor langer, langer Zeit ging in Basra ein Korangelehrter durch die Straßen und hörte durch ein Fenster einen Jungen rezitieren: „Dies ist das Buch, in dem kein Oli­ venöl ist ..." Das kam dem Gelehrten gleichzeitig bekannt, aber auch seltsam vor und er ging ins Haus. Ein Junge rezitierte gerade die 2. Sure des Korans. Diese beginnt aber richtig „Dies ist das Buch, in dem kein Zweifel ist ...“ Zweifel heißt rayba, Olivenöl zeita. Im Konsonan­ tensatz ohne Lesehilfen sind diese beiden Wörter jedoch vollkommen identisch, erst der Sinn entscheidet über die Bedeutung. Das war nun ein höchst unbefriedigender Zustand und deshalb suchte der Gelehrte nach Abhilfe durch die eindeutige Definierung der Schrift.

Auch im wirklichen Leben versuchten arabische Philologen, diese rudimentäre arabische Schrift zu präzisieren. Dies geschah durch das Setzen von Zeichen über und unter den Buchstaben, den sogenannten diakritischen Punkten; später kamen Zeichen für kurze Vokale, Ver­ doppelung, Vokallosigkeit und Dehnung hinzu. Diese Lesehilfen zeigen an, wie das Konsonantengerüst insgesamt zu lesen ist: als Lust, Last, Rest, Rost. Zweifel oder Olivenöl.

In unserem Olivenölbeispiel ist die richtige Bedeutung unschwer zu erraten, das Rätselraten ist jedoch groß bei abstrakten (sprich: religiösen) Inhalten, wo die Bedeutung keineswegs Allgemeingut ist.

Es sind auch Fälle bekannt, wo falsch gesetzte Zeichen in Rezepten von Heilmitteln zu Todesfällen führten, weil die Mischung unversehens eine ganz andere war.16

 

 

16    Vgl. Rotraud Wieland, „Offenbarung und Geschichte im Denken moderner Muslime", Wies­ baden 1971.

 

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Diese Lesehilfen waren in keinem der frühen Korantexte vorhanden, diese bestanden nur aus dem „Rasm“, dem Gerüst, ohne Vokale und höchst zweideutiger Konsonanten. Dazu kam, dass bisweilen in aramäi­ schen Redewendungen aber mit früharabischen Schriftzeichen geschrie­ ben wurde - und umgekehrt.

 

Es ist nun klar ersichtlich, welche Fehler durch das nachträgliche Set­ zen der Lesehilfen unterlaufen konnten, ganz zu schweigen von großer zeitlicher Distanz, wenn man die alten Sprachen nur mehr ungenügend verstand. Und es wird klar, dass der „Umweg“ über die Hauptsprache, das Syro-Aramäische, in vielen Fällen die richtigen Resultate liefert.

Hier finden wir auch des Rätsels Lösung, warum die arabischen Ko- ranexegeten so katastrophale Fehler machten. Sie konnten das Textmate­ rial, das sie bearbeiteten, nicht mehr richtig lesen. Sie verstanden die alten Sprachen und ihre Mischformen nicht mehr richtig und waren oft mit sehr schwer zu lesenden Texten konfrontiert - die sie aber allen Arabern zugänglich machen wollten.

Weil eine definierte arabische Sprache und Schrift fehlte, mussten diese erstellt werden. Dies geschah vornehmlich im 9. Jahrhundert, durchge­ führt von einer Gruppe von Editoren, deren prominenteste Mitglieder wir namentlich kennen, allen voran den bereits erwähnten Tabari. Es wird nun klar, dass diese Leute den Koran eigentlich nicht interpretierten, wie es so schön heißt, sondern in Wirklichkeit übersetzten und dazu noch die Sprachregeln für die Übersetzung selber festlegten.

 

Neben diesen systematischen Fehlern gab es jede Menge Versions- und Kopierfehler. Das heißt, in der handschriftlichen Verbreitung tauchten verschiedene Versionen auf, und es unterliefen Schreibfehler.

Nehmen wir die Suren 50:12-14 und 26:176- 177, wo die wegen Un­ gläubigkeit Bestraften aufgeführt werden: Neben Lut (dem biblischen Lot) sind es unter anderem die „Leute des Dickichts“ (Ashab al Aykah) und die

„Leute des Brunnens“ (Ashab ar-Rass~).17

 

 

17  Siehe Gerd-R. Puin in: „Die dunklen Anfänge"

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Al Aykah heißt Dickicht, mit den „Leuten des Dickichts“, wie es im Koran steht, weiß aber auch kein Korangelehrter so richtig etwas anzufangen.

Das Wort kommt viermal in der offiziellen Version des Korans von Kairo vor. Zweimal „korrekt“ mit dem Artikel al (Suren 15:78 und 50:14), also Al Aykah, zweimal aber (Suren 26:176 und 38:13) fehlt das a vom Artikel al. Das Wort wird dann gelesen als Laykah.

Al Aykah ? Oder Laykah1

In einer frühen Handschrift aus Sanaa findet sich die Schreibart Lay­ kah an der Stelle, wo die Kairoer Ausgabe Al Aykah schreibt. Abu Ubay- dah (9. Jahrhundert) sieht in Laykah einen Ort, ebenso Abu Hayyan al- Garnati (14. Jahrhundert). Letzterer betrachtet eine andere Lesart sogar

„beinahe als Abfall vom Glauben, was Gott verhüten möge“.

Genau diese andere gotteslästerliche Lesart hat sich der gegenwärtig offizielle Koran zu eigen gemacht.

Die Korangelehrten stecken damit gleich doppelt in einer Zwickmühle, denn sie müssten zugeben, dass die „korrekte“ Version im offiziellen Kai­ roer Koran falsch ist oder dass die „nicht korrekte“ Version richtig ist. Bei­ des ist nicht vorgesehen, denn der Koran ist ja nach offizieller Lesart von Muhamad bis heute fehlerlos tradiert worden. Auch macht das Beispiel wiederum deutlich, welchen Unterschied ein gesetzter oder unterlassener Strich oder diakritischer Punkt machen kann.

Die moderne - nichtislamische - Forschung sagt uns, dass Laykah die sinnvolle Lesart darstelle, denn damit sei nichts anderes als der bekannte antike Rotmeerhafen Leuke Kome gemeint. Die Ashab ar-Rass, die „Leute des Brunnens“, seien dann die schon von dem Geografen Ptolemäus ge­ nannten „Arsae“ (Arser) nördlich von Yanbu an der Rotmeerküste.

Nicht einmal bei dem viel berufenen Stammvater Abraham gibt es eine einheitliche Schreibweise: Er firmiert 15-mal als Abraham im Koran, und 54-mal als Ibrahim. Das lässt auf eine unterschiedliche Herkunft der Texte schließen.

 

Es existieren zahlreiche Fragmente von Koranhandschriften aus früh­ islamischer Zeit (Leiden, Berlin, Paris, Sanaa), die Korrekturen aufwei­ sen. Buchstaben und ganze Wörter wurden ausradiert, korrigiert oder neu eingesetzt. Auch die Handschriftenforschern bestens bekannten

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„Palimpseste“ sind darunter. Ein Palimpsest ist ein Pergament, dessen erste Beschriftung aus Gründen der Sparsamkeit abgewaschen wurde und dann eine neue Beschriftung erfolgte. Moderne Methoden können die zugrunde liegende erste Beschriftung sichtbar machen. Bei den Sanaaner Palimpsesten aus dem 8. Jahrhundert stellen wir das Bestreben fest, an einem Text so viele Korrekturen wie möglich anzubringen. Nahmen diese Korrekturen überhand, löschte man das Blatt und beschrieb es neu. Stets gab es Unterschiede zwischen der ersten und zweiten Beschriftung, meist nur geringfügig in der Orthografie, aber bisweilen auch in den Wortbedeutungen und fehlenden oder hinzugefügten Passagen.

Fehler sind bei handschriftlichen Kopien eine wohlbekannte und ganz normale Erscheinung - ganz besonders bei arabischen Texten, wo ein falscher oder unklarer Strich oder ein unterlassener oder falsch gesetzter Punkt ei­ nen substanziellen Unterschied in der Bedeutung ausmachen kann. Zu den Irrtümern kommen bewusste Änderungen, denn Machthaber aller Zeiten waren daran interessiert, ihre Sicht der Dinge in den göttlichen Schriften repräsentiert zu finden. Ubaydallah, der Gouverneur Mesopotamiens, hat nach eigenem Bekunden 2000 Alif („a“) in einen Korantext einkorrigiert.

Die gesamte Geschichte des Korans ist bis auf den heutigen Tag ein Streit um die richtige Lesart. Der Grund dafür ist, dass die Urtexte des Korans eben nicht in einem eindeutigen „Koranarabisch“ verfasst worden sind. Dass dies ständig und penetrant behauptet wird, macht die Sache nicht richtiger.

 

Luxenberg steuerte einen weiteren Beweis bei, als er in der aramäischen Lesart des Korans auf eine erzchristliche Tradition stieß. Er sieht in Sure 97 die Weihnachtsgeschichte.

 

Die Sure enthält fünf Verse und lautet in traditioneller Übersetzung: 1: Wir haben ihn in der Nacht der Bestimmung hinabgesandt.

2: Aber wie kannst du wissen, was die Nacht der Bestimmung ist ? 3: Die Nacht der Bestimmung ist besser als tausend Monate.

4: Die Engel und der Geist kommen in ihr mit der Erlaubnis ihres Herrn hinab, lauter Logoswesen.

5: Sie ist (voller) Heil, bis die Morgenröte sichtbar wird.

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BILD 1

Blatt aus dem ältesten bekannten Koranfragment (um 720) aus Sanaa, Im Hidschas- Duktus ohne Zeichensatz. Es handelt sich um ein Palimsest, also um ein mehrfach beschriebenes Pergament. Das UV-Licht macht die ältere Schrift unter der aktuellen Schrift sichtbar. Es zeigen sich zahlreiche Unterschiede zwischen den beiden Schriften und zum Standardkoran, was die evolutorische Entstehung des Korans beweist

 

 

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Die zusammenfassende Kommentierung von Tabari: „Der Koran ist in dieser Nacht in den unteren Himmel herabgekommen. Je nach Bestimmung sandte Gott etwas davon auf die Erde herab, bis der Koran vollendet wurde. Zwischen Anfang und Ende der Offenbarung bestanden zwanzig Jahre. Der Anfang des Korans ist in dieser Nacht heruntergekommen.“

 

Tabari meint also, dass mit ihn „er“, der Koran, gemeint sei. Wie kommt er zu dieser Meinung, die aus dem Kontext nicht zu erschließen ist ?

Luxenberg weist nun nach, dass im Aramäischen „Bestimmung“ Schicksalsbestimmung durch Geburt, Geburtsstern, Weihnachten bedeutet. Wer zu Weihnachten herabgesandt wurde, wäre demnach Jesus und nicht der Koran. Tabari muss gemerkt haben, dass ein Stern im Spiel ist, denn er lässt den Koran in den unteren Himmel, also in die Sternensphäre des koranischen Himmels, herabsteigen.

 

Vers 3: Die Nacht der Bestimmung ist besser als tausend Monate

Leyla (Nacht) ist im Aramäischen nach Luxenberg nicht nur ein allge­ meines Wort für „Nacht“, sondern auch ein liturgischer Begriff im Sinne von „Nachtgebet“, entsprechend der lateinischen „Nokturn“. Mit den Mo­ naten sei keineswegs das arabische schahr (Monat) gemeint, vielmehr der aramäische, liturgische Fachausdruck schara, was Vigilien bedeutet, also die Nachtwachen vor einem hohen Feiertag.

 

In Vers 4 derselben Sure „kommen die Engel herab, lauter Logos(!)wesen“.

Nach Luxenberg kommen vom Logos, dem Geiste, begleitete Engel mit

„Hymnen“ herab: also der bekannte „Chor der Engel“. Die ganze Sure liest sich also nach Luxenberg:

1 Wir haben ihn (= den Jesusknaben) in der Nacht der Schicksals­ bestimmung (= des Geburtssterns, Weihnachten) herabkommen lassen.

2 Was weißt du, was die Nacht der Schicksalsbestimmung ist ?

  1. Die Nacht (= die Nokturn) der Schicksalsbestimmung ist gnadenrei­ cher als tausend Vigilien.

 

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4  Die Engel, vom Geiste (begleitet), bringen darin mit Erlaubnis ihres Herrn allerlei Hymnen herab.

5 Friede ist sie bis zum Anbruch der Morgendämmerung.

 

Man braucht nur „er/ihn“ im Kontext der von Luxenberg postulierten Wortbedeutungen zu lesen, also „Jesus“ statt „Koran“, und schon kommt eine ganz andere Bedeutung zum Vorschein: nämlich die Weihnachts­ geschichte (was im Übrigen bereits mehrere Forscher vor Luxenberg ver­ mutet hatten).

Nebenbei stellt Luxenberg richtig, dass die koranischen tanazzalu (En­ gel) korrekt die timazzilu sind - der Teufel steckt wiederum im Detail winziger, nachträglich falsch gesetzter Zeichen.

Eine weitere „dunkle“, das heißt nicht verstandene Sure ist die Sure

108. Für Luxenberg18 ist sie eine Fehllesung der aramäischen Version des Petrusbriefes (Kapitel 5, Verse 8-9) und zweifellos vorkoranisch. Der Text „gehört zu jenem Grundstock, aus dem der Koran als christlich­ liturgisches Buch ursprünglich bestand“. Nach Luxenbergs Meinung fällt alles darunter, was man traditionell zur „ersten mekkanischen Periode“ rechnet.

Die Herabsendung des Korans in der Schicksalsnacht zeigt ebenso deutlich wie die komplette Fehlübersetzung der Zustände im Paradies und das Entstehen der Kopftuchforderung, auf wie wackeligen Beinen die traditionelle Koraninterpretation steht: In vielen Fällen handelt es sich um nichts weiter als um die Privatmeinung der Herren Tabari und anderer - heute als das Wort Gottes verabsolutiert.

Es wird des Weiteren deutlich, dass zur Koranforschung keineswegs die Kenntnis arabischer Sprachformen ausreicht, denn die Ursprache wei­ ter Teile des Korans ist nicht Arabisch, sondern Aramäisch. Und es wird immer deutlicher, dass der Koran christliche Wurzeln hat.

Moses wird im Koran 136-mal genannt, Maria 34-mal, Jesus 24-mal, und Muhamad 4-mal. 1999 wurde bei einem Wikinger-Fund eine arabi­ sche Münze aus dem Jahr 766 entdeckt - also 130 Jahre nach „Muhamad“ geprägt - mit der Aufschrift Musa rasul Allah („Moses ist der Gesandte

 

18  Christoph Luxenberg, „Die Syro-Aramäische Lesart des Korans“, Berlin 2007, S. 304 ff.

 

 

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Gottes“). Moses, Jesus und Maria (zusammen 194 Nennungen) sind im theologischen Teil des Korans in sehr großem Umfang präsent. Forscher kommen zu dem Schluss, dass im theologischen Teil des Korans sehr viel an christlichem Gedankengut steckt.

 

Der ursprüngliche Koran selber sieht sich keineswegs als eigenständige Schrift im Sinne eines heiligen Buches einer neuen Religion. Mehrere Suren machen deutlich, dass sich der Koran als Teil der Schrift verstand, aber niemals als die Schrift selber.

In Sure 75:17 heißt es: „Uns obliegt es, das Lektionar durch Exzerpte aus der Schrift zusammenzustellen und zu lehren.“

41:3: „Eine Schrift, die wir in eine arabische Lesart übertragen ha­ ben.“

5:68 fordert: „Ihr Leute der Schrift, Ihr entbehrt... der Grundlage, solange ihr nicht die Thora und das Evangelium, und was von eurem ... Herrn zu Euch herabgesandt worden ist, haltet.“

Die Suren 3:4, 15:1, 9:111 und andere äußern sich in ähnlicher Weise.

Das heißt, ursprüngliches Programm des Korans war es, „die Schrif­ ten“, Thora und Evangelium, zu bestätigen.

Die uns schon bekannte Sure 2 beginnt mit den Worten: „Dieses ist das Buch, in dem kein Zweifel ist..Jedermann, der die Sure lesen kann, weiß aber, dass es präzise nicht dieses heißt, sondern jenes. Dieses bedeu­ tet aber nun mal nicht jenes und mit jenem ist nicht etwas unmittelbar Vorliegendes gemeint. Auch das ist ein klarer Verweis auf ein anderes Buch, auch wenn es niemand der hunderttausend täglichen Rezitatoren zur Kenntnis zu nehmen beliebt.

Quran kommt vom aramäischen Qeryan, was „Lektionar“, bedeutet, also ein liturgisches Buch, das ausgewählte Texte aus der Schrift, dem Alten und dem Neuen Testament, enthält. Man darf als Ausgangsmaterial das Diatessaron annehmen, ein Liturgiebuch der syrischen Christen, in dem jedoch die vier Evangelien quasi in Kurzform zu einem zusammen­ gezogen waren. Auch der Koran spricht des Öfteren vom „Evangelium“, obwohl es mehrere waren. Der Koran ist wie das Diatessaron ebenfalls eine Zusammenfassung. Das belegen zahlreiche Stellen, etwa, wo vor dem

 

 

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Schicksal des Lot gewarnt wird. Es wird auf ein Vorkommnis verwiesen, eine Erklärung der Zusammenhänge erfolgt jedoch nicht. Das heißt, es wurde beim Leser die entsprechende Geschichte als bekannt vorausge­ setzt.

Die Strukturnamen des Quran sind vom Qeryan entlehnt: sura (Sure), aya (Vers). Und als kleines, aber feines Detail am Rande finden sich auch die typischen Verstrenner syrischer Liturgieschriften, ein durch 4

 

 

 

 

 

Punkte gebildetes Kreuz , im Koran wieder . Man darf Quran in der Frühzeit

nicht als Heiliges Buch des Islam auffassen, wie wir es gewohnt sind, son­ dern einfach als Begriff für ein liturgisches Buch der syrisch-christlichen Araber.

Der Qeryan, das liturgische Buch, war ursprünglich ein Exzerpt des Alten und Neuen Testamentes für die arabischen Christen. Dem christ­ lichen Grundmuster gesellten sich im Laufe der Zeit zahlreiche lokale Traditionen hinzu, etwa die ausführlichen rechtlichen Erörterungen in den sogenannten medinischen Suren. Die ursprüngliche theologische Aussage wurde fast zur Unkenntlichkeit entstellt durch die redaktionelle Bearbeitung späterer arabischer Editoren. Sie sammelten alles, was an Schrifttum und mündlichen Traditionen verfügbar war, hinterließen aber einen Wust an Interpretationen. Ein klarer Hinweis darauf, dass die ihnen vorliegenden Texte in einer Sprache abgefasst waren, die sie nicht mehr genügend verstanden. Diese Exegeten waren zugleich Grammatiker. Was sie in ihren Schulen in Kufa und Basra schufen, war nichts weniger als das Koranarabische und die arabische Schrift.

Was wir in frühen Koranschriften finden, sind die Texte der arabi­ schen Christen und ihre Theologie. Was wir in den späteren arabischen Bearbeitungen vor uns haben, ist das Buch einer eigenen Religion. Jetzt war das Qeryan zum Quran geworden, erst jetzt war der Koran in Schrift und Inhalt auf der Welt. Allerdings in einer Lesart, die die Texte oftmals gar nicht hergaben.

 

Mit den verschiedenen Auslegungen und Interpretationen war es damit aber nicht zu Ende, zu groß war der Spielraum, den die Bearbeiter offen gelassen hatten. Es lag ja keine „offizielle“ Version vor, es gab bald Hun­ derte konkurrierender Koranausgaben, und es gibt sie heute noch. Welche

 

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Version ist also das wirkliche Heilige Buch des Islam, dem wortgetreu zu folgen ist ?

1924 gab die Al-Azhar-Universität von Kairo eine Ausgabe des Ko­ rans heraus, die mit dem „Othmanischen Koran“ identisch sein sollte. Dieser „Othmanische Koran“ ist benannt nach dem 3. Kalifen Othman (644 - 656), der nach der Tradition die erste gültige Koranversion zusam­ menstellte und alle anderen kursierenden Versionen als falsch verbrennen ließ. Dieser „Othmanische Koran“ hat nach islamischem Dogma bereits die noch heute gültige Rechtschreibung einschließlich der Vokalzeichen und der diakritischen Interpunktierung aufgewiesen. Ein „Othmanischer Koran“, das heißt eine nachgewiesen auf Othman zurückgehende Version, ist allerdings nicht existent.

Über Jahrhunderte hinweg dominierte die osmanisch-türkische Auf­ fassung der richtigen Lesart. Der Standardkoran des 19. Jahrhunderts etwa war eine in Istanbul in großer Stückzahl im Steindruck hergestellte Version. Dieser wich aber so weit von der traditionellen Lesart ab, dass sich namentlich in Ägypten heftiger Protest regte. Als Antwort auf diese gotteslästerliche Schrift begann man an der Al-Azhar-Koranschule, an einer eigenen Version zu arbeiten.

Basis war eine nicht näher definierte Koranversion aus dem Jahr 1886. Im Anschluss an den Text „dieses edlen Korans“ liefert das Kairoer Komi­ tee die Quellenangabe in traditionell-islamischem Stil: Es wird eine Kette von Autoritäten genannt, die für die Richtigkeit des Textes stehen sollen, zurückführend auf den Kalifen Othman selber sowie einen Sekretär des Propheten. (Einige andere Editoren rufen als Zeugen der Richtigkeit den Erzengel Gabriel selber auf). Der Nachweis der Richtigkeit liegt also auch hier wie üblich bei „Gewährsmännern“ und nicht bei Untersuchungen des Textes selber. Es ist zu betonen, dass nicht eine einzige der vorhandenen älteren Handschriften zu Rate gezogen wurde, um so zumindest bei den frühesten Texten ansetzen zu können - eine unabhängige Altersbestim­ mung vorliegender Texte gab es ohnehin nicht. Man nahm lediglich einen zeitgenössischen Koran und unterzog ihn einer Überarbeitung anhand von Orthografieregeln. Dies waren die Regeln des al-Sigistani (gest.928) und des Spaniers al-Dani (gest.1053). Anhand dieser Regeln sollte die

„richtige Lesart“ des Othmanischen Originals erschlossen werden. Über

 

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das 9. Jahrhundert hinaus, in die Zeit Othmans, war man dadurch noch lange nicht gelangt, denn man überprüfte die zu Überprüfenden genau mit den Regeln, die sie selber erstellt hatten. Ein herrlicher Zirkelschluss.

Der „Othmanische Koran“ bleibt also weiter pure Fiktion, der Kairoer Koran kann keinen Anspruch auf die Authentizität der Prophetenüber­ lieferung erheben.

1924 wurde dieser als authentisch behauptete Koran von Kairo zur einzig autorisierten Vorlage für alle weiteren Drucke des Korans der sun­ nitischen Muslime ernannt.

 

Wir kennen zwar keinen Othmanischen Koran, aber wir kennen zahlreiche frühe Korantexte. Keiner davon hat Lesehilfen, keiner ist im Koranarabisch heutigen muslimischen Verständnisses abgefasst, alle weichen voneinan­ der ab. In Sanaa wurden in den 1970er-Jahren Koranfragmente aus dem

8. Jahrhundert mit einer anderen Surenfolge als der im offiziellen Koran von Kairo gefunden. Selbst noch aus dem 10. Jahrhundert sind zahlreiche Koranversionen mit anderer Surenfolge als der offiziellen nachgewiesen19. Die ältesten uns bekannten Korantexte stammen aus dem frühen 8. Jahr­ hundert, wobei die genaue Datierung gewisse Probleme aufwirft20.

Es steht außer Zweifel, dass die Kairoer Koranversion nicht aus dem

7. Jahrhundert stammen kann, sondern auf eine jüngere Bearbeitung zu­ rückgeht. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass uns weder ein

„Othmanischer Koran“ bekannt ist noch irgendeine Spur vom Kalifen Othman selber. Von keinem der ersten vier Kalifen gibt es irgendwelche religionsunabhängigen Spuren.

 

In der islamischen Öffentlichkeit und Literatur wird die Abweichung von Koranstellen und Koranausgaben untereinander vollkommen ignoriert,

„Wir wissen“, ist etwa in einer von der iranischen Kulturabteilung herausgegebenen Schrift zu lesen21, „dass der Koran, der uns heute zur

 

 

19  Bayard Dodge, The Fihrist of al-Nadim, New York 1979.

20    Die Radiokohlenstoffdatierung (C14) sagt nur etwas über das Alter des Pergaments aus, nichts über die Zeit Seiner Beschriftung.

21  Tabataba'i, Sayyid, Kulturabteilung der Islamischen Republik Iran, Bonn 1986.

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Verfügung steht, derselbe ist, der vor 14 Jahrhunderten dem Propheten allmählich offenbart wurde. Daher bedarf der Koran an sich keiner His­ torie als Bestätigung für seine Glaubwürdigkeit und Echtheit.“

Der nächste Zirkelschluss. Und es heißt mit anderen Worten: For­ schung am Koran ist so überflüssig wie ein Kropf, da das Ergebnis ohne­ hin schon feststeht.

Quellenforschung wird von islamischen Wissenschaftlern denn auch tunlichst vermieden, wenn die Gefahr einer Rücküberschreitung der Zeitlinie des ominösen „Othmanischen Korans“ droht, denn sie hat nur die Aufgabe, Dogmen zu bestätigen. Für die islamische Theologie ist der

„Othmanische Koran“ ein Tabu.

Der türkische Gelehrte Tayyar Altikulac verglich eine bestimmte, als korrekt angesehene moderne Koranausgabe mit einer im Topkapi-Palast von Istanbul aufbewahrten Handschrift, die ebenfalls dem besagten Ka­ lifen Othman zugeschrieben wird.

Die Untersuchung erfolgte durchaus nach dem wissenschaftlich übli­ chen Prozedere. Es stellten sich aber so viele Abweichungen heraus, dass die beiden Texte unmöglich identisch sein konnten, die Handschrift konnte also nicht wie erhofft das Original Othmans sein beziehungs­ weise der moderne Text keine Kopie des Originals. Trotzdem erklärte Dr. Altikulac die Editionen als „ähnlich“ und verwies darauf, dass die Verse ohnehin stets von einem „befähigten Mund“ (fam muhsiri) weiter­ gegeben worden sein, der sie immer richtig zu lesen gewusst habe. Die Behauptung der Unwichtigkeit von schriftlichen Abweichungen, weil ja nur die Aussprache zähle (die man nicht mehr nachweisen kann), ist eine beliebte Erklärung für Versionsunterschiede. Wobei inzwischen außer Zweifel steht, dass trotz des Vorhandenseins einer oralen Tradition die Tradierung auch schriftlich erfolgte. Dem loyalen Forscher muss aber etwas unheimlich zumute gewesen sein, denn er schlug vor, die beiden Versionen „einander anzupassen“ und dann „weitere Untersuchungen zu verbieten“. Das nennt man Wissenschaftlichkeit.

Man braucht aber nicht unbedingt in ein islamisches Land zu reisen,

um ähnliche Denkansätze zu finden. Angelika Neuwirth, Leiterin des Pro-

 

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jekts Corpus Coranicum22, sagte in einem Interview, dass es eine Vergeu­ dung wäre, „die unschätzbaren Kenntnisse und Erfahrungen islamischer Korangelehrter, die wir uns als Außenstehende kaum je vollständig aneig­ nen können, einfach ignorieren würden“. Dem ist zuzustimmen, solange wir nicht aus den Augen verlieren, dass die Leute, von denen sie spricht, ihre Aufgabe in der Bestätigung gegenwärtiger Dogmen sehen und für die zum Beispiel die Überschreitung des othmanischen Rubikon jenseits des Vorstellbaren liegt.

Des Weiteren unterstreicht Frau Neuwirth, dass ihr Team auch den

„göttlichen Gründungsmythos des Korans“ respektiere. Das ist so, als wenn Darwin seine Evolutionsforschungen mit der Bibel unter dem Arm betrieben hätte.

Neuwirth-Adlatus Marx hält sich mit so Haarspaltereien gar nicht erst auf. Er sieht Leute, für die eine kritische historische Quellenanalyse auch für islamische Texte eine Selbstverständlichkeit ist, dezidiert „außerhalb der Wissenschaft“23. Ist das Orientalistik? Oder Orient?

 

Bibelkritik gibt es seit Jahrhunderten. Im Bewusstsein der Problematik handschriftlicher Verbreitung eines Buches über einen großen Zeitraum gab es seit Langem das Bestreben, die originalen Glaubensinhalte zu er­ schließen. Dazu bemühte man sich, möglichst zeitnahe Texte aufzufinden. Über die Jahrhunderte hinweg durchkämmten Forscher, Gelehrte, vom Glauben Beseelte und Abenteurer auf der Suche nach den originalen Hei­ ligen Schriften den Orient. Durch gezielte Suche fand etwa der sächsische Edelmann Konstantin von Tischendorf, im Auftrag und auf Rechnung des Zaren unterwegs, 1844 im Sinai-Kloster eine Bibel-Handschrift aus dem

4. Jahrhundert24. Bestens ausgebildete Mönche verglichen die verschiede­ nen Texte und versuchten, die ursprüngliche Bedeutung herauszufiltern. Nicolaus Cusanus (1400- 1458) schlug vor, den Koran nach ursprüngli­ chen Inhalten aus den Evangelien zu untersuchen. Martin Luther hielt

 

22  Siehe dazu das englische http://en.wikipedia.org/wiki/Corpus_Coranicum

23  In „Der Spiegel“, 17.09. 2008.

24  Er fand auch einen Schutzbrief des Propheten Mohammed für das Kloster, unterzeichnet mit seinem Handabdruck. Das Dokument entpuppte sich als pure Fälschung, hat aber dem Kloster für das Überleben inmitten seiner feindlichen Umgebung geholfen.

 

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wenig davon, weil die Texte bereits untrennbar vermischt seien. Dies zeigt, dass im wissenschaftlichen Korpus der Kirche die Grundlagen des Korans stets als christliche gesehen wurden, es macht aber auch deutlich, dass es in der Bibelforschung als essenziell angesehen wurde, durch möglichst zeitnahe Texte möglich nahe ans Geschehen heranzukommen. Dies sollte für jegliche Religionsforschung eine Selbstverständlichkeit sein.

Demgegenüber bezieht sich Koranexegese, sachliche Einwände miss­ achtend, auch heute noch auf die Ausgabe von Kairo. Diese ist jedoch, wie dargestellt wurde, die Zusammenfassung bzw. Aussortierung von Schriften im 9. Jahrhundert. Quellenforschung, eines der grundlegen­ den wissenschaftlichen Instrumente, ist bis heute in der islamischen Welt nicht existent. Was man betreibt, ist selbstgefällige Nabelschau und nicht kritische Betrachtung auf wissenschaftlicher Ebene, was bei historischen Fragen auch von einer Religion zu fordern ist. Als einzige Buchreligion leistet sich der Islam den Luxus, neu aufgetauchte Texte und neue For­ schungsergebnisse zu ignorieren. Wenn es brenzlig wird, zieht man sich auf absurde Erklärungen zurück oder erklärt gleich die Überflüssigkeit jeder weiteren Diskussion. Das Resultat ist, dass sich die historische Sach­ kompetenz inzwischen außerhalb der Religionsgemeinschaft bei „Un­ gläubigen“ befindet.

 

Der Koran kam nicht von einem Tag auf den anderen in die Welt, wie die fromme Legende uns das weismachen will. Wie alle heiligen Bücher hat auch der Koran einen langen Werdegang mit vielen Modifikationen hinter sich. Syro-aramäische Urtexte, aramäisch-arabische Übergangs­ formen, das Qeryan der arabischen Christen, persische Einflüsse, lokale Traditionen, vielfältige arabische Bearbeitungen: Das alles macht den Koran aus. Etwa 25 Prozent des Textes sind, wie wir jetzt schon wissen, vollkommen fehlübersetzt. Wie man aufgrund der noch wenigen, aber schlicht spektakulären Resultate der gerade beginnenden wissenschaft­ lichen Koranforschung annehmen darf, dürften die Fehllesungen einen großen Prozentsatz des Korans ausmachen. Es gibt eine Vielzahl von Handschriften, die überhaupt noch nicht untersucht wurden, und man kann mit dem Auftauchen noch weiterer bislang unbekannter Texte rechnen.

 

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Die erste Druckversion des Korans gab es 1802 in Kazan, Russland. Das heißt, über drei Viertel seiner Geschichte hinweg wurde der Koran handschriftlich verbreitet - mit den dafür typischen Fehlern. Nicht zwei handschriftlich kopierte Texte solchen Umfanges sind identisch. Dies ist kein koranischer Sonderfall, alle Bücher dieser Art, die über einen so langen Zeitraum überliefert wurden, haben das gleiche Schicksal.

Nur, man hat ein riesiges Problem, wenn man für den auf uns über­ kommenen Text - von Muhamad bis Kairo 1924 - vollkommene Identität und Fehlerlosigkeit beansprucht. Dies ist vielfach nachgewiesen nicht der Fall. Aber es ist nach wie vor das islamische Credo, und dies ist der Kernpunkt der Kritik.

Änderungen, Fehler, Fälschungen und Irrtümer sind zu Tausenden belegt. Nach islamischer Lehre ist jede Änderung am originalen Text eine Gotteslästerung. Nimmt man diese Aussage ernst, dann ist der heute offizielle Koran eine einzige Gotteslästerung.

 

 

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Vom Volk für das Volk:

Hadithe: Sprüche und Taten des Propheten

 

„Niemand, der seriös Islam-Studien betreibt, würde es wagen, die Mohammed und seinen Gefährten zugeschriebenen Aus­ sprüche als Quelle zu benutzen, um ein Bild vom frühen Zustand und den ursprünglichen Lehren des Islam zu entwerfen“.

Ignaz Goldziher, Altmeister der Koranforschung auf dem 1. Internationalen Kongress

der Religionsgeschichte, Paris 1900

 

 

Zusammen mit dem Koran sind die hadith (Betonung auf der zweiten Silbe, -th wie s gesprochen) die wichtigsten religiösen Schriften im Is­ lam. Hadithe sind Aussprüche und Handlungen des Propheten: was er zu dieser oder jener Angelegenheit sagte, welches Urteil er zu diesem oder je­ nem Fall sprach, wer seine Lieblingsfrau war, was sein Lieblingsessen war und wen er bei seinem Besuch im Himmel und in der Hölle alles antraf. Es gibt kaum ein denkbares oder undenkbares Ereignis aus Muhamads Leben, das nicht detailreich beschrieben wäre. Die Aussprüche werden großteils in wörtlicher Rede wiedergegeben. Die Lebensbeschreibung des Propheten (Sira) in ihren Tausenden Varianten und allen Details gründet

sich auf die Hadithe.

Die Zahl der Hadithe überschreitet die Millionengrenze. Sechs Samm­ lungen sind kanonisiert, also vom sunnitischen Klerus offiziell als authen­ tisch und wahr anerkannt. (Nicht aber von den Schiiten, die ihrerseits fünf eigene Sammlungen präsentieren.) Die Autoren dieser sechs offi­ ziellen Sammlungen sind al-Buhari (gest. 870), Muslim (gest. 875), Ibn Madscha (gest. 886), Abu Dawud (gest. 888), Tirmidhi (gest. 892), und Nasa’i (gest. 915). Die früheste, gelegentlich zitierte Sammlung biografi­ scher Daten von Ibn Ishak (gest. um 770) ist nicht belegt, die Sammlung von Ibn Hisham (gest. 834) ist seltsamerweise nicht kanonisiert.

Zur Erinnerung: Der Prophet war 632 gestorben. Das bedeutet, die Hadithe sind 150 bis 250 Jahre nach seinem Tod niedergeschrie­ ben worden, manche noch viel später. Bis dahin wurden sie mündlich

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weitergegeben, vornehmlich von quassas, professionellen Geschichtener­ zählern. Die Geschichten über die Aussprüche und Taten des Propheten Muhamad wanderten in wörtlicher Rede von Teefeuer zu Teefeuer, von Markt zu Markt, von einer Generation zur anderen, bis sie bei einem der Schreiber landeten.

 

Sehen wir uns einige Hadithe an. Sie stammen aus der offiziellen Samm­ lung des Buhari und sind entsprechend der Reclam-Ausgabe nummeriert. Es wird jeweils nur der ursprüngliche Informant genannt. In Wirklichkeit muss man sich die gesamte „Tradentenkette“ über fünf oder sechs Gene­ rationen hinzudenken. Dies würde so aussehen:

„So hat es mir A erzählt und sagte dazu, dass B erwähnt habe, dass C ihm gesagt habe, D habe erwähnt, er habe von E gehört, dass F sagte, G habe Aischa (eine der Frauen Muhamads) gefragt: ,Was hat der Prophet des Herrn denn gerne gegessen V Worauf Aischa gesagt habe:,Wahrlich, ich sage dir, er mochte kandierte Früchte und Honig, und ganz besonders hat er Kürbis gemocht.“'

 

II, 11

Ibn Abbas berichtet:

Der Prophet erzählte: „Die Hölle wurde mir gezeigt. Und die Mehrzahl ihrer Bewohner waren Frauen.“ Jemand fragte ihn: „Haben sie denn nicht an Gott geglaubt ?“ „Sie waren undankbar gegenüber ihren Lebensgefähr­ ten, undankbar für die Wohltaten, die ihnen erwiesen wurden. Wenn du einer solchen Frau nur Gutes tust, sie aber an dir etwas entdeckt, das ihr Missfallen erregt, so sagt sie: Nie habe ich etwas Gutes an dir gesehen.“

 

II, 17

Abu Huraira berichtet, der Gesandte Gottes habe zu ihm gesagt:

„Wer sich aufrichtig zum Islam bekennt, dessen gute Tat wird ihm zehn- bis siebenhundertfach gut geschrieben, während eine schlechte Tat nur einmal notiert wird.“

 

III, 19

Abu Huraira berichtet:

Ich sagte: „Oh Gesandter Gottes, ich höre von dir so viele Hadithe, aber oft vergesse ich sie wieder.“ Der Prophet antwortete: „Breite deinen Man­ tel aus.“ Ich kam dieser Aufforderung nach. Danach bewegte der Prophet seine Hände, als schöpfe er etwas in meinen Mantel hinein. Dann sagte er:

„Jetzt zieh ihn wieder an.“ Ich tat, was er gesagt hatte, und seitdem habe ich nichts mehr vergessen!

 

IV, 2

Hammam ibn Munabbih berichtet:

Abu Huraira erzählte: Der Gesandte Gottes sagte: „Das Gebet eines Men­ schen, der unrein ist, wird nicht angenommen, bevor er nicht die Kleine Waschung verrichtet.“

Ein Mann aus Hadramautfragte ihn: „Oh Abu Huraira, durch was wird man unrein I“ „Zum Beispiel durch Blähungen.“

 

IV, 5

Anas berichtet:

Wenn der Prophet sich entfernte, um seine Notdurft zu verrichten, sagte er:

„Oh Gott, ich nehme meine Zuflucht bei dir vor den bösen und unreinen Mächten.“

 

IV, 6

Abu Aiyub al-Ansari berichtet, der Gesandte Gottes habe gesagt:

„Wenn ihr die Notdurft verrichtet, so darf euer Gesicht oder euer Rücken nicht zur Kaaba hin gewendet sein. Wendet euch vielmehr nach Westen oder nach Osten.“

 

IV, 24

Abu Huraira berichtet:

Der Gesandte Gottes sagte: „Uriniert ja nicht in stehende Gewässer. Denn später braucht ihr dieses Wasser vielleicht, um euch zu waschen.“

 

V, 3

Qatada berichtet:

Anas ibn Malik erzählte: „Im Laufe einer Nacht und eines Tages ging der Prophet bei allen seinen Frauen ein. Und er hatte elf!“ Ich fragte ihn: „Hatte er denn so viel Kraft ?“ „Ja, er hatte die Kraft von 30 Männern.“

 

V, 10

Ubai ibn Kab berichtet:

Ich fragte den Propheten: „Oh Gesandter Gottes, wie soll ein Mann sich waschen, der seiner Frau beigewohnt hat, aber keinen Samenerguss hatte?“ Er erwiderte: „Er soll jene Körperpartien, mit denen er die Frau berührt hat, waschen. Anschließend soll er die Kleine Waschung durchführen. Dann kann er das Gebet verrichten.“

 

VII, 1

Anas berichtet:

Der Prophet erzählte, er habe in den Himmeln Enoch, Moses, Jesus und Abraham - Gottes Segenswünsche mögen ihnen gelten - getroffen, ohne aber nähere Auskunft darüber zu geben, wie ihre Aufenthaltsorte bestellt waren. Allerdings wies er daraufhin, dass er Adam im ersten, Abraham im sechsten Himmel gesehen habe.

Als Gabriel und der Prophet an Enoch vorüberkamen, sagte er: „Will­ kommen, oh aufrichtiger Prophet und frommer Glaubensbruder!“ Dann sah ich Moses. Er sagte: „Willkommen, oh aufrichtiger Prophet und from­ mer Glaubensbruder!“ Anschließend begegnete ich Jesus. Auch er sagte:

„Willkommen, oh aufrichtiger Prophet und frommer Glaubensbruder!“ Schließlich traf ich Abraham. Er sagte: „Willkommen, oh aufrichtiger Pro­ phet und frommer Glaubensbruder!“

 

X, 14

Abdullah ibn Umar berichtet, der Gesandte Gottes habe gesagt:

„Das gemeinsame Gebet hat den siebenundzwanzigfachen Wert des alleine verrichteten Gebets.“

 

XI, 4

Salman al-Farsi berichtet, der Prophet habe gesagt:

„Wer am Freitag ein Bad nimmt und sich gründlich wäscht, sich das Haar ölt oder parfümiert, dann zum Gebet geht und sich nicht zwischen die Betenden, die bereits vor ihm ihre Plätze eingenommen haben, drängt, an­ schließend das Gebet vorschriftsmäßig verrichtet und der Predigt aufmerk­ sam zuhört, dem werden die Verfehlungen verziehen, die er sich zwischen diesem Tag und dem vorangegangenen Freitag hat zuschulden kommen lassen.“

 

XV, 1

Abu Darr berichtet:

Der Prophet sagte: „Von meinem Herrn kam die erfreuliche Nachricht, dass alle Mitglieder meiner Gemeinde, die allein Gott dienen und ihm keinen Teilhaber an seiner Göttlichkeit zuschreiben, nach ihrem Tod ins Paradies eingehen werden.“ Ich fragte ihn: „Gilt dies auch für die, die Ehebruch begangen oder gestohlen haben „Ja!“

 

XV, 13

Abu Huraira berichtet:

Der Gesandte Gottes sagte: „Jedes Neugeborene hat von Natur aus die An­ lage zum rechten Glauben. Es sind die Eltern, die es zum Juden, Christen oder Magier erziehen.“

 

XX, 15

Nah, der Maular von Ibn Umar, berichtet:

„Wenn Dattelpalmen verkauft werden, die bereits befruchtet sind, und keine weiteren Abmachungen getroffen wurden, steht die Ernte dem zu, der die Palmen befruchtet hat.“

 

XXIV, 3

Ibn Umar berichtet:

„Der Prophet verbot es, bei einem gemeinsamen Mahl zwei Datteln gleich­ zeitigzu essen, bevor man die anderen um Erlaubnis gefragt hat.“

 

XXVI, 7

Abu Sail al-Khudri berichtet:

Der Prophet sagte zu den Frauen: „Ist es nicht so, dass der Zeugenaussage einer Frau nur das halbe Gewicht der Zeugenaussage eines Mannes zu­ kommt?“ Sie erwiderten: „Ja, oh Gesandter Gottes!“ - „Der Grund dafür ist euer mangelhafter Verstand!“

 

XXVIII, 18

Abdullah ibn Umar berichtet, der Gesandte Gottes habe gesagt:

Ich werde die Juden bekämpfen, bis einer von ihnen Zuflucht hinter einem Stein sucht. Und dieser Stein wird rufen: „Komm herbei, dieser Jude hat sich hinter mir versteckt! Töte ihn!“

 

XXIX, 5

Abdullah berichtet:

Wir waren auf einem Kriegszug und hatten keine Frauen dabei. Daher sag­ ten wir zum Propheten: „Ist es nicht besser, uns kastrieren zu lassen ?“ Er verbot uns das, erlaubte aber, Frauen für eine begrenzte Zeit zu ehelichen.

 

XXIX, 7

Gabir ibn Abdullah berichtet:

Als wir uns unserem Ziel näherten, sagte der Prophet: „Lasst euch Zeit und reitet langsam, damit ihr erst zum Einbruch der Nacht in Medina ankommt. Denn die Frauen sollen noch Zeit finden, sich zu kämmen und ihr Schamhaar zu rasieren!“

 

XXXIV, 15

Abu Huraira berichtet:

Der Prophet sagte: „Der böse Blick ist Realität!“ Und er verbot das Tätowieren.

 

XXXI, 14

Abdul Aziz berichtet:

Jemand fragte Anas: „Hat der Prophet etwas über den Knoblauch gesagt ?“ Ja, er sagte: „Wer Knoblauch gegessen hat, soll sich ja nicht unserer Moschee nähern!“

 

Diese Hadithe sind also rund 200 Jahre und später nach den behaupteten Ereignissen hunderttausendfach niedergeschrieben worden. Es ist natür­ lich für jedermann ersichtlich, dass der Authentizität von Zitaten, die über Jahrhunderte mündlich tradiert wurden, und das in riesigem Umfang, mit größter Skepsis zu begegnen ist.

Im 9. und 10. Jahrhundert gab es eine wahre Hadith-Industrie. Hadi­ the wurden gegen Bestellung und Bezahlung ausgestellt, Machthaber ließen sie sich zu ihrer Legitimation anfertigen. Ein gewisser al-Audscha gab zu, 4 000 Hadithe frei erfunden zu haben25. Er wurde zwar dafür hingerichtet, aber das eigentliche Problem war damit nicht beseitigt.

Abu Dawud, Autor einer der offiziellen Sammlungen gab an, von 500000 Hadithen nur die 4800 übernommen zu haben, „die authen­ tisch erscheinen, oder fast“. Al-Buhari, der prominenteste Hadith-Editor, erkannte von 600000 Erzählungen „nur 7400“ als authentisch an. Bei vorsichtig geschätzten 1,5 Millionen Hadithen als Rohmaterial nur der offiziellen Herausgeber wären Hunderttausende individuelle Überprü­ fungen der Übermittler notwendig, im günstigsten Falle „nur“ 150 Jahre zurückreichend ...

 

Die Anerkennung eines Hadith als „echt“ ist an Bedingungen geknüpft.

Der Gewährsmann muss

  • vertrauenswürdig sein und einen einwandfreien Leumund haben;

  • in Glauben und religiösem Verhalten tadellos sein;

  • die Gewähr bieten, die Angaben auch richtig verstanden zu haben;

  • mehr als nur einen Hadith überliefert haben.

 

Die Überlieferung muss:

  •         ausdrücklich feststellen, dass das Berichtete von Muhamad per­ sönlich stammt;

  • eine lückenlose Kette von Gewährsmännern aufweisen;

  • vom Inhalt her in die Zeit Muhamads passen.

 

 

25  Mc Donald, Development of Muslim Theology, Jurisprudence and Constitutional Theory. New York 1903.

 

Über die Qualität eines Hadith entscheidet immer das Isnad, das ist die Kette der Überlieferen Ist das Isnad in Ordnung, ist es auch das Hadith selber, mag es inhaltlich oder logisch noch so fragwürdig sein. Eine als solide nachgewiesene Überlieferungskette hat ein solides („gesundes“) Hadith zur Folge. Kritik an einem Hadith ist deshalb niemals Kritik am Inhalt, denn der stammt ja der Grundannahme nach immer vom Pro­ pheten selber, sondern es ist nur Kritik am Isnad und seinen Tradenten (Überlieferern). Hadithliferanten waren neben dem Propheten seine „Ge­ nossen“ und deren „Nachfolger“, insgesamt einige tausend Personen. Ihre Aussagen über den Propheten gelten quasi als Echtheitheitszertifikat mit Ursprungsgarantie.

Lange Zeit gab es keine Überprüfung der Hadithe, jedes war „echt“, erst als das Hadithunwesen überhand nahm, erstellte man Kriterien, aber da waren die Dämme bereits gebrochen.

 

Hadithe haben für Muslime fast dieselbe Bedeutung wie Koranverse, weil Gott durch den Propheten in ihnen spreche. Sie sind, weil durch den Volksmund überliefert, für jeden verständlich abgefasst, und es fehlt die große, ehrfürchtige Distanz, wie sie zum Koran besteht. Der Herausge­ ber der Buhari-Hadithsammlung (Reclam) schreibt in seiner Einleitung:

„Nichtmuslimische Leser werden bei der Lektüre vieles erfahren, was ihnen fremd und merkwürdig erscheinen mag. Sie nähern sich der Intimsphäre einer fremden Kultur.“

Wohl wahr, sie nähern sich der Intimsphäre, aber keinen Schritt den Tatsachen.

 

Hadithe geben über weite Strecken Belanglosigkeiten des Alltags wieder. Sie sind aber umso wichtiger für den Gläubigen, weil er daraus Hand­ lungsanweisungen für die Situation findet, auf die er eine Antwort sucht. In jedem islamischen Land gibt es Zeitungsrubriken, Radio- und Fern­ sehsendungen, in denen das Publikum zu konkreten Lebenssituationen Fragen stellen kann und der Autor oder Moderator das passende Hadith dazu liefert.

Allerdings gibt es auf Fragen von heute Antworten von gestern - das Grundproblem islamischen Denkens.

 

Hadithe sind die hauptsächliche Grundlage der Scharia, der islami­ schen Rechtsprechung, da im Koran selber höchstens 500 Stellen juristisch relevant sind und die zahlreichen, sich widersprechenden Koranverse in der Praxis große Probleme aufwerfen. Da der Koran selber als Rechts­ grundlage nicht ausreicht, werden für die Rechtsprechung nicht nur die Taten und Sprüche des Propheten, sondern auch die seiner Gefährten und sogar deren Nachfolger herangezogen und auf die Goldwaage gelegt. Zahllose Köpfe sind gerollt und zahllose Hände in den Sand gefallen, abgeschlagen auf der Basis von Hadithen.

Auf den Abfall vom Islam steht die Todesstrafe. Dies aufgrund eines einzigen Hadith: „Töte den, der seine Religion wechselt.“ Im Koran selber gibt es keine korrespondierende Stelle. Ein einziger „Spruch“, aufgetaucht von irgendwoher, kann über Leben und Tod entscheiden.

 

Auch Korangelehrte sind sich der Problematik der Hadithe bewusst. Zu allen Zeiten wurde an ihrer Bereinigung gearbeitet. Die auch gegenwärtig betriebene „islamische Wissenschaft“ Um al-ridschal beschäftigt sich mit den Vermittlern von Hadithen. Sie hat die Aufgabe, „die Lebensumstände und die wissenschaftliche Qualifikation“ der Überlieferer von damals zu überprüfen. Das heißt die falschen Hadithe aussortieren und die richtigen behalten. Nur, nach welchen wissenschaftlichen Kriterien denn? Man muss sich auch an dieser Stelle wiederum fragen, was im islamischen Kontext „Wissenschaft“ überhaupt bedeuten soll. Mit einer allgemein akzeptierten Definition von Wissenschaftlichkeit scheint sie jedenfalls nicht viel zu tun zu haben.

Man möge sich in Erinnerung rufen: Wir sprechen von der Notwendig­ keit einer hunderttausendfachen Überprüfung einer Kette von Personen hinsichtlich Lebensdaten und Charaktereigenschaften, etwa 1400 Jahre zurückliegend, die über fünf bis sechs Generationen eine Vielzahl von Informationen vorwiegend als Zitate in wörtlicher Rede und ohne schrift­ lichen Beleg unverfälscht weitergegeben haben sollen. Wer mag, nenne das ein Wunder, den Begriff Wissenschaft lasse man aus dem Spiel.

Die historische Korrektheit von Hadithen ist genau so, als würden wir heute das Leben und die Taten Napoleons samt seiner wörtlichen Reden ausschließlich auf der Basis von Erzählungen beschreiben, die über die

 

Generationen hinweg an uns weitergegeben wurden („Mein Großonkel erzählte mir, sein Vater habe ihm erzählt, der Großvater eines Bekannten, dessen Großvater jemand kannte, dessen Onkel bei Napoleon diente, habe erfahren, dass dieser Folgendes sagte:

Welche historische Verlässlichkeit hätte das ?

Aber so funktionieren Hadithe. Und solch eine „Kette“ soll, damals wie heute, ernsthaft überprüfbar sein ? Über die Wahrheit der Mitteilung selber wissen wir damit überhaupt noch nichts, denn der Inhalt eines Hadith wird bekanntlich nicht in Frage gestellt.

Im Prinzip wurde alles, was nach dem Gefühl des naiven Gläubigen richtig war, als Spruch des Propheten zum Hadith.

 

Es geht dabei nicht nur um einzelne Passagen, sondern um das gesamte Konstrukt des Lebens und Wirkens des Propheten, denn die Sira, die Lebensbeschreibung des Propheten, ist nichts anderes als biografisch aneinandergereihtes Hadithmaterial.

Hier zeigt sich in aller Schärfe das islamimmanente Grundproblem der Quellen: Geschichten vom Hörensagen werden als Tatsachen ausgegeben. Quellenforschung ist nicht existent.

Wikipedia meint: „Allerdings unterscheidet sich die Sira-Literatur dadurch von der Hadith-Literatur, dass sie im Allgemeinen nicht durch die Kette der Überlieferung gesichert ist.“

Soll die „Kette der Überlieferungen“ etwa ein Gütesiegel sein ?

Wenn man die „Kette der Überlieferung“ als „gesichert“ ansieht, was ist dann überhaupt noch „nicht gesichert“ ? Durch den Eingang kommt ein Märchen herein und verlässt den Ausgang als gesichertes Faktum ?

Und: „Nach dem heutigen Forschungsstand gilt die Sira in ihrem Kern als eine weitgehend authentische, historische Quelle; ausgenommen nur einige Passagen.“

Gerade das Gegenteil ist der Fall. Der Wissenschaftler möge sich mel­ den, der in der Sira, das heißt in den Hadithen und ihren Derivaten, eine

„authentische und historische Quelle“ sieht.

 

Weil die Quellen vollkommen obskur und nicht verifizierbar sind, kann man die Hadithe getrost als eine Märchensammlung bezeichnen.

 

Kriterien für eine historisch verwertbare Quelle erfüllen sie nicht - mit einer Ausnahme: Hadithe bilden vorzüglich die Entstehungsgeschichte des Islams ab. Die verschiedenen Richtungen, die die sich entwickelnde Religion nahm, die Positionskämpfe, die dynastischen Auseinanderset­ zungen, die theologischen Ausformungen, sie schlugen sich alle in den Hadithen nieder. Desgleichen treten die Einflüsse der verschiedenen Re­ gionen und Schulen - Damaskus, Basra, Kufa, Medina, persische Theo­ logen gegen arabische - deutlich zu Tage, denn für jeden Anlass war das passende Hadith zur Hand, um die eigene Position zu stärken und die Gegenposition zu schwächen.

Auch die Einflüsse der Umgebungsreligionen manifestieren sich wie auch schon im Koran in den Hadithen. In Entlehnung vom Evangelium des Matthias 5:3 („selig die Armen im Geiste“) lässt man den Propheten völlig unislamisch berichten, den größten Teil der Bewohner des Para­ dieses würden die Einfältigen bilden (wogegen nervende Ehefrauen die Mehrheit in der Hölle bildeten). In der kanonischen Sammlung des Abu Dawud bezeugt der Tradent Abu-l-Darda, er habe Muhamad folgendes Gebet sprechen gehört: „Unser Gott im Himmel, geheiligt werde Dein Name, Dein Wille geschehe im Himmel und auf Erden, so wie Deine Barmherzigkeit im Himmel ist, sei sie auch auf Erden. Vergib uns unsere Schuld und unsere Sünden ...“

Tief einschneidende Konsequenzen hatten die Hadithe für die Recht­ sprechung. Verzichteten die frühen Schulen des Abu Hanifa und Malik bin Anas auf Hadithe - das heißt Muhamad kam gar nicht vor - stützten sich spätere Schulen im wesentlichen nur auf Hadithe. Es ging also nicht mehr um Erstellung von Rechtsprinzipien, sondern nur noch um den Abgleich. Was hat der Prophet dazu gesagt ? Was hat er getan ? War keine ausreichende Antwort zu finden, suchte man bei den „Genossen“ und deren „Nachfolgern“ weiter. Und führte auch das nicht zum Erfolg erhob sich die Frage: Was würde der Prophet sagen ?

Weil es ohne passendes Hadith nichts mehr zu bestellen gab, wan­ delten sich etwa die ursprünglich recht rationalen Hanifiten zu den eif­ rigsten Haditproduzenten und -fälschern. Das war der Zeitpunkt, wo Hadithe das Leben der Gläubigen und ihre Gesellschaft bis ins Detail regelten.

 

Oberbegriff der Hadithe und der Sira ist die Sunna, die „Tradition“. Die Gesamtheit aller Überlieferungen rund um den Propheten ist Sunna, wobei den Hadithen darin die größte Bedeutung zukommt. Sunna ist, was der Prophet sagte, was er tat, und was man über ihn berichtete. Die Sunna regelte entsprechend Prophetentradition die Art der Begrüßung und was einem Niesenden zu wünschen sei, genauso wie die Anzahl der Frauen, die Barttracht, die Kleiderlänge oder Speiseverbote. Sunna ist Re­ gierungsform und Justiz und schließlich das wichtigste normative Prinzip des gesamten privaten wie öffentlichen Lebens. Bereits im dritten islami­ schen Jahrhundert waren Koran und Sunna gleichwertig nebeneinander, es galt der Spruch „Die Sunna ist der Richter über den Koran und nicht umgekehrt“. Die führenden Rechtsgelehrten al-Scheibani und al-Schafi bekräftigen diesen Standpunkt, Ibn Kuteiba begründete zur gleichen Zeit die These von der Göttlichkeit der Sunna.

Salafi, der „Nachahmer der Tradition“ — der Tradition Muhamads — war der größte Ruhmestitel für einen Gläubige im 9. Jahrhundert. Diese

„Nachahmer der Tradition“, bilden als „Salafisten“ noch im 21. Jahrhun­ dert eine bedeutende Strömung im Islam.

Unter Umständen, wo die höchste Tugend in Nachahmung und Ab­ gleich bestand, konnte sich natürlich keine Theologie herausbilden. Und mehr noch: die urislamischen Motive verkehrten sich ins Gegenteil. Wur­ zelte der früheste Islam im Streben nach Klarheit und Schlichtheit, und daher in der Ablehnung des aufgedonnerten griechischen Christentums mit seinen Wundern und Heiligen, so war präzise dieser ausschweifende Personenkult bereits im dritten islamischen Jahrhundert Kennzeichen der neuen Religion. Im Widerspruch zum Koran und zur arabischen Sunna wurde eine Überfigur ohne Fehl und Tadel kreiert, ein perfekter Mensch, der Wunder vollbrachte und um den sich bald Tausende von Legenden rankten: Muhamad.

 

Ein perfekter Mensch:

Der Prophet Muhamad nach traditionellen Berichten

 

„Die Rede ist von einem Menschen mit vorzüglichsten Charakter­ eigenschaften und ungewöhnlichen, aber äußerst vorbildlichen Handlungsweisen. Die Ruhe und Geduld selbst.

Gibt es in Ihrer Umgebung bzw. in Ihrem Verwandten- und Fami­ lienkreis einen Menschen, von dem Sie so etwas behaupten kön­ nen ? Kennen Sie einen Menschen, der nie schimpft, schreit oder wütend wird ? Immer geduldig, liebevoll und ruhig bleibt ?

Ich kenne einen Menschen.

Die Rede ist von dem Propheten Mohammad - Friede und Segen auf ihm.

Wie sehr ich mir nur wünsche, ich hätte die Ehre gehabt, diesen wunderbaren Menschen zu kennen und zu seiner Zeit gelebt zu haben.

Mit Allahs Gnade darf ich zu der Ummah Mohammads - Friede und Segen auf ihm - gehören. Eine größere Gnade gibt es nicht für mich. Allah schickte uns einen so liebevollen, gütigen und für­ sorglichen Propheten. Er war gerecht wie kein anderer und war stets darauf bedacht, Gutes zu tun. Er war beliebt unter seinen Gefährten, aber trotz allem bescheiden und sogar bedürftig. Er besaß nicht viel an materiellen Dingen, aber war trotz allem dank­ bar und zufrieden. Es gab Tage, an denen er hungerte oder nur eine Dattel aß.

Einmal saß der Prophet und rezitierte den Quran und weinte bei einer Stelle, wo die Aussage des Propheten Issas zur Geltung kam:, Wenn du, Allah, ihnen verzeihst, dann weil du allvergebend bist. ' Allah schickte den Engel Gabriel - Frieden auf ihn - zu ihm herab, und dieser fragte, wieso er weinen würde. Der Prophet Mohammad - Friede und Segen auf ihm - sagte, dass er wegen seiner Ummah weine. Er weinte wegen seiner Ummah! Er fürch­ tete um uns. Wie wichtig ihm seine Ummah war!“

Zitiert aus: muhamad.islam.de, 2009

BILD 2

Muhamad als Prediger. Darstellung aus Ostpersien

(heute Tadschikistan oder Usbekistan) aus dem 13. Jahrhundert

 

Nach islamischer Tradition, und wie fast überall sonst nachzule­ sen, wurde Muhamad 570 nach Christus in Mekka geboren und starb 632 in Medina. Er stammte aus der Sippe der Haschemiten vom Stamme der Kuraisch (quraish). Sein Vater hieß Abd Allah und war ein Ururenkel von Qusayy, dem Gründer Mekkas. Seine Mutter hieß Amina. Wie die meisten anderen Jungen hütete er Ziegen und Schafe, aber bald ist das erste Vorkommnis zu vermelden. Als er im Alter von zwölf Jahren eine Karawane nach Syrien begleitete, prophezeite ihm ein christlicher Mönch, er werde einst ein bedeutender Mann werden. Von seinen frühen Jahren wird sonst wenig berichtet, außer dass er Karawanen nach Norden und Süden mit solchem Genie führte, dass die  reichste  Frau  Mekkas,  Khadidscha,  auf  ihn  aufmerksam  wurde.

Im Alter von 39 Jahren heiratete er die 55-jährige Khadidscha, mit

der er sechs Kinder hatte. Bereits die Tatsache, dass Khadidscha noch

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mit 60 Jahren Kinder von Muhamad gebar, ist als erstes Wunder zu bewerten.

 

Das Arabien jener Zeit wurde von Beduinenstämmen beherrscht, es gab einige wenige Städte. Mekka an der Kreuzung von Handelsstraßen soll eines der wichtigen Zentren der Arabischen Halbinsel gewesen sein. Die Stämme der Region verehrten eine Vielzahl von Naturgottheiten, es gab aber auch christliche und jüdische Gemeinden.

Der Stamm der Kuraisch, dem Muhamad angehörte, war der bedeu­ tendste. Er siedelte in und um Mekka und verehrte als Hauptgottheiten Allat und Uzza - die Göttinnen des Mondes, des Morgensterns und der Fruchtbarkeit. Religiöses Zentrum war ein schwarzer Stein, der ursprüng­ lich weiß gewesen sein soll, sich durch die Absorption der Sünden der Menschen aber dunkel färbte. Man nimmt heute an, dass es sich um einen Meteoriten handelt, obwohl er einer wissenschaftlichen Untersuchung bislang unzugänglich ist. Zu diesem heiligen Stein wurden jährliche Pil­ gerfahrten abgehalten, die einen wichtigen Einkommensfaktor für Mekka darstellten. Die Pilger umrundeten siebenmal den von kostbaren Tüchern umspannten heiligen Stein gegen die Sonne und verrichteten weitere ritu­ elle Zeremonien. Da ja die Göttinnen auch für die Fruchtbarkeit zuständig waren, sollen die Pilger den Stein in früher Zeit nackt umrundet haben, später wurde ein spezielles rituelles Gewand angeordnet. Symbol Allats war der Sichelmond, das der Schwestergöttin Uzza der Morgenstern.

 

Durch die Heirat mit Khadidscha aller finanziellen Sorgen enthoben, widmete sich Muhamad der Religion. Er begann in der Wüste herum­ zustreifen, zu fasten und mystische Verse zu verfassen. Er kam nur noch gelegentlich nach Hause, um sich Verpflegung zu holen.

 

„In der Glut des Tages und während der klaren Wüstennächte, wenn die Sterne scharf genug schienen, um in das Auge einzudringen, wurde sein Wesen mit den Zeichen der Himmelskörper gesättigt, sodass er da schon als ein durchaus angemessenes Werkzeug einer Offenbarung, die diesen Zei­ chen innewohnt, hätte dienen können. Zu jener Zeit wurde er auf eine un­ geheure Aufgabe vorbereitet, die ihm aufgelastet werden sollte, die Aufgabe

 

des Prophetentums und die Übermittlung der wahren Religion Gottes zu seinem Volk und dem Rest der Menschheit.“26

 

Als er eines Tages im heiligen Monat Ramadan am Berg Hira in einer Höhle übernachtete - in manchen Überlieferungen wird die Höhle Hira genannt -, erschien ihm ein Engel. Muhamad identifizierte ihn als den Erzengel Gabriel, der schon Maria, der Mutter Jesu, erschienen war. Diese Nacht sollte fortan bei den Muslimen die „Nacht der Bestimmung“ heißen.

Diese Begegnung schildert Muhamad so:

 

„Während ich schlief, kam Gabriel mit einer Decke aus Seidenbrokat, in welcher sich ein Buch befand, zu mir.

Er sprach: IQRA. [Lies!]27

Ich sagte: Ich lese nicht!

Da würgte er mich mit dem Tuch, sodass ich vermeinte, sterben zu müssen.“

 

Dies wiederholte sich zwei Male, bis Muhamad las. Die erste Sure, Koran 96:1-5, war damit auf der Welt:

„Lies im Namen deines Herrn, der erschuf. Er erschuf den Menschen aus einem Blutklumpen. Lies, denn dein Herr ist allgütig. Der mit dem Schreibrohr lehrt, lehrt den Menschen, was er nicht wusste.“

Dann erzählte er weiter:

„Ich aber erwachte, und es war mir, als wäre in mein Herz eine Schrift eingegraben worden.“

 

Dieses Erlebnis versetzte ihn in einen Gemütszustand, der ihn sogar an Selbstmord denken ließ. Dann aber hatte er ein weiteres Erlebnis:

 

„Während ich auf dem Weg war, hörte ich plötzlich vom Himmel her eine Stimme und erkannte wieder den Engel, der damals am Hira zu mir ge­ kommen war. Erschrocken lief ich nach Hause und rief: Deckt mich zu!“

 

26  Aus: islamreligion.com, 2009.

27  Nach anderen Traditionen konnte Muhamad weder lesen noch schreiben.

BILD 3

Der Fußabdruck des Propheten Muhamad, wie er zusammen mit einem Barthaar, einem Zahn, sowie dem Schwert Davids und dem Stab Moses’ Im Topkapi Museum In Istanbul gezeigt wird. Vom historischen Muhamad fehlt allerdings jede Spur

 

[weil ihn nämlich infolge des Schreckens Fieber befallen hatte - oder wollte er sich verstecken ?]

Da offenbarte Gott die Worte:

„Der du dich zugedeckt hast, steh auf und warne und preise die Größe deines Herrn und reinige deine Kleider und entferne dich von der Unrein­ heit des Götzendienstes.“

(Sure 74:1-5)

Die Offenbarungen wurden häufiger, die damit verbundenen Schmer­ zen größer. Die ungläubigen Kuraischiten höhnten: „Muhamad ist von seinem Herren verlassen worden.“

Da sandte Allah die Suren 93:1-5 herab, um die Ungläubigen zu wi­ derlegen:

„Beim Morgen und bei der Nacht, wenn sie still ist! Dein Herr hat dir nicht den Abschied gegeben und hasst dich nicht. Wahrlich, das Jenseits ist

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besser für dich als das Diesseits. Und wahrlich, dein Herr wird dir geben und du wirst zufrieden sein.“

 

Im Abstand von drei bis sechs Monaten (je nach Erzähler) empfing Muhamad die Offenbarungen Gottes. Seine Anhänger achteten penibel auf seine Worte und trennten sie je nach Anlass. Diejenigen Worte, die aus Offenbarungen stammten, bildeten den späteren Koran. Seine ande­ ren Worte wurden in den Hadithen (Aussprüche) und der Sira (Lebens­ geschichte) zusammengefasst.

Aber zunächst wurden die Offenbarungen Allahs entweder auswendig gelernt oder provisorisch niedergeschrieben auf Materialien, die gerade zur Verfügung standen.

Im Zentrum der Predigten Muhamads stand der Glaube an den ein­ zigen Gott.

Sein Erfolg hielt sich jedoch in engen Grenzen. Seine Frau Khadidscha, sein Freund Abu Bakr, sein ehemaliger Sklave und einige wenige weitere Anhänger gehörten zu seiner ersten Gemeinde. Obwohl die Schar klein war, nahmen die Verfolgungen durch die Mekkaner und andere Kurai- schiten stetig zu - predigte Muhamad doch gegen ihre Götter. Es gibt sehr ausführliche Beschreibungen dieser schwierigen Zeit.

Die Verfolgungen wurden schließlich so unerträglich, dass sich Muha­ mad entschloss, mit seiner Schar von nunmehr 80 Anhängern nach Abessinien ins Exil zu gehen (nach anderen Erzählungen schickte er nur Anhänger dorthin, er selber blieb in Mekka). Dort wurde er vom König, dem „Christen Negus“, freundlich empfangen. Die Mekkaner argwöhn­ ten jedoch, Muhamad wolle sich mit dem Abessinier verbünden, und schickten eine Delegation, welche die Auslieferung Muhamads verlangte. Bei der Anhörung überzeugte Muhamad den König, dass er und seine Gemeinde denselben Gott wie die Christen anbeteten, und konnte das mit Koranversen belegen. Der König war zu Tränen gerührt, und mit seinem Ausruf „Wahrlich, das hat derselbe Gott geschrieben!“ war das Tauziehen gewonnen. Die Muslime wurden nicht ausgeliefert, kehrten aber bald darauf aus freien Stücken nach Mekka zurück.

Die Gemeinde des Propheten wurde immer größer, die Auseinander­ setzungen zwischen ihr und den heidnischen Mekkanern immer heftiger.

 

Schließlich verboten die Mekkaner jeden Kontakt zur Sippe des Pro­ pheten, den Haschemiten, und schlugen den Erlass an der damals noch heidnischen Kaaba an. Am nächsten Tag war das gesamte Papier bis auf die Worte „Bismillah Allahu“ von weißen Ameisen aufgefressen - ein weiteres Wunder war geschehen.

 

Bei dem folgenden Hadsch, der den Beduinen jährlich vorgeschriebenen Pilgerfahrt nach Mekka zur Verehrung des schwarzen Steins und der Umrundung der Kaaba, kamen auch Leute aus Yathrib, heute bekannt als Medina. Muhamad traf sich heimlich mit ihnen und bekehrte sie zum Islam. Die Mediner waren vorwiegend Juden und Christen, besaßen eine Schrift und waren daher dem neuen Glauben gegenüber wesentlich auf­ geschlossener als die rückständigen Mekkaner. Anlässlich des Hadsch des folgenden Jahres konnten sie Muhamad die erfreuliche Nachricht überbringen, dass er bereits über eine ansehnliche Anhängerschaft in Medina verfüge. Dies war nicht geeignet, die Beziehung zu den Mek- kanern zu verbessern, die ein feindliches Bündnis dahinter vermuteten. Die Verhältnisse verschlechterten sich so sehr, dass die Anhänger des Propheten Nacht für Nacht in kleinen Gruppen die Stadt verließen und sich nach Medina absetzten.

Muhamad selber hielt aus, denn er wollte ohne den Befehl Gottes

nichts unternehmen. Schließlich kam der Befehl, und Muhamad hieß seinen Cousin Ali, seinen Umhang anzuziehen und sich in seinem Haus als Prophet getarnt aufs Bett zu legen. Er selber schlich sich mit Abu Bakr davon, und sie ritten mit ihren Rennkamelen Richtung Medina davon.

Dies geschah am 23. September 622. Es ist die Hidschra - der „Aus­ zug von Mekka nach Medina“ und der Beginn der islamischen Zeitrech­ nung.

Unterwegs baute Muhamad in Qubaa die erste Moschee des Islam, der

getreue Ali hatte es inzwischen auch irgendwie dahin geschafft.

In Medina wurde der Prophet begeistert empfangen.

Auch hier baute er zuerst eine Moschee, dann wandte er sich wieder den Offenbarungen und der Lehrtätigkeit zu. Seine Zeit in Medina sollte die erfüllteste seines Lebens sein.

 

Zwischen seinen alten Anhängern, den Muhadschirun, und den Neu­ muslimen aus Medina, den Ansar, gab es bald Schwierigkeiten. Dank seiner diplomatischen Fähigkeiten bewerkstelligte Muhamad einen Bund zwischen den beiden Parteien, und die erste Gemeinschaft der Gläubigen (Umma) war entstanden. Die Regeln dieser Gemeinschaft galten von da an als Vorbild für spätere islamische Gemeinwesen und Staaten bis zum heutigen Tag. Auch dieses Abkommen fällt angesichts der unüberbrück­ baren Gegensätze der beiden Gruppen bei manchen Biografen unter die Kategorie „Wunder“.

 

Aber mit den Problemen war es damit nicht zu Ende. Die Andersgläu­ bigen, vor allem die Juden, waren immer noch die große Mehrheit in Medina, und der Prophet versuchte, sie intensiv zum richtigen Glauben zu bekehren. Aber sie erwiesen sich als renitent und hatten auch handfeste Gründe dafür:

„Die Juden hatten auch wunderbar von den Streitigkeiten unter den arabischen Stämmen profitiert, denn es war die Unbeständigkeit in dieser Region gewesen, die sie die Oberhand in Handel und Versorgung hatte gewinnen lassen. Friede zwischen den Stämmen Medinas war eine Bedro­ hung für die Juden.“28

Muhamad argumentierte, er vertrete denselben Monotheismus wie sie, und verwies auch auf Jerusalem als Gebetsrichtung der Muslime. Die Juden erkannten aber seine Echtheit als Prophet nicht an, und die Span­ nungen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen nahmen zu. Darauf wandte Muhamad sich wütend von Juden und Christen ab, er berief sich nicht mehr auf ihre Propheten, sondern, gedeckt von einer neuen Offen­ barung, auf den Stammvater Abraham:

„Abraham war weder Jude noch Christ, sondern er war Anhänger des reinsten Glaubens, ein Gottergebener, und er gehört nicht zu den Polythe­ isten.“ (Sure 3:67)

Zugleich änderte er die Gebetsrichtung (qiblah) von Jerusalem nach Mekka, denn ihm war auch offenbart worden, dass die Kaaba, das heid­ nische Heiligtum dieser Stadt, in Wirklichkeit von Abraham für die

 

28  Aus: islamreligion.com, 2009.

 

Muslime gebaut worden war. In der Sure al-Baqarah („Die Kuh“) wird davon berichtet. Den Juden konnten die Muslime fortan kein Vertrauen mehr entgegenbringen.

Weitere Probleme zu lösen gab es mit einem anderen Teil der Einwoh­ nerschaft Medinas, angeführt von Muhamads hartnäckigstem Widersa­ cher, dem berüchtigten Ubayy. Er und seine Leute hatten zwar den Islam angenommen - aber nur zum Schein! Im Geheimen bekämpften sie im Sold der Juden und Mekkaner den Propheten. Deshalb werden in den medinischen Suren des Korans häufig die „Juden“ und die „Heuchler“ zur Rechenschaft gezogen.

 

Die Hidschra markiert eine klare Trennungslinie in der Geschichte des Propheten, wie im Koran sichtbar wird. Die Suren werden immer kürzer und beziehen sich vornehmlich auf Recht und allgemeine Anweisungen. Auch Muhamads Probleme mit den Ungläubigen in Medina schlagen sich in den medinischen Suren wieder. Bis dahin war er nur ein Prediger gewesen. Von nun an war er Kriegsherr und Staatsmann. Der Führer eines kleinen Staates, der aber innerhalb weniger Jahre zu einem arabischen Großreich heranwachsen sollte.

 

Die Situation in Mekka hatte sich indes weiter verschlechtert. Muslime wurden nun öffentlich verfolgt und gefoltert. Mehr noch, die Mekkaner hatten sich mit dem Heuchler Ubayy verbündet und dehnten nun ihre antimuslimischen Aktionen nach Medina aus.

Da erteilte Gott den Muslimen die Erlaubnis, ihre Waffen gegen die Ungläubigen zu erheben29.

13 Jahre lang waren sie Pazifisten gewesen. Jetzt aber brachen sie zu kleinen Expeditionen auf, die entweder vom Propheten selbst oder von einem seiner Unterführer geleitet wurden, um mekkanische Karawanen aufzuspüren und zu plündern, aber auch, um sich mit anderen Stämmen zu verbünden. So wollten die Muslime ökonomischen Druck auf die Ku- raisch ausüben, damit diese ihre Verfolgung der Muslime in Mekka wie auch in Medina aufgäben.

 

29  Sure 22:39.

 

Eines Tages wurde dem Propheten das Nahen einer großen, aus Sy­ rien kommenden Karawane gemeldet. Er rief seine Leute zusammen und sagte: „Es kommt eine Karawane der Kuraischiten mit ihren Gü­ tern beladen, zieht ihr entgegen! Vielleicht wird Allah sie euch als Beute schenken.“30

Auch dieser Coup gelang, und die Muslime hatten so großen Erfolg mit ihrer Taktik, dass die Mekkaner schließlich mit einem Heer von 1000 Mann gegen Medina zogen, um das Ärgernis zu beseitigen. Bei Badr kam es am 17. März 642 zum Kampf, „zu einer der wichtigsten Schlachten der Menschheitsgeschichte“31.1000 Mekkanern standen 300 Muslime mit 17 Kamelen und drei Pferden entgegen.

Mutlosigkeit machte sich bei den Muslimen breit, aber eine Nachricht von Gott traf bei Muhamad ein:

„Ich werde euch mit eintausend Engeln beistehen“ (Sure 54:45). So abgesichert und befeuert, gewannen die Muslime die Schlacht.

Ganz Mekka taumelte unter diesem Schock, und, in Schrecken ver­ setzt, traten zahlreiche Stämme eiligst zum Islam über. Aber die Mek­ kaner, im Bunde mit den Juden und den Heuchlern, gaben nicht auf, im nächsten Jahr erschienen sie mit der dreifachen Zahl an Kriegern. Eine weitere Schlacht, die allseits bekannte Schlacht von Uhud, endete unent­ schieden, sie stand tatsächlich auf Messers Schneide, weil die Beduinen und die Heuchler unter Ubayy die Seiten wechselten, aber dank des ge­ nialen Eingreifens Muhamads wurde die Katastrophe verhindert. Zwei weitere Schlachten gingen siegreich für die Muslime aus. Da willigten die Mekkaner schließlich einem zehnjährigen Waffenstillstand zu, dem berühmten „Abkommen von Hudaibiyyah“.

Aber die Mekkaner hielten sich nicht daran, und so blieb bereits zwei Jahre später Muhamad keine andere Wahl, als Mekka anzugreifen und zu erobern. Es folgte eine ganze Reihe weiterer Schlachten - teils unter seiner persönlichen Führung, teils unter der seiner bewährten Feldher­ ren -, die den Islam schließlich auf der ganzen Halbinsel und in Syrien verbreiteten.

 

30  Aus: answering-islam.de, 2009.

31  Aus: islamreligion.com, 2009.

 

Muhamad schrieb auch Briefe an den byzantinischen Kaiser Herak- leios, den persischen Großkönig und den Kaiser von Abessinien, mit der Aufforderung, zum Islam überzutreten.

Die Übergabe des Briefes an Herakleios in Jerusalem ist detailliert geschildert32.

Danach berichtet Abdullah ibn Abbas, wie Abu Sufyan ibn Harb seine Begegnung mit dem byzantinischen Kaiser in Jerusalem schildert. Abu Sufyan war Nicht-Muslim, aber vom Propheten mit der Übergabe des Briefes betraut worden:

„Die erste Frage, die Herakleios an mich richtete, war:,Welchen Rang nimmt seine Familie bei euch ein ?'

Ich antwortete:,Er gehört zu einer sehr angesehenen Familie.' Herakleios fuhr fort:

,Hat bei euch jemals ein anderer Mann vor ihm behauptet, ein Prophet zu sein ?'

,Nein.‘

,War einer seiner Vorfahren König?'

,Nein.‘

,Sind die vornehmen Menschen seine Anhänger oder die einfachen Leute?'

,Es sind Letztere.'

.Nimmt die Zahl seiner Anhänger zu oder ab ?'

,Es werden mehr.'

,Hat sich jemand von seinen Anhängern aus Unzufriedenheit von seiner Religion abgewandt?'

,Nein.‘

.Habt ihr ihn jemals der Unwahrheit verdächtigt, bevor er sich als Pro­ phet bezeichnete ?'

,Nein.‘

,Hat er jemals sein Versprechen gebrochen ?'

.Nein, aber schon seit einiger Zeit wissen wir nicht mehr, was er eigent­ lich tut.'

 

 

32  Al-Bukhari, „Der Beginn der göttlichen Offenbarung“.

 

(Abu Sufyan merkt an, dies sei vielleicht die einzig ungünstige Antwort gewesen.)

,Habt ihr gegen ihn gekämpft?'

,Ja.‘

,Welchen Verlauf haben diese Auseinandersetzungen gehabt ?'

.Manchmal war er erfolgreich, manchmal wir.'

.Welche Vorschriften hat er euch gemacht ?'

,Er sagte: Dient allein Gott, und gesellt ihm niemand als Teilhaber an seiner Göttlichkeit bei. Wendet euch von dem ab, was eure Vorfahren geglaubt haben. Außerdem hat er uns das Gebet, die Aufrichtigkeit, die Sittsamkeit und die Wohltätigkeit zur Pflicht gemacht.'

In einer langen Antwortrede interpretiert Herakleios beeindruckt das Gehörte, sagt dem Propheten den Besitz des byzantinischen Reichsgebietes voraus und schließt mit den Worten: ,Ich wusste, dass ein Prophet erscheinen wird, aber ich dachte nicht, dass es einer von euch sein würde. Wüsste ich, dass ich zu ihm gelangen kann, ich würde alles daransetzen, ihn zu treffen. Wäre ich bei ihm, ich würde ihm die Füße waschen.'

 

Dann verlangte er, Muhamads Brief zu sehen, und verlas den Wortlaut:

,Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes!

Von Muhamad, dem Diener und Gesandten Gottes, an Herakleios, den Kaiser von Byzanz.

Friede sei mit dem, der der rechten Leitung folgt!

Ich fordere Dich auf, zum Islam überzutreten. Werde Muslim, und Gott wird es Dir doppelt lohnen! Weigerst Du Dich aber, so wirst Du die Vergehen Deiner Untertanen zu verantworten haben. Gott der Erhabene hat gesagt: Ihr Leute der Schrift! Kommt herbei zu einem Wort des Aus­ gleichs zwischen uns und euch, nämlich dass wir allein Gott dienen und ihm nichts als Teilhaber an seiner Göttlichkeit beigesellen, dass nicht die einen von uns die anderen an Gottes statt zu Herren nehmen. Aber wenn sie sich abwenden, so sagt: Bezeugt, dass wir uns dem Willen Gottes ergeben.'“

 

Großer Schrecken verbreitete sich im Gefolge des Kaisers, und dieser sandte den Brief an seine Berater nach Konstantinopel, um ihre Stellungnahme

 

einzuholen. In dieser wurde dann bestätigt, der Prophet sei erschienen, und es sei auch tatsächlich ein Prophet.

Darauf sprach Herakleios zu den Versammelten:

„Ihr Byzantiner! Sucht ihr die Glückseligkeit und die rechte Leitung? Wollt ihr, dass eure Herrschaft weiter besteht ? Dann müsst ihr diesem Pro­ phetenfolgen !“

Die Reaktion seiner Würdenträger beobachtend, gab er alle Hoffnung auf, dass sie sich zum Islam bekennen würden. (Es gibt aber auch die Meinung, dass Herakleios nur die Loyalität seiner Würdenträger testen wollte.)

Jedenfalls hatte Herakleios, Kaiser von Byzanz, seine Chance, und er hat sie vertan.

 

Von einer Wallfahrt aus Mekka nach Medina zurückgekehrt, war Muha­ mad mit der Vorbereitung von Feldzügen gegen Byzanz, Syrien, Persien, Ägypten und Nordafrika beschäftigt, als er überraschend erkrankte und verstarb, im Alter von 60, 63 oder 65 Jahren, je nach Überlieferung. Er hinterließ, je nach Überlieferung, 9 bis 23 Frauen, zahlreiche Sklaven und ein großes Vermögen.

Einen Sohn gab es trotz der vielen Frauen seltsamerweise nicht, was für die Religionsgemeinschaft sehr große Probleme mit sich bringen sollte. Sofort nach Muhamads Tod brachen Erbstreitigkeiten aus, seinen Ehefrauen und seiner Tochter Fatima wurde die Erbberechtigung abge­ sprochen. Ali, erster Erbanwärter, wurde von einer rivalisierenden Partei ermordet. Das war die erste Spaltung des Islam, denn die „Partei Alis“, die „Schia“, war von da an in Form der „Schiiten“ eine eigene Religions­ gemeinschaft.

 

Dies ein ganz kurzer Abriss des Lebens des Propheten. Die traditionellen Schilderungen enthalten uns auch nicht ein Detail aus seiner Vita vor, sie füllen ganze Bibliotheken. Die Unterschiede in den einzelnen Darstellun­ gen sind allerdings beachtlich.

Es ist daher an der Zeit, sich den Fakten zuzuwenden.

200 Jahre Abwesenheit:

Der historische Muhamad

 

„Unter den Frommen hat die Archäologie keine Freunde. “

Volker Popp, Islamforscher und Numismatiker

 

 

 

Muawiya ist der erste Kalif der berühmten Omayaden-Dynastie. Er trat seine Regentschaft 641, neun Jahre nach dem Tod Muhamads, an und gehörte zur Generation der ruhmreichen islamischen Eroberer,

die in wenigen Jahrzehnten den gesamten damaligen Orient unterworfen und einem islamischen Großreich angegliedert haben sollen. So sagt es wenigstens der traditionelle islamische Bericht.

In Taif, südöstlich von Mekka, gibt es eine Inschrift von Muawiya. Er bezeichnet sich darin als Amir al-Muminin. In der islamischen Tradi­ tion führte bereits Ali, der Schwiegersohn des Propheten und Vorgänger Muawiyas, diesen Titel. Er wird traditionellerweise übersetzt als Fürst der Gläubigen. Unter den Gläubigen werden wie selbstverständlich die Muslime verstanden.

Von Muawiya gibt es noch eine weitere Inschrift in den Thermen von Hamat Gader (Israel), und zwar in Griechisch.

BILD 4

Widmung des angeblich islamischen Kalifen Muawija anlässlich der Renovierung der römischen Thermen von Gadara, Israel. (Transkription auf der nächsten Seite)

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BILD 5

„In den Tagen des Gottesknech­ tes Maavia, des Vorstehers der Schutzgewährer,            wurden            die Thermen gerettet und reno­ viert ... im sechsten Jahr der Indikation, im Jahr 726 der Stadtgründung,      im      42.      Jahr nach den Arabern, zur Heilung der Kranken, unter Aufsicht des Johannes, dem Magistrat von Gadara.“

 

 

 

 

 

 

Der Text beginnt mit einem Kreuzzeichen. Religiöse Floskeln zur Einleitung waren üblich, oft wurden sie durch ein Symbol ersetzt, in diesem Fall durch ein Kreuz.

Neben diesem für einen muslimischen Herrscher eher irritierenden Symbol fällt dem Historiker auf, dass der Amir al-Muminin, der „Fürst der Gläubigen“, in der griechischen Version der „Vorsteher der Schutzge­ währer“ ist - keine Spur vom Fürsten der Muslime.

Mit diesem „Vorsteher der Schutzgewährer“ hat es im alten Orient seine spezielle Bewandtnis. Alle Potentaten der Zeit führten ihre Berechti­ gung als Herrscher auf eine Funktion der „Schutzgewährung“ zurück. Die jeweilige Persönlichkeit musste natürlich in der Lage sein, den Untertanen und ihrer Habe Sicherheit zu gewähren. Aber mehr noch: Verbunden mit dieser Position der Schutzgewährung war immer auch eine heilige Stätte, die es ebenfalls zu schützen galt. Der Schutz eines Heiligtums war Legitimation zur Ausübung von Macht. Dies galt für den gesamten Ori­ ent, ob byzantinisch, persisch oder arabisch - ohne Schutzgewährung keine legitime Herrschaft33. Zu Heiligtümern gab es zu allen Zeiten in Arabien regen Pilgerverkehr, was zugleich einen wichtigen Wirtschafts­ faktor darstellte.

 

33 Die saudische Dynastie führt auch gegenwärtig als wichtigsten Titel den der „Beschützer und Bewahrer der heiligen Stätten“, gemeint sind Mekka und Medina.

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Was war Muawiyas heilige Stätte ? Es war seine Residenzstadt Damas­ kus, die als Heiligtum das Grab Johannes des Täufers beherbergte. Anzie­ hungspunkt war zu seiner Zeit das Haupt des Täufers, das als kostbare Re­ liquie in der Krypta der Johannesbasilika aufbewahrt wurde. Damaskus war zur Zeit Muawiyas zusammen mit Jerusalem das wichtigste Pilgerziel, wie wir aus zahlreichen Quellen wissen.

Warum regierte der Kalif Muawiya in Damaskus und nicht Mekka, dem Nabel der islamischen Welt ? Das mag praktische Gründe gehabt haben. Aber warum übt er seine prestigeträchtige Schutzfunktion nicht über das islamische Heiligtum Nummer eins aus, nämlich die Kaaba in Mekka, die höchstmögliche Rechtfertigung für einen muslimischen Ka­ lifen ? Warum das Heiligtum Johannes des Täufers ?

Von Muawiya gibt es Münzfunde aus Darabgerd, der iranischen Pro­ vinz Fars, die ebenfalls zu seinem Machtbereich gehörte. Die Schrift auf diesen Münzen folgt der persischen Tradition. Muawiya firmiert hier nicht in Arabisch, sondern unter seinem syrisch-aramäischen Origi­ nalnamen Maavia, wie übrigens auch in der Inschrift von Gadara. Sein Titel lautet in Pahlavi Amir-i Wlwyshnyk’n, das bedeutet „Vorsteher der Schutzgewährer“.

Genau das ist sein offizieller Titel in Persisch, Griechisch und Ara­ mäisch.

Die Interpretation als „Fürst der Muslime“ ist nirgendwo belegt und geistert ungeprüft durch die Bücher.

„An diesem Punkt bereits“, so der Forscher Volker Popp, „wird deutlich, wie sehr der islamische Gebrauch dieses Titels den Zugang zu den spezifisch arabischen Elementen der Frühgeschichte des Islam verstellt.“

Islam-Labels auf rein arabischen Sachverhalten ziehen sich durch die gesamte islamische Historiografie, wie wir noch oft sehen werden.

 

Maavia hatte offensichtlich kein Problem, sich in aramäischer, persischer und griechischer Sprache zu manifestieren. Schließlich lebte er in einem griechisch-persischen Umfeld, war geborener Syrer, seine Muttersprache war damit Aramäisch, er wird aber ebenso griechisch und persisch ge­ sprochen haben. Sein Reich umfasste die heutigen Staaten Syrien, Irak und Iran.

 

In islamischer Tradition ist er, der erste Omayaden-Kalif, selbstredend ein Muslim.

Maavia nannte sich ausweislich der Inschriften auf Baudenkmälern und Münzen „Diener Gottes“ und „Beschützer“, aber niemals Kalif, als der er heute geführt wird. Und er hatte das Kreuzzeichen auf mehreren seiner archäologischen Hinterlassenschaften.

 

Das Datum wird in der Inschrift von Hamat Gader gleich dreifach ge­ liefert:

  • das byzantinische Steuerjahr

  • die Zeit nach der Gründung der Stadt

  • die Zeit nach den Arabern

 

Die Datierung ist daher eindeutig, weil dreifach abgesichert. Besondere Aufmerksamkeit erweckte bei den Forschern aber das von Maavia er­ wähnte 42. Jahr Kata Araba, „nach den Arabern“.

Das Jahr 1 der arabischen Zeitrechnung wäre damit das Jahr 622 unserer Zeitrechnung.

 

Zur Erinnerung: In diesem Jahr beginnt auch die islamische Zeitrech­ nung, die Zeit nach der Hidschra, das ist die Flucht des Propheten 622 von Mekka nach Medina. Warum bezieht sich Maavia nicht auf diese islamische Hidschra-Zeit - was für einen muslimischen Kalifen doch eine absolute Selbstverständlichkeit sein müsste ?

 

Das Jahr 622 ist ein bedeutendes Jahr in der Geschichte Arabiens. Es ist das Jahr, in dem der byzantinische Kaiser Herakleios das persische Heer vernichtend schlug. In dem darauf folgenden Diktatfrieden verlor Persien seine westlichen Provinzen von Mesopotamien bis Ägypten. Zugleich aber setzte Herakleios die schon in der „Themenkonferenz“ begonnene völlige Umstrukturierung des Reiches fort, in deren Verlauf Byzanz Positionen in Syrien und Ägypten aufgab. Diese Gebiete überließ er arabischen Emiren als tributpflichtigen Lehnsherren. Von Maavia wissen wir, dass er in der ersten Hälfte seiner Regierungszeit ein sehr enges Verhältnis mit Byzanz hatte, er war Statthalter.

 

Schon 614 hatten die Perser Jerusalem, 618 Ägypten besetzt. Als Statt­ halter hatten auch sie arabische Verbündete eingesetzt. Diese arabischen Vasallen im Westen jedoch, in Syrien, Ägypten und Palästina, überstan­ den die persische Katastrophe von 622 nicht nur unbeschadet, sie wur­ den dadurch praktisch von heute auf morgen zu Kriegsherren auf eigene Rechnung. Bedingt durch die persischen Einfälle, hatte sich ja Byzanz ungefähr auf die Nordgrenze des heutigen Syrien zurückgezogen aus ei­ nem Gebiet, das es nie wirklich beherrscht hatte. Der „Limes Arabicus“, die alte römische Südgrenze, war schon im 5. Jahrhundert aufgegeben worden. Selbst nach dem großen, aber eigentlich überraschenden Sieg gegen die Perser, und angesichts der permanenten Beanspruchung an der Nordgrenze, war Byzanz gezwungen, sich auf die Kerninteressen zu beschränken. Dieser byzantinische Rückzug befreite die Araber auch vom zweiten der Mühlsteine, zwischen denen sie sich befunden hatten. Sie brauchten nur das Machtvakuum auszufüllen, das der persische Kollaps und der byzantinische Rückzug hinterlassen hatten. Das taten sie, und es begann eine große arabische Ära, die erst durch die Mongolen im 13. Jahr­ hundert beendet werden sollte.

Das ist die politische Seite, aber sie ist ohne die theologische Kom­ ponente unvollständig: Die Perser hatten dem christlich-byzantinischen Reich Mesopotamien, Syrien, Palästina und sogar Kilikien abgenommen und das Kreuz Jesu aus Jerusalem weggetragen. Kein Zweifel, Persien war der Antichrist, dessen totalem Triumph in der Sicht und Logik der Zeit der Weltuntergang folgen würde. Auftreten müsste den Prophezeiungen nach aber auch als letzte Chance der Katechon, der „Aufhalter des Antichristen“. Dieser konnte nach dem glorreichen Sieg von 622 nur Byzanz sein.

Dieser Sieg hatte Alles auf den Kopf gestellt: Der Untergang war abgewen­ det, das Kommen der biblischen Gog und Magog (im Koran Yadschudsch und Ma dschudsch) war verhindert, jener letzten Plage der Menschheit, die der Dhul I-Qarnain, (der Alexander der Große des Korans, Sure 18:83-93) bis zum Zeitenende weggesperrt hatte. Mehr noch: Christus würde wieder­ kehren und Gerechtigkeit schaffen. Das Jahr 622 eröffnete in der Zeit der tiefsten Depression den Beginn einer neuen Ära, auch für die christlich­ arabischen Verbündeten, ohne die dieser Sieg nicht möglich gewesen wäre. Das ist das „Jahr der Araber“ in der Inschrift von Hamat Gader.

 

Auch auf Münzen jener Zeit stoßen wir auf diese Datierung. Jahrhun­ dertelang war diese dem Sonnenkalender folgende Zeitrechnung nach dem Jahr der Araber in Gebrauch, bevor sie in die legendenhafte Hidschra eines Propheten Muhamad umgedeutet wurde. Der so entstandene isla­ mische Kalender ist jedoch ein Mondkalender, die nachträgliche Umrech­ nung von Sonnen- auf Mondzeit führte zu einem heillosen Durcheinan­ der von historischen Datierungen, das die islamische Tradition bis heute kennzeichnet. Praktisch keine der Jahreszahlen der ersten Jahrhunderte der Hidschra-Zeitrechnung ist deshalb korrekt.

 

Maavia ist in islamischer Tradition ein islamischer Kalif. Aber nichts, was wir von ihm kennen, hat islamischen Bezug. Er zahlte dem Kaiser in Byzanz seine Abgaben, das Interesse an der Renovierung römischer Ther­ men weist ihn als Angehörigen syrisch-byzantinischer Mittelmeerkultur aus, ganz offensichtlich war er kein Beduine aus der Arabischen Wüste. Von einem islamischen Propheten namens Muhamad, der wenige Jahr­ zehnte vor ihm in seinem Reich gelebt haben soll und in dessen angebli­ chem Auftrag er gerade ein Islamisches Reich errichtete, wusste er nichts. Auf seinen Inschriften oder Münzen hätte er uns davon berichtet.

Maavia nennt uns seine Titel: Nicht ein einziges Mal ist aber der isla­ mische „Kalif“ dabei. Er nennt uns eine Jahreszahl: aber die entspricht nicht der Zeit nach der Hidschra. Er nennt uns sein Heiligtum: aber es ist nicht die Kaaba in Mekka, sondern die Basilika in Damaskus, die das Haupt Johannes des Täufers als Reliquie beherbergt. Die Münzen seiner Zeit weisen christlich-jüdische Symbole auf wie das Kreuz, das Agnus Dei (Lamm Gottes), das Kopfreliquiar Johannes des Täufers, den Felsen Jakobs oder das Wort „Zion“. Wie man aber christlich-jüdische Symbole einem islamischen Kalifen vernünftig zuschreiben will, bleibt das Ge­ heimnis traditioneller Interpreten.

Die Archäologie lässt keinen Zweifel: Der Aramäer Maavia war christlicher Herrscher, kein Kalif und auch kein „Omayade“. Im Übrigen kennen wir auch nicht seinen wirklichen Namen, Maavia ist lediglich sein Herrschername.

 

Um das Jahr 60 der Araber, also im Jahr 682 unserer Zeitrechnung, trat Abd al-Malik seine Herrschaft an. Er war arabischer Emir aus Marw

 

im heutigen Turkmenistan, damals persische Provinz, und residierte zunächst auf seinem Stammsitz. Durch den Kollaps des sassanidischen Herrscherhauses waren die Marwaniden, also die Emire aus Marw, im Osten an die Macht gekommen. Durch diese Ablösung geriet auch der Zoroastrismus ins Hintertreffen, zu den dominierenden Religionen34 wurden nun das syrische und nestorianische Christentum. Folgerichtig tragen auch die Münzen aus der Zeit Abd al-Maliks christliche Symbole35. Aber selbstverständlich war auch Abd al-Malik der traditionellen Lehre nach Kalif.

Auf Maliks Münzen taucht gehäuft das Wort muhamad auf. Nach tra­ ditioneller Lesart ist damit natürlich der Prophet „Muhamad“ gemeint. Aber die Fakten sprechen eine andere Sprache.

Wie Christoph Luxenberg, Spezialist für altorientalische Sprachen, überzeugend darlegt, ist muhamad keineswegs als Eigenname zu lesen. Es ist im Arabischen wie auch in der Hauptsprache der Zeit, dem Syro-Ara- mäischen, ein Gerundiv und bedeutet „der zu Preisende, der Gepriesene“. Muhamad war ein Titel und kein Name. Genauso verhält es sich mit dem ebenfalls häufigen abd Allah, das „Diener Gottes“ im Sinne eines Attri­ butes bedeutet und in diesem Zusammenhang nicht als Name gelesen werden könne. Gott heißt bei den arabischen Christen damals wie heute Allah und hat nichts mit dem spezifisch islamischen Allah zu tun.

Das muhamad-Motto ist vielfach nachzuweisen, es entstand in Persien und breitete sich von dort in die arabische Welt aus.

 

Es bleibt als Zwischenresümee festzuhalten, was wir bisher an harten Fak­ ten über die „islamischen Kalifen“ Maavia und Abd al-Malik gesammelt haben: Beide führten den Vorsteher der Schutzgewährer als wichtigsten Titel. Sie sahen sich in durchaus byzantinischer Tradition als servus dei, abd Allah in Arabisch, als „Diener Gottes“. Ihre Münzen und Inschriften waren mit Kreuzzeichen und anderen christlichen Symbolen versehen.

 

34  Im Osten des Persischen Reiches gab es auch buddhistische Einflüsse, auf welche die 2001 von den Taliban gesprengten Buddhastatuen von Bamiyan, Afghanistan zurückgehen.

35  Die Dominanz christlicher Symbole und Bezüge auf den Münzen des 7. und 8. Jahrhunderts, so der Numismatiker Volker Popp, könne nur Leute verwundern, die arabische Geschichte nach den literarischen Sekundärquellen des 9. Jahrhunderts beschreiben.

 

Und sie rechneten nach dem „Jahr der Araber“, das dem Sonnenjahr folgte und mit dem Jahr 622 begann, dem Jahr der arabischen Selbstständigkeit. Abd al-Malik“ verehrte einen muhamad, einen „zu Preisenden“.

 

Wer war aber der muhamad, der gepriesen werden sollte ?

Die Antwort findet sich unter anderem in einem Bauwerk, in dem es niemand vermuten würde: Im Felsendom zu Jerusalem, nach Mekka und Medina dem drittheiligsten Ort der Muslime, nach deren Tradition erbaut über dem Ort, von dem aus Muhamad auf seinem mit Flügeln und Menschengesicht ausgestatteten Schimmel Buraq in den Himmel aufgestiegen sein soll.

Abd al-Malik vollendete den Felsendom ausweislich seiner Inschrift im Jahr 72 der Araber, das heißt im Jahr 694 unserer Zeitrechnung. Kon­ struktion und Aufteilung entsprechen der einer byzantinisch-syrischen Kirche, versehen mit römischen Säulen und einer Kuppel, dem typischen Element römisch-byzantinischer Prachtbauten. Das Innerste ist weitge­ hend original erhalten geblieben, besonders das Schriftband, das sich auf 240 Meter Länge zweimal um das Oktogon zieht.

Man sieht in dieser Inschrift traditionellerweise die islamischen Grund­ formeln, obwohl eigentlich schon bei oberflächlichem - aber unvoreinge­ nommenem - Hinschauen Zweifel auftauchen müssten. Lange Zeit hat aber offenbar niemand unvoreingenommen hingeschaut. Der Sprachfor­ scher Christoph Luxenberg löste einen Tsunami in der Islamforschung aus, als er die Inschriften in der Sprache und den Wortbedeutungen der Zeit las, in der sie niedergeschrieben wurden. In der Sprache des Gründers, das Syro-Aramäische einbeziehend, kam er zu einer Lesart, die sich in zentra­ len Punkten von der traditionellen Übersetzung unterscheidet.

 

Die traditionelle Übersetzung lautet:

„Im Namen des gnädigen und barmherzigen Gottes. Es gibt keinen Gott außer Gott allein, er hat keinen Teilhaber, ihm gehört die Herrschaft und ihm gebührt das Lob. Er erweckt wieder zum Leben und lässt sterben. Er hat Macht über alle Dinge.

Muhamad, Sohn des Abd Allah, ist sein Gesandter. Gott und seine Engel streuen Segen über den Propheten aus. Ihr Gläubige bittet um Segen für

 

ihn und grüßt ihn würdig. Segen und Frieden Gottes sei auf ihm und Gott erbarme sich seiner.

Ihr Leute des Buches, übertreibt nicht in eurem Glauben und sprecht von Gott nur die Wahrheit. Der Messias, Jesus, Sohn der Maria, ist nur der Gesandte Gottes und sein Wort, das er in Maria legte, und ein Geist von ihm.

So glaubt an Gott und seinen Gesandten und sagt nicht Drei. Hört auf damit, es ist besser für euch. Gott ist nur ein einziger Gott, seine überirdi­ sche Majestät braucht keinen Sohn. Sein ist alles im Himmel und auf der Erde, und Gott genügt als Beschützer.

Der Messias ist nicht zu stolz, ein Diener Gottes zu sein, noch sind es die nahestehenden Engel. Und wer zu übermütig und zu stolz ist, den wird er bei sich versammeln.

Gott, segne Deinen Gesandten und Diener Jesus, den Sohn der Maria. Friede sei mit ihm am Tage seiner Geburt, seines Todes und seiner Auf­ erstehung. So ist Jesus, der Sohn der Maria, das ist die Wahrheit, die ihr bezweifelt. Es steht der Größe Gottes nicht an, einen Sohn zu zeugen, Preis ihm! Wenn er ein Ding beschließt, so spricht er nur zu ihm: Es sei! Und es ist.

Gott ist mein Herr und euer Herr. So dient ihm, das ist der richtige Weg. Bezeugt hat Gott, dass es keinen Gott gibt außer ihm. Und die Engel und

Weisen können das bezeugen. Er sorgt für Gerechtigkeit, er ist der einzige mächtige und weise Gott.

Siehe, die Religion Allahs ist der Islam. Und diejenigen, die die Schrift erhalten haben, wurden durch Ungehorsam uneins, nachdem das Wissen zu ihnen gekommen war. Und wer die Zeichen Gottes verleugnet, Gott ist schnell in seiner Abrechnung.“

 

Die Inschriften im Felsendom sind älter als alle uns bisher bekannten Koranausgaben. Die Schrift ist eine Frühform der arabischen Schrift und verfügt deshalb nur über einen minimalen Satz an Lesehilfen. Das Lesen selbst der traditionellen Version erweckt Verwunderung. Die Rede ist im Wesentlichen von Maria, Jesus und dem einen Gott. Wäre da nicht, je einmal, das Wort Muhamad und Islam - man käme nicht im Entfern-

 

testen auf den Gedanken, ein islamisches Glaubensbekenntnis vor sich zu haben.

Hier tritt Christoph Luxenberg auf den Plan. Er tut nichts weiter, als den Wörtern die Bedeutung zu geben, die sie in der Zeit ihrer Anbringung hatten. Auch hier, wie wir schon bei einigen Koranstellen gesehen haben, gibt seine Übersetzung plötzlich einen zusammenhängenden Sinn.

 

Die Kernpassagen im Vergleich:

Traditionelle Übersetzung: „Im Namen des gnädigen und barmherzigen Gottes..."

Wissenschaftliche Übersetzung - hier präzisiert Luxenberg lediglich:

„Im Namen des liebenden und geliebten Gottes“.

 

Aber dann kommt schon die erste Schlüsselstelle.

Traditionelle Übersetzung: „Muhamad, Sohn des Abd Allah, ist sein Gesandter..."

Wissenschaftliche Übersetzung: „Gelobt sei der Knecht Gottes und sein Gesandter..."

Luxenberg weist detailliert nach36, dass es sich bei muhamad um einen Gerundiv und keinesfalls um einen Vornamen handelt, dies wäre eine grammatische Unmöglichkeit. Die semantische Unmöglichkeit des Na­ mens Muhamad wird auch von Historikern anderer Disziplinen gestützt, demzufolge dieser Eigenname zu jener Zeit nirgendwo nachweisbar ist. Zahlreiche Münzfunde belegen zwar den Titel, aber nicht den Namen

„Muhamad“. Dasselbe gilt für abd Allah, den „Knecht Gottes.“ Er war At­ tribut, aber kein Name. Es gibt auch zahlreiche, bis ins frühe Christentum zurückreichende Nachweise von Jesus unter dieser Bezeichnung.

Eine ganz eindeutige Zuordnung nimmt die Sure 19:30 vor, worin das Jesuskind in der Wiege von sich sagt: „Ich bin der Knecht Gottes [„abd Al­ lah“], er hat mir die Schrift gegeben und mich zum Propheten gemacht.“

Niemand wird annehmen, dass Jesus von sich sagte, er heiße abd Allah.

 

36    Christoph Luxenberg, „Neudeutung der arabischen Inschrift im Felsendom zu Jerusalem“, in:

„Die dunklen Anfänge“, Berlin 2005.

 

Muhamad abdallah war aber zur Zeit der Schriftlegung auch nicht der Muhamad, Sohn des abd Allah - das kam viel später sondern der zu preisende Knecht Gottes.

Wer aber ist der zu preisende Knecht Gottes ?

Die Erklärung wird in der Inschrift gleich nachgereicht: Es ist Isa bin Maryam, Jesus, Sohn der Maria.

„Der Messias Jesus, Sohn der Maria, ist der Gesandte Gottes.“

Nach Luxenberg ist die traditionelle Übersetzung (nämlich: „Der Mes­ sias Jesus, Sohn der Maria, war nur ein Gesandter Gottes“) nicht nur eine simple Fehllesung, es ist eine linguistisch nicht zu rechtfertigende Manipulation. Ein falscher Satz!

 

Von besonderem Interesse ist die Fortführung des Satzes in der In­ schrift:

„Soglaubt an Gott und seinen Gesandten und sagt nicht Drei... denn Gott ist ein Einziger... Wie sollte er ein Kind haben, gehört ihm doch alles, was im Himmel und auf der Erde ist.“

Hier wendet sich der Verfasser Malik gegen die Dreifaltigkeit („Drei“), weshalb auch Jesus als Gesandter, nicht aber als Sohn Gottes betrachtet wird.

 

Die zweite Schlüsselstelle der Inschrift markiert folgender wörtlicher Satz:

„in(na) d-din(a) llah(i) l-islam ..."

In der islamisch-traditionellen Übersetzung lautet der Satz:

„Siehe, die Religion Allahs ist der Islam ..."

 

Din wird als „Religion“ interpretiert und Islam als der Name dieser Religion. Dies sehen Luxenberg und viele andere als eine typische Fehlinterpre­

tation späterer Jahrhunderte.

Das arabische din leitet sich formal und bedeutungsmäßig vom per­ sischen den ab. Und dieses din bedeutet im Verständnis der Zeit das

„Wahre, das Rechte“, im Gegensatz zur lateinischen religio, der Religion. Während die religio eine formale Beziehung zu Gott beschreibt, ist din der Glaubensgeist, der es möglich macht, das Richtige, auch die richtige

 

Religion, zu erkennen. Din ist also nicht die Religion selber, vielmehr ist die Religion eine Funktion des din.

Islam hat in der Zeit Maliks nicht als Name einer Religion existiert, wie es uns heute geläufig ist. Nirgendwo in zeitgenössischen Berichten, welcher Herkunft auch immer, ist islam als Religionsbezeichnung fest­ stellbar. Islam bedeutete in Maliks Zeit die „Übereinstimmung“: nämlich die Übereinstimmung mit den Schriften, und mit diesen sind das Alte Testament und die Evangelien gemeint. Um die Übereinstimmung mit den Heiligen Schriften zu bewerkstelligen, also „das Rechte zu erkennen und sich nicht verwirren zu lassen“, bedarf es des din. Die religio formt sich erst in Konsequenz daraus.

Erst als die in ein arabisches Evangelium zusammengeführten einzel­ nen Schriften sich später zum Koran verselbstständigten und eine eigene Religion zur Folge hatten, kann man von islam als Islam sprechen. Davon kann in der Zeit Maliks keine Rede sein.

Das heute gängige Verständnis von „Religion“ und „Islam“ ist in der Botschaft Maliks nicht enthalten, der Satz heißt also im Verständnis der Zeit seiner Niederschrift richtig:

„Als das Rechte gilt bei Gott die Übereinstimmung mit der Schrift ..."

Und weiter:

„... denn diejenigen, denen die Schrift gegeben wurde, sind erst in Wider­ spruch mit dem offenbarten Wissen geraten, indem sie disputierten ..."

Dies drückt die Ablehnung der zahlreichen Auslegungen und Kon­ struktionen auf den Konzilien aus, die die ursprüngliche Botschaft verwässert hätten und bei denen stets die Auffassung der Reichskirche dominierte.

„So sagt nicht Drei“ - dies ist das große Thema der Zeit37: Wie ist die Natur Jesu beschaffen ? War er Sohn Gottes ? Oder nur Gesandter ? War er

 

 

37  Die Kernfrage lautete: Ist Jesus Mensch, Gott, oder ist er beides? Die Monophysiten („eine Natur“) sahen in Jesus eine Person, die nur eine, nämlich eine göttliche Natur hatte. Dies ist die Position der koptischen Kirche. Während der Dyophysimus (Dyo = zwei) Jesus zwei Naturen zusprach, eine göttliche und eine menschliche, schränkte der Monotheletismus die menschliche Natur Christi insoweit ein, als dass sein Wille vollkommen von Gott gesteuert wurde. Die Monarchier hingegen sahen in Jesus eine Person, ... (weiter nächste Seite)

 

Mensch oder Gott ? Oder war er beides ? Wie konnte der logos, das göttli­ che Wort, in einen menschlichen Körper gelangen ? Fragen über Fragen! So entstand das in griechischer Denkart eigentlich logisch-fortschrittliche Konstrukt der Dreifaltigkeit. Mehrere Konzilien38 stritten sich darum und spalteten die orientalische Christenheit. Die byzantinische Reichs­ kirche wie auch die römische Kirche übernahmen dieses Dogma, nicht jedoch die arabische und die ägyptische Kirche. Deshalb warnt Abd al- Malik in seinem Bekenntnis vor den „Drei“. Gott braucht keinen Sohn und vermittelnden Geist, um die Menschen zu erreichen.

 

Der folgende Satz rundet mit der bekannten Jesusdarstellung von Geburt, Tod und Auferstehung das Glaubensbekenntnis Abd al-Maliks ab:

„Herrgott, segne deinen Gesandten und Knecht Jesus, Sohn der Maria. Heil über ihn an dem Tag, da er geboren wurde, an dem Tag, da ersterben, und an dem Tag, da er zum Leben auferweckt wird

 

Vollständig liest sich das Bekenntnis Abd al-Maliks aus dem Jahr 694 nun so:

„Im Namen des liebenden und geliebten Gottes. Es gibt keinen Gott außer

Gott allein, er hat keinen Teilhaber, ihm gehört die Herrschaft und ihm gebührt das Lob, er spendet Leben und er lässt sterben, er ist allmächtig.

Gelobt sei der Knecht Gottes und sein Gesandter. Gott und seine Engel sprechen Segen über den Propheten. Ihr, die ihr glaubt, sprecht Segen und Heil über ihn. Gott segne ihn, Heil über ihn und Gottes Liebe.

 

 

36 WEITER:... die zwar in enger Beziehung zu Gott steht, aber deswegen nicht göttlich ist. Dies ist das Konzept eines Propheten (rasul) und Verkünders für Gott (kalifatAllah). Das allerdings beschrieb in der Auffassung der meisten die Nähe Jesu zu Gott zu wenig und wurde deshalb als Häresie abgelehnt. Die griechische Orthodoxie und andere sahen in Jesus ebenfalls eine göttliche und eine menschliche Natur, postulierten aber als Mittler zwischen göttlichem und menschlichem Bereich eine geistige Kraft, den „Heiligen Geist“. Diese „Dreieinigkeit“, eine aus antiker Sicht mögliche Konstruktion, löste logische Probleme und konnte gleichzeitig den Einen Gott beibehalten. Es ging bei der ganzen Diskussion im Wesentlichen um semantische Probleme, bei denen sich die Inhalte verwischten und einer präziser Definition entzogen. In der heutigen Theologie spielen diese Unterschiede kaum noch eine Rolle, bestimmten aber über Jahrhunderte die theologische Diskussion.

38  Nikäa (325), Konstantinopel (381), Ephesos (431), Chalkedon (451).

 

Angehörige der Schrift, verfehlt euch nicht in eurem Urteil und sagt aus über Gott nur das Rechte. Denn Jesus Christus, Sohn der Maria, ist der Gesandte Gottes und sein Wort, das er der Maria eingegeben hat und sein Geist von ihm. So glaubt an Gott und seinen Gesandten und sagt nicht Drei, hört auf damit, es wäre besser für euch. Denn Gott ist ein Einziger - gepriesen sei er -, wie sollte er auch ein Kind haben, gehört ihm doch alles, was im Himmel und auf der Erde ist. Und Gott allein genügt als Beistand.

Christus wird es nicht missachten, Gottes Knecht zu sein, noch die Gott nahestehenden Engel. Wer aber es missachtet, ihm zu dienen, und sich überheblich verhält, jene wird er einst allesamt zu sich zitieren.

Herrgott, segne Deinen Gesandten und Knecht Jesus, Sohn der Maria, Wort der Wahrheit, über den ihr euch streitet. Gott gebührt es nicht, ein Kind zu adoptieren, gepriesen sei er: Wenn er irgendetwas beschließt, so braucht er nur zu sagen: Sei, und es wird. Gott ist mein Herr und euer Herr, so dienet ihm, das ist eine gerade Linie.

Gott hat gemahnt, dass es keinen Gott gibt außer ihm und die Engel, wie die Schriftgelehrten bekräftigen wahrheitsgemäß: Es gibt keinen Gott außer ihm, dem mächtigen und weisen.

Als das Rechte gilt bei Gott die Übereinstimmung mit der Schrift: Denn diejenigen, denen die Schrift gegeben wurde, sind erst in Widerspruch dazu geraten, indem sie untereinander disputierten. Wer aber die in der Schrift aufgezeichneten Worte Gottes verleugnet, den wird Gott schnell zur Rechenschaft ziehen.“

 

Diese Inschrift ist das Glaubensbekenntnis des Abd al-Malik - und zwar das typisch monarchische, das heißt strikt monotheistische Glaubensbe­ kenntnis der christlich-arabischen Kirche. Es wendet sich damit gegen das       Glaubensbekenntnis der       byzantinischen       Staatskirche.       Herakleios hatte sein Bekenntnis zur Dreifaltigkeit in seiner Basilika, der Hagia Sophia in Konstantinopel, anbringen lassen. Abd al-Malik brachte nun sein Glaubensbekenntnis in seiner Basilika, der Kirche am Tempelberg in Jerusalem, an.

Abd al-Malik war arabischer Christ, kein Kalif und auch kein „Oma- yade“.

 

Alleine der Nachweis, dass es sich bei muhamad um einen Gerundiv han­ delt und keinesfalls um einen Eigennamen, was sich auch durch Münzin- schriften und andere Texte belegen lässt, ist eine Erkenntnis mit enormen Konsequenzen.

Muhamad, der Gepriesene ist nämlich nichts anders als die arabische Version des griechischen Krästos und des lateinischen Christus, des Ge­ salbten:

Krästos, Christus, muhamad: dasselbe, derselbe, nämlich Jesus.

muhamad abd Allah ist der „gepriesene Gottesknecht.“ Die Lesung

„Mohammed ist der Knecht Gottes“ wäre genauso abwegig wie die Lesung benedictus qui venit in nomine domini („Gepriesen der da kam im Namen des Herren“) als „Benedikt, der kam im Namen des Herren.“

 

Diese Inschriften sind nach islamischer Tradition Verse aus dem Koran. Richtig ist gerade das Gegenteil. Sie sind älter als jeder bisher bekannte Koran oder Fragmente davon. Sie wurden ihrerseits als Verse in den Koran übernommen - es sei denn, man nimmt mit Luxenberg die Existenz eines aramäischen Urkorans an, in dem diese Texte bereits enthalten waren.

 

Dieses Kapitel ist eigentlich dem historischen Muhamad gewidmet, doch gab es bislang noch nichts von seiner Person zu berichten. Der Grund liegt darin, dass er historisch nicht fassbar ist. Wir wissen absolut nichts über ihn.

Demgegenüber stehen ganze Bibliotheken von religiösen Schriften im Sinne des Kapitels „Der Prophet Mohamed nach traditionellen Berich­ ten.“ Die frühesten Erwähnungen Muhamads tauchen 150 Jahre nach dem kolportierten Tod auf, das Gros 200 - 300 Jahre danach. Grundlage sind mündliche Überlieferungen. Selbst wenn man bei Personen, die vor langer Zeit lebten, mit Evidenzen statt Beweisen zufrieden sein muss, sind mündliche Überlieferung ausschließlich aus der religiösen Ecke selbst für eine Evidenz zu wenig. Im Koran kommt Muhamad praktisch nicht vor, Hadithe und die darauf fußende Sira (Lebensgeschichte) sind nach fast einhelliger Meinung indiskutabel als authentische Quellen.

Wir  haben  zahlreiche  archäologische  Hinterlassenschaften  aus  der

Zeit. Münzen, Inschriften, Bauwerke, Literatur. Aber nirgendwo findet

 

sich auch nur eine Spur der Erwähnung des Propheten Muhamad aus Mekka. Muhamads Truppen nehmen Herakleios noch zu Lebzeiten sein heiliges Jerusalem weg. Dieser bemerkt es aber gar nicht. Seine Nach­ folger, denen Muhamad Syrien und Ägypten wegnimmt, wissen offen­ sichtlich nicht, mit wem sie es zu tun haben, genauso wenig wie später die Spanier und all die anderen. Die Millionen unterworfener Menschen verschiedener Religionen sagen uns ebenfalls nichts von einem Propheten Muhamad. Eine einzige unsicher datierte „Mamahd“-Erwähnung - das ist alles, was wir von dem Propheten wissen.

Das alles ist zu wenig und nicht nachvollziehbar bei einer Persönlich­ keit, die in wenigen Jahren die gesamte existierende Ordnung des Orients politisch wie religiös über den Haufen geworfen haben soll. Wie hat man sich das bitte zu erklären ?

 

Der personifizierte Muhamad taucht also erst in der Literatur des 9. Jahr­ hunderts auf. Nach Dr. Abdallah Moussa von der Sorbonne ist Muhamad als Eigenname nirgendwo vor der Islamisierung feststellbar. Er hält die Exis­ tenz eines Eigennamens Muhamad bis dahin für unwahrscheinlich39.

Die Wurzel MHMD findet sich bereits auf Tontäfelchen aus dem

13. vorchristlichen Jahrhundert in Ugarit. Muhamad(un) bezeichnete die höchste Reinheit für Gold. Es entwickelte sich daraus die Bedeutung auserwählt, gepriesen, die so noch Jahrhunderte Gültigkeit hatte. Auch Ahmad geht auf dieselbe Wurzel zurück. Der Koran verwendet denn auch muhamad und ahmad synonym.

Die erste religiöse Manifestation des Titels zeigt sich im Osten des Persischen Reiches, wo um das Jahr 660 Münzen mit einem muahamad- Logo auftauchen. Dort, im heutigen Turkmenistan und Afghanistan, war der muhamad der „Gepriesene,“ der „Knecht Gottes“ (abd Allah) und der

„Sprecher Gottes“ (kalifat Allah). Keine auch irgendwie geartete Spur von der Präsenz des Muhamad auf der Arabischen Halbinsel zur selben Zeit.

Wir können mit großer Sicherheit  sagen,  dass der muhamad, der

„Gepriesene“, weit im Osten des Persischen Reiches entstanden war. Und

 

39 Claude Gilliot, „Zur Herkunft der Gewährsmänner des Propheten“, in: „Die dunklen Anfänge“, Berlin 2005.

 

nach erdrückender Beweislage war dieser „Gepriesene“ Jesus. Abd al- Malik brachte diesen muhamad abd Allah, den gepriesenen Gottesknecht, mit in den Westen seines Reiches und baute ihm in Jerusalem ein Mo­ nument am Tempelberg, wo er als mahdi, als Erlöser, am Jüngsten Tag wiederkommen sollte, um Gericht zu halten. Es gibt zahlreiche Münz­ darstellungen davon (mehr in einem späteren Kapitel).

„Muhamad“ war ein Titel, bevor er ein Name wurde, auch islami­ sche Schriften reflektieren dieses Bewusstsein. Nach Ibn Saad40 war der ursprüngliche Name des Propheten Qutham. Er habe später sechs ver­ schiedene Beinamen geführt: Muhamad (der Gepriesene), Ahmad (der Gepriesene), Kahtim (das Siegel), Haschir (der Erwecker), Akib (der Letzte der Propheten), Machiy (der Sündentilger). Dies ist ein ganz klares Titel­ konzept. Alois Sprenger schreibt bereits 186941: „In diesen Traditionen erscheint,Muhamad1 geradeso, wie die übrigen Benennungen, als Epithet [Attribut] des Propheten und nicht als Eigenname.“

In das Attributkonzept gehört nach Volker Popp auch der neutesta- mentliche Paraklet. Dieser ist der Tröster, abgeleitet vom griechischen Parakletos. Jesus hatte seinen Jüngern mehrfach einen Parakleten ver­ sprochen als Trost für seine temporäre Abwesenheit. Der Paraklet ist in Aramäisch, der Sprache Jesu, der mhamda. Basierend auf derselben Konsonantenwurzel MHMD, lässt sich der aramäische mhamda in Ara­ bisch ohne Weiteres als muhamad lesen. Der muhamad könnte sich so auch personifiziert nahtlos in Evangelien einpassen und als Prophezeiung verstanden werden. Das würde sich dann so gestalten:

Johannes 14,16. „... und er (mein Vater) wird euch einen anderen

Muhamad senden ..."

14,26. „Der Geist aber, der Muhamad, welchen euch mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch jegliches Ding lehren ...“

Johannes, 16,13. „... Es ist gut, dass ich gehe, weil, wenn ich nicht gehe, der Muhamad nicht zu euch kommt. Sobald ich aber gegangen bin, sende ich euch den Muhamad“

 

 

40  Ibn Saad (gest. 845), „Annalen“.

41 Alois Sprenger, „Das Leben und die Lehre des Mohammad nach bisher grösstentheils unbe­ nutzten Quellen“, Berlin 1869.

 

Zwar ist in der christlichen Theologie mit dem Parakleten der Heilige Geist gemeint, aber der Schritt vom mhamda zum Muhamad ist in einem

„häretischen“ Umfeld rasch getan. Ganz besonders in einer Zeit, die nach dem vorausgesagten arabischen Propheten gierte.

 

Die Frage nach dem historischen Propheten Muhamad hat sich im Um­ weg über den muhamad von selber beantwortet. Die Hadithe und die darauf basierende Vita des Propheten scheiden als historische Quelle für den Nachweis des Muhamad aus, darüber gibt es außerhalb der Religion weitestgehende Einigkeit. Der Koran sagt so gut wie nichts über den Pro­ pheten. Die Existenz des Korans selber aber als Beweis für die Existenz Muhamads anzuführen, spricht jeder Wissenschaftlichkeit, Logik und Methodik Hohn.

Außerreligiöse Quellen über Muhamad gibt es nicht. Und das bei ei­ ner Persönlichkeit, die die religiöse wie politische Ordnung der halben damaligen Welt in wenigen Jahren über den Haufen geworfen haben soll. Millionen Betroffene und Zeitzeugen erzählen uns nichts davon ? Wie hat man sich das vorzustellen ? Um das zu glauben, muss man, wie manch islamischer Historiker es mit großer Selbstverständlichkeit tut, Wunder bemühen. Und damit sind wir wieder bei Hadith-Qualitäten.

 

Wir haben keinerlei Evidenzen für die Existenz eines Propheten namens Muhamad, der von 570 bis 632 (oder ähnlich) gelebt und den Koran ver­ kündet haben soll. Das muhamad-Jesus-Konzept lässt sich hingegen viel­ fältig belegen.

Man mag durchaus eine religiöse Persönlichkeit, etwa einen Prediger, in der Arabischen Wüste annehmen. Nur hieß er nicht Muhamad und dürfte herzlich wenig mit der kolportierten Vita des Propheten zu tun haben. Schon möglich, dass er uns bisweilen seine Handschrift zeigt, etwa in den medinischen Suren, aber Kenntnis von seiner Person erhalten wir trotzdem nicht. Genauso gut könnte es sich um ein Team, ja sogar um eine Sekte handeln, die sich hinter dem Label „Muhamad“ verbirgt, oder einfach um eine erfundene Symbolfigur.

Die Ablehnung der physischen Existenz des Propheten Muhamad mag zunächst schockierend wirken. Aber der Schock relativiert sich schnell,

 

wenn man allein die Entstehungsgeschichte des Korans betrachtet: Eine einzige Person als exklusiver Präsentator fällt aus. Ohne Zweifel hatte der Koran eine vielfältige Entwicklungsgeschichte über einen langen Zeit­ raum hinweg und damit „viele Väter“.

Wir können selbstverständlich nicht die Nichtexistenz einer Person beweisen. Aber wir können die Beweise der Existenz einer Person prüfen. Und diese Prüfung fällt im Falle des Muhamad negativ aus. Wir stehen auch heute noch mit dem Nichts in der Hand, das Wissenschaftler von Weil über Goldziher und Blachere bis Luxenberg konstatieren. Jenseits der religiösen Behauptungen sind nicht einmal zarte Spuren des realen Erdenwandels des Propheten zu erkennen.

Der Prophet wird nicht mit Axthieben gefällt, wie mancher zu Unrecht annehmen mag, es ist vielmehr das Entwirren eines Knäuels jüdischer, christlicher und islamischer, kurz: semitischer Auffassungen über einen Retter, Erlöser, Heiland, Richter oder Propheten. Es handelt sich immer um das gleiche Erwartungsbild - verpackt in verschiedene Namen und Traditionen.

Die Person „Muhamad“ ist überhaupt nicht essenziell für die Entste­ hung von Buch wie Lehre. Viele (sehr) alte und moderne Muslime sehen das auch so.

Die Entwicklung des Islam ist in erster Linie prozessual zu sehen und nicht personenbezogen, wenngleich im Zuge einer Religionsbildung Per­ sonen als Botschaftsträger und Identifikationsfiguren unvermeidlich zu sein scheinen.

 

Die Sehnsucht der arabischen Christen nach einer eigenen Schrift mün­ dete nach einer langen und verwickelten Gestehungsgeschichte im Koran. Parallel dazu fand die Transformation vom muhamad zum Muhamad statt. Dieser war eine Notwendigkeit, denn wie hätten sich eigene - end­ lich eigene! - Offenbarungen sonst rechtfertigen lassen ? Und ein eigener arabischer Prophet aus dem Hause Abrahams war schließlich prophe­ zeit, das heißt von ganz oben zugesagt. Die gesamte damit zusammen­ hängende Tradition verlagerte sich erzählerisch in die Wüste Arabiens, Muhamad, der Prophet der Araber aus dem Stamme der Kuraisch, war geboren - 200 Jahre nach seiner „Geburt.“

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Foto: Dymon Lynch

Der Felsendom am Ort des salomonischen Tempels in Jerusalem

 

98                Norbert G. Pressburg | Good Bye Mohammed

 

 

 

 

 

Exkurs:

Die Kirche am Tempelberg

I I

Östlich an die Altstadt Jerusalems schließt sich ein Felsplateau von etwa 300 mal 450 Metern an, auf dem sich neben ein paar kleinen Gebäuden lediglich die al-Aqsa-Moschee und der Felsendom befinden. Der größte Teil der Fläche steht leer. Im 7. Jahrhundert war die Fläche ein einziges Trümmerfeld: Reste des Herodianischen Tempels, Reste eines Ju- pitertempels, Reste von tausend Jahren religiöser Nutzung. Trotzdem war dieser unwirtliche Ort mit religiösen Emotionen verbunden wie kaum ein anderer: Hier soll Abraham bereit gewesen sein, seinen Sohn Isaak Gott

zu opfern, und hier stand der Tempel Salomons.

Ausweislich seiner Inschrift wurde der „Felsendom“ im Jahr 72 arabischer Zeitrechnung vollendet: „Dieses Heiligtum hat der Knecht Gottes, der Imam al-Mamun, Oberster Schutzgewährer, im Jahre 72 erbaut. Möge Gott ihn annehmen und Gefallen dran finden, Amen. Könige der Welt, lobpreiset Gott.“

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Nach der damals gängigen Zeitrechnung kata Araba entspricht das Jahr 72 dem Jahr 694. Es werden aber auch andere Jahreszahlen genannt. Diese entstanden durch die Umrechnung aus der Hidschra-Zeit, die ja auf einem Mondkalender beruht und dementsprechende Ungenauigkeiten aufweist.

Unstrittig ist, dass Mamun nicht der Erbauer war. Vielmehr hat er über 100 Jahre später den Namen des wirklichen Erbauers Abd al-Malik entfernen lassen und dafür seinen eingesetzt, die Jahreszahl behielt er bei42. Erbauer war also Abd al- Malik, und er vollendete sein Projekt im Jahr 694.

42 Möglicherweise stammt die Änderung nicht von Mamun selber, sondern wurde noch später vorgenommen.

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Die Wahl des Ortes war eindeutig: der exakte Platz des Salomoni­ schen Tempels. Der Baustil repräsentiert die typisch syrisch-byzanti­ nische Kirchenarchitektur. Grundstruktur ist ein auf Säulen ruhender Zylinder, eingeschossig oder, je nach Höhe, mit einem weiteren Säu­ lenrundgang versehen. Der Zylinder wird mit einer Kuppel überwölbt, dazu kommen bei Bedarf weitere Zubauten. Im Falle des Felsendoms umschließt der Zylinder ein Stück blanken Felsens, der wohl als der Fels des Isaak-Opfers angesehen wurde. Diesen Kern umschließen nach außen hin zwei Säulenumgänge, die den achteckigen Grundriss des Gebäudes definieren. Die Säulen sind in verschiedenen antiken Stilen ausgeführt und teilweise sogar von verschiedener Länge. Das heißt, es handelt sich um Zweitverwendungen aus bestehenden Gebäuden oder aus Ruinen. Ursprünglich dürfte der Bau offen gewesen sein. Die Gläu­ bigen befanden sich auf dem großen Areal um das Gebäude herum und konnten von dort aus die Zeremonien verfolgen, denn die Besucherschar muss zu bestimmten Anlässen, etwa der jährlichen Pilgerfahrt, sehr groß gewesen sein.

Der Dom ist kein architektonisch originärer Entwurf, sondern orien­ tiert sich an zahlreich existierenden Vorläufern.

Da ist die Auferstehungskirche am Ölberg, die Kirche der Maria Theo- tokos am Berg Garizim bei Nablus, die Kirche Kathisma („Sitz“) der Jung­ frau unweit Jerusalems (ebenfalls um einen Stein gebaut), eine Kirche in Busra, Syrien, weitere in Caesarea und in Kapernaum am See Geneza- reth, mutmaßlich an der Stelle des Hauses von Petrus. Verbreitung fand dieser Kirchentyp bis Italien (San Vitale in Ravenna) und sogar Spanien (Las Vegas de Pueblanueva). Auch die Kirche des Sergios und Bakchos in Istanbul („Kleine Hagia Sophia“), die Modell für die große Hagia So­ phia gewesen sein soll, ist in diesem Stil erbaut. Es handelt sich also um einen in der römisch-byzantinischen Welt geläufigen Typus. Alle diese Kirchen wurden zwischen dem 3. und 6. Jahrhundert gebaut, sie haben dieselben architektonischen Elemente, und sie weisen wie der Felsendom einen achteckigen Grundriss auf.

Das Oktogon entstammt der religiösen Zahlenmystik und symbolisiert die Auferstehung Jesu am Tag nach dem Sabbat, als achter Schöpfungstag die Schöpfung vollendend. Die Acht war daher in der mittelalterlichen

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Theologie die Zahl der Vollendung. Dementsprechend waren die Gläubi­ gen unter diesem Symbol auf dem Weg zur Vollendung. Präzise dieselbe achteckige Grundstruktur mit einem kuppelgekrönten Zylinder darüber hat die Pfalzkapelle Kaiser Karls des Großen in Aachen aus dem Jahr 790. Beide Herrscher, Abd al-Malik wie Karl der Große, sahen sich im Stile frühmittelalterlich-christlicher Herrscher als Nachfolger Davids in Stellvertretung Christi. Auch wenn der Baumeister der Pfalzkapelle mit der fast baugleichen Kirche San Vitale in Ravenna ein näher gelegenes Studienobjekt zur Verfügung hatte, muss ihm der Felsendom bekannt gewesen sein, denn er baute die Kapelle als „Abbild des Himmlischen Jerusalem“.

 

 

 

 

Links: Grundriss der Kapelle über dem Haus Petrus' in Kapern au m

 

Rechts: Grundriss der Auferstehungskirche am Ölberg (4. Jh.)

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Links: Grundriss von „Kathisma der Jungfrau“ (Nähe Jerusalem, 5. Jh.)

 

Rechts: Grundriss des Felsendoms (7. Jh.)

 

 

 

 

In islamischer Tradition baute der islamische Kalif und Omayade Abd al-Malik den Felsendom als Moschee. Die neueste Forschung sieht Abd al-Malik jedoch als christlich-arabischen Herrscher und den Felsendom

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dementsprechend als christlichen Sakralbau. Oleg Grabar43, einer der besten Kenner des Felsendomes, schließt eine Moschee als Zweck des Baues aus und sieht darin „eine Art Sakralbau“. Er spricht von einem

„Paradoxon“, weil sich Widersprüche in der Interpretation als islamischer Bau nicht auflösen ließen. Sie lösen sich auf, wenn man im Felsendom einen christlichen Bau sieht.

Jerusalem ist damals wie heute eine Stadt der Kirchen. Aber die Kir­ chen damals waren jene der „Falschgläubigen“ aus Abd al-Maliks Sicht. Ihnen wollte er, der sich, wie belegt, in der wahren Tradition Zions sah, ein Monument des wahren Glaubens, ein haram, an unübersehbarer Stelle entgegenstellen, am Tempelberg. In der Kirche ließ er als Antwort auf die Ekthesis, auf das in der Hagia Sophia angebrachte Glaubensbekennt­ nis der byzantinischen Reichskirche mit dem Bekenntnis zur Dreifaltig­ keit, seine Sicht des richtigen Glaubens anbringen. Traditionellerweise als Koranverse gesehen, sieht die moderne Forschung in dem 240 Meter langen Schriftband auf beiden Seiten des Oktogons ein klares christlich­ arabisches Bekenntnis monarchischer Ausrichtung.

Mit der Etablierung des Islam nahm die Bedeutung des haram am Tempelberg ab und trat hinter Mekka und Medina zurück. Trotzdem begannen  sich  islamische  Legenden  mit  Jerusalem  zu  verbinden.  Im

11. Jahrhundert entstand die Tradition, wonach Muhamad vom Ort des Felsendoms mit seinem Pferd buraq mit dem Menschenkopf und den Flügeln in den Himmel aufgestiegen sei. Wahrscheinlich ebenfalls im

11. Jahrhundert erhielt das haram das obligatorische mihrab, in dem Fall eine Platte, die die Richtung nach Mekka anzeigt. Das mihrab wurde je­ doch nicht in der Moschee selbst angebracht, sondern in einer Höhle des Felsens darunter. Es gibt bislang keine befriedigende Erklärung dafür.

 

Für die Kreuzritter war das Gebäude einfach der „Tempel Gottes“ (temp- lum dominf), an den sich alttestamentliche Erinnerungen knüpften und der einen Platz bezeichnete, an dem auch Jesus gewirkt hatte. Als origi­ näre Moschee wurde der Dom nicht wahrgenommen, man glaubte, dies sei der ursprüngliche Tempel aus der Zeit Christi. Einfluss nahmen die

 

43  Oleg Grabar, „The Dome of the Rock“, London 2006.

 

Kreuzritter wenig, der zweite Fels Jerusalems, Golgotha mit der Grabes- kirche, hatte einen höheren Stellenwert.

Unter den die Kreuzritter ablösenden Ayyubiden wurde der Felsendom zu einem islamischen Heiligtum. Wenig hat sich in der Folgezeit unter den Fatimiden und Mamelucken geändert, man führte allfällige Renovie­ rungen aus, änderte aber nichts an der Struktur. In der Mameluckenzeit war man der Meinung, die Kreuzritter hätten den Dom gebaut, um den einer verbreiteten Legende nach schwebenden Felsen darunter zu bän­ digen. Unter den Osmanen, namentlich unter Suleiman dem Prächtigen (1520 - 1566), fanden größere Umgestaltungen statt. So ersetzte der Sultan die Außenfassade vollkommen und kleidete sie mit Kacheln ein. Auch im Inneren wurden viele Ausarbeitungen vorgenommen, die Substanz jedoch nicht verändert. Von 1875 bis 1960 geschah überhaupt nichts mehr. Zwi­ schen 1960 und 1962 wurden sämtliche Kacheln aus der osmanischen Zeit entfernt und neue angebracht, 1990 erfolgte eine weitere Umgestaltung.

So wie sich der Felsendom heute präsentiert, ist er ein Werk des 20. Jahr­ hunderts. Wir wissen nicht, inwieweit dieses Aussehen dem zur Zeit sei­ ner Gründung entspricht. Wahrscheinlich nicht sehr viel. Nicht verändert wurde jedoch die Grundstruktur und der einzig erhaltene Teil aus der Zeit Maliks: die Säulen mit dem mosaiküberzogenen Stützwerk, auf dem das originale Schriftband läuft - das Glaubensbekenntnis Abd al-Maliks.

 

Gebaut wurde der Felsendom sicher nicht als Moschee, sondern als Kir­ che. Aber nicht als Kirche für den Alltag, vielmehr bezeichnete der Felsen­ dom als Zentralpunkt christlich-arabischer Religiosität den Ort, wo der Erlöser herabsteigen würde. Auch in der Zeit islamischer Herrschaft wurde der Dom nicht als Gebetshaus wahrgenommen. Mit vielen Geheimnissen und Mythen versehen, war das Haram al-Sharif in erster Linie der Ort der Himmelfahrt Muhamads. Allgemeiner Gebetsort war stets die al-Aqsa-Mo- schee gegenüber. Touristen zeigte man bis vor Kurzem den wahren Standort der Wiege Jesu (nämlich in der Südostecke des Areals) und verriet ihnen weitere Geheimnisse aus der biblischen und christlichen Vergangenheit des Ortes - das ist inzwischen unterbunden. Seit etwa einem Jahrzehnt ist der Felsendom das, was er niemals in seiner Geschichte war: eine aktive Mo­ schee. Und er wurde zum Symbol des palästinensischen Nationalismus.

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Trägerelement des Oktogons mit der kufischen Inschrift Abd al-Maliks. Die Mosaike sind typisch römisch-byzantinischer Stil, die Motive jedoch persisch.

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Das Innere des Felsendoms (links) und der Pfalzkapelle Karis des Großen in Aachen (rechts). Der Grundaufbau ist identisch.

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Wohnburg aus Marw, Turkmenistan, /Jahrhundert (oben). Das ostpersische Marw, hervorgegangen aus dem antiken Antiochia Margiane, war Stammsitz der christlichen Marwaniden, die als „ Omayaden“ bekannt wurden. Herrscher ihrer Dynastie bauten den Felsendom in Jerusalem, die Johannesbasilika in Damaskus, heute „Omayaden Moschee“ genannt (unten) und die Mezquita in Cordoba (siehe St.205).

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Die Metamorphose:

Von Jesus zu Muhamad

 

„In den Adern des Propheten fließt Tinte - auch die der europäischen Orientalisten. “

Karl-Heinz Ohlig, Religionswissenschaftler

 

 

Die Geschichte des Vorderen Orients in der ersten Hälfte des nach­ christlichen Jahrtausends prägte der Dauerkonflikt zwischen Persien und dem Byzantinischen Reich. Es gab direkte Begegnungen auf dem Schlachtfeld, meist aber waren es Stellvertreterkriege, denn beide Mächte unterhielten ein Netzwerk von arabischen Bundesgenossen, die oft genug

die Seiten wechselten.

Unter Arabien verstehen wir heute die Arabische Halbinsel. In der Antike und im Mittelalter umfasste Arabien Syrien, Palästina und Meso­ potamien, manchmal mehr, manchmal weniger. Die Arabische Halbinsel war damit nicht gemeint. Allerdings war der nordwestliche Teil durch das Reich der Nabatäer, hellenisierten Arabern, an die Kultur des Mittel­ meeres angebunden.

Dieses alte Arabien war ein politischer und religiöser Druckkochtopf. Nicht aus Zufall entstanden hier drei der fünf Weltreligionen. Juden, griechische, babylonische, asiatische Heiden, Melkiten, Jakobiner, syri­ sche Christen, koptische Christen, Katholiken, Nestorianer, Zoroastrier, Buddhisten und andere mehr standen in stetigem Wettstreit. Sozusagen täglich tauchte an jeder Ecke ein Heilsverkünder, ein Gottgesandter, ein Messias, ein neuer Prophet auf. Ständig stand man unter dem Druck des unmittelbar bevorstehenden Weltunterganges, auf den man richtig vor­ bereitet sein musste.

Die einzelnen Fraktionen hatten ihre eigenen religiösen Texte, die je­ weils diskutiert, angegriffen, verteidigt wurden. Besonders heftig waren diese Auseinandersetzungen um die „wahre Lehre“ zwischen den einzel­ nen christlichen Fraktionen.

 

Der Zentralpunkt war hierbei die Frage nach der Natur Jesu. Die Dis­ kussion           wurde           sowohl    auf           griechisch-philosophischem           Nadelspitzni­ veau als auch handgreiflich ausgetragen44. Für die Monophysiten hatte Jesus nur eine göttliche Natur, für andere, die Monarchier, war Jesus zwar ein Gesandter Gottes, aber trotzdem nur Mensch, und für wieder andere war Jesus Sohn Gottes und hatte neben seiner menschlichen auch eine göttliche Natur. Das waren die Fragen, die die Menschen des Nahen Ostens über Jahrhunderte in einer für uns Heutige kaum nachvollziehbaren Intensität beschäftigten, hing davon doch ihr Seelen­ heil bei der ständig erwarteten Rückkehr des Messias ab, der mit dem Flammenschwert über sie Gericht halten würde. Das Lebensgefühl war, in der Endzeit zu leben.

In zahlreichen Konzilien, auf denen diese Glaubensfragen heftig diskutiert wurden, namentlich Nikäa im Jahr 325 und Chalkedon im Jahr 451, wurde die „Trinitätslehre“, die Lehre von der „Heiligen Drei­ faltigkeit“, zum offiziellen Dogma erhoben. Dies trennte die arabischen Christen vom Hauptstrom.

 

Eine gewisse räumliche Trennung hatte indes schon früher stattgefun­ den.

Allgemeine Kriegspraxis im Orient war die Ermordung und/oder Verschleppung der Besiegten. Wer die Schlachten und das nachfolgende Schlachten überlebte, wurde abtransportiert und zu den verschiedensten Arbeitsprojekten in den eigenen Provinzen herangezogen. Bekannt ist die Verschleppung der Israeliten durch Nebukadnezar nach Babylon. Die drei großen Kriege Schapurs I. endeten in riesigen Verschleppungswellen der Bevölkerung aus dem heutigen Syrien und Irak: So wurde der Bischof von Antiochien an der syrischen Mittelmeerküste mitsamt seiner Gemeinde nach Khuzistan verschleppt und für den Bau der neu zu gründenden Stadt Gundeschabur herangezogen. Eine weitere zerstörte und umgesiedelte

 

 

 

44  Etwa am Konzil von Ephesos (431), das als „Räubersynode“ in die Geschichte einging. Ehrwür­ dige Kirchenväter gingen aufeinander mit Fäusten und Stöcken los, zur Durchsetzung der wahren Lehre wurden Schlägertrupps angeheuert.

 

Stadt war die nordmesopotamische Zentrale Hatra, zwischen Euphrat und Tigris gelegen45.

Die Bewohner dieses Gebietes, der Dschasira („Insel“), wurden Arabi genannt, „die Bewohner des Westens“, vom Land jenseits des Tigris aus gesehen. Hier wird der Begriff „Araber“ erstmals manifest, aber er ist nicht mit dem uns heute geläufigen Begriff deckungsgleich.

Die Arabi sprachen syro-aramäisch. Man kann mit Sicherheit anneh­ men, dass sie auf dem Weg in die persische Diaspora auch ihre heili­ gen Bücher mitnahmen, die „Peschitta“, die aramäische Bibel und das

„Diatessaron“, das aramäische Evangelium. Eine weitere Verschleppungs­ welle erfolgte unter Chosrau I., der 540 erneut die gesamte Bevölkerung Antiochiens in den Osten verschleppte und sie die Stadt Veh-Antiokh-i- Chosrau („Das bessere Antiochien des Chosrau“) bauen ließ. Die Depor­ tierten setzten ihr religiöses Leben in Persien fort.

 

Im 7. Jahrhundert nahmen die Auseinandersetzungen zwischen Persien und Byzanz den Charakter eines religiösen Krieges an. 613 gab es einen neuen Vorstoß Persiens in Richtung Westen. Chosrau II. besetzte Syrien und eroberte 614 Jerusalem. Er zerstörte demonstrativ die Grabeskirche und nahm die Reliquie des Heiligen Kreuzes als Trophäe mit sich. 619 eroberte er Ägypten.

Dies konnte Byzanz nicht hinnehmen. Kaiser Herakleios brach mit einem Heer gegen Persien auf. Unter der persönlichen Führung des Kaisers - eine absolute Rarität in der Spätantike - kam es 622 in Armenien zur Schlacht, in der das persische Heer vernichtend geschlagen wurde. Im folgenden Jahr nahm Herakleios die Stadt Ganjak ein und ließ als Revanche für Jerusalem den dortigen Feuertempel zerstören. Es folgten weitere Schlachten, die zum vollständigen und triumphalen Sieg von Byzanz führten.

Der immer noch friedensunwillige Chosrau wurde von seinen eigenen Leuten ermordet, sein Sohn Siroe schloss Frieden mit Byzanz. Im darauf fol­ genden „Ausgleich“ bekam der Kaiser zwar seine arabischen Gebiete - die er niemals wirklich beherrscht hatte - nominell zurück. Aber im Rahmen

 

45    Die Lücken wiederum wurden des Öfteren gefüllt durch mehr oder weniger erzwungene Umsiedelungen aus Griechenland und dem Balkan.

 

der vollkommenen Neuordnung des Byzantinischen Reiches (der „Themen­ konferenz“) hatte sich Herakleios bereits entschieden, Syrien und Mesopo­ tamien als Reichsgebiet aufzugeben, behielt jedoch einige Städte und alle Häfen unter seiner Kontrolle. Die dringend gebotene Konsolidierung seines Kerngebietes hatte absoluten Vorrang, denn im Westen kämpfte das Reich um seinen Bestand. Schon 618 hatte der aus Nordafrika stammende He­ rakleios sich mit dem Gedanken getragen, Konstantinopel als Hauptstadt aufzugeben und von Sizilien aus zu regieren. Ein Volksaufstand und der Klerus brachten ihn davon ab; die Kirche musste allerdings seinen Feldzug finanzieren, den er 628 siegreich abschloss und 630 mit der feierlichen und persönlichen Rückführung der Kreuzesreliquie nach Jerusalem krönte.

 

Es war kein gewöhnlicher Feldzug gewesen, sondern der erste Kreuzzug der Geschichte, der Kampf der Christen gegen die Feueranbeter. Trotz gewisser religiöser Unterschiede hatten die Arabi mit Herakleios sympa­ thisiert. Mehrfach belegte Vergleiche machten die Runde mit Chosrau als Pharao im alttestamentlichen Sinne, der die Kinder Ismaels verschleppt habe, und die nun heimgeführt würden46. Die Christen Persiens sahen He­ rakleios deshalb als ihren natürlichen Verbündeten. Nach der Niederlage zerfiel das Persische Reich in Fürstentümer, auch in solche der Arabi.

 

Zum einen lag die Autorität der persischen Zentralmacht in Scherben, zum anderen war mit dem Tod des Herakleios 641 die Bündnissituation aus dem großen, glorreichen Krieg beendet. Die arabischen Emire, durchwegs Chris­ ten, hielten nun die eigentliche Macht in Persien in der Hand. Hierfür lassen sich zahlreiche archäologische Belege finden, etwa die Münzprägungen der verschiedenen Emire, viele mit einem christlichen Bezug im Münzbild.

Die persische Hegemonie in Mesopotamien, Syrien und Ägypten war auf regionale Vasallen gestützt gewesen. Die Niederlage gegen den Kaiser hatte zwar die persische Hauptmacht und das sassanidische Herrscher­ haus vernichtet, die Emire von Mesopotamien bis Ägypten jedoch unbe­ schädigt gelassen. Byzanz behielt als starke Seemacht lediglich die Häfen sowie einige wenige religiös wichtige Orte wie Jerusalem und Damaskus

 

46  Auch der Koran bezeichnet den Perserkönig irrtümlich (?) als „Pharao".

 

und schloss im Stile der altbekannten foederati Vasallenverträge mit lo­ kalen Fürsten. Herakleios hatte auch versucht, einen theologischen Aus­ gleich mit dem Osten zu erzielen, aber seine Kompromissformeln waren abgelehnt worden. Es half auch nichts mehr, dass sein Nachfolger Kons­ tans II. die Ekthesis, die Glaubensformeln, die 646 sogar zu Aufständen in Nordafrika geführt hatten, aus der Hagia Sophia entfernen ließ.

 

Praktisch von einem Tag auf den anderen waren die arabischen Emire jetzt ihre eigenen Herren, sie waren plötzlich Teil einer Großmacht, und das ohne großen Kampf. Kein Wunder, dass die Christen in Ägypten oder Syrien kooperierten: Sie hatten es nun nicht mehr mit Feueranbetern oder der ver­ hassten Reichskirche zu tun, sondern mit Leuten, die ihre Religion teilten.

Das Land von Ägypten bis Persien war nun plötzlich arabisch dominiert, man war wie durch ein Wunder den Schraubstöcken Byzanz’ und Persiens entronnen. Der Antichrist war besiegt, der Weltuntergang vertagt, eine neue Ära war angebrochen, die in der Wiederkunft Christi gipfeln würde. Das Jahr 622 wurde so zur wichtigsten Jahreszahl des frühen Arabiens. Es wurde als so wichtig und einschneidend begriffen, dass man das Jahr des Sieges der Christen über die Feueranbeter und der damit verbundene Aufstieg der Araber als der Beginn einer neuen Zeitrechnung festsetzte (wobei das byzantinische Steuerjahr weitergeführt wurde, was der Wissen­ schaft ein unschätzbares Instrument an die Hand lieferte). Diese arabische Zeitrechnung (griechisch: kata Araba) folgte dem Sonnenkalender.

 

Nach der islamischen Tradition war ein arabischer Prophet namens Mo­ hammed 622 von der Stadt Mekka nach Medina geflohen, und dieses Datum hatte den Beginn einer neuen islamischen Zeitrechnung mar­ kiert. Diese folgte dem Mondkalender. Nur, niemand benutzte diesen Mondkalender, sondern den Sonnenkalender „nach der Zeit der Araber“. Nirgendwo ist der Name des Propheten noch der seiner neuen Religion genannt. Nach islamischer Tradition hatte Muhamad einen Brief an Kai­ ser Herakleios gesandt mit der Aufforderung, zum Islam überzutreten. Aus byzantinischen Quellen wissen wir nichts über dieses Angebot. Nicht weiter verwunderlich, denn wir können mit großer Sicherheit annehmen, dass Herakleios von dem Gründer einer völlig neuen Religion, der ihm

 

noch zu Lebzeiten sein halbes Reich und seine heiligen Stätten wegge­ nommen haben soll, nie gehört hatte. Seine Schreiber und die Betroffenen hätten uns mit Sicherheit davon erzählt.

 

Nach dem Zusammenbruch bzw. dem Rückzug der Hauptmächte brach eine unruhige Zeit an, die durch die Positionskämpfe der einzelnen Emire gekennzeichnet war. Die islamische Geschichtsschreibung stilisiert diese internen Positionierungs-Scharmützel zu einem glorreichen Eroberungs­ krieg der Muslime. Die wissenschaftliche Geschichtsforschung weiß al­ lerdings nichts vom Sieg der Muslime bei Gabitha, auch die „große Ent­ scheidungsschlacht“ am Jordan (Yarmuk) der Muslime gegen Byzanz ist unbelegt. 639, also noch zu Lebzeiten(!) des Herakleios, sollen die Wüs­ tenkrieger Muhamads Damaskus erobert haben - auch dafür gibt es nicht den geringsten historischen Beleg. Nach islamischer Tradition soll 640 Amr ibn As mit der grünen Flagge des Propheten an der Spitze eines mus­ limischen Heeres in Kairo eingezogen sein - und auch darüber schweigen sich die Quellen der Zeit aus. Es existiert allerdings von Abd al-Maliks Bruder Aziz, Emir in Ägypten, eine auf das Jahr 690 datierte Inschrift an einer Brücke von Fustat (Alt-Kairo), die mit der Floskel „Amen“ endet.

Der Erste, der die Chance zur Gründung eines neuen Großreiches, das Persien und die ehemaligen arabischen Besitzungen Byzanz’ umfassen sollte, wahrnahm, war Maavia. Eine Neuauflage des Persischen Reiches unter Einschluss der Araber, nichts weniger strebte er an, beinhaltete na­ türlich die Wiederaufnahme des sassanidischen Kampfes gegen Byzanz.

662 kehrte Kaiser Konstans II. seiner Hauptstadt Byzanz den Rücken. Nicht nur hatte er sich mit der gesamten östlichen Christenheit zerstrit­ ten, seine höchst kaiserlichen Auffassungen wurden zu allem Überfluss auch noch von Maximus dem Bekenner, dem prominentesten Theologen seiner Zeit, als Häresie abgekanzelt (was dieser allerdings mit der lebens­ langen Verbannung auf die Krim bezahlte).

Konstans II. also machte die Drohung des Herakleios wahr und ver­ legte seine Residenz nach Syrakus auf Sizilien - dem östlichen Reich drohte somit Vernachlässigung.

Im selben Jahr, 662, wurde Maavia in Darabgerd, Südiran, zum Amir al-Muminin gewählt. In dieser Eigenschaft herrschte er bald über Persien

 

und den ehemals byzantinischen Osten. 663 nahm er in persischer Tra­ dition wieder Kriegszüge gegen den Westen auf.

Maavias Residenz war Damaskus mit dem wichtigsten Heiligtum und Pilgerzentrum der Zeit, der Johannesbasilika mit dem Haupt Johannes des Täufers als Reliquie. Die wichtigste Inschrift, die von Maavia erhalten ist, haben wir bereits oben kennengelernt, den Stein von Gadara (Israel), eine griechische Inschrift, mit dem Kreuzzeichen beginnend, die seinen Titel nennt: Amir al-Muminin. Exakt derselbe Titel findet sich von ihm in Per­ sien in persischer Sprache. Wie wir gesehen hatten, bedeutet er „Oberster Schutzgewährer“, die gängige Übersetzung „Führer der Gläubigen“, womit wie selbstverständlich Muslime gemeint sind, ist ohne irgendeine Basis. Maavia war ursprünglich Verbündeter und Lehnsherr des Kaisers, wurde aber zum Verräter, weil er als Byzantinerfreund die Unterstützung im per­ sischen Teil seines Reiches verloren hätte. Maavia prägte auch Münzen in Jerusalem, die Figuren mit dem Kreuzglobus in der Hand darstellen.

 

Maavia ist unter dem Namen Muawiya eine der wenigen historisch fass­ baren Personen im bunten Reigen traditioneller Darstellungen des frühen Islam. Die Wissenschaft weiß nichts Gesichertes über seine Herkunft, die islamische Geschichtsschreibung aber weiß es: Muawiya sei 603 in die einflussreiche Sippe der „Omayaden“ vom Stamme der Kuraisch in Mekka geboren worden, 630 sei er zum Islam konvertiert und habe dem Propheten als Sekretär gedient. Dann sei er zum Kalifen von Medina er­ nannt und 639 vom Kalifen Umar als Statthalter von Damaskus eingesetzt worden. Unter seiner Führung seien die Feinde des Islam besiegt worden, dazu sei er aus mehreren Schlachten siegreich hervorgegangen, was ihm das Kalifat eingebracht, allerdings auch zur Abspaltung der Schiiten unter dem „rechtmäßigen Kalifen“ Ali geführt habe ...

 

Zu den Fakten:

Die Schwäche der Perser war die Seekriegsführung gewesen, weshalb sie letztlich immer vor Konstantinopel - wie auch früher schon vor Athen - gescheitert waren. Maavia hatte nun durch den Besitz Ägyptens und Küs­ tensyriens die Möglichkeit, eine Flotte einzusetzen. Nach der schrittweisen Eroberung einzelner Inseln auf dem Weg nach Konstantinopel errichtete er

 

672 eine Flottenbasis in der Nähe der byzantinischen Hauptstadt, und als er 674 zum Angriff schritt, erlitt er eine fürchterliche Niederlage vor den Mau­ ern der Stadt. Der Feldzug endete in einem Desaster, trotzdem machte nach islamischer Darstellung der „Kalif Muawiya“ das Byzantinische Reich tri­ butpflichtig für die Muslime. Genau das Gegenteil ist wahr. Maavia musste sich den Frieden mit Byzanz erkaufen und erklärte sich zu einem jährlichen Tribut von 3 000 Goldstücken nebst Sklaven und Pferden bereit.

Dies brachte eine starke Opposition im Osten zustande, die Maavia absetzte. Maavia behielt einige Gebiete im Westen, verfiel in Bedeutungs­ losigkeit, über sein Ende ist nichts bekannt (die islamische Tradition kann allerdings mit Details aufwarten).

Der Aramäer Maavia, der muslimische „Kalif Muawiya“ der Tradition, war in Wirklichkeit arabischer Christ.

 

Der Nachfolger Maavias, Abd al-Malik, stammte aus Marw in der ostper­ sischen Provinz Chorasan (heute Turkmenistan). Marw war das antike Antiochia Margiana und fiel im 5. Jahrhundert n. Ch. an Persien. Nach dem Zusammenbruch des persischen Sassanidenreiches als Folge der Nie­ derlage gegen Byzanz, gelangten in der Region ansässige Araber an die Macht. Die traditionell behauptete islamische Eroberung von Marw und der anderen mittelasiatischen Oasen hat nicht stattgefunden. Noch aus dem 9. Jahrhundert sind christliche und buddhistische Klostergründun­ gen belegt sowie Missionierungen entlang der Seidenstraße. Erst mit der Zerstörung durch die Mongolen im Jahr 1221 kann man gesichert von der Islamisierung Marws ausgehen.

Wie Münzinschriften belegen, gelangte Abd al-Malik 681 an die Macht, musste aber schon vorher von Bedeutung in der Region gewesen sein. Seine Herrschaft war auf innere Konsolidierung gerichtet, daher erneuerte er den Tributvertrag mit Byzanz zu höheren Zahlungen. Malik wollte dem Kaiser, vielleicht aus Überzeugung, vielleicht aus Mangel an militärischen Opti­ onen, auf religiösem Gebiet Paroli bieten. Seine Regierungszeit war relativ friedlich, und in seiner Zeit blühte der sogenannte „Muhamadismus“ auf.

Sassanidischer Tradition entsprechend symbolisierten Münzen immer die Ideologie des Herrschers. Das war bei Abd al-Malik der muhamad, der Gepriesene. Ab dem Jahr 660 tauchten Münzen aus Persien mit dem Logo

 

muhamad auf, in Kombination mit christlichen Symbolen oder weiteren Nennungen wie abd Allah (Diener Gottes) oder nam (selig).

Mit muhamad war nun zweifellos keine Person gemeint, es war viel­ mehr ein Titel. Abd al-Malik selber sagt uns unzweideutig in der Inschrift in seinem Heiligtum in Jerusalem, im „Felsendom“, wer der muhamad war: Isa bin Maryam - Jesus, Sohn der Maria.

Der Kaiser von Byzanz als Vorsteher der Reichskirche hatte die Hagia Sophia, Abd al-Malik als Vorsteher der arabischen Kirche hatte keinen monumentalen Sakralbau. Die Zeit drängte, denn für den Jahreswech­ sel 699/700 wurden der Weltuntergang und die Rückkehr des Messias erwartet. Ihn wollte er in der neuen Basilika an der Stelle des alten salo­ monischen Tempels in Jerusalem erwarten. Er nahm den Bau des „Felsen­ doms“ in Angriff, den er 694 abschloss. Der Bau mit seinem achteckigen, christologisch-symbolhaften                Grundmuster47                entspricht                syrisch-byzan­ tinischer Kirchenarchitektur und wurde ohne Zweifel als christliches Heiligtum gebaut. (Die Annahme, Karl der Große habe beim Bau seiner in den Grundelementen identischen Pfalzkapelle in Aachen eine musli­ mische Moschee kopiert, ist nicht sonderlich realistisch.)

Im Inneren der Hagia Sophia hatte Herakleios sein Glaubensbekennt­ nis im Sinne der Dreieinigkeit anbringen lassen, in seiner Kirche am Ort des Tempels verewigte Malik sein Glaubensbekenntnis (im vollen Wort­ laut haben wir es bereits oben kennengelernt):

„Es gibt keinen Gott außer Gott allein, er hat keinen Teilhaber.“

„Gelobt sei der Knecht Gottes und sein Gesandter.“

„Jesus Christus, Sohn der Maria, ist der Gesandte Gottes.“

„So glaubt an Gott und seinen Gesandten und sagt nicht Drei.“

 

Dies ist ein christlich-vornizensisches Glaubensbekenntnis reinsten Was­ sers. Abd al-Malik lehnt die Dreieinigkeit ab („so sagt nicht Drei“), für ihn ist Jesus der muhamad rasul, der „gepriesene Prophet“, aber nicht der Sohn Gottes. Eine Münze Maliks unterstreicht das religiöse Fundament seiner Kirche am Platze des alten Tempels: Sie bildet den siebenarmigen Leuchter ab zusammen mit der Inschrift „Es gibt nur einen Gott“ (la ilaha

 

47  Vgl. hierzu „Die Kirche am Tempelberg“.

 

illa ’lah). Er sieht sich als Erneuerer Zions in der wahren Tradition Davids. Diese Tradition ist auch im späteren Islam haften geblieben, nur wurde David mit dem Allzweck-Titel „Prophet“ ausgestattet. Der Leuchter mit den sieben Armen der Primzahl 7 wandelte sich bald zu fünf Armen der Primzahl 5, wohl um eine Distanz zum jüdischen Komplex zu schaffen.

 

Abd al-Malik hatte also den Osten seines Reiches verlassen und war nach Westen gezogen, nach Jerusalem. Das mit den verschleppten Arabi in den Osten verschlagene muhamad-Motto war mit ihm vom Osten nach dem Westen gewandert und tauchte in der Folgezeit auf Prägungen in Syrien und Palästina auf. In Nordafrika fand der muhamad ebenfalls Verbreitung, nur in Ägypten, im Bereich der koptischen Kirche, tat sich das mufiamad-Konzept schwer.

Der „Muhamadismus“ im Sinne des Gepriesenen (Jesus) war das bestim­ mende Merkmal der Zeit Maliks. Seine Anhänger wurden die „Muhame- daner“, womit zu jener Zeit keineswegs Muslime gemeint waren.

 

Gerade in Abd al-Maliks Münzen sieht man traditionellerweise einen Nachweis, dass es sich bei ihm um einen islamischen Kalifen gehandelt habe. Mit dem Aufscheinen von muhamad sei klarerweise der Prophet gemeint, außerdem sei eine häufig auftauchende Figur mit Schwert („Stan­ ding caliph“) und der Inschrift kalfat Allah die Darstellung des jeweiligen Kalifen. Es gibt eine ganze Reihe solcher „Stehenden Kalifen“. Es sind typisierte Darstellungen, und nur gelegentlich findet sich die Nennung des Herrschers, regelmäßig aber die Nennung MHMD oder ausgeschrieben muhamad(un). Der „Stehende Kalif“ ist in Wirklichkeit der „Gepriesene“, nämlich Jesus. Er hält stets ein überdimensionales Schwert in der Hand, das Richtschwert, auf einigen Darstellungen deutlich als Flammenschwert zu erkennen. Das ist die Rolle, die er im Zeitverständnis einnimmt: der eschatologische Jesus, der als Verkünder Gottes (Kalfat Allah) alsbald auf die Erde zurückkehren wird, um am Jüngsten Tage Recht zu sprechen.

Oft findet sich auf Maliks Münzen eine „Leiter“, so manche Inter­ preten. Dieses Gebilde findet sich auch auf byzantinischen Münzen mit dem byzantinischen Kreuz obendrauf. Auf Maliks Münzen fehlt dieses Kreuz, manchmal ersetzt durch eine Kugel oder einen Kreis. Dies wird nun

 

traditionellerweise so interpretiert, dass Malik als muslimischer Herrscher das Kreuz entfernen ließ. Nach neuer Interpretation ist das Verschwinden des byzantinischen Kreuzes aber nicht nur Teil der ideologischen Ausein­ andersetzung mit Byzanz, sondern auch eine Rückbesinnung auf die altse­ mitische Tradition anikonischer Steinidole. Denn die „Leiter“ stellt ohne Zweifel die Yegar Sahadutha dar, die alttestamentliche Steinpyramide im Zusammenhang mit der Jakobslegende, die zum Allerheiligsten führt. Auch im Westen seines Reiches, in Nordafrika, weisen Maliks Münzen die Yegar Sahadutha auf, zusammen mit seinem monophysitischen Programm in Latein: In nomine domini non deus nisi deus solus non est alius. (Im Namen des Herren, es gibt nur einen Gott allein und er hat keinen Teilhaber).

BILD 14

„Standing Caliph“

Es gibt zahlreiche Münzen mit diesem Motiv. Traditionellerweise wird darin ein Kalif oder Muhamad selber gesehen. In Wirklichkeit stellt die Figur den eschatologischen Jesus mit dem Richtschwert dar, dessen Rückkehr in naher Zukunft erwartet wurde. Die Darstellung folgt immer dem gleichen Prinzip.

Links oben: Neben der Figur die muhamad - Nennung und die Münzstätte Harran.

 

 

 

Zweite von links: Dasselbe Motiv aus Edessa (Heute Urfa, Südtürkei)

Rechts daneben: Münze aus dem Jahr 669 in persischem Stil. Sie zeigt Jesus mit dem Flammenschwert und dem Titel „Halfat Allah“ (Verkünder Gottes).

Ganz rechts: Die erste Goldmünze des arabischen Reiches aus derzeit Abd al-Maliks, den eschatologischen Jesus darstellend.

Unten: Ausschnitt einer Münze Abd al-Maliks aus dem Jahr 696, ebenfalls den eschatologischen Jesus darstellend. Deutlich ist die Flammenstruktur des Richtschwertes zu erkennen.

BILD 15

Links oben auf einer Prägung aus Palästina das erzchristliche Symbol des Fisches mit einem erweiterten muhamad-Motto: „Gepriesen sei der Apostel Gottes“.

Pechts oben trägt der Herrscher das Reliquiargefäß mit dem Haupte Johannes des Täufers. Auf der Rückseite über der Wertangabe anstatt des üblichen Kreuzes das christlich-arabische Symbol der Palme. Es steht für die Geburt Jesu unter der Palme. Links unten die Darstellung einer Figur in byzantinischer Tradition mit dem Kreuz und der Aufschrift Amman. Auf der Rückseite die Wertangabe M (= 40 Nummia) mit dem Kreuz darüber, darunter das muhamad-Motto des Gepriesenen.

Rechts unten: Christlich-arabischer Herrscher mit Kreuzglobus und dem Kreuz über der Wertangabe.

Alle abgebildeten Münzen stammen aus der Zeit der „Omayaden“.

 

 

 

 

Es erhebt sich auch die Frage, warum Titel häufig genannt werden {muha­ mad, abd Allah etc.) ohne denjenigen, der gemeint war, gleich beim Na­ men zu nennen. Es ist die vom Respekt diktierte Scheu der Zeit, große heilige Namen nicht leichtfertig auszusprechen. Dies ist schon aus dem Alten Testament bekannt, von den Nabatäern wissen wir nicht einmal den Namen ihres höchsten Gottes, lediglich den Titel (Dusares). Der „Ge­ salbte“ („Christus“) ist genauso ein Titel, wie es „muhamad“ ist. Auch weltliche Herrscher der Zeit bevorzugten solche Titel, und zwar bewusst herabstufende. 629 legte Herakleios den Titel „autokrator“ ab und ließ

 

118________ Norbert G. Pressburg | Good Bye Mohammed

 

sich bescheiden als „basileus“ (König) titulieren. Justinian II. nahm gar

„servus  Christi“  (Diener  Christi)  als  Haupttitel  an,  genauso  wie  die

„Knechte Gottes“ Maavia und Abd al-Malik. Eine Reihe von Herrschern ist uns nur vom Titel, der ihr geistliches Motto ausdrückt, bekannt, nicht aber vom Namen her. Und letztlich bildeten die Münzen der „Omayaden“ die Palette der gängigen christlichen Symbole ab: Fisch, Kreuz, Palme, Agnus Dei (Lamm Gottes)48, und, wenn auch mit etwas ideologischem Abstand, die alttestamentliche Steinpyramide. Das Kreuz spielte in den orientalischen Kirchen generell eine weit geringere Rolle als in den west­ lichen.

Wir besitzen eine große Anzahl eindeutig christlicher Münzen aus Zeiten und Regionen, die nach dem traditionellen Bericht schon lange islamisch gewesen sein sollen. Wie lässt sich das erklären ? Es gibt keine Erklärung außer der, dass die Emittenten Christen waren. Muslime kön­ nen nicht präsent gewesen sein, denn Münzen waren ein viel zu wich­ tiges Mittel der Demonstration von Macht und Ideologie, als dass je­ mand den Unterworfenen die Prägehoheit überlassen hätte - und das über Jahrhunderte hinweg. Sobald Muslime auftreten, drücken sie das in ihren Münzen aus. Was wir mit Erstaunen feststellen, ist, dass die Numismatik der Vergangenheit versuchte, ihre Interpretation religiö­ sen Geschichtsbildern anzupassen, anstatt das religiöse Geschichts­ bild den Fakten. Das Ergebnis sind oft erheiternde Verbiegungen.

 

Nirgendwo in Relikten oder Dokumenten des 7. und 8. Jahrhunderts, islamische oder nichtislamische, kommt die Nennung von Muslimen oder Islam im Sinne einer neuen Religion in Arabien vor. Und das, ob­ wohl nach islamischer Tradition zu dieser Zeit bereits der gesamte Ori­ ent islamisch gewesen sein soll. Gerne wird als Beleg für die Existenz des Islam im 8. Jahrhundert Johannes Damascenus genannt. Der spricht aber nicht - man muss einfach nur mal hinschauen - von „Muslimen“, sondern von der „Häresie der Ismaeliten“. Häretiker sind diejenigen, die die offizielle Glaubenslinie verlassen haben - das war von der Reichskir­ che aus gesehen bei der arabischen Kirche Maliks der Fall -, es sind aber

 

48  In einer traditionellen Münzbeschreibung „Vierbeiner“ genannt.

 

niemals Anhänger einer anderen Religion. Es ist Usus geworden, „Ara­ ber“ mit „Muslimen“ gleichzusetzen, obwohl es dafür keine historische Rechtfertigung gibt.

Der Begriff „Muslime“ ist zum ersten Mal für das Jahr 753 auf einer persischen Münze nachgewiesen. Diese „Muslime“ sind jedoch nicht die Angehörigen der Religion des Islam, wie wir es heute als selbstverständ­ lich verstehen, sondern es sind aramäisch die meshlem, die Orthodoxen, die Rechtgläubigen (was auch die Griechisch-Orthodoxen von sich be­ haupteten).

 

In seinem Aufruf zum ersten Kreuzzug 1096 sprach Papst Urban II. von der Rückgewinnung des Heiligen Landes und von seiner Neube­ siedelung. Er skizzierte Palästina als das Land der Bibel, „wo Milch und Honig fließt“. Viele Kreuzfahrer nahmen ihre Familien mit und waren fast vom Schlag getroffen, als sie dann der heißen Steinwüste ansichtig wurden. Urban sprach über „Gottlose“ im Allgemeinen, verlor aber kein konkretes Wort über Muslime und ihre Religion. Hätte er sie als die Hauptgegner wahrgenommen, so kann man erwarten, hätte er Ross und Reiter genannt.

Viele für uns typisch muslimisch anmutende Begriffe sind schlicht arabisch, sie hatten bis gegen Ende des ersten Jahrtausends nichts spezi­ fisch Islamisches an sich:

Allah: sehr frühe aramäische Bezeichnung für „Gott“ allgemein und noch heute gebräuchlich bei arabischen Christen.

Muhamad: Der Gepriesene, Christus. Abd Allah: Servus Dei, Diener Gottes. Rasul: Prophet.

Mahdi: Messias.

Bismillah: im Namen Gottes.

Bismillah rahman rahim: im Namen des gnädigen und barmherzigen Gottes. (In nomine dominis miseriscordis), eine gängige christlich-latei­ nische Formel.

La illah ilallah: Es gibt keinen Gott außer Gott allein. Dies ist die ara­ bische Übersetzung der lateinischen Formel Non deus nisi deus solus.

 

Beide Aussagen finden sich auf arabischen Münzen, die leichtfertig als islamische tituliert wurden.

 

Diese Formeln und viele andere mehr sind ursprünglich Begriffe der ara­ bischen Christenheit. Man muss sich von der Vorstellung trennen, dass das Auftauchen eines dieser Wörter notwendigerweise etwas mit der Religion des Islam zu tun habe oder ihre Existenz geradezu belege. Erst später er­ langten diese Begriffe eine spezifisch islamische Zuordnung, und dies in oft seltsam undifferenzierter Form, wie das Beispiel des mahdi zeigt.

Der Mahdi, der Erlöser, ist bei den arabischen Christen damals wie heute Jesus. Im Koran ist der Mahdi ebenfalls Isa bin Maryam. Obwohl mit Muhamad die Kette der Propheten eigentlich abgeschlossen sein soll, erwartet die Hauptströmung des sunnitischen Islam trotzdem eine weitere Ankunft eines Messias, ohne diesen jedoch zu spezifizieren und ohne seinen Bezug zum endgültigen Propheten Muhamad zu definieren. Es gab bereits zahlreiche Mahdis, die jedoch nie über lokale Bedeutung hinauskamen, mehrere Dutzend allein in Afrika. Der berühmteste war Muhamad Ahmad, der im Sudan einen Gottesstaat errichtete, welcher 1898 von den Engländern zerschlagen wurde49. Der letzte bekannt ge­ wordene sunnitische Mahdi war 1930 Master Wallace Fard Muhammad, Gründer der „Black Muslims“ in den USA.

Bei den Schiiten (den „Zwölferschiiten“) ist der erwartete Mahdi an

eine bestimmte Person gebunden: an den verborgenen zwölften Imam Muhamad al-Mahdi, nach der Verfassung des Iran von 1979 das offizielle Staatsoberhaupt, bis zu seiner Ankunft vertreten von den Ayatollahs.

Muhamad al-Mahdi - oder vielleicht doch der gepriesene Messias ? Nach iranisch-schiitischer Ansicht könne der Mahdi aber nur inmitten eines Chaos erscheinen. Es kann daher eine gottgefällige Tat sein, ein Chaos zu erzeugen, um so die Ankunft des Messias zu beschleunigen. Eine Rakete, die im August 2010 vorgestellt wurde, erhielt in diesen Ge­ dankengängen die Bezeichnung „Mahdi“. Präsident Ahmadinedschad prophezeite mehrfach das baldige Erscheinen von Jesus und (!) dem

 

 

49  Diese Episode erzählt der Film „Khartoum“, 1966.

 

Mahdi Muhamad. 7 Jahre (wieder die Primzahl) nach dem Erscheinen der beiden würde das Jüngste Gericht stattfinden50.

 

Während Paulus mit seiner Interpretation das Christentum aus dem Ori­ ent verabschiedete und es romanisierte, während Byzanz die Orthodoxie begründete, schuf Abd al-Malik eine selbstständige arabische Kirche. Na­ türlich war er Christ, wie es alle Marwaniden (vulgo „Omayaden“) und die ersten der nachfolgenden „Abbasiden“ waren. Der muhamad war sein Hausheiliger, der Felsendom sein haram.

 

In der islamisch-historisierenden Literatur des 9. Jahrhunderts hatte al- Walid von Mekka aus Mesopotamien erobert und war auf den Spuren Abrahams erobernd in Syrien und Palästina eingefallen, wobei er die legendenhafte Schlacht am Yarmuk schlug. Die islamische Tradition un­ terstellt eine Süd-Nord-Richtung der Expansion des Muhamad, in Wirk­ lichkeit wanderte der muhamad vom Osten nach dem Westen. Mit ihm zogen zahlreiche christliche Araber, die einst verschleppt worden waren oder ihr Land unter dem Drucke der byzantinischen Reichskirche hatten verlassen müssen, in ihre angestammte Heimat zurück: Das ist eine Hid­ schra, gut vorstellbar als die geschichtliche Vorlage zur legendenhaften Hidschra des Propheten von Mekka nach Medina.

 

Al-Walid (der „Gröfaz“ der Eroberungsliteratur) war ein Sohn Abd al- Maliks. Er schuf sich in der persischen Tradition eine eigene Residenz, und zwar in Damaskus. Er vergrößerte den Bezirk des Heiligtums des Johannes des Täufers aus der Zeit Maavias und baute einen neuen heiligen Bezirk. Das, was heute unter „Omayadenmoschee“ firmiert, wurde ohne Zweifel von Walid als arabisch-christliche Verehrungsstätte gebaut. Unter anderem brachte er den so gründlich missverstandenen Spruch an: „In der Religion herrscht kein Zwang.“ Dies war kein Vers aus dem Koran, wie die Tradition das sieht, vielmehr gelangte dieser Spruch später in den Koran, außer man schließt sich wiederum der Meinung Luxenbergs von der Existenz eines

50  Siehe die iranische Website zur Vorbereitung auf die Erscheinung des Mahdi: www.mahdaviat- conference.com/.

 

aramäischen Urkorans an. Walid wandte sich damit gegen das kaiserliche Religionsdiktat - und rückte wohl auch vom Eiferertum seines Vaters ab. Sein Bruder Hisham übernahm das Heiligtum des Sergios, eines populä­ ren syrischen Soldatenheiligen, in Rusafa. Mit Hisham ging die Herrschaft der Marwaniden um 750 im Osten zu Ende. Es folgte noch ein 250 Jahre dauerndes Nachspiel im Westen, in al-Andalus.

In der islamischen Tradition sind die Marwaniden die „Omaya- den/Umayyiden“ aus Mekka, auf einen Omar/Umar zurückgehend. Wiederum fehlt jeglicher Beleg dafür. Allerdings scheint der islamischen Tradition die Sache mit den Omayaden nicht ganz geheuer gewesen zu sein, denn einige von ihnen werden als nicht gerade beispielhafte Mus­ lime beschrieben. So soll der „Kalif Abd al-Malik“ versucht haben, die Teilnehmer an der muslimischen Wallfahrt, der Hadsch, von Mekka weg nach Jerusalem zu lotsen.

Selbstverständlich führten die Pilgerfahrten in der Zeit Maliks nach Jerusalem, es war mit seinem Felsendom das religiöse Zentrum der ara­ bischen Christen. Abd al-Maliks gesamte Zielsetzung, auch persönlich von ihm nachvollzogen, war die Rückkehr ins Gelobte Land51, wo das Weitende abgewartet werden sollte. Um darauf vorbereitet zu sein, sollten sich die Christen des islam, der Übereinstimmung mit der Schrift beflei­ ßigen, um nicht im Streit dem Messias gegenübertreten zu müssen.

Ein weiterer „Omayaden-Kalif“, Umar II., hat uns der islamischen Geschichtsschreibung zufolge die Anweisung hinterlassen, was Ungläu­ bige gegenüber Muslimen dürften und was nicht. Von Umar hat die For­ schung allerdings kein Lebenszeichen und auch er ist ziemlich sicher ins Reich der Legenden zu verweisen. Von den 14 in der Traditionsliteratur aufgeführten „Omayaden-Kalifen“ sind nach gegenwärtigem Stand zu­ mindest acht als nicht belegt von der Liste zu streichen. Die Erfindung der Kalifen Marwan I. und Marwan II. im traditionellen Bericht zeigt das prinzipielle Nicht verstehen des dynastischen Grundkonzepts. Die persische Wurzel MRW wurde falsch verstanden oder bewusst verdreht, und aus dem Ursprungsort der Dynastie, Marw in Ostpersien, wurde eine Person namens Marwan gemacht, selbstverständlich aus Mekka und aus

 

51  Zion, Falastin in Münzlegenden.

 

dem Umkreis des Propheten stammend. Grund für solche Fehlleistungen waren der Wunsch nach einer bestätigenden Darstellung um jeden Preis, also schlicht Geschichtsfälschung, aber auch die Diskrepanzen, die sich bei der nachträglichen Rückrechnung vom arabischen Sonnenkalender in den Mondkalender der Hidschra-Zeit ergaben, und die kaschiert wer­ den mussten. Lücken wurden nach Gutdünken aufgefüllt, absolut kein Einzelfall der Geschichtsschreibung früherer Tage.52

Der Übergang von den „Omayaden“ zu den „ Abbasiden“ ist auch religiös als Übergangszeit zu sehen, obwohl der große Einschnitt erst nach al-Ma- mun (gest. 833) erfolgte. Der erste „Abbaside“ baute 756 ein Heiligtum in Medina, das heutige „Prophetengrab“. Auch er brachte noch christologische Bekenntnisse an, aber Maria und Jesus treten bereits in den Hintergrund. Nach Karl-Heinz Ohlig zeigen die Inschriften von Medina vielleicht zum letzten Mal muhamad als christologisches Prädikat. Allmählich überflü­ gelte das Heiligtum von Medina jenes von Damaskus an Bedeutung.

 

Das 7. und 8. Jahrhundert, also präzise die Zeit der behaupteten isla­ mischen Eroberungen, war die Blütezeit der arabisch-syrischen Kirche. Zahlreiche Neubauten von Kirchen entstanden, die bekanntesten sind der Felsendom in Jerusalem und die Johannesbasilika in Damaskus. Missio­ nierungen reichten über die Grenzen Persiens hinaus bis nach China.

Theologisch fand in der arabischen Kirche eine Loslösung vom Gott­ menschen Jesus und den damit zusammenhängenden philosophischen Problemen der griechischen Denkart statt. Vielmehr spricht Gott durch die verschiedenen Propheten, von denen auch Jesus einer ist. Die griechi­ sche Kirche wurde Schritt für Schritt quasi nationalisiert.

Das arabische Christentum war von semitischer Religiosität geprägt und stand dadurch der Tradition Abrahams stets nahe. In dieser Tradition erfolgte die schrittweise Ablehnung des hellenistischen Christentums mit seinem Pomp, seinem Bilderkult und seinen nicht für jedermann nach­ vollziehbaren philosophisch-theologischen Konstrukten.

 

 

52  In der Bibel erreichen manche Persönlichkeiten deshalb ein ungeheueres „biblisches Alter“, weil die genaue Genealogie in Vergessenheit geraten war und die Lücken mit expandierter Lebenszeit gefüllt wurden.

 

Für das antike Verständnis war es etwa das absolute Minimum, dass ein Gottessohn, wenn schon nicht göttlich gezeugt, so doch zumindest einer Jungfrauengeburt entstammen musste. Marias Ehemann Joseph wurde folgerichtig in der christlichen Tradition fast bis zur Unsichtbar­ keit an den Rand der Geschehnisse gerückt, aber die Mutter selber in Heiligenstatus versetzt.

Auch im Koran wird Joseph mit keiner Silbe erwähnt, aber die Araber drückte der Schuh noch woanders: In ihrem Verständnis konnte eine Frau unmöglich so im Mittelpunkt stehen wie die römische Maria, und für eine bedeutende Persönlichkeit und ihre Legitimität kam nur ein absolut beeindruckender Stammbaum in Frage. Durch Uminterpretation des abd Allah wurde des muhamads Vater als Abd Allah dingfest gemacht, und im weiteren Verlauf wurde der Muhamad mit einer beeindruckenden Ahnenreihe versehen, die ihn über Abraham und Noah nicht weniger weit als bis zu Adam selber zurückführt. Muhamad wird so mit Stammvater Abraham verlinkt, der persische „Ali“ zum Schwiegersohn ernannt, die

„Omayaden“ gehen auf einen Omar zurück, die „Abbasiden“ auf einen

Abbas und beide stammen aus dem unmittelbaren Umfeld des Propheten. Wenn das keine raum- und zeitübergreifende Legitimierung ist!53 Aller­ dings bleiben uns die Konstrukteure jeglichen Nachweis schuldig.

 

In dem kulturell disparaten Raum war die syro-aramäische Sprache die Hauptsprache und das verbindende Element. Das ging so weit, dass sogar in Persien zahlreiche offizielle Dokumente in Aramäisch verfasst wur­ den. Auch politisch war der Raum differenziert und meist unruhig. Die Zentralgewalt reichte nicht wesentlich über die größeren Städte hinaus, in den Provinzen trugen die kleineren und größeren Emire ihre Macht­ kämpfe aus. Mit der Erosion der Macht der Marwaniden erodierte auch die Stellung des muhamad. Ein wesentlicher Grund dafür mag die ent­ täuschte Messias-Erwartung gewesen sein: Der muhamad al-mahdi war

 

 

53  Saddam Hussein sorgte in der arabischen Welt für Aufregung, als er einmal König Hussein von Jordanien als „Cousin“ ansprach. Dies wurde als der Versuch gewertet, sich in die Familie des Propheten einzuschleichen, auf die sich ja die Haschemiten-Dynastie König Husseins zurückführt.

 

ausgeblieben, er war nicht wie erwartet zum Jüngsten Gericht am Tem­ pelberg erschienen. Vielleicht war das sogar das entscheidende Moment für das Verschwinden des muhamad-Jesus-Konzepts.

Im Osten des Reiches dominierte das Konzept von Jesus als wali-Allah, des „Stellvertreters Gottes“. Der wali-Allah ist mit dem Titel des „Hervor­ ragenden“ (a/z) verbunden und wird zum Vollstrecker des Willens Gottes im Stile eines persischen Ritters. So wie sich der muhamad zu einer Person verselbstständigte, tat dies der ali. Daran entzündete sich ein Streit, der zur Abspaltung („schia“) der Partei des ali führte: die heutigen Schiiten. Wie der Muhamad ist auch der Ali in Persien54 entstanden, kam aber bis auf den heutigen Tag nie richtig über seine Heimat hinaus. Der erste nachmarwinidische Herrscher dürfte ein Alide gewesen sein. Wir kennen seine Münzen, seinen Namen verrät er uns allerdings nicht. Die islami­ sche Tradition indes kennt ihn: Es sei ein Abbas, der selbstredend der Familie des Propheten entstammt. Die „Abbasiden“55 kamen zu einem ebenso dubiosen Namen und einer historisch großenteils nicht gesicher­ ten Thronfolge wie vor ihnen die „Omayaden“.

 

Das muhamad-Motto der Marwaniden wurde abgelöst durch eine Anzahl weiterer Titel, unter deren Motto die Herrschaft für den verborgenen Jesus ausgeübt wurde. Der Regent stellte seine oft anonyme Herrschaft unter ein Prädikat Jesu: al-hadi (Heiland), mardi (der geliebte Sohn), harun (der Gerechte), mansur (der Siegreiche), mahdi (der Erlöser) und andere Titel mehr. Dem Moses war von Gott wegen seiner Redegewalt Aaron als kalif, als „Verkünder“, zur Seite gestellt worden, ein Attribut, das nun Wiederverwendung fand. Es sind zutiefst christologische und biblische Programme und Titel, die islamische Tradition hat diese kurzerhand zu Herrschernamen umfunktioniert. Es gab mit Sicherheit keine Kalifen al-Mansur, al-Mahdi, Musa al-Mahdi oder al-Saffah, und die ersten „Ab­ basiden“ waren mit Sicherheit Christen.

 

 

54  Der ali im Süden, der muhamad im Osten.

55  Sie selber bezeichneten sich als die Hashim, die Edlen, die als Erste auferstehen dürfen. Sie beendeten die Traditionen von Marw und Jerusalem und bauten Mekka als religiöses Zentrum auf, wobei zunächst noch die abrahamitische Tradition im Vordergrund stand.

 

Auch die Geschichtlichkeit des Prototyps eines märchenhaften islami­ schen Potentaten, des berühmten Harun al-Rashid, ist bedroht. Hat doch eine Frau, eine Zubayda, während der Zeit seiner angeblichen Regentschaft 13 Jahre lang ihre eigenen Münzen emittiert. Hat sie unter dem Motto des

„Harun al-raschid“, des „Gerechten Verkünders Aaron“, regiert?

Einen bedeutenden Macht faktor am Hof der „ Abbasiden“ stellten über Generationen hinweg die Barmakiden dar. Diese waren buddhistische Tempelvorsteher in Bagdad, zugewandert aus den buddhistischen Ost­ provinzen des Persischen Reiches; ihr Name leitet sich von dem Titel

„Parmak“, dem Vorsteher des buddhistischen Hauptklosters von Naw- bahr, ab. Sie fungierten unter mehreren Herrschern als Wesire und waren wesentliche Teilhaber an der Macht - wenn einige von ihnen nicht gar die Herrscher selber waren. Es gibt noch viele Rätsel zu lösen.

 

Ein bemerkenswerter Regent war der Nachfolger Zubaydas, al-Mamun (786 - 833). Nachdem er ursprünglich in Marw, Ostpersien, residiert hatte, zog er 825 nach Bagdad und beseitigte den Regenten, seinen Halbbruder Amin (?). Al-Mamun fand eine geistig lebhafte Stadt vor. Es gab eine starke jüdische Gemeinde, Buddhisten, Zoroastrier, Manichäer, persische, arabische, hellenistische Christen - die wohl auch die Schriften eines ara­ bischen Propheten diskutierten, die allmählich in Umlauf gelangten.

Als Perser war Mamun noch nie in die westliche Reichshälfte gelangt. Dies holte er jetzt ausgiebig nach. Mit einem großen wissenschaftlichen Stab zog er zunächst nach Harran, dem Ort Abrahams, der zugleich ein wissenschaftliches Zentrum der Sabier56 war, und von dort weiter nach Damaskus. Er besuchte die Basilika des Johannes, die Bauten der Marwa­ niden. Von dort ging es an den Nil. Theorien über den Ursprung des Flus­ ses wurden erörtert, er sah mit eigenen Augen, wo der Prophet Moses im Bastkörbchen getrieben war. Er machte in Jerusalem Halt und inspizierte mit seinem Stab die Inschriften des Abd al-Malik in der Kirche am Tem­ pelberg. Und man fand den Beweis für einen Propheten der Araber. Hier stand es schwarz auf weiß: muhamad abd Allah. Was unter Abd al-Malik noch „gepriesen sei der Knecht Gottes“ hieß, wurde jetzt im modernen

 

56  „Sterneanbeter“, Anhänger der alten babylonischen Religion.

 

Arabisch zum „Muhamad, Sohn des Abd Allah“. Eine früher nicht mögli­ che Lesart war in der sich umbrechenden Zeit mit der neuen Sprach- und Schriftkonvention und etwas gutem Willen plötzlich möglich geworden. Mamun soll den Namen Maliks entfernt und seinen eigenen eingesetzt haben57, die Jahreszahl 72 kata Araba behielt er jedenfalls bei.

Wir besitzen Münzen von al-Mamun, auf denen er sich als kalifat Allah bezeichnet, die erste Nennung dieses Titels seit Abd al-Malik, aber in anderer Bedeutung. Während bei Malik der kalifat Allah, Gottes Herold, Jesus war, ist Mamun als „Kalif“ und „Imam“ der erste Repräsentant seines Gottes. Welchen Gottes aber? Sicher des einen Gottes, Allah, der den Propheten Muhamad zu den Arabern geschickt hatte. Trotzdem hat sich Mamun kei­ nesfalls als „Muslim“ verstanden - die Verselbstständigung dessen, was wir heute unter „Islam“ verstehen, war zu seiner Zeit noch nicht vollzogen.

Mamun versammelte die besten Köpfe der Zeit an seinem Hofe: Wis­ senschaftler aller Disziplinen und Schattierungen, es herrschte intellek­ tuelle Freiheit. Als ihm etwa zu Ohren gekommen war, dass der Koran eine Erde flach wie ein Teppich postulierte, die arabischen Astronomen seiner Zeit sie aber als Kugel definierten, ging er der Sache gleich auf den Grund. In der Steppe bei Mossul ließ er zu verschiedenen Sonnenwinkeln einen geografischen Grad abstecken und so den Erdumfang berechnen. Seine Expedition kam zu dem Ergebnis: Der Umfang der Erdkugel beträgt 40 075 Kilometer (die exakte Zahl ist 40235).

Korantexte waren schon bekannt und in Diskussion, aus dem späten

9. Jahrhundert stammt der erste zusammengefasste Text in Arabisch. Es gab sehr bald eine radikale Strömung, namentlich von Ibn Hanbal vertreten („Hanbalismus“), deren Anhänger eine wörtliche Auslegung betrieben. Mamun machte sich zum Führer der Mutaziliten, deren Geis­ teshaltung an den antiken Philosophien und Wissenschaften eng ange­ lehnt war. Er ließ feststellen, dass auch der Koran geschaffen worden sei und somit diskutiert werden dürfe. Durch die Betonung der Ratio, durch die Forderung nach Logik und Offenheit der Erkenntnisquellen standen die Mutaziliten im krassen Gegensatz zur orthodoxen Forderung nach

 

57    Es ist nicht belegt, dass Mamun selber die Änderung vornahm. Sie mag in noch späteren Zeiten vorgenommen worden sein.

 

Anerkennung des Korans als exklusive Quelle und dessen wörtlicher Be­ folgung. Die islamische Tradition feiert die Zeit al-Mamuns als Blütezeit des Islams. Nichts ist falscher. Als Mutazilit stand Mamun einer arabi­ schen Aufklärung wesentlich näher als der islamischen Korandoktrin. Er bekämpfte den Hanbalsimus, also etwa das, was sich später als ortho­ doxer Islam konstituieren sollte. Der ägyptische Theologe Ahmad Amin (1878-1954) war der Ansicht, die Niederlage des Mutazilismus sei die größte Katastrophe in der Geschichte des Islam gewesen.

 

Nach al-Mamun kam ein großer Umbruch. Der muhamad und der ali waren auf dem Weg zur Personifizierung, das Kalifat - obwohl nur von Malik und Mamun in vollkommen anderer Bedeutung benutzt - wurde rückwirkend allen Herrschern seit „Muhamad“ verpasst: eine lückenlose theokratische Kette vorgaukelnd, die nie existierte. Der Koran entstand und parallel dazu die arabische Sprache und Schrift. Der muhamad erhielt sein Grab in Medina, der ali unterlag im programmatischen Streit und bekam eine Märtyrerlegende übergestülpt. Das rätselhafte koranische Bakka (Sure 3:96) wurde schließlich als das arabische Mekka „identifi­ ziert“ und festgeschrieben.

Dieses ständig bemühte „bedeutende Handelszentrum Mekka an der Kreuzung wichtiger Straßen“ ist in Wirklichkeit unbekannt. Ein histori­ scher Ort namens Mekka im 6. oder 7. Jahrhundert ist bis heute nicht be­ legt. Erwähnung findet im Koran lediglich ein „Bakka“, dessen Lage mit Abrahams erstem Gebetshaus identisch sein soll. Weil alle nichtislami­ schen Traditionen Abraham jedoch in Mesopotamien ansiedeln, wurde noch im 8. Jahrhundert Bakka als Ort in Mesopotamien beschrieben. Ta- bari (wiederum Tabari) ist der Erste, der von einem „Mekka“ in der Ara­ bischen Wüste spricht. Luxenberg (wiederum Luxenberg) sieht in Bakka die syro-aramäische Bedeutung von „umzäunt, umgrenzt“. Demnach wäre mit Bakka/Mekka kein spezifischer Ort gemeint, sondern ein umgrenzter, heiliger Bezirk im Allgemeinen. Tatsache ist, dass Mekka nie eine Stadt war. Es gab dort im 7. Jahrhundert eine Kirche wie viele andere auch in Arabien, war aber sonst ohne besondere Bedeutung. Mekka als Wiege des Islam ist eine Rückerfindung der frommen Literatur späterer Jahrhunderte. Mekka war, wie Volker Popp es ausdrückt, die „Insel Thule“ der Araber.

 

Auch vom Prophetenstamme der Kuraisch gibt es bis Tabari keinerlei Kunde und nicht einmal von Badr, dem Ort einer der „entscheidends­ ten  Schlachten  der  Menschheit“58.  Obwohl  beim  Google-Aufruf  etwa

2 Millionen Ergebnisse kreierend, hat noch niemand diesen Ort Badr identifizieren können. (Trotzdem sind Skizzen, Aufmarschpläne und Kriegsgräberfotos gelistet.) Im Koran ist „Badr“ in der Sure 3:123 als für sich alleine stehendes, nicht verstandenes Wort erwähnt. Mangels Alternative wurde das Wort von Tabari zum Ort „Badr“ ernannt, ob­ wohl dadurch die logische Anbindung zu den vorangehenden und nach­ folgenden Versen zerstört wird. Luxenberg bringt Zusammenhang in den Abschnitt, indem er „Badr“ als weitere Fehllesung nachweist. Aus bi-badr wird durch Weglassung eines einzigen der offensichtlich nach­ träglich angefügten Punkte bi-‘idr und das heißt „himmlische Hilfe“ und ergibt den Versen einen durchgängigen Sinn.59

Die gesamte Geschichte der ersten 250 Jahre wurde legendenhaft in die Wüste Arabiens verlegt oder gleich ganz neu erfunden. Die möglicher­ weise erste originäre Moschee (masjid) entstand in der neuen Residenz­ stadt Samarra, mit einer nachempfundenen altbabylonischen Zikkurat als Wahrzeichen und der Mutter aller Minarette (die Stufen waren ur­ sprünglich außen und wanderten später nach innen). Wir befinden uns an der Schwelle zum 10. Jahrhundert.

Wann man noch von „Kirche“ sprechen muss und wann schon von

„Moschee“, ist nicht präzise datierbar. „Masjid“ war und ist noch heute in Aramäisch ganz allgemein ein Platz der Gottesverehrung. Erst sehr viel später wurde daraus der Begriff für das spezifisch islamische Gotteshaus. Man kann erst dann von einer Moschee sprechen, wenn die masjid ein mihrab (Gebetsnische) Richtung Mekka aufweist.

 

 

88 www.islamreligion.com/de.

59  Weitere Ereignisse der Muhamadlegenden scheinen ihre historische Grundlage aus dem großen Krieg Byzanz“ gegen den persischen Glaubensfeind zu beziehen. Die siegreiche „Graben­ schlacht“ Muhamads im Jahr 627 fällt auf das Jahr des byzantinisch/arabischen Sieges von Ninive, das Jahr 628 des byzantinisch/persischen Fri'edensvertrages korrespondiert mit dem

„Abkommen von Huhdaibiyyah“. Im Jahr 630, dem Jahr der Rückführung des Kreuzes und der feierlichen Wiedereröffnung der Grabeskirche in Jerusalem fand nach islamischer Lesart die Reinigung und Eröffnung der Kaaba statt.

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Moschee oder Tempel Abrahams?

Die Große Moschee von Samarra wurde um 850 von AI Mutawakkil gebaut. Möglicherweise handelt es sich um den ersten originären Moscheebau überhaupt. Das Minarett ist einer altbabylonische Zikkurat nachempfunden.

 

 

Islam heißt „Übereinstimmung“, und zwar Übereinstimmung mit den Heiligen Büchern. Das waren christliche Bücher, das Alte Testament, die Evangelien, Apokryphen60. Schon im 2. oder 3. Jahrhundert setzte die Entstehung einer arabisch-christlichen Kirche ein, und diese entwickelte sich konstant weiter. Ursprünglich dürften Juden und Judenchristen ohne große Abgrenzung nebeneinander gelebt haben. Die einzelnen Gruppie­ rungen entwickelten jedoch schrittweise ihre eigene Theologie, die di­ versen Konzilien, bereits das von Nikäa (325), zogen tiefe Trennlinien durch die orientalische Christenheit. Die arabischen Christen vollzogen die Theologie der Reichskirche nicht mit und verharrten damit auf dem theologischen Standard vor Nikäa.

 

60  „Apokryphen" sind nicht von der Glaubenshoheit anerkannte Texte. So benutzen die Kopten noch heute ein Petrusevangelium, das von der orthodoxen und weströmischen Kirche nicht anerkannt wurde.

 

Sie hatten nichts weiter gewollt, als zum wahren Christentum zu fin­ den, Sie sahen sich als die Ismaeliten, die Söhne Ismaels in der wahren Tradition Israels, die im Laufe der Zeit verfälscht worden sei. Man suchte den Islam, die Übereinstimmung mit der „Schrift“.

Das orientalische Christentum war wenige Jahrhunderte nach Chris­ tus fast zu einer Religion der Heiligen, der Amulette und der Wundertä­ tigkeit verkommen. Das war, wie auch der hohe Stellenwert von bildlicher Darstellung, der Einfluss der antiken Welt, man vermag durchaus heid­ nische Züge darin zu erkennen. Dazu kamen die Konstrukte griechisch­ theologischen Denkens, wie der Kult der unbefleckten Empfängnis und der Dreifaltigkeit. Die arabischen Christen hingegen standen den Juden­ christen noch nahe und standen damit der alttestamentlichen Welt sehr viel näher als die romanisierten bzw. hellenisierten Christen der Mittel­ meerkultur.

Die arabischen Christen wollten daher nichts mit der byzantinischen Diktatkirche zu tun haben, nichts mit ihrer Konstruktion einer Drei­ faltigkeit, in christlich-arabischen Augen die Abkehr vom Glauben an einen einzigen Gott. Tatsächlich wird im Koran nichts mehr betont als der Einzige Gott. Aus Sicht der Reichskirche war das natürlich „Häresie“, der Abfall vom richtigen Glauben. Und als Häretiker wurden die arabischen Christen in zeitgenössischen Quellen denn auch bezeichnet. Als falsche Christen, aber keineswegs als Anhänger einer neuen Religion.

Umgekehrt sahen die arabischen Christen die anderen als Häretiker, arabisch musrikun. Traditionellerweise - und hier haben wir es wieder mit einer der zahllosen Fehllesungen zu tun - werden die im Koran ge­ scholtenen musrikun als „Heiden“ interpretiert. Das Wort leitet sich aber von sarik her, dem „Genossen“ und „Beigeseller“. Um diese Beigeseller ging es, die Gott eine weitere göttliche Person, nämlich Jesus, zur Seite stellen wollten.

 

Dominierend auf der Arabischen Halbinsel der vorchristlichen/vorisla­ mischen Zeit war der Mondkult, verbreitet von Syrien bis in den Jemen, mit regional unterschiedlichen Gottheiten. Mondkulte sind typisch für Hirtengesellschaften, dem Mond wurden alle denkbaren positiven Ei­ genschaften zugeschrieben, die Sonne galt eher als Zerstörer (sehr gut

 

nachvollziehbar bei Wüstenbewohnern, die Sonnenverehrung ist denn auch der Kult von Agrargesellschaften). Diese Wüstentraditionen hatten großen Einfluss auf die sich entwickelnde Religion, der auch heute noch deutlich sichtbar ist.

Besonders beliebt in Mittel- und Nordarabien waren Allat und Uzza, ein Geschwisterpaar, zu dem gelegentlich auch Manat stieß, die das Schicksal  der  Menschen  vorzeichnete. Allat  (Kurzform  von al-Ilahah,

„Göttin“) war die Göttin des Mondes, Uzza die Göttin des Morgensterns, weswegen sie hellenistische Quellen auch mit der Venus gleichsetzten. Die Göttinnen waren auch zuständig für Wasser und Fruchtbarkeit, und zumindest Uzza sollen Menschenopfer dargebracht worden sein. Verehrt wurden sie in heiligen Bäumen, Quellen und vor allem in schwarzen Stei­ nen. Allat besaß Steine im heutigen Mekka, Taif und Petra; Uzza heilige Bäume ebenfalls in der Nähe des heutigen Mekka und eine Quelle nicht weit vom heiligen Stein ihrer Schwester in Mekka entfernt. Dschinnis, böswillige Geister, trieben in der Wüste ihr Unwesen.

Dass der Mond- und Sternekult unter den Beduinen offenbar sehr zäh­

lebig war, schlägt sich im Koran nieder, wo in mehreren Stellen auf diese Götzendiener Bezug genommen wird61. Erst Muhamad sei es gelungen, die Götzen aus der Kaaba zu vertreiben, trotzdem haben sie sich in sei­ ner Religion bestens etabliert: Noch heute wird der schwarze Stein der Allat, gefasst in eine silberne Umrahmung, in Anbetung umrundet, die Quelle der Uzza, unter Muslimen heute als Zamzam bekannt, ist Pflicht­ besuch bei jeder Pilgerfahrt. Auch die Dschinnis, die bösen Gottgeister, sind im Koran reichlich vertreten62 und von den Gläubigen immer noch gefürchtet.

Der Sichelmond der heidnischen Mondgöttin Allat hat sich als das

Symbol des Islam verewigt; auf Flaggen mancher islamischer Länder in Einheit mit dem Morgenstern der Schwestergöttin Uzza.

 

Auf die dunkle Zeit der heidnischen Götter, die Muhamad besiegt haben soll, folgt aber keineswegs der Islam, wie das die Tradition so darstellt. Es

 

61  Ganz besonders Sure 5:19-23.

62  Sure 72, „Die Dschinni“, Sure 55:33, 56, 74 etc.

 

gab ein jahrhundertelanges christliches Zwischenspiel, das vollkommen verschwiegen wird.

Die Arabische Halbinsel war im 7. Jahrhundert fast zur Gänze chris­ tianisiert63, daneben gab es bedeutende jüdische Gemeinden. Im Reich der Nabatäer, das im Süden Mekka einschloss, war das trinitarische Christentum verbreitet. Der Süden, der heutige Jemen 64, war von der äthiopischen Kirche beeinflusst, der Osten der Halbinsel am Golf stand unter persischem Einfluss, dort dominierte das nestorianische Chris­ tentum.

Es gibt zahlreiche archäologische Belege von Kirchen, Klöstern und Sa­ kralbauten überall auf der Arabischen Halbinsel. Darüber darf allerdings nicht geforscht werden 65> mehr noch, als vorislamisch vermutete Relikte werden im Saudi-Arabien des 21. Jahrhunderts rigoros zerstört.

 

Dabei scheint vergessen worden zu sein, dass die Kaaba selber christ­ licher Herkunft ist. „Kaabas“, das sind „würfelförmige“ Bauten, haben eine bis ins 4. vorchristliche Jahrhundert reichende Tradition in Südara­ bien. Im Jemen wurden zahlreiche Kaabas nachgewiesen, die als Tempel oder Kirchen gebaut wurden. Die Kaaba von Mekka ist der nördlichste derartige Bau. Der Block von 10 mal 12 Metern war Teil einer Kirche. Vor der Nordwestseite des Würfels liegt ein Platz, der von einem halbkreis­ förmigen Mauersockel abgeschlossen wird (siehe Foto Seite 136). Dies sind die Grundmauern der Apsis der ehemaligen Kirche, des Anbaus an die heutige Kaaba. Entsprechend kirchlichem Usus lag unten in diesem Altarraum eine Krypta für besonders prominente Tote. Dieser Teil heißt in Arabisch higr, der „Schoß“; nach islamischer Tradition sind hier der Stammvater Ismael und seine Mutter Hagar begraben. (Ein anderer Name der higr lautet al-hatim, „das in Trümmern gelegte“.)

 

63    C. D. G. Müller, „Kirche und Mission unter den Arabern in vorislamischer Zeit“, Tübingen 1967

64 Selbst auf der entlegenen Insel Sokotra im Indischen Ozean finden sich Reste einer Kirche, die nach H. Waldmann (Tübingen) auf die Mission des Apostels Thomas zurückgehen könnte..

65  Das liest sich politisch korrekt bei Dr. Barbara Finster („Arabien in der Spätantike“) so:................................

eine jüdisch-christliche Kultur oder im weitesten Sinne eine monotheistische Epoche bedeutet dort kein Forschungsdesiderat.''

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Die vorislamische Kaaba als christliche Kirche (Nach G. Lüling / al-Azraqi)

 

Die Kaaba bildete also mit der Apsis eine bauliche Einheit, mit einem Taufbecken rechts des Eingangs und zahlreichen Wandbildern.66 Nach der Be­ setzung Mekkas 693 durch al- Haggag, den Statthalter Abd al-Maliks, soll diese Apsis abge­ rissen worden sein, der Haupt­ bau diente aber bis Anfang des

9.     Jahrhunderts           immer     noch als Kirche. In frühislamischer Zeit führte man die ursprüng­ lich mit Fenstern und Türen versehene     Kaaba       zurück      zu einem leeren, fensterlosen, fast verschlossenen Bau.       Forscher sehen darin die im Sinne einer überdimensionierten         Bundes- lade      symbolisierte          Rückwen­ dung vom hellenistischen zum semitischen Christentum mit

 

seinem ausgeprägten alttestamentlichen Bezug; die Kaaba war demnach ein Tempel Abrahams, bevor sie endgültig zur Moschee wurde. In diesem Zusammenhang ist auch das Verschwinden von Kreuzen auf Münzen zu sehen, abgelöst von der alttestamentlichen Steinpyramide. Dies ist ein Ausdruck der Hinwendung zu anikonischer Verehrung, in deren Zug der schwarze Stein der Allat wieder salonfähig geworden sein dürfte.

Nach islamischer Behauptung hat es um Mekka und Medina herum niemals christliche Gemeinden gegeben. Die Kaaba ist der schlagende Gegenbeweis, weitere Relikte des Geländes um die Kirche herum ruhen

 

 

66 Es gibt Berichte, wonach zwei dieser Bilder (Abraham, Maria und Jesus) noch in junger Vergangenheit vorhanden gewesen waren. Und es halten sich hartnäckig Gerüchte, dass sie immer noch vorhanden seien.

BILD 18

Der Ort der Kaaba war die Verehrungsstätte der heidnischen Mondgöttin Allat und der Göttin des Morgensterns, Uzza. Ihre Symbole, Stern und Sichelmond, zieren noch heute die

Flaggen mehrerer muslimischer Länder. Der Stein der Allat, die zugleich Fruchtbarkeitsgöttin war, ist an einer Ecke der Kaaba eingemauert. Aus der christlichen Periode der Kaaba stammt die noch deutlich sichtbare halbrunde Grundmauer der früheren Apsis.

 

unter dem Pflaster des Moscheebezirks, sind aber wie alle anderen nicht­ islamischen Stätten Saudi-Arabiens der Forschung nicht zugänglich.

 

Das 7. und das 8. Jahrhundert ist für viele Islamforscher eine rätselhafte Periode, weil keine islamischen Schriften aus dieser Zeit existieren. Der Koranexperte Rudi Paret nennt sie eine „Überlieferungslücke“67. Konn­ ten die frühen Muslime nicht schreiben ? Sie konnten und haben es doch vielfach bewiesen. Sie schrieben - allerdings kein klassisches Arabisch, und sie sprachen auch nicht so, wie die Korangelehrten das von ihnen erwarteten.

Ab Mitte des 9. Jahrhunderts setzte die Schreibarbeit plötzlich mit großer Intensivität wieder ein. Es erreichen uns Berichte aus dem späten

6. Jahrhundert, deren Akteure plötzlich Koranarabisch sprechen und uns detaillierte Schilderungen von Ereignissen aus der Zeit vor 200 Jahren und noch früher liefern. Warum berichteten sie nicht schon damals davon ?

Die Antwort der islamischen Gelehrten lautet, die arabische Kultur sei eine orale gewesen mit einer großen Erzählertradition. Es hätte zahlreiche Personen gegeben, die den gesamten Koran hätten fehlerlos auswendig aufsagen können. Respekt vor den Geistesriesen, aber warum sollten die Araber vor Muhamad geschrieben haben, dann nicht mehr, und dann plötzlich nach 200 Jahren wieder? Diese exaltierte Bedeutung der oralen Tradition ist längst widerlegt, wir besitzen zahlreiche Beweise der schrift­ lichen Tradierung.

Was nach der „Überlieferungslücke“ nun produziert wurde, war sehr viel Material an Umfang, aber thematisch sehr dürftig. Es bestand im We­ sentlichen aus den Texten eines Heiligen Buches namens Koran und aus einer riesigen Menge Materials über einen Propheten namens Muhamad. Von beiden war zu Anfang der Lücke keine Rede gewesen, am Ende gab es kein anderes Thema mehr. Alle Literatur scheint sich nun nachgerade zu überbieten im Nachweis des Propheten und seiner neuen Religion.

Es tauchten aber auch Schriftfragmente, Querverweise oder Verzeich­ nisse von einer Anzahl von Büchern auf, die nicht mehr vorhanden waren, aber von denen man weiß, dass sie existierten und nicht in den Chor der

 

67  Rudi Paret, „Die Lücke der Überlieferungen über den Urkoran“, Wiesbaden 1954.

 

Propheten-Cheerleaders eingestimmt hatten. Genauso verschwunden war eine ganze Reihe von Koranvarianten, deren ehemalige Existenz aber be­ kannt ist. Lange Zeit glaubte die europäische Orientalistik den üblichen traditionellen Erklärungen, Grund der Ausmusterung wären Probleme in der Orthografie oder mit Dialekten gewesen, obwohl die Propheten­ geschichten selber über Bücherverbrennungen berichten.

Nein, wir wissen heute, dass eine Zensur und Büchervernichtung größ­ ten Ausmaßes stattfand.

Man gab sich bisweilen nicht einmal Mühe, das zu verschleiern. Die älteste Lebensgeschichte des Propheten soll von Ibn Ishak stammen, sie ist jedoch nicht mehr existent. Ibn Hischam (gest. 834) stützt sich in seinen Schilderungen auf diese Geschichte, schreibt aber in seiner Einleitung:

„Ich werde manches weglassen, was Ibn Ishak in diesem Buche erwähnt hat, wenn dabei vom Propheten keine Erwähnung geschieht, nichts da­ von im Koran zu finden ist... und wenn es weder als Erklärung noch als Beweis dienen kann ...“

Das ist auf den Punkt gebracht. Historische Informationen besitzen in der gesamten frühislamischen Literatur ihre einzige Berechtigung im Nachweis des Propheten. Der Koran sei einzigartig, ohne Vorläufer und ohne seinen Verkünder Muhamad nicht denkbar, ist das traditionelle Credo. Aber aus altarabischer, vorislamischer Zeit sind Dichtungen und Dichter überliefert. Wir kennen ihre Poesie, ihre Redewendungen, ihre formale Gestaltung. Ihre Inhalte sind, soweit religiös, biblischer und christlicher Herkunft. Form wie Inhalt dieser altarabischen Strophenlie­ der finden sich oftmals im Koran wieder.

Das heißt, der Koran ist nicht einzigartig, wie die Tradition es be­ hauptet. Er hat nachweisbare Vorläufer inhaltlicher wie stilistischer Art gehabt. Das ist auch nicht in Einklang zu bringen mit der Behauptung, die koranische Reimprosa sei ohne ihren Interpreten Muhamad gar nicht vorstellbar. Das eine ist eben nicht von dem anderen abhängig, wie For­ schungen deutlich machen. Die koranische Poesie steht integriert in der Kette arabischer Dichtertradition und ist nicht erst mit dem Koran und seinem Verkünder entstanden.

Auf den Versuch, jede Verbindung zur vorislamischen Poesie und Tra­ dition zu kappen, geht die alberne Behauptung der Tradition zurück, der

 

Prophet habe weder lesen noch schreiben können. Man sollte später gar nicht erst auf den Gedanken kommen, der Prophet hätte schon etwas früher Vorhandenes übernehmen können. Der Koran sollte schließlich frisch und exklusiv aus dem Himmel kommen und nicht aus der Vergangenheit.

Nach islamischer Meinung war vor Muhamad nichts, jedenfalls nichts Gescheites da, ganz offiziell dschhiliyya, „die Zeit des Unwissens, der Bar­ barei“ genannt. Und plötzlich alles auf einen Schlag: der Prophet, die Offenbarung, der Koran, und jede Menge Belletristik zum Thema. Aber das alles 200 Jahre später!

Die „Überlieferungslücke“ gab es in Wirklichkeit nicht. Die Araber haben sehr wohl überliefert und geschrieben. Nämlich den Koran, Schritt für Schritt, Version für Version, wir haben zahlreiche Handschriften, die diesen Prozess belegen. Aber sie haben nicht ein Wort über den Propheten geschrieben. Sie konnten also an ihrem Heiligen Buch schreiben, aber nicht über seinen Urheber, den Propheten ? Der Grund ist, dass es nichts über einen Propheten zu schreiben gab. Wo keine Muslime waren, konn­ ten sie auch keine islamischen Schriften verfassen.

Was konnte dann in der Zwischenzeit, den rund 200 Jahren zwischen den behaupteten Ereignissen und ihrer Verkündigung, geschehen sein ? Nichts weniger als die Geburt des Islam. Aber ohne einen rabiaten Erz­ engel, Eingebungen auf Bergeshöh, Eingreiftruppen aus dem Himmel und gottgesandte Sandstürme. Es war ein Prozess. Weil aber nach guter alter semitischer Tradition ein religiöses Großereignis nur durch eine veritable Offenbarung eingeleitet werden kann, blendete die islamische Historiografie die ersten zwei prozessualen Jahrhunderte aus und stellte einen Propheten an den Anfang.

Faktisch wurde das 7. Jahrhundert mit dem 9. Jahrhundert fortge­

setzt - was schon mehreren Forschern aufgefallen war. Unnachahmlich die Souveränität des renommierten Islamforschers Josef van Ess, der seine Theologiegeschichte des Islam im 2. islamischen Jahrhunderts beginnen lässt: Aus dem 1. Jahrhundert (also der Zeit Muhamads und der haupt­ sächlichen Geschehnisse) gäbe es Nichts Gesichertes zu berichten.

 

Wie bereits dargestellt, konnte Luxenberg nachweisen, dass viele Passagen des Korans nicht in Arabisch geschrieben waren. Er hat bisher etwa 400

 

aramäische Wörter im Koran nachgewiesen. Das scheint auf den ersten Blick nicht viel. Doch wie es sich zeigte, schuf bereits das Nichtverstehen von 400 Wörtern eklatante Fehllesungen, denen die Welt das Kopftuch und die Himmelsjungfrauen verdankt. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht.

Die Koranschriften bestanden ursprünglich aus dem Konsonanten­ gerüst         einer         aramäisch-arabischen         Mischsprache.         Es         wurde         ständig gearbeitet an diesem Koran, die zahlreichen Manuskripte belegen das. Dieser Koran war die Fortsetzung des Qeryan für eine spezifische arabi­ sche Gemeinde, und es war eindeutig ein christlicher Koran. Hätte man einen Araber beispielsweise um das Jahr 700, also hundert Jahre nach

„Muhamad“, nach seinem Glauben gefragt, die Antwort (sofern er nicht Jude war) wäre eindeutig gewesen: Christ. Bei Befragung in verschiede­ nen Regionen wären verschiedene Traditionen sichtbar geworden. Etwa unterschiedliche Haltungen zu Moses, Abraham oder Jesus, der als Gott, Gottessohn, als Prophet, als Gesandter gesehen wurde. Wir hätten her­ ausgefunden, dass den Unterschied in den Ansichten in erster Linie die Rolle ausmachte, die Jesus zugeschrieben wurde.

Die Akzente waren verschieden gesetzt, aber niemand sah deswegen eine neue Religion nahen oder hatte eine Veranlassung, seine Religion zu wechseln. Über zwei, drei Jahrhunderte hinweg gab es nur fließende Grenzen, niemand sah sich vor die Wahl gestellt, zwischen Christentum oder Islam entscheiden zu müssen.

Dies ist auch der Grund, warum die Christen in Syrien, Persien oder Spanien nichts vom Auftreten einer neuen Religion berichteten. Das Christentum war überall verbreitet, durch eine allmähliche Transition waren aus den arabischen Christen natürlich auch weitverbreitete Mus­ lime geworden. Die im Nachhinein fabrizierten Eroberungslegenden mussten aber nun eine Erklärung dafür finden, warum die „unterworfe­ nen“ Christen und Länder mit ihren Eroberern freudig kooperierten - das Märchen von der Toleranz des Islam entstand.

Auf dem Weg vom Qeryan zum Quran änderte sich nicht so sehr die Theologie, es änderte sich hauptsächlich die Rolle des Jesus. Erst als dieser keine zentrale Figur mehr war, sondern ein Prophet unter anderen auch, erst als der Verkündete zum Verkünder wurde, war der Koran zum Buch

 

einer anderen Religion geworden. Der Muhamad abd Allah ist das Pro­ dukt dieser Bedeutungsverschiebung und nicht die Ursache.

Theologisch waren kein genügender Grund und keine Rechtfertigung für eine neue Religion sichtbar. Aber ohne eine Rechtfertigung keine Reli­ gion - und sie wurde im Gründungsmythos des Muhamad nachgeliefert. Erst dieser mohammedanische Anfangsmythos macht den Islam aus.

 

Der brennende Wunsch nach einem eigenen Evangelium erschien er­ füllt, aber unerfüllt war immer noch die Sehnsucht nach einem eigenen Propheten - er war schließlich oft genug vorausgesagt worden. Die Juden hatten ihre Propheten, die Christen den ihren, und jetzt, im 9. Jahrhun­ dert, sollten auch die Araber ihren eigenen Propheten bekommen.

Es werden Gerüchte über einen arabischen Propheten aufgetaucht sein, aber weil die Zeit seines Erdenwandels unglücklicherweise schon

200 Jahre zurücklag oder mehr und keinerlei Aufzeichnungen dazu existierten, musste man auf mündliche Berichte zurückgreifen, die wie eine höchst ergiebige Quelle zu sprudeln begannen und nicht enden wollten. Diese Erzählungen belegten auch die Urheberschaft des Pro­ pheten am Koran, der ja als greifbarer Beweis zumindest in Teilen schon vorlag.

Folge war eine Rückinterpretation des Heiligen Buches und der Ge­ schichte der letzten 200 Jahre insgesamt. Diese Neuerfindung, die sie in Wirklichkeit war, fand hauptsächlich im 9. Jahrhundert in Mesopotamien statt. Die Editoren sammelten alles, was sie an Überlieferungen bekom­ men konnten, und schrieben es nieder. Sie verstanden allerdings Sprache und Wortbedeutung der Zeit der Entstehung nicht mehr richtig, wie sich herausstellte. Deshalb deuteten, vermuteten, lavierten, interpretierten sie bereits von der Stunde null an - was bis heute Kennzeichen einer Koran­ lesung geblieben ist („Interpretationen“).

Sie ernannten Kalifen und schlugen Schlachten, wo keine waren, und halfen mit Wundern nach, wenn die Erzählungen zu sehr aus dem Ruder zu laufen drohten. Man kann davon ausgehen, dass Erzählungen über durchaus existierende Akteure - ein Scheich oder ein prominenter lokaler Prediger - in ihre Berichte Eingang fanden, die aber dann mit dem Label

„Muhamad“ versehen wurden.

 

Die zahlreichen in den Koran aufgenommenen Anleitungen und oft ins letzte Detail gehenden juristischen Vorschriften sind diejenigen ei­ ner damaligen Beduinengesellschaft. Man darf annehmen, dass wüs­ tenspezifische Elemente schon früh Eingang in die Religion gefunden haben. Noch mehr mag aber bei der umfassenden Rückinterpretation hineingeschrieben worden sein. Allein der Unterschied zwischen den mekkanischen Suren (in etwa der theologische Teil des Korans) und den medinischen Suren (in etwa die Ausführungsbestimmungen) ist zu groß, um einer Person und einer Zeitepoche zugeordnet zu werden - sie tragen eine völlig verschiedene Handschrift. Die Editoren scheuten sich auch nicht, den legendären alttestamentlichen Abraham als Ibrahim in Mekka anzusiedeln und zum ersten „Rechtgläubigen“ zu ernennen, was unaus­ gesprochen, aber selbstredend nur ein Muslim sein konnte. Der Libanese Kamal Salibi verlegte in einschlägiger Tradition gleich das gesamte Alte Testament in das heutige Arabien und versuchte, es so für den Islam zu beschlagnahmen.68

 

Natürlich sollte die Sprache des neuen Buches Arabisch sein, aber ein umfassendes Arabisch gab es nicht. Und vor allem: Es gab nur eine rudi­ mentäre arabische Schrift - es musste also erst eine für alle lesbare und verbindliche Schrift definiert werden. Deshalb waren die Koranersteller auch Grammatiker und sie schufen nichts weniger als das Koranarabisch. Man nimmt als gesichert an, dass der Koran überhaupt der erste Text in dieser neuen Sprachversion war.

Kaum war das Buch erschienen, suchte man es als das alleinig Wahre und Allumfassende zu etablieren. Wer dieses Buch habe, brauche kein anderes mehr, darin sei alles Vergangene, Gegenwärtige und Zukünftige enthalten, es regele sämtliche Bereiche des Lebens. Damit war die Saat ge­ legt zu der Vermengung von Privatem, Öffentlichem, Zivilem und Staat­ lichem, das den Islam fortan kennzeichnete. Und selbst der Esel Luqman aus dem Akhikar, dem indischen Buch der Weisheit, fand als eigene Sure noch Platz im Koran, als Souvenir aus der Heimat des muhamad, dem buddhistisch beeinflussten ostpersischen Raum.

 

68 Kamal Salibi, „Die Bibel kam aus dem Lande Asir“, Hamburg 1985.

 

Die Editoren erfanden Sprache, Schrift und Geschichte also neu und verloren so die Beziehung zur Realität ihrer Vergangenheit. Nichts do­ kumentiert das völlig zerrüttete Verhältnis des Islam zu seiner eigenen Vergangenheit besser als die Symbole der verhassten Heidengottheiten auf seinen Flaggen und Gebetshäusern: Sichelmond und Morgenstern.

 

Eine wichtige Station von der Geschichtlichkeit zur Legende nimmt zwei­ fellos al-Hira, ein Ort im südlichen Mesopotamien, ein. Hier lebte ein Verband arabischer Stämme, die sich unter der Religion als verbinden­ dem, stammesübergreifendem Element zusammengeschlossen hatten. Die Hirenser verstanden sich als die Gemeinschaft der Ibad, der „Die­ ner“ (gemeint ist „Diener Gottes“). Auch der Koran spricht von Ibad. Allerdings müsste es korrekt Abid heißen (die Pluralform von Abd), das Ibad gibt es nur als mesopotamische Sonderform, bezogen auf die besagte Gemeinschaft. Nur verschrieben ?

Man erinnere sich, Hira hieß auch der Ort in der Nähe Mekkas (ein Berg oder eine Höhle), wo in der islamischen Tradition Muhamad seine ersten Offenbarungen empfing. Ein Zufall ? Tatsächlich gibt es guten Grund zur Annahme, dass dieser real existierende Ort al-Hira von der Tradition mit entsprechendem Bedeutungsinhalt von einer Lokation zu einer anderen transferiert wurde, ein Vorgang, für den es in der Geschichte zahlreiche Entsprechungen gibt. Haben wir es bei den hirensischen Christen mit den „Ur-Muslimen“ zu tun?69 (Mit diesen hirensischen Christen oder Ibaditen bekommen wir es in einem späteren Kapitel nochmals zu tun, wo sie als christliche Araber nach Spanien kommen und dort zu Musli­ men werden.)

 

Als geborenen Semiten und gelernten Christen war den Arabern nicht nur die große Tradition des Alten Testaments und der Thora vertraut. Ja, sie lebten diese alten Mythen von Moses und Abraham, die Vertreibung der Stammväter durch den Pharao, die Prophezeiungen, die Landnahme, die

 

69 Eine Legende spricht von einem Händler und Prediger, der in al-Hira das arabische Christentum angenommen habe und es im südlichen Arabien verbreitete. Er habe Qutham geheißen und sei später als Muhamad bekannt geworden.

 

unausweichliche Apokalypse und die Hoffnung auf endgültige Erlösung. Man stellte Vergleiche mit Ereignissen der Gegenwart an, suchte nach Pa­ rallelen, hielt nach Zeichen Ausschau. Im Mythenschatz der semitischen Religionen finden sich immer wieder die gleichen Ablaufmuster.

Ein Prophet wird etwa angekündigt. Er erscheint, um seine Geburt rankt sich ein Geheimnis, im Alter von 12 Jahren hält er gelehrte Vor­ träge, hat Erscheinungen, wird verkannt, verfolgt, geht in die Wüste, pre­ digt, wirkt Wunder und steigt letztlich in den Himmel auf.

All dies finden wir beim Propheten der Araber wieder. Selbst in der Minderzahl gewinnen immer die Richtigen, und wenn ein gewöhnliches Wunder nicht ausreicht, kommen Engelscharen zur Unterstützung. Im Alten Testament, im Koran, im alten Orient.

Wenn man ein fremdes Land betritt, dann schon mit Feuer und Schwert. Man zerstört, mordet und brandschatzt, im Alten Testament wie im Koran. Jeder kennt die Geschichte, wie die Israeliten (natürlich mithilfe eines Wunders) Jericho zerstörten und ein Blutbad anrichteten. Wir wissen aber aus der Archäologie, dass Jericho zu der fraglichen Zeit gar nicht bewohnt war. Auch für die geschilderte blutige Landnahme ganz Palästinas gibt es keine archäologische Entsprechung. Genauso verhält es sich mit den in allen Details geschilderten islamischen Eroberungen im Namen des Propheten. Forschung und Archäologie wissen nichts von einer Eroberung Syriens, Persiens oder Ägyptens durch Muslime zur fraglichen Zeit. Das arabische Reich war eben nicht Folge des Islam, es war schon da. Die großflächige Islamisierung konnte geschehen, weil das arabische Reich bereits bestand und der sich entwickelnden arabischen Religion eine breite Basis bot. Zur Prophetenlegende gesellten sich im Nachhinein die Legenden glorreicher Schlachten und heldenhafter Erobe­ rer. Al-Walid etwa, der angebliche Dschihadist und ruhmreiche Eroberer, baute in Wirklichkeit um 710 die Johanneskathedrale in Damaskus, an­ statt für den Propheten Kriege zu führen.

Die Verfasser des traditionellen Berichtes hatten keinerlei Bezug zu einer

Geschichtsauffassung im heutigen Sinn. Ihre Vorstellungen bewegten sich in den Bildern und in der epischen Tradition des nahöstlichen Raumes. Wir haben es hier nicht mit historischen Schilderungen zu tun, sondern mit Erfüllung von Erwartungshaltungen und von Reviermarkierungen

 

zur Identitätsbildung: „Unsere Religion, unsere Überlegenheit, unser Draht nach oben.“ Also hergehört!

 

Der Qeryan, das aramäische Liturgiebuch der arabischen Christen, endete nach einem halben Jahrtausend, nach vielen Zwischenstufen, Änderun­ gen, Hinzufügungen und Weglassungen im arabischen Quran, dem Buch einer neuen Religion. Der Koran hatte als christliches Buch begonnen und wurde dann zum islamischen Koran, als Jesus seine Sonderstellung verlor. Theologisch ist das Buch sehr abgemagert, aber der alte Kern ist nach wie vor vorhanden. Dass es als arabisch-christliches Buch nicht mehr sofort erkenntlich ist, liegt an den nachträglichen Bearbeitungen. Erst im Zuge dieser Bearbeitungen erhielt der Muhamad Existenz und Profil. Und erst die der ursprünglichen Botschaft übergestülpten Interpretationen und ihre Beduinisierung gaben der neuen Religion ihr typisches Gepräge.

Der Islam mit seinem Heiligen Buch war nicht von heute auf morgen

auf der Welt. Er hat sich auch nicht in ein paar Jahren über die Hälfte der damaligen Welt verbreitet, wie uns die religiösen Legenden weismachen wollen. Der Islam hat eine lange, verwickelte Entstehungsgeschichte und seinen Ursprung im arabischen Christentum.

Das Christentum ist eine Abspaltung vom Judentum, der Islam eine Abspaltung vom Christentum. Diese Abspaltung bereitete sich im 7. und

8. Jahrhundert vor und war erst im 9. oder gar 10. Jahrhundert komplet­ tiert, erst da haben wir die Verhältnisse, wie sie von der Tradition für das

7. Jahrhundert beschrieben werden. Die weiträumige Etablierung dessen, was wir heute unter „Islam“ verstehen, fand nicht vor dem 12. Jahrhundert statt. Die Darstellungen des Propheten und sein Buch in der islamischen Tradition, besonders die der ersten 200 Jahre, gehören in die Kategorie

„Märchen aus dem Morgenlande“. Das wäre so, als würden wir für die Ni­ belungensage Wahrheitsanspruch erheben. Die wahre Geschichte nimmt dank der Wissenschaften Zug um Zug Gestalt an, auch wenn wir uns, wie in der Einleitung gesagt, erst am Anfang dieses Prozesses befinden.

Die „Goldenen Zeiten" des Islam:

Verklärte Blicke in eine nicht existente Vergangenheit

 

„Moses, Jesus, Muhamad - diese Verbrecher. “

Der „islamische“ Philosoph ar-Razi (865-925)

 

 

„Die Quelle des Unglaubens liegt darin, solch grässliche Namen wie Sokrates, Hippokrates, Plato und Aristoteles überhaupt gehört zu haben. “

Der islamische „Philosoph“ al-Ghazali (1058-1111)

 

 

O

b der ehemalige ägyptische Staatspräsident Gamal Abdel Nasser, ob Saddam Hussein, ob ein beliebiger Prediger beim Freitagsgottesdienst, ob ein gläubiger Journalist in einer Zeitungsredaktion oder Osama bin

Laden in den afghanischen Bergen: Jeder beruft sich auf die „Goldenen Zeiten“ des Islam.

Was ist mit diesen „Goldenen Zeiten“ gemeint?

 

Zunächst einmal wird unter der „Goldenen Zeit“ die Lebenszeit des Pro­ pheten  verstanden  und  die  Zeit  seiner  unmittelbaren  Nachfolger,  der

„Rechtgeleiteten Kalifen“.

„Golden“, weil zu jener Zeit die Offenbarungen des Propheten, also das Wort Gottes, Gesetz gewesen sein sollen. Der Prophet selber habe über die Einhaltung gewacht und selber als leuchtendes Vorbild gedient - also schlichtweg der Idealzustand für einen gläubigen Muslim. Auch die sozi­ alen Umstände seien ideal gewesen. Dies habe sich auch noch unter den unmittelbaren Nachfolgern des Propheten fortgesetzt, die alle aus seinem Verwandtenkreis gestammt hätten.

Wie wir wissen gibt es dazu keine harten Fakten, die Schriften entstam­

men ausschließlich religiösen Quellen und sind deshalb als Glaubenssache zu betrachten. Es ist also der Glaube, der ideale Verhältnisse konstruiert.

 

Die frommen Erzählungen sollen sich in der Arabischen Wüste, mehr oder weniger zwischen Mekka und Medina, abgespielt haben. Wie wir nun ebenfalls wissen, hat diese Region in der Entstehung des Islam keine Rolle gespielt. Es erscheint daher müßig, über die Zustände in der dama­ ligen Arabischen Wüste tiefschürfend zu räsonieren ...

Trotzdem: Die äußeren Umstände in der Arabischen Wüste des 7. Jahr­ hunderts müssen schwierig gewesen sein. Die Menschen bewegten sich am Rande des Existenzminimums, oftmals am Rande des Hungertodes. Noch bis ins 19. Jahrhundert gab es immer wieder kriegerische Ausbrüche aus der arabischen Sandwüste heraus bis ins mesopotamische Kulturland und nach Nordafrika, diktiert von purer Not70. Man darf annehmen, dass simple beduinische Raubzüge später zu islamischen Glaubensexpeditio­ nen umgearbeitet wurden.

Wie kann diese Gesellschaft ausgesehen haben ? Eine darbende, aber hoch ideologisierte Männergesellschaft, bei der im Wesentlichen das Recht des Stärkeren galt. Muhamad selber ist nach den traditionellen Berichten das beste Beispiel dafür: Einmal an die Macht gekommen, gab er Morde für missliebige Personen in Auftrag und brach Dutzende von Scharmützeln und Kriegen vom Zaun. (Diese werden heute von der umma, der „Gemeinschaft der Gläubigen“, gefeiert oder zumindest als unvermeidlich dargestellt.).

Die Geschehnisse, die „golden“ gewesen sein sollen, fanden im „Mit­ telalter“ statt - aber in welchem Mittelalter ? Das Byzantinische Reich war in dieser Zeit sicher am weitesten, ähnlich auch die arabischen Kernlän­ der. Europa hinkte diesen beiden Regionen im Mittelalter deutlich nach. Aber in der Arabischen Wüste herrschten trotz des Gebrauchs von Eisen bronzezeitliche Verhältnisse - wenn überhaupt.

Gläubige Menschen mögen inmitten erbärmlicher äußerer Umstände ideale Verhältnisse im Inneren postulieren. Tatsächlich ist es aber zweitran­ gig, wie diese Verhältnisse ausgesehen haben mögen. Ein Problem entsteht erst dann, wenn man die als ideal empfundenen Verhältnisse einer längst

 

 

70  In Ägypten gibt es noch heute Dörfer ehemaliger, nicht mehr zurückgekehrter arabischer Plünderer aus dem 19. Jahrhundert, die von der eingesessenen Bevölkerung gemieden werden und mit denen keine Verheiratungen stattfinden.

 

vergangenen Epoche in andere Lebensräume und Epochen zu transferieren sucht; in unserem Fall bronzezeitliche Verhältnisse einer Wüstengesell­ schaft ins 21. Jahrhundert einer sich globalisierenden Welt. Das kommt der Weigerung gleich, geschichtliche, soziale und technische Entwicklungen, also schlicht den Fortgang der Zeit, anzuerkennen. Genau das tut die recht moderne islamische Ideologie der salafiyya. Diese Fixierung auf eine längst vergangene Zeit in einem extremen Lebensraum, mit Akteuren, von denen wir eigentlich nichts wissen, ist ein Klotz am Bein der heutigen Muslime - jedenfalls jenes Teils, der sich diese Verhältnisse zurückwünscht.

 

Zur „Goldenen Zeit“ gehören auch die gewaltigen Eroberungen unter der grünen Flagge des Propheten. Innerhalb von 10 Jahren soll das isla­ mische Heer aus der Wüste die Arabische Halbinsel erobert haben sowie Syrien, Palästina, den Irak, Ägypten, Nordafrika und Persien. Es folgten der Kaukasus, Spanien, Teile Frankreichs, Russlands, Indiens und Chinas. Viel Holz in kurzer Zeit.

Es soll damit begonnen haben, dass die Truppen des Propheten 629 in Palästina einfielen. Bereits 633 stieß ein weiteres muslimisches Heer aus Mekka nach Syrien vor. Das liest sich in kurz gefasster Zusammenschau muslimischer Darstellungen so:

 

Das Heer kam nur langsam voran, bis der Kalif Abu Bakr weitere Truppen, die simultan dazu Mesopotamien eroberten, mit den Worten herbeizitierte:

„Beeilt euch, beeilt euch, die Eroberung eines syrischen Dorfes kommt mir teurer zu stehen als die Eroberung des gesamten Irak.“ So verstärkt, konnte das Heer die Byzantiner „südlich von Jerusalem schlagen“.

Man kennt den angeblichen Schauplatz nicht genau, man kennt nicht das Jahr, aber man kennt die Details, Feldherr ist ein gewisser Khaled al-Walid, „der größte Feldherr aller Zeiten“.

Zahlenverhältnis: Muslime 32000, Byzantiner 90000. Zur Einstim­ mung schickte Walid einen bekannten Vorkämpfer vor die Front. Der stellte sich vor die Reihen der Römer und schrie:

„Ich bin der Tod eurer aschfahlen Häupter. Ich bin der Mörder der Rö­ mer. Ich bin die Geißel, die zu euch gesandt wurde, ich bin Zarrar, Sohn von Azwar. Als sich ein römischer Offizier bewegte, um die Herausforderung

 

anzunehmen, riss sich Zarrar seine Rüstung vom Leib und warf seinen Schild hinfort. Die Römer erkannten ihn. Ihnen war bekannt, dass er Dut­ zende Veteranen getötet hatte, darunter die Generäle von Tiberias und Amman. Sofort bewegte sich eine größere Gruppe auf Zarrar zu, als Gene­ ral Walid diesen feigen Zug erkannte, stürzte er sich sofort in den Kampf, es war wahrlich ein unfairer Kampf, nur zehn Römer gegen den größten Schwertkämpfer aller Zeiten. Sie waren keine Herausforderung für Khaled, er tötete sie schnell und gnadenlos.“71

 

637, 638 oder 639 kam es zur „entscheidenden Schlacht von Kadesia“ im Irak. Die islamischen Quellen kennen zwar die Jahreszahl nicht ge­ nau, aber dafür wieder die Details: 100000 Persern mit Kriegselefanten standen 30 000 Muslime gegenüber. Es war ein zähes Ringen, aber als schließlich ein Wüstensturm den Persern entgegenblies, war es um sie geschehen72.

636 kam es zur „alles entscheidenden Schlacht“ am Yarmuk (Jordan): 200 000 Byzantiner gegen 25 000 Muslime. Sie wurde gewonnen, weil die

„Perser und Römer“ uneins waren und ein starker Südwind ihnen Staub ins Gesicht wirbelte.

638, nach anderen islamischen Quellen 634, eroberten die Muslime Jerusalem.

639 eroberten sie die persische Provinz Khuzistan, 640 Kairo und 642 Alexandria.

Ebenfalls 642 fand eine weitere „alles entscheidende“ Schlacht bei Nehawend im Iran statt.

150000 Perser standen weniger als 10000 Muslimen gegenüber, die Windrichtung ist diesmal nicht überliefert. Aber die Muslime schlugen die Perser, die entsetzt in alle Windrichtungen davon stoben73.

Die siegreichen islamischen Heere stießen weiter in zwei Marsch-

 

71  Aus: islamreligion.com, 2009.

72  Das Interessanteste an der angeblichen Schlacht von Kadesia ist, dass 1980 der irakische Diktator Saddam Hussein dieses Ereignis benutzen sollte, um es als leuchtendes Beispiel für seinen Krieg gegen den Iran hinzustellen.

73  In einem Forumsbeitrag auf der Website politik.de aus dem Jahr 2009 heißt es: „Das kann kein Zufall sein, immer unterlegen zu sein, aber dennoch erfolgreich zu siegen.“

 

säulen nach Indien und China vor. Unterwegs, am Fluss Talas, wurden die Chinesen abgefertigt, in „einer weiteren Entscheidungsschlacht der Weltgeschichte“ (diesmal Wikipedia, 2009) und - man staune - vom

„Abbasidenkalifat“. Das Erstaunen wird noch größer, wenn an ande­ rer Stelle die islamische Geschichtsschreibung präzise im selben Jahr einen legendären Abu Muslim die Omayaden aus genau diesem Gebiet vertreiben ließ, eine „schiitische Revolte“ unterdrückte und sich auch noch mit dem Kalifen überwarf. Strafexpedition, interner Glaubens­ krieg, Vernichtung des chinesischen Heeres: alles am selben Ort zur selben Zeit.

Parallel dazu war ein islamisches Heer unterwegs, um Nordafrika, Spanien und Südfrankreich zu unterwerfen.

Die Besetzung Russlands bis zur Wolga wollen wir uns sparen.

Die Muslime betätigten sich in Erfüllung einer Voraussage des Pro­ pheten unter dem Kalifen Umar ibn al-Chattab (vulgo: das Gezückte Schwert Gottes) auch als Seemacht und trafen damit nach islamischer Darstellung „den Lebensnerv von Byzanz“. In der Seeschlacht von Phoi- nix, auch bekannt als „Krieg der Masten“, errangen sie demnach einen glorreichen Sieg. Danach hätten die Byzantiner sehr ungeschickt agiert, weil sie in zu enger Formation fuhren und den Muslimen daher Gele­ genheit gegeben hätten, von Boot zu Boot springend die Seeschlacht in eine Landschlacht zu verwandeln. Die muslimische Flotte habe zwar aus Christen bestanden, die aber begeistert und willig unter den Musli­ men ihren Dienst versehen hätten. Die Flotte sei dann vor Byzanz „am griechischen Feuer“ gescheitert, allerdings sei der Kaiser den Muslimen tributpflichtig geworden.

 

Zur Erinnerung an die Wirklichkeit: Gerade das Gegenteil ist der Fall. Muawiya / Maavia wurde tributpflichtig und wegen des Misserfolges abgesetzt. Auch sein Nachfolger Malik setzte die Zahlungen an Byzanz fort, wie wir wissen. Autor der genannten Begebenheit ist im Übrigen der uns schon bekannte Märchenonkel Tabari, er schrieb dies um 900,

 

also rund 200 Jahre nach den behaupteten Geschehnissen74. Fast über­ flüssig zu erwähnen, dass der gute Umar ibn al-Chattab historisch nicht belegt ist und wie zahlreiche seiner Kollegen nie existierte.75 Nicht eine dieser zahlreichen „Entscheidungsschlachten“ der Muslime ist histo­ risch belegt.

Natürlich kann eine Neuinanspruchnahme oder Wiederinbesitz­ nahme von Territorien oder Privilegien nicht ohne Kämpfe abgegangen sein. In unabhängigen Quellen wird - ohne nähere Angaben über die Kontrahenten - von zahlreichen Scharmützeln aus dieser Zeit berichtet, Positionierungskämpfe zwischen ehemals persischen und byzantinischen Parteigängern, zwischen selbstständig gewordenen Emiren und Alteigen­ tümern. Von Muslimen keine Rede.

Nach 627, der endgültigen Niederlage Chosrau II. bei Ninive gegen Herakleios, war keine persische Macht mehr existent, die Muslime auf ihrem Eroberungszug Richtung China hätten vernichten können, und Herakleios selber war auf dem Höhepunkt seiner militärischen Macht.

Das große Problem, hier wie in der gesamten islamischen Frühge­ schichte, sind die Quellen. Es sind ausnahmslos islamische Quellen, und es sind ausnahmslos spätere Darstellungen. Alle diese einschlägig be­ kannten Autoren76, auf die immer wieder zurückgegriffen wird, schrie­ ben ihre detailreichen, zitatgespickten Geschichten sehr viel später - und auf der Basis nicht belegter Quellen. Diese Geschichten handeln von Ereignissen („Entscheidungsschlachten“) oder Personen („Kalifen“), die nicht belegbar sind. Keine der Jahreszahlen stimmt, weil diese sich auf

 

74 Es sieht so aus, als ob wir uns auch vom Lieblings-Märchenonkel Tabari verabschieden müssten. Wie neueste Analysen ergaben, müssen die uns vorliegenden Tabari-Texte aus dem Kairo des 12. oder 13. Jahrhunderts stammen. Zukünftige Forschungen könnten ergeben, dass „Tabari“ keine Person war, sondern der Oberbegriff für eine Sammlung von Texten verschiedener Herkunft und Autoren.

75 Trotzdem gibt es eine Dissertation über seine schier übermenschlichen Leistungen an der Philosophischen Fakultät Köln: Halte Uenal, „Die Rechtfertigung der juristischen Urteile des zweiten Kalifen ,Umar Ibn Al-Hattab'“, Köln 1982.

Nach anderer Meinung war Omar allerdings ein ganz Schlimmer: „Omar ibn Khattab war in Wirklichkeit ein Agent für die Juden und von dieser Zeit an begann die jüdische Unterwande­ rung der Muslime“ (alhaq.de/biografien/, 2009).

76 „Annales“ von Tabari (gest. 922), die Hadithsammlung von Buhari (gest. 870), die „Geschichte der Kriegszüge“ von AI Wakidi (gest. 822), „Generationen“ von Ibn Saad (gest. 845).

 

Legenden beziehen und weil die nachträgliche Rückinterpretation in den Mondkalender eine häufig nachgewiesene Fehlerquelle in sich dar­ stellt. Alles, was diese Autoren an Quellen bieten, sind die bekannten

„Gewährsmänner“ in der Tradition einer Kette mündlicher Erzählun­ gen.

Aus den ersten beiden Jahrhunderten, also der Zeit Muhamads und

der Eroberungen, existieren nicht einmal islamische Quellen. Wer nach­ trägliche Geschichten ohne belegte Quellen als Geschichte ansieht, geht konform mit Sayyid Qutb77, der behauptete, Geschichte findet für den Islam nicht statt, weil dieser sich in „außergeschichtlichen Dimensionen“ bewege. Wie flexibel man in islamischer Betrachtungsweise mit histori­ schen Fakten umgeht, mag folgendes Zitat belegen:

„Aber auch das eigentliche historische Geschehen, die Darstellung der Ereignisse und ihre Erklärung werden unterschiedlich ausfallen, je nach­ dem, ob der Historiker ein unmittelbares göttliches Wirken in seiner Vor­ stellungswelt zulässt oder nicht.“78

Und: „In der muslimischen Tradition hat sich die Richtung durchgesetzt, die dieses Problem (Anm.: Das Problem der fehlenden Widerlegbarkeit) nicht durch eine dogmatische Ausklammerung alles Wundersamen zu lö­ sen versucht, sondern durch strenge Maßstäbe an die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung“.

 

Das heißt mit anderen Worten, Wunder in Geschichtsschreibung sind erlaubt. Spricht der zitierte Herr von Historikern oder von quassas, den orientalischen Geschichtenerzählern ? Natürlich ist denkenden Gläubigen klar, dass die Geschehnisse logisch nicht möglich sind. Deshalb bleibt gar keine andere Wahl, als die Existenz von Wundern zu postulieren oder gleich pauschal die Unanwendbarkeit historischer Prozesse für den Islam zu reklamieren. Vielleicht sollte man doch die westliche Unart beibehal­ ten, Forschung und Geschichtsschreibung auf Fakten und überprüfbare Sachverhalte zu beschränken.

 

77 Islamischer Theoretiker, Ägypten 1906-1966. Mehr darüber im Kapitel „Wer hat uns das angetan I"

70

Mohammed Laabdallaoui auf: muhamad.islam.de, 2009.

 

Die Christen desselben Raumes haben zu derselben Zeit jedoch nicht nur eine Fülle von Literatur hinterlassen, sondern sogar eine weitrei­ chende Missionstätigkeit entfaltet. Man betrachte die leidenschaftlichen Auseinandersetzungen untereinander, die Themen, die ihre Gemüter er­ hitzten und die reichen literarischen Niederschlag fanden. Themen, die höchst akademisch waren und absolut nebensächlich zu nennen sind im Vergleich mit der Konfrontation und Bedrohung in ganz anderen Dimen­ sionen durch eine andere Religion. So wie die Vorgänge im traditionellen Bericht beschrieben sind, ist der Islam wie ein Wirbelwind durch die halbe damalige Welt gezogen. Warum erzählen uns die Hauptbetroffe­ nen, die Christen und die vielen Angehörigen anderer Religionen, nichts davon ? Weil sie die Muslime als Befreier begrüßten ? Weil die Befreier so tolerant waren, wie es die Tradition uns weismachen will ?

Es gibt nun Versuche, diese Ereignisse mit außerislamischen Quellen zu belegen. Die üblicherweise genannten Namen sind Sophronius, Maxi­ mus der Bekenner, Thomas der Presbyter, Sebeos aus Armenien, Johannes von Damaskus und einige andere mehr.

Sofern sich die Texte zeitlich und den Autoren gesichert zuordnen las­ sen, ergibt sich ein sehr eindeutiges Bild79:

Es wird viel über „Sarazenen, Ismailiten, Hagariten“ berichtet, damals übliche Synonyme für „Araber“. Diese werden als „Häretiker“ wahrge­ nommen, in keinem Fall aber als Angehörige einer anderen Religion, ge­ schweige denn des Islam. Diese Religionsbezeichnung ist im beschriebenen Zeitraum nicht existent. Häretiker sind Abweichler von der eigenen Reli­ gion - genau das waren die arabischen Christen des 7. bis 9. Jahrhunderts und in abnehmendem Maße wohl auch noch später. Der Syrer Johannes bar Penkaye schreibt Ende des 7. Jahrhunderts in seinem 15 bändigen Buch Ktäbä d-res melle: „Unter den Arabern sind nicht wenige Christen, von denen einige zu den Häretikern gehören, einige zu uns“. Er erzählt nichts von einen Muhamad oder Islam. Anastasius vom Sinai (610-701), Jakob von Edessa (633-708), oder der Patriarch Isojahb III. (gest.659) schreiben über die Probleme ihrer Zeit, auch hier keinerlei Erwähnung vom Prophe-

 

79    Karl-Heinz Ohlig, „Hinweise auf eine neue Religion in der christlichen Literatur .unter islami­ scher Herrschaft' ?, „Oer frühe Islam“, Berlin 2007.

 

ten und seiner Religion. In die gleiche Richtung deutet ein Gespräch zwi­ schen dem Patriarchen Johannes und einem Emir aus dem Jahre 644, also kurz nach Maavias Machtübernahme80. Worüber wird diskutiert ? Neben Verwaltungsfragen über die Verschiedenheit der einzelnen Konfessionen, über Abraham, Moses und Maria - und natürlich über die Natur Jesu. Der Emir könnte Ibn As oder Ibn Saad gewesen sein. Nach Nevo und Koren81

„ist der Emir mit Sicherheit kein Muslim. Er zeigt keinerlei Kenntnis oder Anhängerschaft, er erwähnt nie Muhamad, Koran oder Islam.“

Für solche Fälle allerdings hat die islamische Darstellung die Taqiyya- Keule zur Hand: Taqiyya ist die im Koran82 sanktionierte religiöse Ver­ stellung, sich aus einer Notsituation zu retten oder aus der vorgespielten Freundschaft mit einem Ungläubigen einen Vorteil zu ziehen. Der Emir hätte danach also aus taktischen Gründen nur so getan, als wäre er kein Muslim.

 

Schon allein die nüchterne Betrachtung von Zahlen müsste genügen83. Woher sollen die Heere aus einer fast menschleeren Wüste denn stam­ men ? Allein Ägypten und Mesopotamien hatte Millionen Einwohner, der sprichwörtliche Knüppel in der Hand hätte ausgereicht zur Verteidigung. Das weiß auch die Tradition und liefert gleich die Erklärung mit der Ge­ schichte des nackten, nur mit einem Schilfrohr bewaffneten Muslims, der plötzlich einem schwer bewaffneten persischen Reiter gegenüberstand. Dieser warf zitternd vor Angst das Pferd herum und versteckte seine Pfeile im Gewand, damit es für die anderen so aussah, als wären sie verschossen. Allein zwischen 639 und 641 (widersprüchliche Angaben beiseitegelassen) sollen erobert worden sein Syrien, Mesopotamien, Persien, Ägypten. Und das parallel, und einschließlich mehrerer Festungen, wofür Belagerungs­ maschinen und viel Zeit von Nöten waren.

Man braucht nicht Clausewitz studiert zu haben, um zu verstehen, dass der gesamte Eroberungskomplex rein rechnerisch völliger Unsinn

 

 

80  F. Nau, „Un colloque de Patriarche Jean avec l'emir des Agareens“, in: Journal Asiatique, 1915.

81  Yehuda D. Nevo/Judith Koren, „Crossroads to Islam“, New York, 2003.

82  Unteranderem Sure 3:28,29.

83  Das Waldmann’sche „Clausewitz Argument“

 

ist. Deshalb hantiert die islamische Tradition ganz offiziell mit Wundern und versucht, diese auch noch als legitimes Instrument in der Geschichts­ schreibung zu verankern.

Und man stelle sich vor, dem besessen religiösen Byzanz wird innerhalb kürzester Zeit von Wüstenkriegern im Namen einer neuen Religion die Hälfte des Reiches abgenommen. Die Perser verlieren ihr gesamtes Herr­ schaftsgebiet. Und sie bemerken es nicht ? Beide haben einen ausgefeilten bürokratischen Apparat, beide sind emsige Protokollierer. Und sie berich­ ten nichts davon ? Millionen betroffener Christen, Heiden, Zoroastrier, Buddhisten vom Nil bis an den Indus und an die Wolga merken nichts von der Überwältigung durch eine neue Religion ? Mönche, Priester, Bi­ schöfe, hochintellektuelle Theologen, weit gereiste Persönlichkeiten - sie sollen nicht in der Lage gewesen sein, eine neue Religion zu erkennen ? Oder zu feige gewesen sein, um dagegen aufzutreten ? Die meisten von ihnen wären für ihren Glauben freudig in den Tod gegangen! In diesen Zeiten höchsten religiösen Bewusstseins und reichen Schrifttums soll von dem massiven und militanten Auftreten einer neuen Religion und ihrem totalen Sieg in kürzester Zeit nichts berichtet worden sein ?

Eine vollkommen absurde Vorstellung, all das. Die einzige mögliche Er­ klärung ist, dass die in der traditionellen Darstellung geschilderten Ereig­ nisse niemals stattgefunden haben. Man kann, ohne jemanden Unrecht zu tun, bei den islamischen Berichten nicht von Geschichtsschreibung reden. Es sind Geschichten, Märchen aus dem Morgenlande. Das Gespenstische dabei ist, dass diese im Wesentlichen auch das Geschichtsbild der westlichen Öf­ fentlichkeit geprägt haben. Ist gar von einem neuen Wunder zu berichten ?

Die „Goldenen Jahre“ der islamischen Eroberungen - es hat sie nie ge­ geben. Aber es hat die goldenen Jahre der arabischen Selbstbestimmung, der Loslösung von den beiden gewaltigen Machtblöcken der Region ge­ geben, die den Grundstein legten zu einem arabischen Reich und einem arabischen Bewusstsein. Erst nachträglich wurde diese spezifisch arabi­ sche Erfolgsgeschichte in eine islamische Geschichte umgedeutet.

 

Im Jahr 1377 saß der arabische Historiker Ibn Chaldun auf einer Bergfes­ tung in der nordafrikanischen Wüste und räsonierte über den geistigen Verfall in den islamischen Reichen und dessen Ursachen.

 

Es war dieselbe Zeit, als die oberitalienischen Handelsstädte einen bedeutenden wirtschaftlichen Aufstieg nahmen und zugleich einen ge­ waltigen Aufschwung der Künste und Wissenschaften einleiteten - das, was wir heute Renaissance nennen.

„Wir hören, dass die philosophischen Wissenschaften jetzt im Lande Roms und längs der anschließenden nördlichen Küsten im Land der euro­ päischen Christen sehr kultiviert werden. Die vorhandenen systematischen Darstellungen sollen umfassend sein, und die Leute, die sich darin ausken­ nen, sollen zahlreich sein, der Studenten viele.“84

Die umfassenden systematischen Darstellungen, von denen Chaldun spricht, hatten die „nördlichen Länder“ von den Arabern erhalten. Es waren meist lateinische Übersetzungen arabischer Schriften, die ihrerseits wiederum aus dem Griechischen ins Aramäische und Arabische übersetzt worden waren.

Ibn Chaldun sieht sich in seinem Selbstverständnis als Angehöriger einer Kultur, die das Wissen vergangener Kulturen in sich vereint und weiterentwickelt hat. Dass die ungläubigen Barbaren womöglich jetzt die­ ses Erbe antreten, irritiert ihn. Er ahnt, dass die große Zeit der arabischen Wissenschaften zu Ende geht. Er weiß aber nicht, dass er der Letzte seiner Zunft ist.

 

Um 750 war die Macht der Marwaniden zu Ende gegangen, ihre Nach­ folger, die „Abbasiden“, errichteten ihre Residenzen weiter im Osten, vor­ nehmlich in Bagdad und Samarra. Unter der Regentschaft einiger ihrer Herrscher erlebten die Wissenschaften eine wahre Blüte. Hier wurde der Grundstock zur weithin geteilten Meinung gelegt, das islamische Mittel- alter sei dem europäischen weit überlegen gewesen: Das sind die „Golde­ nen Zeiten“ der islamischen Wissenschaften.

 

Jakub ibn Ishak al-Kindi wurde um 800 in der Kulturstadt Kufa in Meso­ potamien geboren.

Es war die Regierungszeit des wissbegierigen und aufgeklärten Herr­ schers al-Mamun in Bagdad. Über den Bildungsweg al-Kindis wissen wir

 

84  Ibn Khaldun, „The Muqaddimah“, New York, 1958.

 

nicht näher Bescheid, aber er wurde zum Privatlehrer eines Neffen Mamuns, des späteren Herrschers Mutasim, bestellt. Einige seiner Unterrichtsmateri­ alien sind uns überliefert. Etwa eine Erörterung darüber, warum die Erde als Kugel frei im Raum schweben könne. Ein weiteres Traktat behandelt das Rechnen mit „indischen Zahlen“. Dies ist genau jenes Zahlensystem, das wir als „arabische Ziffern“ bezeichnen. Es stammt in der Tat aus Indien und gelangte über die arabische Vermittlung nach Europa.

Ebbe und Flut versuchte al-Kindi durch die Reibungswärme des Mon­ des beim Umlauf zu erklären. An anderer Stelle versuchte er, eine logi­ sche Brücke zu koranischen Aussagen zu schlagen, etwa der, wonach sich Sterne und Bäume anbetend vor Gott niederwürfen. Er sieht dahinter das Prinzip der absoluten Gesetzmäßigkeit - wenngleich er den Gestirnen Gesichts- und Gehörsinn zuschreibt. Seine Schrift über „Ursache und Wirkung“ widmete er Mamun. Damit stellt er sich in schroffen Gegensatz zu einem der Hauptsätze der koranischen Lehrmeinung, die Kausalität strikt ablehnt und dafür den Willen Gottes postuliert.

Seine Denkansätze basieren auf Aristoteles und Ptolemäus, durchsetzt mit altorientalischen Traditionen; besonders nahe scheint er den altbaby­ lonischen Sternanbetern gestanden zu haben. Al-Kindi hat mehr als 200 Schriften hinterlassen. Er scheint bisweilen konfus und unfertig, aber im Zentrum steht bei ihm die Propagierung des selbstständigen Denkens. Er selber titulierte sich mit dem Fremdwort „Philosoph“ und unterstrich unablässig die Wichtigkeit der Erkenntnis der Wahrheit, gleichgültig, woher diese stamme. Er markierte den Anfang einer Reihe arabischer Philosophen.

Sein Denken ist der koranischen Lehre diametral entgegengesetzt.

 

Hunain ibn Ishak (808-873) stammte aus al-Hira im südlichen Mesopo­ tamien. Sein Vater war Apotheker, der Sohn wollte Arzt werden und ge­ langte so nach Bagdad. Er besuchte die Vorlesungen eines gewissen Juhana ibn Masawahai, wie Hunain ebenfalls syrischer Christ und Leibarzt des Kalifen. Lehrmaterial waren wie üblich die griechischen Autoren, ganz besonders der berühmte Mediziner Galen aus Pergamon. Aus irgendeinem Grunde (er war angeblich zu vorlaut) wurde Hunain von seinem Leh­ rer der Vorlesungen verwiesen, eine Wanderschaft durch verschiedene

 

Städte folgte, darunter wahrscheinlich auch Byzanz. Nach sechs Jahren nach Bagdad zurückgekehrt, begann er, wissenschaftliche Standardwerke aus der Antike ins Arabische oder in die von seinem jeweiligen Auftragge­ ber gewünschte Sprache zu übersetzen. Er beherrschte meisterhaft antike und alle gängigen regionalen Sprachen. Aufgrund seiner medizinischen Ausbildung hatte er die allerbesten Voraussetzungen für fachspezifische Übersetzungen, sein Spektrum umfasste jedoch die gesamten damaligen Wissenschaften. Eine seiner Arbeiten ließ er einmal ohne Namensnen­ nung seinem ehemaligen Lehrer Ibn Masawahai zukommen.

„Der das produziert hat, muss vom Heiligen Geist unterstützt worden sein!“, soll dieser zutiefst beeindruckt ausgerufen haben.

Hunain wurde ein derart beschäftigter Mann, dass er bald seinen Sohn und seinen Neffen als Übersetzer der Standardtexte anlernte. Er selber kümmerte sich um die wissenschaftliche Hauptarbeit. Diese begann mit dem Auffinden alter Handschriften. Es waren zahlreiche unvollständig erhaltene Werke erhältlich, als Bruchstücke in verschiedenen Sprachen oder von verschiedenen Kopisten. Hatte Hunain ein bestimmtes Material beisammen, machte er sich ans Vergleichen. Ihm war natürlich bestens bekannt, dass Handschriften immer Fehler enthielten: Verschreibungen, Fehlübersetzungen, Fälschungen. Basierend auf dem Vergleich fertigte er dann die bestmöglichen Übersetzungen an, von denen er einen Katalog erstellte (der erst 1918 gefunden wurde). Er pflegte die Eigenart, die alten Götter, wenn sie in einem Text auftauchten, in den Einen Gott, in Engel oder Heilige umzubenennen. Im Gegensatz zu anderen begnügte er sich nicht mit den griechischen Fachausdrücken, sondern schuf arabische Wörter dafür. Er versäumte es auch nicht, in Samarkand, wo die Technik der chinesischen Papierherstellung bekannt war, extraschweres Papier zu ordern. Seine Arbeiten wurden inzwischen mit Silber aufgewogen.

Hunain ibn Ishak war das, was man heute einen wissenschaftlichen Herausgeber und Verleger nennen würde. Er starb im Jahre 873 und ver­ erbte der Nachwelt einen bedeutenden Nachlass antiker Autoren. Er war ein großer arabischer Wissenschaftler, aber kein muslimischer.

 

„Wer hat die Häfen und die Kanäle angelegt, wer hat die geheimen Wis­ senschaften kundgetan ? Wem hat sich die Gottheit offenbart, wem hat sie

 

die Orakel gegeben und zukünftige Dinge gelehrt, wenn nicht den Weisen unter den Heiden ? Sie haben all das studiert, sie haben die Heilung der Seelen erläutert und ihre Erlösung kundgetan, sie haben auch die Heilung des Körpers erforscht, und sie haben die Welt mit der Weisheit, der wich­ tigsten Tugend, erfüllt.“

Der das schrieb, war selber Heide: der Sabier85 Thabit ibn Kurra, 834 in Harran, in der heutigen Osttürkei, geboren. Und er war überzeugter Heide. Als er mit Anhängern der gerade aufkommenden neuen Religion diskutierte und diese die Allmacht Gottes in den Mittelpunkt stellten, fragte er zurück:

„Kann euer Gott auch bewirken, dass fünf mal fünf nicht fünfund­ zwanzig ist ?“

Für ihn hatte der neumodische Gott bestenfalls Allmacht über die Geschöpfe, aber nicht über die Schöpfung selber. Er war selber ein Ge­ schöpf. Ihr Glaube hatte den alten babylonischen Sternenkult als Wurzel, modifiziert durch den Einfluss griechisch-antiker Denkweise. Als Pro­ pheten verehrten die Sabier weise Männer der Vergangenheit, darunter auch griechische Philosophen86. Ein überliefertes Motto lautete:

„Plato sagte: Wer sich selbst erkennt, wird göttlich.“87

Auf der Durchreise durch die Stadt Harran wurde eine hochgestellte Persönlichkeit auf den gebildeten Sabier aufmerksam und nahm ihn mit nach Bagdad. Dort schrieb Thabit für diese in den Wissenschaften dilet- tierende Person unter ihrem Namen Abhandlungen und wurde auch so etwas wie freier Mitarbeiter für astronomische Fragen in Hunains Litera­ turbetrieb. Später wurde er in den Kreis der Hofastronomen aufgenom­ men und Vertrauter und enger Freund des Herrschers al-Mutatid.

Ausnahmslos waren alle bedeutenden Wissenschaftler und Philoso­ phen zumindest zeitweise bei Hof beschäftigt. Eine Karriere war anders zu dieser Zeit nicht möglich. Thabit beherrschte das Griechische per­ fekt, beschäftigte sich mit Philosophie, Mathematik und Medizin. Unter

 

 

85  Sabier, Anhänger eines babylonisch-chaldäischen S'ternenkults.

86 Man sieht, noch im 9. Jahrhundert bestand eine Vielfalt an Religionen im Reiche der soge­ nannten Kalifen. Der Islam war keineswegs schon die etablierte, dominierende Religion.

87  Inschrift am Türklopfer eines sabischen Hauses in Harran (nach al-Masudi).

 

anderem hinterließ er uns ein Buch über die Fragen, die ein Arzt dem Kranken stellen solle. Er war der Meinung, dass hinter dem Namen

„Hippokrates“ in Wirklichkeit vier Autoren stecken mussten. Als Sabier lag aber seine Stärke auf dem Gebiet der Astronomie. Unter anderem hatte es ihm die geringfügig unterschiedliche Länge der Jahre angetan. Ausgehend vom ptolemäischen System, nahm er eine geringe Bewegung der Fixsternsphäre an, die sogenannte Trepidation, die auch noch bei Kopernikus Eingang fand. Thabit kommt in Wolfram von Eschenbachs

„Parzival“ als Thebit vor. Er starb 901.

 

Es gibt auch von einer medizinischen Kapazität zu berichten, die ihre Laufbahn als Lautenspieler begonnen hatte: Muhamad ibn Zakarija ar- Razi, 865 in Rajj, dem heutigen Teheran, geboren. Von seiner Biografie wissen wir recht wenig, außer dass er Krankenhäuser in Bagdad und Rajj leitete und mit dem dortigen Emir al-Mansur ibn Ishak gut befreundet war. Dafür ist seine fachliche Hinterlassenschaft umso größer, ar-Razi war der größte Kliniker der arabischen Welt und als Rhazes wohlbekannt in Europa. Eine medizinische Enzyklopädie widmete er seinem Mäzen Mansur. Die lateinische Übersetzung des in Europa sehr populären Ka­ pitels 9 hieß „Liber Nonus Almansurus“. Es enthielt eine Heilmittelanlei­ tung, zugeordnet den einzelnen Krankheiten von Kopf bis Fuß, und war sogar in einigen europäischen Volkssprachen erhältlich.

Eine weitere in Europa sehr berühmte Abhandlung befasste sich mit Masern und Pocken, die sogar noch in England im 18. Jahrhundert ge­ druckt wurde.88 Bei seinem Tode im Jahre 925 hinterließ ar-Razi eine gewaltige Menge griechischer Exzerpte zu klinischen Fällen, die er durch eigene Beobachtungen und Erfahrungen ergänzt hatte. Diese Hinterlas­ senschaft wurde von Schülern systematisiert und kam 1486 in Brescia unter dem Titel „Liber Continens“ zum Druck, zwei riesige Folianten füllend.

Wie jeder berühmte Arzt seiner Zeit verfügte Rhazes auch über ein großes philosophisches Wissen, denn aus der Philosophie leitete sich zu

 

88  Ar-Razi, „Über die Pocken und Masern", Deutscher Nachdruck und Übersetzung von K. Opitz, Leipzig 1911.

 

einem guten Teil die medizinische Theorie ab. Die griechischen Philo­ sophen sowie Hippokrates89 und Galen90 waren ihm bestens vertraut. Rhazes bewies ein großes Maß an selbstständigem Denken, aber Neue­ rungen brachte er niemals vor, ohne dem großen Galen Respekt zu zol­ len:

 

„In der Tat, es ist mir schmerzlich gewesen, mich gegen den aufzulehnen, der von allen Menschen mich am meisten mit Wohltaten überhäuft hat und mir der hilfreichste war, durch den ich mich habe führen lassen, dem ich gefolgt bin Schritt für Schritt. Aber die Medizin ist eine Philosophie, die keinen Stillstand duldet.“91

 

Während Galen der Meinung war, dass die Seele von der Verfassung des Körpers abhängig sei, sagte Rhazes, dass die körperliche Verfassung von der Seele bestimmt werde. Die praktische Konsequenz davon war, dass er den Ärzten empfahl, den Patienten stets Mut zu machen, auch wenn sie sich ihrer Sache selber nicht sicher seien. Auch in der Philosophie ging ar-Razi eigene Wege. In Anlehnung an Demokrit nahm er eine atomare Materie an (Erde, Feuer, Luft und Wasser). Daneben stellte er Gott, die Weltseele, den absoluten Raum und die absolute Zeit, er sah den Kosmos also mehr­ dimensional. Der Schöpfer der Bibel und des Korans ist nur beigeordnet und nicht wirklich allmächtig. Propheten erkannte Rhazes als notwen­ dige Mittler der Substanz Gottes und der Menschen an, jedoch nicht „die drei Betrüger Moses, Jesus und Mohammed“92, die nur Zwietracht gesät hätten. Sein „Imam“ (er benutzt diesen Ausdruck wörtlich) ist Sokrates.

Spricht so ein Muslim, als der ar-Razi wie selbstverständlich verein­ nahmt wird ?

Rhazes starb im Jahr 925, in seinen letzten Lebensjahren war er erblindet.

 

 

89  Hippokrates von Kos, Arzt, ca.460-370 v. Chr.

90  Röm. Arzt, 129-216 n. Chr.; zusammen mit Hippokrates der bedeutendste Arzt der Antike.

91    Im Gegensatz dazu bedachte Avicenna Galen bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit Schmä­ hungen.

92    Es handelt sich um einen viel diskutierten Ausspruch. Wenn er auch möglicherweise nicht von ar-Razi selber stammte, so hat er ihn doch vertreten und populär gemacht..

 

Die meisten der arabischen Gelehrten waren auch Ärzte, entweder im Haupt- oder im Nebenberuf. Al-Farabi war „nur“ Wissenschaftler - hauptsächlich Interpret von Aristoteles und anderen griechischen Philo­ sophen, denen er seine eigene Variante hinzufügte. Die Medizin grenzte er bewusst von der Philosophie ab, weil es ihr Zweck sei, eine praktische Veränderung im Körper hervorzurufen, sie dabei aber nichts mit der Wahrheitsfindung zu tun habe.

„Al-Farabi“ heißt nichts anderes als „Der aus Farab“, einer Stadt im heutigen Kasachstan, wo er im Jahr 870 geboren wurde. Farabi war wohl ethnischer Kasache. Er soll zeitlebens, sein Äußeres missachtend, in ei­ nem schäbigen Kaftan kasachischer Art herumgelaufen sein. Von seiner Jugend wissen wir wenig. Nur, dass er sich schon in jungen Jahren auf den Weg nach dem persischen Harran und dann weiter nach Bagdad machte, wo sich christliche Lehrer seiner annahmen. Die meiste Zeit verbrachte er hier, in seinem letzten Lebensabschnitt ging er nach Aleppo in Syrien an den Hof des Emirs Saif al-Daula. Er begab sich kurz nach Kairo und starb bald nach seiner Rückkehr nach Syrien im Jahr 950. Der islamische Klerus nahm demonstrativ nicht an seiner Beisetzung teil.

Das hatte seine guten Gründe: denn Farabi lehrte vieles, was den Imamen nicht gefallen konnte, obwohl er sich stets um einen Ausgleich zwischen Philosophie und Religion bemühte. In der Hauptsache aber entwickelte er seinen Aristoteles fort. Er stellte die Welt als zusammenhängende Einheit dar: Ihr Ursprung ist zwar Gott, aber nicht als Schöpfer, wie Koran und Bibel ihn sehen, sondern als nicht personifizierte Quelle des Seins. Sie ist die Quelle ausfließender Bewegung, der sogenannten Emanation, der die niederen Stufen ihre Existenz verdanken. Die unterste Stufe der Hierarchie bildet die Materie, in die der Mensch verstrickt ist. In die höheren Welten kann dieser nur durch Denken, mystische Versenkung oder den Tod gelan­ gen. Die vornehmste Aufgabe des Menschen ist es, durch Begreifen der Welt und des Universums mit dem universalen Intellekt eins zu werden. Dieses Glück ist aber nur für wenige erreichbar - für den Rest ist die Religion gemacht93. Farabi betrachtete somit die Religion als künstliches Produkt, aber als eine Notwendigkeit für den Großteil der Menschen.

 

93  Ähnlich formulierte es Ibn Ruschd mit seinen „beiden Wahrheiten".

 

In dieser Denkweise entwirft er einen idealen Staat. Ähnlich Plato fordert er einen philosophischen König, dem aber ein Prophet zur Seite stehen soll, um dem mit wenig Vernunft ausgestatteten Staatsvolk Anweisungen zu geben.

Seine Philosophie ist antireligiös, trotzdem sieht er für die alltägliche Praxis Geistliche vor, die auf die ungebildete Masse einwirken sollen.

Al-Farabi stand nicht wie andere im Rampenlicht, sondern verbrachte seine Zeit mit Vorliebe im Garten beim Wasserteich.

 

965 war das Geburtsjahr eines gewissen Ibn al-Haitham, der in Europa unter dem Namen Alhazen bekannt werden sollte. Er stammte aus Basra und schlug zunächst eine Beamtenlaufbahn ein. Diese gab er jedoch bald auf und widmete sich wissenschaftlichen Studien in Bagdad und Persien. Eines Tages wurde der Gegenkalif in Kairo auf ihn aufmerksam, und als Alhazen die Möglichkeit äußerte, man könne den Nil aufstauen und so die Felder über das ganze Jahr bewässern, wurde er nach Ägypten berufen und mit dem Projekt betraut. Mit großer Mannschaft und Gerät zog er den Nil aufwärts, um das Staudammprojekt anzugehen. Aber sehr bald, schon angesichts der gewaltigen altägyptischen Bauwerke entlang des Flusses, beschlichen ihn Zweifel. Wenn diese Leute, die jene Bau­ werke geschaffen hatten, keinen Damm bauen konnten, wie sollte das ihm gelingen ? In Assuan, dort, wo heute der Damm steht, fand er die geeignete Stelle, aber er musste bald einsehen, dass dieses Projekt nicht durchführbar war. Unverrichteter Dinge kehrte er nach Kairo zurück und konnte froh sein, angesichts dieser Pleite mit dem Leben davonge­ kommen zu sein.

Er wandte sich darauf dem für viele Wissenschaftler der Zeit typischen

Broterwerb zu: Er übersetzte antike Schriften. Über die Jahre stellte er eine Ausgabe des kompletten Euklid, des „Almagest“ des Ptolemäus sowie Schriften weiterer griechischer Autoren fertig. Das machte ihn mit der Zeit finanziell so unabhängig, dass er sich seinem Lieblingsgebiet zuwen­ den konnte: der Physik, und ganz speziell der Optik94.

 

94    Sein Hauptwerk fand in lateinischer Sprache unter dem Titel „Thesaurus Opticus" in Europa weite Anerkennung.

 

Waren aber die meisten antiken und arabischen Physiker reine Theo­ retiker, so verlegte sich Alhazen auf Experimente, ein Novum zu dieser Zeit. Er goss die erste Linse aus Glas, die er interessanterweise zwar für Experimente benutzte, anscheinend nie aber für praktische Zwecke, etwa als Vergrößerungsglas oder Fernrohr. Im Widerspruch zu Euklid stellte er fest, dass die Lichtstrahlen von einem Objekt ins Auge gelangen und nicht ein Sehstrahl aus dem Auge die Umgebung abtastet. Anhand eines Hohlspiegels aus Metall stellte er sich ein bestimmtes mathematisches Problem, das noch heute als Alhazensches Problem bekannt ist und das er zwar selber umständlich löste, für das aber erst Huygens Mitte des

17. Jahrhunderts eine elegante Lösung fand. Auch grundlegende Gesetze der Perspektive infolge des sich gradlinig ausbreitenden Lichts gehen auf Alhazen zurück. Seine Arbeit mit Lichtstrahlen führte ihn konsequenter­ weise auch auf das Gebiet der Astronomie. Er betrachtete die Sternenwel­ ten ganz nüchtern als begreif- und berechenbare physikalische Einheiten. Er berechnete aufgrund der Strahlenbrechung die Dicke der Atmosphäre fälschlicherweise auf fünf Meilen, weil er von einer scharfen Grenze und nicht von einer allmählichen Verdünnung der Luft ausgegangen war. Die Würdigung seiner Arbeit lässt sich mit Alexander von Humboldt ausdrü­ cken, der die Araber als die eigentlichen Gründer der Physik bezeichnete. Ibn al-Haitham alias Alhazen war ihr bedeutendster Vertreter auf diesem Gebiet, obwohl nur Teile seines Gesamtwerkes erhalten sind, denn bald schon wurden seine Schriften als gegen den Koran gerichtet verbrannt.

 

Abu Ali ibn Sina wurde unter dem Namen Avicerma eine der berühmtes­ ten arabischen Persönlichkeiten in Europa. Im Orient ist er heute noch populär; Iran, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan wetteifern um die Ehre, ihn als einen der Ihrigen eingemeinden zu dürfen.

Es gibt immer noch viele Rätsel in Avicennas Biografie. Das erste ist das Jahr seiner Geburt. Man weiß, dass Avicenna im Jahr 1037 starb. Über sein Alter gibt es vier verschiedene Angaben, wobei nicht einmal sicher ist, ob von Mond- oder Sonnenjahren die Rede ist - das macht acht Daten zur Auswahl. Die nach Lüling wahrscheinlichste Altersangabe ist 58 Jahre, das heißt, Avicenna wurde im Jahr 979 geboren. Seine Familie stammte

 

aus der buddhistischen Hochburg Balch95 im heutigen Afghanistan, zog aber in die samnidische Residenz Kharmitan in der Nähe von Buchara (Usbekistan), wo Avicenna geboren wurde. Sein Vater war hochgestellter Beamter am Hof der buddhistischen Samniden96. Die Herkunft aus einem gut situierten Elternhaus gewährleistete die beste damalige Bildung. Die

„Eisagoge“ von Porphyrios und andere klassische Schriften gehörten zur Grundausbildung, er studierte natürlich auch Mathematik, Geometrie, Physik und Medizin. Letztere nannte er keine schwere Wissenschaft. Er war ein ungeheuer fleißiger Arbeiter, der zumindest nach eigenem Be­ kunden ganze Nächte durchstudierte.

Mit 22 Jahren war es vorbei mit dem Frieden. Der gerade erst isla­ misierte Turk-Stamm der Qara-Khaniden vernichtete das Samniden- reich und deportierte die überlebenden Mitglieder des Herrscherhauses. Avicenna („da forderte mich die Not auf fortzuziehen“) flüchtet nach Ur- gentsch, der Hauptstadt der Provinz Choresmien.

Indessen versuchte der Samanidenprinz al-Muntasir, in einem fünf Jahre währenden Kampf die Herrschaft wiederzugewinnen, scheiterte aber. Und Avicenna war sein Gefolgsmann. Die Türen, die ihm zuvor offen gestanden hatten, schlossen sich aus politischen Gründen wieder.

„Da forderte mich die Not auf fortzuziehen“: Avicenna verließ mit sei­ nem langjährigen Lehrer und Gefährten Abu Sahl al-Masihi, dem hoch­ berühmten Gelehrten und ehemaligen Leibarzt der Samniden, Urgentsch und seine lebenslange Wanderung von Residenz zu Residenz setzte sich fort.

„Da forderte mich die Not auf fortzuziehen“. Die Formel wurde zum roten Faden in Avicennas Leben. Er war lebenslang politischer Flüchtling aus einer buddhistischen Welt, die unter islamischen Druck geriet.

Von Urgentsch zog Avicenna über Nisa, Abiward und weitere Stationen nach Gurgan am Kaspischen Meer, sein Lehrer und Begleiter überlebte

 

95    Das Baktrlen hellenistischer Zeit. Balch umfasste Teile des heutigen Afghanistan, Turkmeni­ stan, Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz war zu Lebzeiten Avicennas die buddhistische Hochburg im Osten des Persischen Reiches. In Bamiyan ließ im Jahre 2001 die Taliban- Regierung zwei monumentale Buddha-Statuen aus jener Zeit sprengen.

96 Der Name leitet sich ab von der Stammresidenz Saman/Suman. Daher stammt Sumaniyya,

die damalige Bezeichnung für Buddhismus.

BILD 19

Denkmal Avicennas in Duschanbe (Tadschikistan)

 

Blatt aus Avicennas „Kanon der Medizin“

 

 

die Strapazen nicht. Unterwegs ordinierte Avicenna verschiedentlich unter falschem Namen, seine Hoffnung auf eine Anstellung bei Sheikh Kabus von Gurgan erfüllte sich nicht. So zog er ins persische Hamadan an den Hof von Schams-ad-Daula, von dem er einen Ministerposten erhielt. Eines Tages brachte ihn eine gegen ihn gerichtete Militärrevolte in arge Schwierigkeiten, Grund war sein wohl nicht sonderlich populäres ministerliches Traktat

„Über die Verpflegung und den Sold des Heeres, der Militärsklaven und Soldaten und über die Grundsteuer der Ländereien“. Er Überstand auch dies mit knapper Not, aber saß wenig später vier Monate im Gefängnis, weil er mit dem feindlichen Emir von Isfahan eine Absprache getroffen haben soll. Die Zeit im Gefängnis nutzte er zum Verfassen diverser Schriften. Nach weiteren langen und detailreichen Verwicklungen setzte er sich schließlich heimlich im Mönchsgewand nach Isfahan ab. Was die wirklichen politi­ schen Hintergründe waren, darüber können wir nur spekulieren.

Avicenna gehörte gegen Ende seines Lebens zu den engsten Vertrauten des Emirs von Isfahan und begleitete ihn in dieser Eigenschaft und als Arzt auf dessen Kriegszüge. Auf einem solchen, im Jahre 1037, starb er

 

im Alter von 58 Jahren. Die Umstände seines Todes sind überliefert: Um sich nach der von ihm erwarteten Niederlage auf die Flucht vorzuberei­ ten, wies er einen Begleitarzt an, eine stärkende Medizin zu mischen. Sie enthielt irrtümlich eine Überdosis von Petersiliensamen und Opium.

Avicenna führte ein sehr intensives Leben. Tagsüber war er mit seinen verschiedenen Brotberufen beschäftigt, abends folgten Vorlesungen und Niederschriften. Doch damit war der Tag noch nicht zu Ende, wie sein Schüler und Mitarbeiter al-Guzgani97 berichtet: „Waren wir damit fertig, erschienen Sänger aller Art, ein Weingelage mit allem, was dazugehört, wurde hergerichtet, und wir befassten uns damit.“

Und: „Beim Meister waren alle Kräfte stark entwickelt, wobei unter den Kräften des begehrenden Seelenteils die sexuelle am stärksten und übermächtigsten war.“ Avicenna lebte, wie landesweit bekannt war, ein ausschweifendes Leben.

Avicenna sah seine Berufung wohl in der Politik, seine Brotberufe waren Arzt, Richter und Gelehrter, in letzterer Funktion erstellte er sein philosophisches Werk. Geprägt war sein Leben vom Zusammenbruch des Samnidenreiches, der einherging mit dem Zusammenbruch der „Ostira­ nischen Renaissance“ insgesamt. Avicennas Wurzeln sind zweifellos bud­ dhistisch. Er selber sagt uns dazu direkt nichts und vermeidet sorgfältig Parteinahmen. Durch Religiosität irgendwelcher Art ist er nie aufgefal­ len und er führte ein bekannt unislamisches Leben. Dazu zählt, dass er auch die im Koran verbotenen Sektionen an Toten vorgenommen haben muss. Ständiges Ärgernis für die Orthodoxie war Avicennas Weigerung gewesen, die Notwendigkeit eines Propheten zur Vermittlung der Offen­ barung anzuerkennen98. (Dies genau ist ein Kernsatz der Sumaniyya, des Buddhismus).

Avicenna hinterließ ein umfangreiches philosophisches und medi­ zinisches Schriftmaterial, wiewohl die Bewertung seiner geisteswissen­ schaftlichen Arbeiten möglicherweise überzogen scheint. „Das Buch der

 

97    Die erste Hälfte seiner Autobiografie stammt wohl von Avicenna selber, die zweite Hälfte von seinem Schüler und Begleiter al-Guzgani.

98    Dazu gibt es eine nette Überlieferung aus dem 15. Jahrhundert, wonach sich in einer Erschei­ nung der Prophet Mohammed bei al-Magribi beschwert, Ibn Sina sei mit Gott ohne seine Vermittlung in Kontakt getreten.

 

Heilung“ oder der „Kanon“, eine systematische Darstellung der Medizin, zählte zu den Standardwerken, die ihn im mittelalterlichen Europa be­ rühmt machten. Dabei war er „hochfahrend“, wir würden heute arrogant sagen, und kannte wenig Rücksicht. Über Rhazes schrieb Avicenna, er hätte doch besser bei der „Untersuchung von Hautkrankheiten, Urin und Stuhlgang“ bleiben sollen. Es kann als sicher gelten, dass er Werke seines Weggefährten und Lehrers al-Masihi redigiert als seine herausgab.

Die Wissenschaft konstatiert einen großen Sprung von Hippokrates zu Galen, aber einen noch größeren von Galen zu Avicenna. Er dominierte 500 Jahre lang die Medizin des Orients und Europas, präzise bis Paracel­ sus 1530 eine neue Ära der Medizin einleitete.

Avicenna war ein großer Geisteswissenschaftler und der größte Arzt des Mittelalters. Ein Muslim war auch er nicht.

 

Die heutige Forschung ist geneigt, in den nichtmedizinischen Wissen­ schaften einem weiteren Usbeken einen noch höheren Rang als Avicenna einzuräumen: al-Biruni. Er blieb in Europa relativ unbekannt, vielleicht auch, weil es lange Zeit keine Biografie von ihm gab. Er war Landsmann und Zeitgenosse des etwas jüngeren Avicenna. Die beiden haben sich auch getroffen, aber Freunde - was bei Avicenna offensichtlich nicht einfach war - wurden sie nie. Biruni wurde 976 in Kath südlich des Aralsees geboren und stammte aus bescheidensten Verhältnissen. Er verdankte seinen Aufstieg der lokalen Fürstenfamilie, die ihn aufnahm und die bestmögliche Erziehung angedeihen ließ. Mit 16 Jahren führte er eine Bestimmung der geografischen Position seiner Heimatstadt durch und baute ebenfalls recht früh einen halbkugeligen Globus der nördli­ chen Hemisphäre". Aus politischen Gründen musste Biruni seine Hei­ matstadt 995 verlassen, man darf annehmen, dass die Gründe dieselben waren, die Avicennas Flucht zugrunde lagen. Ohne seine Geräte zog er nach Rajj, dem heutigen Teheran. Dort machte er die Bekanntschaft mit einem Astronomen, der gerade ein Instrument zur Messung der Sonnen­ höhe baute. Für die im Jahre 997 errechnete Mondfinsternis verabredete

 

99    Das nächste Erdmodell sollte erst von dem Nürnberger Martin Behaim im Jahre 1492 ange­ fertigt werden.

 

sich Biruni brieflich mit einem Astronomen in Bagdad, um das Ereignis simultan zu messen und so den Abstandswinkel der beiden Standpunkte zu ermitteln.

Dann zog er vorübergehend nach Gurgan am Kaspischen Meer, wo er mit Avicenna zusammentraf.

Biruni erhielt alsbald einen Ruf an den Hof von Urgentsch. Die Stadt wurde aber von einem feindlichen Fürsten erobert, der Biruni mit nach Ghazna im heutigen Afghanistan verschleppt haben soll. In Wirklichkeit war es wohl so, dass Biruni Teil einer Lösegeldzahlung war. Ghazna war eine hinduistische Hochburg und der Prinz Masud war sehr interessiert an den Wissenschaften.100 Al-Biruni hatte einen neuen Gönner gefunden, er übereignete ihm den „Masudischen Kanon“, die größte astronomische Enzyklopädie des Mittelalters. Er musste seinen Herrscher auch auf den zahlreichen Kriegszügen begleiten, die ihn bis nach Indien brachten. Daraus resultierte sein einzigartiges Buch, eine Kulturgeschichte Indiens: „Über die Prüfung dessen, was von Indien ge­ sagt wird“. Um die indische Mathematik und Astronomie zu begreifen, lernte er Sanskrit und berichtet überhaupt sehr sensibel über die indi­ sche Kultur. Er tat sich damit umso leichter, als er wie auch Avicenna aus einem buddhistischen Umfeld stammte. Biruni war von seinem Vermögen her der Einzige, der zumindest zum Teil das übermächtige aristotelische System zu sprengen in der Lage war. Er war Astronom, Physiker, Geograf und Philosoph - aber Arzt war er ausnahmsweise nicht. Er starb 1048 während der Erörterung eines juristischen Prob­ lems, Muslim war auch er nicht.

 

Wir begeben uns jetzt vom äußersten östlichen Ende der arabischen Reiche in den äußersten Westen, „al Gharb“:101 nach Andalusien. Dort wurde 1126 in Cordoba ibn Ruschd geboren, der an den europäischen Universitäten als Averroes zu Berühmtheit gelangte. In der arabischen Welt blieb er unbeachtet, erst sein Ruhm in Europa machte ihn in der

 

 

100  Vermutlich war Masud Hindu, was der Umstand, dass ihn die islamische Geschichtsschreibung als „Trunkenbold“ diffamiert, fast zur Gewissheit werden lässt.

101 AI Gharb, „der Westen“. Davon leitet sich der Name Algarve ab.

 

Neuzeit dort bekannt. Er erhielt die damals beste Bildung, die wir schon kennen: Philosophie, Mathematik, Astronomie, Heilkunde und als An­ gehöriger des Richterstandes war er notgedrungen auch Jurist.

1148 eroberte die Berberdynastie der Almohaden unter dem Kalifen Abu Jakub Jussuf Cordoba, 1153 wurde Ibn Ruschd nach Marrakesch an die Residenz des Herrschers beordert, einem Treffen, dem er mit großer Sorge entgegensah. Bei Hof wurde er von einem gewissen Ibn Tufail einge­ führt, der in Europa auch kein Unbekannter ist: Er hatte den philosophi­ schen Roman „Der Naturmensch“ verfasst, in dem die Akteure auf eine einsame Insel im Ozean verschlagen werden und durch Beobachtungen und logische Schlüsse zur Erkenntnis der Welt gelangenl02.

In der Folge trat Ibn Ruschd Stellen als Qadi in Sevilla und Cordoba an, seine Hauptarbeit galt aber stets seinem philosophischen Werk. Beson­ ders engagiert trat er gegen die Lehren des al-Ghazali an, weil sie seiner Meinung nach den Islam zerstörten. 1195 traf ihn das Verhängnis: Imame hatten das Volk gegen ihn, der ihnen schon lange ein Dorn im Auge war, aufgehetzt und zwangen den Herrscher zu einem förmlichen Verfahren gegen ihn. Das Tribunal verneinte die Rechtgläubigkeit Ibn Ruschds, seine Bücher wurden demonstrativ verbrannt und die Philosophie insgesamt per Edikt verboten. Er selber wurde aus Cordoba verbannt und bekam jegliche Lehrtätigkeit verboten. Drei Jahre später war er tot.

Es kommt nicht von ungefähr, dass von Ibn Ruschd fast nichts in Arabisch vorliegt: Die Tradierung erfolgte in hebräischer Übersetzung, und bisweilen hat Averroes selbst in arabischer Sprache mit hebräischen Buchstaben geschrieben. Eine Art Insidersprache, die zeigt, in welch in­ tolerantem Umfeld er lebte.

Sein juristischer Ansatz gehörte bereits einer vergangenen Epoche an. Während der Qadi Ibn Ruschd nach generellen juristischen Prin­ zipien suchte, setzte in Spanien die Rechtsprechung nach anwendbaren Präzedenzfällen aus dem Leben des Propheten ein. In den zunehmend orthodox-islamisch werdenden Reichen ging es zu Ende mit Jurisprudenz, der Philosophie und den Wissenschaften.

Nördlich des Mittelmeers hingegen wurden seine Aussagen hitzig

 

102  Ibn Tufail, „Hajj ibn Jaqzan, Der Naturmensch“, Köln 1983.

 

diskutiert, Thomas von Aquin verwandte große Mühe darauf, Averroes zu widerlegen. Dieser hatte sich gegen den freien Willen ausgesprochen, der letztlich nur einer übergeordneten Notwendigkeit folge: Er hatte pos­ tuliert, dass der Intellekt aller Menschen nur ein einziger, gemeinsamer sei, dass es niemals einen ersten Menschen gegeben haben konnte und dass die Seele nicht im Höllenfeuer schmoren könne, weil sie mit dem Körper sterbe.

Auf der einen Seite wurde Averroes gefeiert, auf der anderen aber auch verspottet, etwa wegen seines Autoritätsglaubens. Zum einem vertei­ digte er den Koran, weil er nach seiner Meinung die rationale Forschung gebiete, zum anderen forderte er dessen Umdeutung, wenn Aussagen wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprachen. Dies sei aber nur ge­ bildeten Persönlichkeiten vorbehalten. Die Masse, die einer logischen Beweisführung nicht folgen könne, müsse bei den bildhaften Vergleichen der Offenbarung bleiben - nur die Philosophen könnten zum Kern vor­ stoßen. Dies ist das System der „doppelten Wahrheiten“ des Ibn Ruschd. Er sah sich selber wohl als Muslim. Seine Zeitgenossen sahen das jedoch ganz anders, und dies wurde ihm zum Verhängnis.

 

Mit Ibn Ruschd ist die Zeit der unabhängigen Denker der arabischen Geistesgeschichte zu Ende. Es bleibt also nur noch jene Person vorzu­ stellen, die dieses Ende in Jahreszahlen fassen lässt: al-Ghazali, um 1058 in Tuz im östlichen Iran geboren, 1111 ebendort gestorben. Seine beiden Hauptwerke sind „Die Nichtigkeit der Philosophie“ und „Das Wiederer­ stehen der religiösen Wissenschaften“. In der islamischen Literatur wird Ghazali als großer Philosoph gefeiert. In Wirklichkeit hatte er mit der Philosophie selber absolut nichts am Hut. Im Gegenteil, sein Lebenswerk war ihre Abschaffung.

Dies ist auch der Inhalt der „Nichtigkeit“. Er stellt darin dar, warum die Philosophie keine Existenzberechtigung habe. Im krassen Gegensatz zu Aristoteles und allen seinen arabischen Vorgängern lehnt Ghazali das Kausalitätsprinzip ab, also das Prinzip von Ursache und Wirkung. Es gebe daher auch keine Logik und keine Naturgesetze, alles geschehe durch ei­ nen besonderen Willensakt Gottes. Ghazali führt als Beispiel an, dass es ein Irrtum sei zu glauben, man habe ein Stück Baumwolle zum Brennen

 

gebracht, indem man Feuer darunter gehalten habe. In Wirklichkeit habe Gott der Baumwolle den Befehl gegeben zu brennen. Analog dazu fielen die Blätter im Herbst nicht von allein vom Baum, sondern durch aus­ drücklichen Befehl Gottes an jedes Blatt. Friedrich Dieterici, preußischer Gelehrte in orientalischen Sprachen und Philosophie kommentierte das anno 1903 so: „Das wäre, als ob jeder Brief mit dem Stempel der kaiser­ lichen Reichspost von Seiner Majestät persönlich ausgetragen werden müsste.“103

Weil es keine Naturgesetze gebe, sondern nur den Willen Gottes, pos­ tuliert Ghazali die Existenz von Wundern, die jeder Logik widersprechen dürfen. Dementsprechend sprach er dem Menschen den freien Willen ab, jeder einzelne Schritt des Menschen sei von Gott gelenkt. Das Pro­ blem, dass der Mensch ohne freien Willen auch unschuldig an seinen Sünden und Verbrechen sein müsste, löste er so, dass er Sünden mit dem Hinweis auf die Allmacht Gottes und der Nichtexistenz der Logik ein­ fach ausnahm. Philosophie und Naturwissenschaften könnten nichts zur Wahrheit beitragen. Sie seien daher nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich, weil sie den Menschen von der Religion abbringen könnten. Er forderte deshalb die Todesstrafe für das Vertreten philosophischer Inhalte. In seiner Schrift „Der Erretter vom Irrtum“ formulierte er 20 Punkte, anhand deren Philosophen der Ketzerei zu überführen seien. Als namentlich überführte Ketzer nennt er Avicenna und al-Farabi.

Dass al-Ghazali auch heute noch in der islamischen Welt als großer Ge­ lehrter betrachtet wird, ist eine Sachel04. Dass er auch in Europa gelegent­ lich als Philosoph bezeichnet wird, muss wohl auf einem Missverständnis beruhen: Der spanische Dominikaner Nicolas Eymerich zählte in einem Directorium Inquisitorium (um 1350) die „18 Häresien und Irrtümer des

 

 

103  Friedrich Dieterici, „Überden Zusammenhang der griechischen und arabischen Philosophie", München 2004.

104  „The teachings of al-Ghazali had immense repercussions and exerted considerable influence on the history of thought, in both East and West, among the elites of Europe“, Haim Zafrani auf http://unesdoc.unesco.org/images/0011  /001144/114426eo.pdf.  Den  Nachweis  des  „bedeu­ tenden Einflusses“ al-Ghazalis auf das westliche Geistesleben bleibt uns Herr Zafrani zwar schuldig, aber er liefert im nächsten Kapitel eine weitere Kostprobe seiner ganz persönlichen Historiografie.

 

Philosophen Algazel“ auf. Er leitete diese aus der lateinischen Überset­ zung einer arabischen Schrift mit dem Titel Maqasid al-falasifa („Die Absichten der Philosophen“) unter dem Namen al-Ghazalis ab. Diese Schrift allerdings ist eine arabische Übersetzung von Avicennas in Per­ sisch abgefasstem Buch des Wissens, versehen mit Ghazalis Namen und einer Einleitung von ihm. Wo Ghazali draufstand, war in Wirklichkeit Avicenna drin. Wie dieser Fehler zustande kam, ist nicht klar, er verhalf Ghazali jedoch zu einer ganz und gar unverdienten Ehre.

 

Die Wertung al-Ghazalis als Wissenschaftler fällt daher mit Ausnahme bei islamischen Autoren katastrophal aus, als sein Hauptwerk wird in der islamischen Welt sein zweites Buch, das „Wiedererstehen der religiösen Wissenschaften“, gesehen. Es enthält nichts Weiteres als die Verteidigung des wörtlichen Korans. Nur was im Koran steht, sei Wissenschaft. Sah Avicenna etwa in der Sintflutlegende die Ertränkung des Unwissens und den Triumph des Wissens, symbolisiert als Arche Noah auf den Fluten, war sie nach Ghazali wörtlich zu nehmen. Alles andere sei todeswürdige Ketzerei. War der Koran bei al-Kindi und Ibn Ruschd nur für die unwis­ senden und ungebildeten Massen akzeptabel, wurde er bei Ghazali zum eisernen Gesetz und zur einzig möglichen Quelle allen Wissens. Wie sehr er den ultraorthodoxen Kreisen verbunden war, zeigt sich in seiner Schrift

„Ratgeber für Könige“ (Nasihat al Muluk). Darin zählt er 18 Punkte auf, die in Bezugnahme auf Sure 4:34 die Inferiorität von Frauen beweisen sollen:

 

  • Die Menstruation.

  • Die Schwangerschaft.

  • Die Geburt.

  • Die Trennung von ihren Eltern bei der Ehe.

  • Die Unfähigkeit, sich selber zu beherrschen.

  • Das geringere Erbteil.

  •    Die Möglichkeit, verstoßen werden zu können, ohne sich selber scheiden zu lassen.

  •    Das Recht der Männer auf vier Frauen, die selbst nur einen Mann haben können.

 

9.  Die Einsperrung im Haus.

10. Das Gebot, den Kopf zu bedecken.

11. Ihre Stimme vor Gericht, die nur halb so viel zählt wie die eines Mannes.

12. Das Gebot, das Haus nicht allein verlassen zu dürfen.

13. Das Verbot, am Freitagsgebet teilzunehmen.

14. Der Ausschluss von Regierungs- und Richterämtern.

15. Die Tatsache, dass von 1000 verdienstvollen Taten 999 von Män­ nern und nur eine von Frauen begangen wurde.

16. Eine Pauschalstrafe am Tag der Auferstehung statt einer individuel­ len Rechenschaft.

17. Die Wartefrist von vier Monaten und zehn Tagen nach dem Tode

ihres Ehemannes zur Wiederverheiratung.

18. Die Wartefrist von drei Menstruationszyklen nach der Scheidung bei Wiederverheiratung.

 

Das ist al-Ghazali, wie er leibt und lebt: Die Vermischung von Ursache und Wirkung, von Naturgesetz und Menschengesetz scheint ihn nicht zu stören, denn er hat bereits in seinen „Nichtigkeiten der Philosophie“ mit Logik und Kausalität gebrochen. Ihn als Philosophen oder Wissenschaft­ ler zu bezeichnen wäre die gröbste Beleidigung aller seiner arabischen Vorgänger von al-Kindi bis Ibn Ruschd. Er war auch nicht der „Erneuerer des Islam“, als der er in der islamischen Welt gefeiert wird. Er war viel­ mehr Repräsentant der damals radikalsten Strömung, die sich im weiteren Verlauf als „Islam“ etablierte. Mit al-Ghazali kommt das, was Dan Diner die „versiegelte Zeit“105 nennt: der geistige Stillstand der islamischen Welt vom 12. Jahrhundert bis in die Gegenwart.

 

Während al-Ghazali Muslim im Sinne des heutigen Verständnisses von

„Islam“ war, ist das bei all den anderen Genannten nicht der Fall. Hunain war Christ und Thabit Heide. Avicenna und Biruni hatten einen buddhis­ tischen Hintergrund, von Farabi ist es zu vermuten. Mit al-Kindi, Alhazen

 

 

105  Dan Diner, „Die versiegelte Zeit“, Berlin 2007.

 

und Rhazes (der mit den „drei Verbrechern“) haben wir die typischen Freidenker, die sich im völligen Gegensatz zum Koran befanden.

Alle Genannten konnten sich Anfeindungen zum Trotz ihre Unab­ hängigkeit noch leisten, auch wenn Biruni und Avicenna schon vorsichtig sein mussten, für Ibn Ruschd war es bereits zu spät. Seit Beginn seiner Lehrtätigkeit stand er unter der Verfolgung der orthodoxen Imame, der er schließlich erlag.

Trotz gewisser Unterschiede waren die Prämissen des Aristoteles und anderer griechischer Philosophen allen Genannten Gemeingut. Mit ihrem Bekenntnis zu Logik, Kausalität und Wissenschaftlichkeit haben sie sich alle in einer krassen Gegenposition zum Koran befunden, wenngleich manche in gewisser Arroganz dieses Recht nur sich selber und ein paar Handverlesenen mehr zusprachen. Mit welcher Rechtfertigung aber kann man sie als Muslime bezeichnen ? Nicht ein einziger der vorgestellten Hauptpersonen war es, vielleicht mit Ausnahme von Ibn Ruschd, dessen Verständnis von Islam allerdings diametral entgegengesetzt zu dem der Moschee war.

Kurz sei in diesem Zusammenhang der Dichter Omar Chayyam (1048 - 1123) aus Nischapur, Ostpersien, erwähnt. Ein Anhänger Avicen­ nas, war er zu Lebzeiten bekannt als Philosoph und Mathematiker. Gänz­ lich unbekannt waren damals seine vierzeiligen Gedichte (Rubaiyat), mit denen er im Westen späte Berühmtheit erlangte106. Dieser Ruhm strahlte zurück in seine persische Heimat, wo er dann zum islamischen Dich­ ter, inklusive Denkmal im Laleh-Park in Teheran (auch Biruni steht da), stilisiert wurde. Die ausgesprochene Blasphemie in vielen seiner Versen scheint nicht zu stören, legt aber den Schluss nahe, dass auch Chayyam kein Muslim war.

Wie tief greifend die Ignoranz in der muslimischen Welt gegenüber ih­ ren viel bemühten Denkern oftmals ist, zeigt ein Brief Khomeinis an Gor­ batschow aus dem Januar 1989, worin er den Islam als Weg zur Lösung aktueller Probleme bezeichnete und Gorbatschow die Lektüre al-Farabis

 

 

106     Um 1850 englische Übersetzung durch Edward Fitzgerald, ab 1880 mehrere deutsche Ausgaben.

 

und Avicennas statt westlicher Denker empfahl107. Offensichtlich wusste Khomeini nicht, dass seine Paradephilosophen gar keine Muslime wa­ ren, und deshalb folgerichtig vom Parademuslim al-Ghazali als Ketzer verdammt, und ihre Schriften von Muslimen verbrannt wurden. Oder sollte er die beiden als eine Art diplomatische Geste empfohlen haben, weil beide ja Altbürger der damals noch bestehenden Sowjetunion waren ? Khomeini hat vermutlich weder das eine noch das andere gewusst und war enttäuscht, weil Gorbatschow darauf nicht antwortete.

Die genannten Persönlichkeiten hatten für ihre Zeit Großartiges geleis­ tet. Alhazen hat die Optik vorangetrieben, Avicenna die Medizin, andere haben ihren Aristoteles weiterentwickelt, aber die allermeisten, es wurden ja nur die prominentesten skizziert, sind auf dem Stand der Antike stehen geblieben. Ohne ihren Verdienst in irgendeiner Weise zu schmälern, muss man ihn auch insoweit relativieren, als ihr Hauptverdienst nicht in jedem Fall die Arbeiten selber waren, sondern der Umstand, dass sie die antiken Autoren weitertradiert hatten. Im Westen hatte die Kirche anfangs die griechischen und lateinischen Schriften der antiken Philosophen nach Kräften aus dem Verkehr gezogen. Aber nicht lange nach ihrem Tod und teils sogar noch zu ihren Lebzeiten erfuhren die Schriften der arabischen Wissenschaftler dasselbe Schicksal: Sie wurden als unislamisch dem Feuer überantwortet. Wir besitzen nur einen Bruchteil ihrer Werke, jene, die rechtzeitig nach Europa gelangt waren und so der Zerstörung entgingen.

 

Der Grund der Blüte des geistigen Lebens im mittelalterlichen Arabien, und ganz besonders in Persien, ist in der Fortführung der antiken Tra­ dition zu sehen. Seit Alexander dem Großen reichte der griechisch-kul­ turelle Einfluss bis Zentralasien, bis an die Grenzen Chinas und Indiens. Dort bewahrte sich antikes Geistesleben am längsten und traf auf eine buddhistisch geprägte Kultur. Dies waren die Voraussetzungen für die geistige und kulturelle Blüte. Die Zentren lagen in den Oasenstädten Zen­ tralasiens, auf dem Gebiet des heutigen Turkmenistan, Tadschikistan,

 

 

107  „Wenn Eure Exzellenz die Forschungen zu solchen Themen anleiten wollte, sollte Sie veran­ lassen, dass die Studierenden anstelle der Bücher der westlichen Philosophen die Schriften von al-Farabi und Avicenna zu Rate ziehen.“

 

Usbekistan und Afghanistan - eine vollkommen unglaubliche Vorstel­ lung für uns Heutige. Im Westen des Reiches traf diese östliche Melange auf die von Byzanz geprägte geistige Welt.

Man könnte allein von der ethnischen Herkunft der einzelnen Persön­ lichkeiten her die Existenz eines „arabischen“ Geisteslebens anzweifeln. Dies sollte man aber nicht, denn bei aller Verschiedenheit der Herkunft vereinte diese Menschen die arabische Sprache, so wie im Römischen Reich Latein das verbindende Element war.

Die Herrscher zu dieser Zeit waren in ihrer Mehrheit keineswegs die muslimischen Kalifen und Emire, wie die Tradition uns das erzählt, son­ dern Herrscher, die im Einflussgebiet dieser genannten Kulturen lebten und deshalb der Tradition der geistigen Freiheit und des Gedankenaustau­ sches verbunden waren. Selbstverständlich trugen sie arabische Titel. Es ist aber unzulässig, diese automatisch als islamische zu interpretieren.

 

Die „Goldenen Zeiten“ der islamischen Wissenschaften ? Es hat sie nie gegeben. Aber es gab eine goldene Zeit der arabischen Wissenschaften. Diese fand ein abruptes Ende, als sich der Islam als dominierende Religion etablierte. Er verjagte das Wissen aus dem Orient nach dem Westen, wo es bis auf den heutigen Tag geblieben ist.

 

Die tausendundzweite Nacht:

Die Märchen von al-Andalus

 

„Die Muslime betraten Spanien nicht als Aggressoren oder Unterdrücker, sondern als Befreier. “

Maryam Noor Beig108

 

 

I rgendwann im Jahr 89 nach der Flucht des Propheten nach Medina, und I somit im Jahre 711 des Herrn, stand der arabische Heerführer Tariq ibn Ziyad auf der afrikanischen Seite der „Säulen des Herkules“, wie die Meer­ enge von Gibraltar damals auch hieß, und blickte hinüber nach Hispania, das es für den Propheten der Araber und seine Religion zu erobern galt.

Aber so einfach ging das nicht, denn die Regie des Stückes forderte Tragik und Verwicklungen.

Diese lieferte ein gewisser Julian, byzantinischer (oder gotischer?) Gouverneur von Ceuta, einer Stadt auf der afrikanischen Seite der Meer­ enge. Dieser hatte sein Töchterlein Florida nach Toledo an den Hof des Gotenkönigs Roderich zur Erziehung gesandt. So weit, so gut, bis eines Tages Florida den König Roderich der Vergewaltigung bezichtigte. Dieser stritt zwar die Beschuldigung ab, aber der Vater war so erzürnt, dass er auf Rache sann, mit den Muslimen in Nordafrika gemeinsame Sache machte und sie zum Abenteuer Andalus animierte.

Aber selbst das hätte wohl noch nicht für eine Katastrophe ausgereicht, hätte Roderich nicht noch einen kapitalen Fehler gemacht: Im Palast von Toledo gab es einen Raum, der selbst dem König verboten war. Wer ihn betrete, so hieß es, würde großes Unheil für sich und sein Reich herab­ rufen. Der unselige Roderich betrat den Raum. Er sah Gemälde von Ara­ bern - und las die Prophezeiung, diese Männer würden noch am gleichen Tag in sein Reich einfallen und seine Herrschaft beenden.

So geschah es dann auch. Tariq landete mit 7 000 Berbern in 4 Booten bei dem Felsen, der fortan seinen Namen tragen würde, nämlich Gebel

 

www.hispanicmuslims.com, 2010.

 

Tariq, Gibraltar. Wenig später, am 28. Ramadan des Jahres 89 der Hid- schra (711) schlug er Roderich und sein Heer in der Schlacht am Fluss Guadalete (auch der Fluss Barbate gilt) vernichtend und endgültig. (Das Gebot des Propheten, die Ungläubigen zu töten, nicht aber im heiligen Monat Ramadan, kümmerte die Invasoren offensichtlich nicht). Der höchst unwahrscheinliche Sieg gelang, weil der rachsüchtige Julian einen beachtlichen Teil des christlichen Gotenheeres zum Überlaufen zu den Muslimen bewogen hatte.

Diese Details und noch sehr viele mehr, einschließlich wörtlicher Re­ den der Akteure, liefert uns die arabische Geschichtsschreibung.

Aber die Ereignisse sind damit noch nicht beendet. Gleich im nächsten Jahr setzte Musa Ibn Nusair, des Propheten General in Nordafrika, mit 18000 Mann nach Hispania über und besetzte das gesamte Land, das fortan al-Andalus hieß.

Das ganze Land ? Nein, ganz im Norden, in den Kantabrischen Bergen, in der Höhle von Covadogna, hatte sich ein gotischer Adeliger namens Pe­ layo festgesetzt, der nicht an Aufgabe dachte. Der renitente Christ schlug im Jahr 718 (oder war es 748 ?) das islamische Heer unter dem arabischen Heerführer Qama, 124000 Muslime verloren in der Schlacht ihr Leben, den Rest (63000 Tote) besorgte ein Erdrutsch.

Das sind schon beinahe die Wunder-Dimensionen der muslimischen Siege vom Yarmuk oder von Nehawend.

Manche glauben die Erzählungen, manche glauben, sie enthielten ei­ nen wahren Kern, manche halten sie für pure Legenden. Jedenfalls haben wir keine Ahnung, ob die Schlachten von Covadogna oder Guadalete je stattfanden oder nicht. Wenn sie nicht stattfanden, waren sie doch not­ wendig für die Regie:

Verrat, noch dazu unter Mitwirkung einer Frau, führte zur conquista, der islamischen Eroberung Spaniens. Die Kapitulationsverweigerung und der Mut eines gotischen Adeligen auf scheinbar verlorenem Posten bildeten die Keimzelle der reconquista, der Rückeroberung des von den Muslimen geraubten Territoriums unter dem Zeichen des Kreuzes.

Fügt man dann noch die Dynastie der berühmten Omayaden hinzu, deren überlegene islamische Kultur aus al-Andalus ein sonnenbeglänz­ tes Paradies und ein Refugium der Wissenschaften und Toleranz für

 

800 Jahre machte, hat man den gesamten Spannungsbogen des Stückes namens al-Andalus umfasst und geht mit dem gängigen Geschichtsbild konform.

 

Der Haken an der Sache sind - hier wie im gesamten Komplex des frühen Islam - die Quellen.

Zwar besitzen wir zum Beispiel den Text einer Absprache zwischen den bereits genannten Julian und Tariq, in dem der Autor den Eindruck erweckt, selber dabei gewesen zu sein. Der Text stammt allerdings aus dem 14. Jahrhundert.

Nach dem Geschichtenerzähler Ibn al-Kuttiya forderte Tariq seine Truppen auf, für den Islam und Allah zu kämpfen, und stellte ihnen für das Märtyrertum Belohnung im Paradies in Aussicht. Allein wegen seiner (im Namen ersichtlichen) gotischen Abstammung wird Kuttiya von man­ chen als äußerst verlässliche Quelle angesehen - das Thema des Dschihad gegen Ungläubige gibt es allerdings erst seit dem 11. Jahrhundert und die älteste Version Kuttiyas stammt ebenfalls aus dem 14. Jahrhundert.

Das Werk des Ägypters al-Hakam (gest. 870), eines anderen viel be­ mühten Schreibers, der nach eigenem Bekunden niemals in Spanien war, liegt größtenteils nur in einem Text aus dem 17. Jahrhundert vor. Obwohl solche Texte immer einer starken Kosmetik der späteren - islamischen - Jahrhunderte unterlagen, ist bei Hakam nichts von Islam oder einem Heiligen Krieg zu lesen (sein Hauptthema ist die Beute und deren prob­ lematische Verteilung). Muhamad taucht nur einmal kurz auf; und zwar sieht ihn Hakam als Räuberhauptmann und nicht als Religionsstifter, von Palästina spricht er vom „Heiligen Land“, die Ibaditen (mehr davon später) nimmt er nicht als Muslime wahr: Zur Mitte des 9. Jahrhunderts war in Ägypten die offizielle und heute gängige Mohammedvita offen­ sichtlich noch nicht bekannt.

Das älteste bekannte Dokument ist ein Kapitulationsvertrag von 713 zwischen dem Goten Theodomir und dem Araber Abd el-Aziz, das gerne als Beispiel der Großzügigkeit der erobernden Muslime angeführt wird. Dieser Vertrag liegt uns aber nicht in seiner zeitgenössischen Version vor, sondern lediglich in einer Erläuterung aus dem 13. Jahrhundert - also 500 Jahre danach. Die Schriften des Cordobeser Al-Razi kennen

 

wir lediglich aus einer portugiesischen Bearbeitung um 1400. So steht es mit allen bemühten Quellen, und interessanterweise wird die Fülle an Details und wörtlicher Rede umso größer, je weiter der Berichterstatter zeitlich von den Geschehnissen entfernt ist. Die Geschichtensammlung Akhbar Magmua, erhalten in einer Version aus dem 14. Jahrhundert, lässt Abd al-Rahman die Abenteuer seiner Flucht von Syrien bis Spanien in der Ich-Form erzählen. Es ist auch hier wieder daran zu erinnern, dass es sich bei arabischen Überlieferungen um eine eigene Literaturgat­ tung handelt zur Erbauung und Unterhaltung, und nicht dazu bestimmt, Sachverhalte historisch korrekt abzubilden. Dazu der Arabist Johannes Thomas: „Arabische Schilderungen zeigen in aller Regel kein oder sehr wenig Interesse an der Chronologie.“

 

Gewisse erzählerische Elemente, die schon aus der Bibel bekannt sind, ziehen sich wiederkehrend durch die gesamte arabische Literatur. Etwa die Geschichte von der Eroberung Cordobas, die deshalb gelang, weil ein Hirte einen Riss in der Stadtmauer verriet. Dasselbe Element finden wir bei der „muslimischen Eroberung“ von Damaskus, Cäsarea, Alexandrien, Kairo und Tustan. Tripolis wurde erobert, weil das Wasser zurückwich und wieder ansteigend die Gegner verschlag. Es finden sich natürlich die durch Posaunenbeschallung einstürzenden Stadtmauern im Stile Jerichos ebenso wie der Anführer, der Wasser aus dem Felsen schlug und so seine Armee rettete.

Typische Namensymbolik finden wir bei dem Truppenführer Tarif, ein Name, der sich wohl vom realen Ort Tarifa ableitet und auf eine zu schaffende Persönlichkeit übertrug.

Ähnlich der Feldherr Tariq. „Tariq“ bedeutet der „Weg“ und wird in der arabischen Literatur im Sinne von „nomen est omen“ gerne zu Wort­ spielen benützt, ein sogenannter „sprechender Name“, der sich zu einer legendären Person dieses Namens verselbstständigte. In den verschie­ denen Geschichten wird Tariq einmal als Araber, dann als Perser und dann wieder als Berber dargestellt. Dies zeigt die Unzuverlässigkeit der Berichte, denn irgendeine Evidenz der Existenz der Personen Tariq und Tarif haben wir nicht. Es ist viel wahrscheinlicher, dass „Tariq“ seinen Namen von „Gibraltar“ bezog als umgekehrt.

 

Auf nichtarabischer Seite gibt es die in Latein abgefassten spanischen Chroniken von 741 und 754. In keiner der beiden ist die Rede von Islam oder einem religiösen Aufeinanderprallen mit den Eroberern.

Die Chronik von 754 erwähnt noch nicht einmal die im Verständnis der Franzosen schicksalhafte Schlacht von Tours und Poitiers (732) in einem religiösen Bezug, in der ja Karl Martell das Abendland glorreich vor dem Islam gerettet haben soll. Gut möglich, soviel sei vorgezogen, dass sich die Franken bei dem Versuch, auch ihr Süppchen auf den innergo­ tischen Konflikten in Hispania zu kochen, die Finger verbrannt hatten und bei Poitiers nur mühsam die Retourkutsche jener Leute abwehren konnten, denen sie die Beute streitig machen wollten. Karl Martell wurde dann in der Tradition der religiösen Motivsuche späterer Zeiten zum Ret­ ter des Abendlandes stilisiert. (Unter Karl dem Großen holten sich die Franken aber doch noch ein Stück Spaniens, die Marca Hispanica, aus der Katalonien hervorging.)

Von Islam, Muslimen oder dem viel behaupteten Heiligen Krieg jeden­

falls keine Spur in den zeitlich zuordenbaren Quellen.

 

Spanien hat wie auch ganz Europa eine äußerst vielschichtige Besiede­ lungsgeschichte.

Von den letzten Neandertalern Europas, die sich vor 30 000 Jahren

an den Küsten der Iberischen Halbinsel aus der Geschichte verabschie­ deten, hüpfen wir ins 1. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung zu einer nicht näher spezifizierten iberischen Stammbevölkerung. Bereits ab 800

v. Chr. gründeten die Phönizier eine ganze Reihe von Niederlassungen an der Küste der Iberischen Halbinsel - die bedeutendste war Cadiz -, gefolgt von den Griechen, die unter anderem Rosas und Malaga gründe­ ten. Keltische Einwanderer ab 600 v. Chr. vermischten sich mit den bereits anwesenden Ethnien zu den Keltiberern.

Mit dem Anwachsen der phönizischen Gründung Karthago geriet auch der Süden der Iberischen Halbinsel unter karthagische Herrschaft, aber 201 v. Chr., nach der großen Niederlage gegen die Römer im Zweiten Punischen Krieg, trat Rom in die Rechte Karthagos ein. Es sollte aber noch fast 200 Jahre dauern, bis Rom die Halbinsel vollkommen unter seiner Kontrolle hatte. Dies geschah 19 v. Chr. unter Kaiser Augustus.

 

„Hispania“ wurde in drei Provinzen aufgeteilt und nahm alle Wesenszüge römisch-antiker Kultur an.

Ein Netz von Straßen verband die einzelnen Provinzen und Städte, die an ein ebenso effektives Wassersystem angeschlossen waren, das Bäder, Gärten und Landwirtschaft versorgte. Die Bevölkerung wuchs stark an, Verkehr, Handel und öffentliches Leben blühten auf. Unter Kaiser Ves- pasian erhielten die Bewohner der hispanischen Provinzen das Bürgerrecht, was die Romanisierung vollkommen machte. Die Kaiser Trajan, Mark Au­ rel und Hadrian waren Hispanier, genauso wie der Philosoph Seneca.

Die in der Völkerwanderung in Bewegung geratenen germanischen Stämme machten auch vor der Iberischen Halbinsel nicht halt. Zu Beginn des 5. Jahrhunderts tauchten die Vandalen auf, die jedoch, 80000 Mann stark, im Jahr 429 nach Nordafrika übersetzten und dort unter Geise- rich ein Königreich gründeten. Dieses wurde 534 vom byzantinischen General Belisarius vernichtet, der vandalische Adel nach Konstantinopel verschleppt, das Fußvolk blieb jedoch und bildete eine weitere Facette im ethnischen und religiösen Puzzle Nordafrikas.

Den Westgoten war von Rom ein Territorium in Gallien zugewiesen worden. Sie gerieten jedoch unter zunehmendem Druck durch die Fran­ ken und wichen nach der verlorenen Schlacht von Vouille im Jahr 507 nach Spanien aus. Das westgotische Reich mit der Hauptstadt Toledo entstand. Die Goten bildeten zwar eine Minderheit in Spanien, stellten aber das Königshaus und den Adel. Sie waren sehr bald romanisiert und sprachen Latein.

 

Auf der anderen Seite der Meerenge in Nordafrika sah es nicht viel anders aus. Beide Seiten des Mittelmeeres waren punisch gewesen, wurden spä­ ter dem Römischen Imperium einverleibt und in dessen Kultur vereint. Ostrom (Byzanz) löste wiederum Westrom als Beherrscher Nordafrikas ab, und zwischendurch machten episodenweise Berber und Germanen von sich reden.

Genauso wie Spanien war auch Nordafrika ein Schmelztiegel verschie­ dener Ethnien geworden, die über die Meerenge hinweg durch politische, kulturelle oder gar verwandtschaftliche Bande stets in gegenseitigem Kon­ takt standen.

 

Überhaupt, das Mittelmeer war nichts Trennendes, wie wir heute es empfinden, sondern ein verbindendes Element.

Mit dem Entstehen des Arabischen Reiches nach 622 machte sich auch arabischer Einfluss bemerkbar, er blieb jedoch auf das östliche Nordaf­ rika beschränkt, also auf Ägypten und Libyen. Das westliche Nordafrika, in etwa das heutige Tunesien, Algerien und Marokko, war von Berbern bewohnt.

„Die Berber“, das ist ein unscharfer Sammelbegriff für eine Anzahl von Ethnien, gebildet aus einer nicht näher zu bezeichnenden Urbevölkerung, eingewanderten Kelten, Phöniziern und Germanen sowie einem schwar­ zen Bevölkerungsanteil, bei dem es sich wohl um Tubus, den einstigen Beherrschern der Sahara äthiopischer Herkunft, handeln dürfte. Sie ver­ mischten sich oder blieben in Stammesgemeinschaften unter sich. Neben Stammesdialekten sprachen die Berber Latein und waren Christen oder Juden. Noch im 10. Jahrhundert gab es 48 Bischofssitze in Nordafrika, von einer Islamisierung zu dieser Zeit (also 200 Jahre nach der in der Tradition behaupteten Eroberung) kann überhaupt keine Rede sein.

Auch ihr Gegenüber auf der spanischen Seite waren Christen, egal ob

Hispano-Romanen oder Goten. Es waren allerdings Christen verschie­ dener Konfession.

Die Goten waren wie alle Germanen zunächst arianische Christen. Als jedoch König Rekkared I. (586-601) aus politischen Gründen den Katholizismus annahm, führte dies zu einem tiefen Zerwürfnis zwischen dem Königshaus und dem Adel, der diesen Schritt nicht allgemein mit vollzog und arianisch blieb. Zu allem Überfluss gab es in der gotischen Tradition keine klare Nachfolgeregelung, König wurde derjenige mit der größten Hausmacht.

 

Um 710 war es wieder einmal so weit. Ein gewisser Roderich ließ sich zum König krönen, hatte aber die Opposition des Adels gegen sich. Dieser hatte aber auch Beziehungen nach Nordafrika und rief von dort Verwandte, Verbündete oder Söldner zur Unterstützung, mit deren Hilfe Roderich geschlagen wurde.

Bereits an dieser Stelle gerät die Traditionsliteratur in Schwierigkeiten.

Denn es waren unstrittig „Berber“, die über die Meerenge setzten, und

 

keine „Araber“. Deshalb werden in den Erzählungen den Berbern „ganz wenige Araber“ oder nur „arabische Offiziere“ zur Seite gestellt, um die Eroberung durch Truppen des Propheten irgendwie plausibel zu machen. Wie aus den Berbern urplötzlich „Muslime“ geworden sein sollen, bleibt auch noch zu erklären, denn diese waren eindeutig christlich oder jüdisch und nirgendwo in der näheren oder weiteren Nachbarschaft gab es zu dieser Zeit Muslime.

Musa Ibn Nusair109, schon unter Abd al-Malik, dem Erbauer des Jerusalemer Felsendoms, omayadischer Statthalter von Tripolitanien, ist eine der wenigen fassbaren und nachweisbaren Figuren im Szenarium der Eroberung Spaniens. Er kam mit einem regulären Heer und eroberte die gesamte spanische Halbinsel bis auf den äußersten Norden. Vielleicht wurde er zur Hilfe gerufen, vielleicht nutzte er auch nur die Gunst der Stunde, um das Reich seiner Herren, der „Omayaden“ in Damaskus, nach Europa auszudehnen; jedenfalls war eine zunächst beschränkte Militärak­ tion zu einem handfesten Eroberungsfeldzug geraten. An der Seite Musas zu finden war ein Bischof Oppa, Sohn des früheren Gotenkönigs Egica, ebenso Urban, ein nordafrikanischer Truppenführer Musas christlichen Glaubens. Dies wirft ein seltsames Licht auf ein angeblich islamisches Unternehmen.

Musas voller Name lautet Musa Ibn Nusair al Lahmi. Das heißt, er war Lahmide, also Angehöriger einer Volksgruppe, die aus Al Hira in Mesopotamien stammt. Unter den Hirensern handelte es sich unter dem Sammelnamen „Ibaditen“ um Christen antitrinitarischer, ostsyrischer Prägung (siehe Seite 143). Sie waren bereits als arabische Verbündete mit den Truppen des Perserkönigs Chosrau II. 619 als Eroberer nach Ägypten gekommen und gehörten später den Truppen Abd al-Maliks an. Sie bauten zahlreiche Verehrungsstätten, „masjid“, die wie selbstver­ ständlich als „islamisch“ vereinnahmt werden. Da sie jedoch, genauso wie die älteste Moschee Kairos, die heutige Ibn As Moschee, nicht nach

 

 

109  Musa Ibn Nasir treffen wir auch in den Erzählungen aus Tausendundeiner Nachtan (566.-578. Nacht). Darin erobert er aber nicht Spanien für den rechten Glauben, sondern macht sich auf die Suche nach einer legendären „Messingstadt“ irgendwo in der südlichen Sahara, nach der auch heute noch Abenteurer im Zusammenhang mit der Oase Zarzura Ausschau halten.

 

Mekka ausgerichtet waren, kann man auch nicht von islamischen Mo­ scheen sprechen. Es waren Verehrungsstätten der ibaditisch-arabischen Christen.

In einer nordafrikanischen „Moschee“110 lesen wir folgenden Spruch: Wir glauben an Gott und das, was uns herabgesendet wurde, und das, was zu Abraham herabgesendet wurde und zu Ismael, Isaac und Jacob und zu den Stämmen, und was übergeben wurde an Moses und Jesus und was den Propheten von ihrem Herrn übergeben wurde. Wir machen keinen Unterschied zwischen ihnen und sind gottergeben.

Denselben Vers finden wir später im Koran, allerdings mit einem Unterschied: Die Erwähnung von Jesus fehlt. Kein Wunder, der Spruch stammt nicht aus einer „Moschee“, sondern aus einer „masjid“.

Auf die Ibaditen und ihre syro-aramäischen Wurzeln geht auch die bekannte Hochschule al-Azhar in Fustat (Kairo) zurück. Azhar ist kei­ neswegs arabisch, sondern aramäisch und heißt Licht.

Aus der Zeit Ibn Nusairs sind zahlreiche Münzen erhalten. Sie sind in Latein abgefasst und tragen Inschriften wie:

Non est deus nisi unus cui non est alius similis, deus eternus deus magnus deus omnium creator („Gott ist ein Einziger, er hat niemand Gleichwerti­ gen neben sich. Gott ist groß und allmächtiger Schöpfer von allem“).

Non est deus nisi unus cui non socius alius similis (Gott ist ein Einziger, ihm ist niemand zur Seite gestellt).

In nomine domini misericordis („Im Namen des barmherzigen Got­ tes“). Die ins Arabische übersetzte Version dieses lateinischen Spruches ist die sogenannte „Basmallha“, die Eröffnungsformel der meisten Su­ ren.

Die Zeitangaben auf den Münzen erfolgen nach dem byzantinischen

Steuerjahr (feritus in Africa indictione ...). Warum? Aus Gründen der Internationalität ? Oder sollte etwa, 10 Jahre nach Tariqs angeblichem Handstreich, die zuständige Steuerbehörde immer noch Byzanz gewesen sein? Die Hidschra-Zeit eines arabischen Propheten taucht jedenfalls nicht auf, aus Africa war ganz offensichtlich noch nicht Ifriqiya gewor­ den.

 

110  Scharwas, Gebel Nafusa.

 

Es erhebt sich da natürlich die Frage, wieso ein führender Repräsentant des Propheten Muhamad lateinische Münzen prägen lässt, zumal Münzen ein enorm wichtiges Medium der Legitimation, Machtdemonstration und der Programmatik waren.

Es erhebt sich die Frage, wieso ein Gefolgsmann des Propheten die byzantinische Zeitrechnung benützt und nicht die Zeit nach der Hidschra des Propheten, die ja ab 622 die allein gültige unter Muslimen gewesen sein soll. (In nicht einer zeitgenössischen Hinterlassenschaft findet sich eine Datierung nach der Hidschra).

Und es erhebt sich die Frage, wieso die Inschriften auf den Münzen urchristliche Formeln aufweisen. Es sind lateinische Übersetzungen grie­ chischer Vorläufer, die ins Arabische übersetzt wurden, und nicht umge­ kehrt, wie die Tradition behauptet.

Die Einordnung dieser Münzen als islamisch ist vollkommen willkür­ lich und durch nichts gedeckt.

Einige nordafrikanische Münzen (und später spanische) trugen einen Stern. Es handelt sich wohl um den „Stern von Bethlehem“, eine weitere diskutierte Möglichkeit ist eine punische Herkunft. Ein Symbol des Is­ lam, das geradezu dessen Anwesenheit belegen würde, ist der Stern sicher nicht. Auch bei den spanischen Münzen der ersten Hälfte des 9. Jahrhun­ derts handelte es sich keinesfalls um islamische Prägungen.

 

Nichts, aber auch gar nichts an Fakten, Artefakten oder zeitlich eindeu­ tig datierbarem, zeitnahem Schriftgut belegt eine islamische Eroberung. Das behauptet genau besehen auch niemand - ausgenommen spätere, manchmal viel spätere Sekundärquellen, und es behaupten sehr viel spä­ tere Historiker, die Sekundärquellen aus dem weiten Feld der arabischen Unterhaltungsliteratur für Primärquellen halten.

 

Es gab also keinen Tariq, der sehnsüchtig von Afrika auf den gegenüber­ liegenden Felsen hinüberblickte mit dem brennenden Wunsch, das Land dahinter möge islamisch werden. Die nach Stand der Kenntnisse wahr­ scheinlichste Erklärung der Ereignisse des frühen 8. Jahrhunderts in Spa­ nien ist eine Parteinahme berberischer Stämme in einem Nachfolgestreit des gotischen Königshauses. Die Oppositionspartei hatte Kräfte von der

 

anderen Seite der Meerenge zu Hilfe gerufen (sofern es nicht ohnehin bereits Berberstämme in Spanien gab). Damit haben zugleich arianische Christen aus Nordafrika arianische Glaubensgenossen in Spanien gegen deren katholische Machthaber unterstützt. So kommt wohl ein religiöser Aspekt in die Geschehnisse, aber kein islamischer.

Die Geister, die man gerufen hatte, wurde man aber nicht mehr los, und aus einer Hilfsexpedition wurde spätestens dann ein Eroberungskrieg, als omayadisch-arabische Truppen unter Musa Ibn Nusair die Halbinsel betraten. Mit Religion hatte diese Invasion nur ganz am Rande zu tun, mit Islam nicht im Geringsten. Es sitzen zu diesem Zeitpunkt bereits vier christliche Fraktionen am Spieltisch, nämlich die arianischen, die atha- nasischen (katholischen), die orthodoxen und die arabischen Christen. (Weitere Untergruppierungen nicht ausgeschlossen.)

 

Der Norden Spaniens mit der relativ stabilen Grenze des Flusses Duero war Zuflucht jener Teile der gotischen und hispanischen Bevölkerung, denen eine Flucht geraten erschienen war. Die südlichen drei Viertel der spanischen Halbinsel gehörten bereits um 720 zum Reich al-Walids, des

„omayadischen“ Herrschers in Damaskus. Die Weichen für die kommen­ den Ereignisse in Spanien wurden deshalb in Syrien gestellt.

Die „Omayaden“ waren allerdings zu dieser Zeit schon im Nieder­ gang begriffen, um 750 wurde ihre Dynastie von den nachfolgenden

„Abbasiden“ beseitigt. Als einer der wenigen Überlebenden konnte ein Abd er-Rahman mit seiner Familie fliehen und sich im westlichen Reichsgebiet in Sicherheit bringen, zuerst in Nordafrika und dann in Spanien in einem Kloster (!). Rahman war in Rusafa, dem Hofe sei­ nes Großvaters, des Herrschers Hisham (724-743) und dem Standort der Basilika des hl. Sergios aufgewachsen, natürlich wird er auch das Reichszentrum Damaskus gekannt haben. Rahman brachte deshalb den Stil persischer Paläste 111 mit ihren prächtigen Gärten und die ty­ pisch syrische Kirchenarchitektur nach Spanien. (In Verbindung mit

 

111  Zur Erinnerung: Die Dynastie der Marwaniden (vulgo „Omayaden“) stammt aus Marw, Ostper­ sien. Ihre Palastkonzeption („Paradiesgärten") war persisch. Daraus entwickelten sich die sogenannten Hofmoscheen.

BILD 20

Ungefährer Überblick über den Wandel des Grenzverlaufs von al-Andalus.

„Repoblacion" bedeutet eine unbewohnt gehaltene Pufferzone gegen die Überfälle aus dem Süden.

 

 

römischen Elementen sollte dieser Stil einmal der „maurische“ genannt werden). Rahman baute sich nach der Art seiner syrischen Heimat ein Heiligtum in Cordoba, die „Mezquita“, die „Moschee“ von Cordoba, deren Qibla (Gebetsrichtung) zum Erstaunen mancher Historiker nicht nach Mekka zeigte. Kein Wunder, denn es handelte sich nicht um eine Moschee, sondern um eine christlich-arabische Kirche im Stile seiner Heimat.

Er-Rahman und seine Nachfolger regierten fast 200 Jahre lang als Emire. Im Jahre 929 ließ sich Abd er-Rahman III. zum Kalifen aus­ rufen, unter dessen Nachfolger Hakam II. (915-976) erreichte das

 

omayadische Reich seinen Höhepunkt. Hakam wird als gebildeter Herrscher beschrieben, seine Bibliothek soll 400 000 Bände umfasst ha­ ben. Sein Sohn Hisham war nur nominell der Herrscher, die wirkliche Macht übte sein Wesir Abi Amir aus (938 - 1002). Unter dem Namen Al Mansur (spanisch „Almanzor“) wurde er der Inbegriff der verhassten Fremdherrschaft. Er brüstete sich, jedes Jahr einen Feldzug gegen die Ungläubigen zu unternehmen. Es waren in der Tat 52 Unternehmungen, in denen er die Gebiete des Nordens mit Krieg überzog, brandschatzte und plünderte. Besonderes Aufsehen erregte die Plünderung von San­ tiago de Compostella im Jahr 997, als die Bewohner zur Demütigung die Glocken der Basilika zu Fuß nach Cordoba tragen mussten112. Die Bibliothek Hakam II. ließ Al Mansur in Flammen aufgehen gemäß dem sich durchsetzenden Credo, dass das eine Buch alle anderen überflüssig mache. Er soll ständig einen eigens für ihn angefertigten Koran bei sich getragen haben.

Dass auf den Wüter Almanzor in weniger als 30 Jahren sechs Kalifen

folgten, zeigt den Zustand, in dem sich das Reich bereits befand. Im Jahr 1031, schon 100 Jahre nach der Ausrufung des Kalifats von Cordoba, war es endgültig vorbei mit den Emiren und Kalifen der Dynastie aus Marw, Turkmenistan, die man landläufig die „Omayaden“ nennt.

Ihre Regierungszeit in al-Andalus wird als äußerst unruhig beschrie­ ben: Revolutionen, Volksaufstände, Intrigen, Thronstreitigkeiten, Abspal­ tungen, Kriege. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt kam es in irgendeiner Ecke des Reiches zu Gewaltakten der genannten Art. Schon fast verzwei­ felt zeiht der andalusbewegte Arnold Hottinger113 die Chronisten der Übertreibung und meint beschwichtigend, die Unruheregionen seien oft weit auseinandergelegen, sodass nicht alle immer gleichzeitig betroffen gewesen wären ...

Jedenfalls waren die Unruhen so massiv, dass das gesamte Staatsge­

bilde im Jahr 1031 auseinanderflog.

Wie geflissentlich betont wird, seien nicht Auseinandersetzungen

 

 

112  1236 ließ Ferdinand III. nach der Eroberung Cordobas die Glocken durch die maurische Einwohnerschaft wieder nach Santiago de Compostella zurücktragen.

1,3 Arnold Hottinger, „Die Mauren", Zürich 2005.

 

zwischen „Muslimen“ und „Christen“ der Grund gewesen, sondern ethni­ sche Konflikte innerhalb der Invasoren, die Front zwischen Arabern und Berbern, sowie innerarabische Auseinandersetzungen zwischen „Syrern“ und „Jemeniten“. Diese werden in großer Ausführlichkeit beschrieben, der Arabist Johannes Thomas hält diese Geschichten wiederum für Er­ zählmuster und sogar für späte Abrechnungen. Selbstverständlich traten religiöse Konflikte zunehmend in den Vordergrund, allerdings konnte es keine simplen Konflikte zwischen „Christen“ und „Muslimen“ gegeben haben, denn die Sachlage im 8. und 9. und teils auch noch im 10. Jahr­ hundert war viel zu kompliziert für solche Vereinfachungen.

Von welchen Christen sollen wir denn sprechen ? Von den östlichen Arianern? Von den westlichen Arianern? Vom Katholizismus der Ibe- roromanen ? Von der Orthodoxie byzantinischer Provenienz ? Von den diversen orientalischen Christen ?

Von welchen Muslimen sollen wir denn sprechen ? Von den Ibaditen ? Den „Muhamedanern“ ? Den Malikiten ? Oder sprechen wir von den Kar- maten oder Kharidjiten ? Diese und andere mehr tummelten sich auf der Iberischen Halbinsel wie auch jenseits der Meerenge und prägten das religiöse Bild der Zeit. Wer wagt es da, von „Christen“ und von „Musli­ men“ zu sprechen ?

Die innerchristlichen Hauptblöcke, die katholischen und orthodoxen Christen auf der einen Seite und die arianischen bzw. arabischen auf der anderen, trennte nichts weniger als die Kernfrage von fünf Jahrhunderten, jene Frage, die Familien trennte, Stämme zerriss und Reiche gegeneinan­ der aufbrachte: Welche Natur hatte Jesus ?

Daher kam es, dass sich Antitrinitarier wie die germanischen und arabischen Christen geistig viel näherstanden als den Katholiken oder Orthodoxen. So konnten sich, wie erwähnt, nordafrikanische Invasoren und Einheimische in Cordoba eine Verehrungsstätte teilen. Denn ihre theologischen Unterschiede waren zu anfangs gering.

Bereits Ende des 7. Jahrhunderts setzte in Toledo eine Reihe von Kon­ zilien ein, die sich in der Diskussion um die wahre Natur Christi gegen

 

verschiedene Häresien wandten. Häufig tauchen die „Manichäer114 auf, die im Laufe der Zeit nicht mehr scharf gesehen werden, sondern wie auch die „Nestorianer“ als Sammelbegriff für alle Art von Abweichlern benutzt werden. Im Jahr 839 berief Abd er-Rahman II. eine Synode ein, denn er, wie die Bischöfe, machte sich Sorgen über religiöse Ausuferun­ gen. Verdammt wurden gemäß den Konzilsakten die „Casianer“, denen alle möglichen Verfehlungen vorgehalten wurden: Manichäertum, Höh­ lenbewohnung, Ablehnung der Heiligenverehrung, Polygamie, unübliche Fastenregeln und vieles mehr. Diese „Casianer“ hatten von allem etwas. Sie hatten Gemeinsamkeiten mit den religiösen Traditionen arabischer oder römischer Art, aber sie hatten auch Unterschiede, und deswegen wussten weder die Orientalen noch die Katholiken, wie diese einzuord­ nen wären.

Eindeutig waren sie aber „Akephale“, also Gläubige, die sich nur Gott, aber keiner menschlichen Obrigkeit beugen wollten, und deshalb waren sie für keine der etablierten Parteien tragbar. Wie es aus den Konzilsakten eindeutig hervorgeht, war im Jahre 839 in al-Andalus noch nichts von einem Religionsgründer Muhamad bekannt. Wie könnte es sonst gesche­ hen, dass Bischöfe über alles Mögliche diskutieren, nur nicht über die sie bedrohende Religion? Das sollte sich erst im Jahr 850 ändern, da erhalten wir den ersten schriftlichen Nachweis vom Islam in Spanien.

Erwähnt werden in den Konzilsakten auch die „Arures“. Sie firmieren in der arabischen Literatur als „Haruri“, als die Bewohner des höhlenrei­ chen syrischen Ortes Harura, wo nach dem Koran zum Jüngsten Gericht die Toten aus der Erde kriechen werden, und diese Haruri sind selbst­ verständlich Muslime. In Wirklichkeit handelte es sich um eine weitere Fehllesung, nämlich des syrischen hrora, „Höhle“. Die Arures/Haruri waren nichts anderes als „Höhlenbewohner“, nämlich Eremiten. Das Ere- mitentum war zu dieser Zeit sehr verbreitet, weil wiederum ein Zeitende erwartet wurde, und es war von den Machthabern nicht gerne gesehen, weil diese Eremiten als „Akephale“ schwer zu kontrollieren waren.

 

 

1,4 Manichäismus. Benannt nach dem Perser Mani (216-277). Diese Religion war weit verbreitet und stellte eine Mischung aus zoroastrischen, christlichen und buddhistischen Elementen dar auf der Basis der antiken Gnosis.

 

Auch die Kharidjiten wurden als „Arures“ geschmäht. In der islami­ schen Tradition allerdings gelten die Kharidjiten als die erste muslimische Sekte, obwohl auch sie, abgesehen vom völlig unislamischen kontempla­ tiven Eremitentum, ganz ohne einen Propheten Muhamad auskamen. Zu allem Überfluss werden die Kharidjiten den Ibaditen zugerechnet, Letztere aufgeteilt in eine eher christliche und eine eher muslimische Spielart.

Auch spielte in Spanien das, was Islamwissenschaftler die „islami­ sche Gnosis“ nennen, eine große Rolle. Aber wie islamisch waren diese Gnostiker wie Ismailiten, Nusairier, Alewiten, Karmaten in Wirklich­ keit, wurzelten deren Tradition doch in neuplatonischen, jüdischen und iranischen Anschauungen ? Sie kannten koranische Tradition nicht oder nur am Rande und wurden deshalb in der Spätantike von der Theologie als christliche Häretiker gesehen. In einem zunehmend mekkanisch-in- toleranten Umfeld schien es ihnen jedoch im Laufe der Zeit geraten, sich über die grüne Grenze auf islamisches Sektengebiet zu begeben, wo sie als Kryptochristen oder Schmalspurmuslime bis heute verharren. Der erste Philosoph von al-Andalus, Ibn Masarra (883 - 931) war ein Gnostiker in der Tradition der frühen mesopotamischen Ismailiten, die besonders durch neuplatonische Ideen geprägt waren. Ein Muslim kann er somit nicht gewesen sein.

In der Tradition der ersten „abbasidischen“ Herrscher in Bagdad war auch in al-Andalus der Mutazilismus eine Zeit lang die führende Strö­ mung. Die Mutaziliten stützten sich auf Koranverse genauso wie auf das Alte und das Neue Testament und pflegten vor allen Dingen den Ratio­ nalismus.

 

Die religiöse Situation in al-Andalus war also wie auch im ganzen Ori­ ent komplex. Es gab eine große Fülle von religiösen Anschauungen und Gemeinschaften, die sich oft vollkommen anders definierten, als man das heute gewöhnt ist - sofern ihre Definitionen und Zugehörigkeiten überhaupt schon hinreichend geklärt sind.

Die arabischen Invasoren waren christliche Ibaditen gewesen. Zur Mitte des 9. Jahrhunderts aber befinden wir uns im Umbruch, wenn man so will im Übergangsfeld zwischen Christentum und Islam. Andersrum: Der Islam beginnt ab der Mitte des 9. Jahrhunderts die Identität einer

 

eigenen Religion anzunehmen. Die Eroberer waren als Christen gekom­ men und wandelten sich zu Muslimen.

Dies korrespondiert mit der historischen Entwicklung im Orient, an die das marwinidische Spanien angekoppelt war. In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts gelangte Hadith-Literatur nach Spanien. Dies führte zu heftigen Auseinandersetzungen im Emirat, weil die starke malikitische Rechtstradition die Hadithe ablehnte. Muhamad I. (852 - 886) stellte sich jedoch auf die Seite der „Sunna“, das heißt, er importierte den sich durch­ setzenden mekkanischen Hauptstrom des Islam. Aus der Zeit Muhamad I. werden erste Berichte über Ungleichbehandlung und Schikanen Anders­ gläubiger bekannt. Die flächendeckende Etablierung in al-Andalus von dem, was wir heute „Islam“ nennen, dürfte ziemlich zeitgleich erst mit der Einführung des Kalifats im Jahre 929 vollzogen worden sein.

Eine Trennlinie zwischen Christentum und Islam vor dem 9. Jahrhun­

dert zu ziehen, entspricht nicht den Verhältnissen und ist vollkommen unhistorisch.

 

Dem „omayadischen“ Kalifat waren also nur 100 Jahre vergönnt. Es gab, entsprechend den Vorgaben aus dem Osten, auch in Spanien eine or­ ganisierte Revolution gegen die „Omayaden“ Die Ethnien mögen Pro­ bleme miteinander gehabt haben, aber noch schwerer wird die geistige Zerrissenheit gewogen haben. Dies und die zunehmende Erfahrung der Stammbevölkerung von Okkupation und religiösem Zwang ließ das arabisch-islamisch dominierte Spanien, also etwa drei Viertel der Iberi­ schen Halbinsel, explodieren, die offizielle Jahreszahl dafür ist 1031, die Auflösung des Kalifats.

 

Das Gebilde zersprang zwar nicht in die sprichwörtlichen tausend Stücke, aber ein paar Dutzend waren es schon: die Taifas, die „kleinen König­ reiche“. Die schon in der Endzeit der „Omayaden“ schwindende Zent­ ralmacht ermöglichte das Entstehen zahlreicher kleiner und kleinster Königreiche und Fürstentümer. Es gab zu besten Zeiten 60 an der Zahl, aber ihre Anzahl und Größe änderte sich permanent. Die Regenten wa­ ren Araber verschiedener Clans, Berber diverser Stämme, Romanen, Normannen, Goten, Piraten, um nur einige zu nennen. Auch sämtliche

 

religiöse Schattierungen waren vorhanden. Dies macht deutlich, dass es keine „natürlichen“ Bündnisverhältnisse gab, jeder paktierte mit jedem und jeder gegen jeden. Die kleinen Reiche versuchten, in permanenten Kriegen ihre Territorien zu halten oder zu vergrößern. In diesem Wirr­ warr agierte der kastilische Ritter Rodrigo Diaz de Vivar, der unter dem Namen El Cid zum spanischen Nationalhelden avancierte und der in bester Taifa-Tradition mehrfach die Seiten zwischen Spaniern, Arabern, Berbern, Christen sowie Muslimen wechselte und zwischendurch auch als Kriegsherr auf eigene Rechnung tätig war.

 

Während die Kleinreiche von al-Andalus einander ständig schwächten, nahmen die christlichen Reiche im Norden ständig an Macht zu. Eine Reihe von Taifas konnte ohne den Beistand aus dem Norden gar nicht mehr existieren, aber dieser Beistand oder der Nichtangriffspakt war nicht umsonst zu haben. Er kostete Schutzgeldzahlungen und Tribute. Dazu kam die wohl als Kompensation ihrer Unbedeutendheit ausufernde Haus­ und Hofführung der Kleinstregenten, die zwar eine künstlerische Blüte bewirkte, aber im Ruin endete. Al-Andalus blutete aus, und die Schwer­ punkte verlagerten sich unmerklich, aber stetig Richtung Norden.

Aber das war nur ein Teil des Problems. Einer der kleinen Fürsten mit dem großen Namen al-Mutamid115 aus Sevilla rief die Herrscher Nordaf­ rikas zu Hilfe. Es waren dies die Almoraviden, eine Dynastie militanter Muslime aus der Sahara. Sie wandten sich gegen alles, was nicht ihrer Auffassung von Religion entsprach. Sie bekämpften natürlich die Chris­ ten, räumten aber auch unter ihren muslimischen Verbündeten auf. Die Fürsten Mutamid und Mutawakkil wurden kurzerhand umgebracht, als sie Tendenzen zeigten, doch lieber mit ihren spanischen Glaubensgegnern als mit den Glaubensbrüdern aus der Wüste zu kooperieren. Mit dem Lotterleben, den Weingelagen und Tanzdarbietungen in Cordoba, Sevilla und anderswo war es vorbei.

Nun zum zweiten Mal: Die Geister, die sie riefen, wurden die Spanier, wenn auch nun die Andalusier, nicht mehr los. Die Almoraviden waren nicht länger an bloßer Hilfeleistung interessiert, sie wollten al-Andalus

 

115 Muhammad al-Mutamid bin Abbad (Abbad = der Ibadit).

 

unter ihre Herrschaft bekommen und die angrenzenden christlichen Königreiche noch dazu. Die Unterwerfung von al-Andalus unter almo- ravidisches Joch fand in den Jahren 1090 bis 1094 statt.

Genau genommen war dies bereits das Ende von al-Andalus und man­ chen Zeitgenossen scheint dies durchaus bewusst gewesen zu sein.

Die Fundamentalisten aus Nordafrika brachten eine völlig neue Qua­ lität der Auseinandersetzung nach Spanien: den Glaubenskrieg, den Dschihad und die Afrikanisierung des andalusischen Islam. Pakte über die Religionsgrenzen hinweg, in der Taifazeit die Normalität, waren die Ausnahme geworden; was zählte, war Eroberung im Namen Allahs.

Aber auch auf christlicher Seite hatte sich einiges getan. 1071 fasste die Clunenser Bewegung116 in Spanien Fuß, das bedeutete, die spanische Kirche kam unter den direkten Einfluss von Rom (ab 1076 wurde der gotische Ritus vom römischen abgelöst). 1095 rief Papst Urban II. zum Kreuzzug auf, 1099 wurde Jerusalem erobert, fast zeitgleich dazu fielen Granada, Sevilla, Valencia und Mallorca in die Hände der Dschihadisten aus Nordafrika.

Die Zeitwende vom 11. auf das 12. Jahrhundert stand im Zeichen eines schweren Konflikts Ost gegen West im Orient und Süd gegen Nord auf der spanischen Halbinsel.

Vor diesem Hintergrund vollzog sich nun genauso wie die Afrikani­ sierung des spanischen Islam die Europäisierung des spanischen Chris­ tentums. Die Mega-Trends wurden also auf beiden Seiten vom Ausland importiert und bereiteten einem spezifisch spanischen Weg ein Ende. Es standen sich auf der einen Seite ein Dschihad und auf der anderen Seite ein Kreuzzug gegenüber. Genau genommen kann man erst ab jetzt von Conquista und Reconquista im Sinne einer islamischen Eroberung und einer christlichen Rückeroberung sprechen.

 

Der almoravidische Zauber dauerte nicht einmal ein Jahrhundert an und endete wiederum in zahlreichen kleinen Fürstentümern, den zweiten

 

 

116 Die Bewegung geht zurück auf das Benediktinerkloster Cluny in Frankreich. Cluny stand für eine straffe Organisation des Mönchtums und war bis ins 12. Jahrhundert eines der einfluss­ reichsten religiösen Zentren in Europa.

 

Taifas. In Nordafrika gewann indes eine andere Bewegung an Macht: die der Almohaden. Ihr Name war Programm, nämlich die Verteidiger des Glaubens an einen Gott (a\-muwahidun, von wahd, eins). Sie vertraten insofern den oft mit ihnen in Verbindung gebrachten „Urislam“, als dass der fanatische Monotheismus frühislamischer Ausprägung auch ihr zen­ trales Anliegen war und der Prophet Muhamad keine Rolle spielte.

Das Jahr 1147 markiert die endgültige Machtübernahme der Almo­ haden in Nordafrika, 1161 setzten sie erstmals nach Spanien über. Sie regierten wie auch schon die Almoraviden von Marrakesch aus und hat­ ten mit ständigen Revolten und Widerständen zu kämpfen. Sie konnten zwar noch die großen Aufstände von Ibn Mardanisch (ein arabisierter

„Martinez“) und Geraldo sem Pavor („Gerhard ohne Furcht“) nieder­ schlagen, aber am 16. Juli des Jahres 1212 kam es zum großen Showdown, der Schlacht bei Las Navas de Tolosa.

Unter Führung der Könige von Kastilien, Navarra und Aragon mar­ schierte eine gewaltige Streitmacht von Rittern aus ganz Europa auf, die andere Seite bot eine panmuslimische Streitmacht etwa gleicher Größe auf mit Dschihadisten aus Nordafrika bis Zentralasien. Insgesamt sollen sich eine halbe Million Krieger gegenübergestanden haben. Die islamischen Heere erlitten eine totale Niederlage, der almohadische Kalif flüchtete nach Nordafrika, die Macht der Muslime in Spanien war gebrochen. Es dauerte aber noch weitere 40 Jahre, bis der größte Teil der spanischen Halbinsel, einschließlich der Balearen und Portugals, unter der Herr­ schaft christlicher Könige stand.

 

Yusuf Ibn Nasr, Kleinherrscher aus Arjona, hatte den kastilischen König Ferdinand III. 1236 bei der Einnahme Cordobas unterstützt und bekam da­ für freie Hand in Granada, das er in seinen Besitz brachte. Das Königreich umfasste immerhin die Küste von Almeria bis Tarifa und schloss somit das wichtige Gibraltar ein. 1246 erkannte Ferdinand Ibn Nasr offiziell als Herrscher über Granada an - der Beginn des letzten Kapitels muslimischer Herrscher in Spanien, das 250 Jahre später geschlossen werden sollte.

Ibn Nasr war vollkommen klar, dass es keinen sinnvollen Wider­ stand mehr gegen die überlegenen Reiche aus dem Norden geben konnte und unterzeichnete einen Vasallenvertrag, denn nichts anderes war das

 

Abkommen von 1246. Die muslimische Enklave Granada erkaufte sich seine Existenz durch Tributzahlungen und Dienstleistungen, vollkom­ men abhängig von der Gunst des christlichen Lehnsherrn.

Trotz aller riesigen äußeren Schwierigkeiten leisteten sich die Herren von Granada ständige interne Streitigkeiten, die nur deshalb kein früheres Ende herbeiführten, weil es die christlichen Herrschaften zu dieser Zeit auch nicht viel besser machten. Letztere hatten auch keine Eile, die Kuh namens Granada zu schlachten, solange sie noch reichlich Milch abgab.

Das zunehmend in Gefahr geratende Granada sah sich in Nordafrika, Ägypten und Istanbul nach Bundesgenossen um und vollführte eine ge­ wagte Schaukelpolitik. Inzwischen kontrollierten die in Tunis regieren­ den Hafsiden den lukrativen Handel aus Innerafrika nach Spanien und unterhielten enge Handelsbeziehungen zu Kastilien und Barcelona. Diese wollte man nicht durch Abenteuer aufs Spiel setzen - Granada war nur noch lästig.

Von ausschlaggebender Bedeutung für das Ende des letzten muslimi­ schen Reiches in Spanien war die Heirat Ferdinands von Aragon mit Isa­ bel von Kastilien im Jahre 1469, die zehn Jahre später in die Zusammenle­ gung der Königreiche und damit in die Vereinigung Spaniens mündete.

Umgehend wurde mit der Eroberung von Festungen und Städten des Königreichs Granada begonnen, bis die Truppen Ferdinands und Isabels 1491 vor den Toren Granadas selber standen.

Nach traditioneller Meinung habe die strenggläubige Katholikin Isabel Ferdinand aus religiösen Gründen zur Eroberung Granadas getrieben. Tatsächlich aber sah Ferdinand die Situation aus einem machtpolitischen Blickwinkel und hatte lange auch aus finanztechnischen Gründen - sprich Tribute, die bis zu 50% des Staatshaushaltes ausmachten - eine Entscheidung hinausgezögert. Seine Gründe für die Liquidierung der Enklave waren nüchterner Natur: Granada hatte fortwährend muslimi­ schen Piraten in seinen Häfen Zuflucht gewährt und die Tributzahlungen gingen auch zunehmend schleppend ein. Das Beunruhigendste war aber die wiederholte Kontaktaufnahme mit der neuen Schreckensmacht im Osten, den Türken. Die „Türkengefahr“ war das große Thema der Zeit, und sie schien durchaus immanent zu sein, denn als 1481 eine osmanische Expedition in Süditalien landete, war die Panik so groß, dass der Papst aus

 

Italien floh. Die Türken entwickelten sich zu einer ernsten Bedrohung und man konnte sich in Spanien keinen Bündnisfall auf eigenem Territorium leisten. Das war das Ende Granadas.

Aber es war ein Ende, zu dem es in der Geschichte nicht viele Par­ allelen gibt: Die Bedingungen Ferdinands waren so günstig, dass Emir Abu Abdallah gar keine andere Wahl hatte, als sie anzunehmen. Am

2. Januar 1492 übergab er die Schlüssel der Stadt an das spanische Kö­ nigspaar.

Ihm und den Bewohnern von Granada, die zum Schluss fast aus­ schließlich aus Muslimen bestanden, sagte Ferdinand Wahrung des Besitzstandes und persönliche Unversehrtheit zu. Wer abziehen wollte, konnte das ungehindert tun, seinen Besitz mitnehmen oder ihn ohne Ein­ schränkungen innerhalb von 2 Jahren veräußern. So gut wie alle, die über Vermögen verfügten, entschieden sich für letztere Option und verließen Spanien als wohlhabende Leute in Richtung Marokko.117

 

Überschwänglich wird allenthalben die Architektur, Kultur und Kunst der Alhambra, der Burg Granadas, gepriesen, die unversehrt in die Nach­ welt gelangte. 39 Jahre zuvor erlitt eine Stadt von unvergleichlich höherer architektonischer, kultureller und kunsthistorischer Bedeutung ein ganz anderes Schicksal: 1453 eroberte Sultan Mehmed II. Konstantinopel. Kai­ ser Konstantin XI. kam nicht in den Genuss ähnlicher Bedingungen, wie sie Emir Abdallah von Granada erhalten hatte, er endete unerkannt in einem Massengrab. Mehmeds Truppen richteten ein Blutbad und Zerstö­ rungen unvorstellbaren Ausmaßes an, von denen nur ein paar Mauern und ein als Großmoschee geeignetes Gebäude für die Nachwelt übrig blie­ ben. Die ganze damalige Welt hatte darüber Entsetzen gepackt, und sicher hatte Abdallah diese Ereignisse vor Augen, als er die Stadt übergab.

 

Mit der Kapitulation Granadas war die Zeit des Islamischen Reiches auf spanischem Boden endgültig zu Ende, aber noch nicht die Geschichte der

 

 

1,7 Auf einer sanften Anhöhe südlich von Granada, die einen letzten Blick auf die Stadt gewährt, tat der letzte muslimische Herrscher Spaniens der Legende zurfolge den „Seufzer des Mohren“. Ein Autobahnschild macht darauf aufmerksam.

 

Muslime. Bereits 1507 wurde ein Edikt zur Zwangsbekehrung erlassen: Allen erwachsenen Muslimen blieb nur noch die Wahl zwischen Taufe und Emigration. Komplikationen traten aber dadurch ein, dass der Islam für seine Anhänger die taqiyya vorsieht, die gezielte Verstellung. Wie sollte man also bei den verbliebenen Muslimen zwischen einem echten Konvertiten unterscheiden und einem, der sich lediglich verstellte, einem

„Kryptomoslem“ ? Auch für diese Aufgabe nahm in Spanien 1529 das Santo Oficio, die Heilige Inquisition, ihre Arbeit auf. Ihre Arbeit war an der Zeit gemessen keineswegs grausam,118 aber sie war bemerkenswert uneffektiv. Als Konsequenz wurden 1609 die letzten 100000 Morisken (Muslime) aus Spanien ausgewiesen. Es wird kontrovers diskutiert, wel­ chen Schaden Spanien damit erlitten hat oder nicht. Man kann jedoch umgekehrt feststellen, dass Nordafrika kein signifikanter Nutzen daraus entstand.

 

Gewöhnlich ist von 800 Jahren muslimischer Herrschaft in Spanien die Rede, in denen es die Wissenschaften und Künste zu ungeahnter Blüte gebracht hätten, wo religiöse Toleranz und überhaupt Friede, Freude, Ei­ erkuchen herrschte. Bisweilen zirkulieren auch 900 Jahre und gewisse muslimische Kreise leiten daraus reale Besitzansprüche ab119. Weil das umgekehrt westliche Ansprüche auf die Türkei, Syrien, Palästina, Ägyp­ ten, Nordafrika mit weit valideren Gründen zur Folge hätte, wollen wir auf den Unsinn gar nicht erst eingehen.

Aber wie kommt man auf 800 Jahre muslimische Herrschaft in Spa­ nien ? Die Inbesitznahme des Süden Spaniens durch Berber und Araber

 

118  Bei zehn Prozent der Anklagen wurde ein Verfahren eröffnet. Dreißig Prozent der Verfahren endeten mit Freisprüchen, bei weniger als zwei Prozent wurde die Todesstrafe verhängt. Freiheitsstrafen konnten Galeerendienst, aber genauso gut Hausarrest bedeuten und waren gewöhnlich auf drei Jahre beschränkt. Die berüchtigten Verbrennungen auf den so genannten Autodafes waren bis auf ganz wenige Ausnahmen „in effigie“, also Verbrennungen von Stroh­ puppen. Bei Folterungen waren etwa Knochenbrüche und dauerhafte Verstümmelungen unter­ sagt. Die spanische Inquisition war einem umfangreichen Regelwerk verpflichtet, staatliche Stellen gingen weitaus radikaler vor.

119  Die Terroristen, die am 11. März 2004 in Madrider Zügen ein Blutbad mit 191 Toten anrich­

teten, bezogen sich auf die Forderung, dass Spanien wieder dem Dar al-lslam angehören müsse.

 

im frühen 8. Jahrhundert hatte keine religiösen Motive. Eine Religion namens „Islam“ ist korrespondierend zum Osten zu dieser Zeit nicht existent. Die Eroberer Spaniens waren arianische Berber und ibaditi- sche Araber christlichen Glaubens, die Spanien dem Machtbereich der

„Omayaden“ mit ihrer Hauptstadt Damaskus einverleibten. Im Zuge der Vernichtung dieser Dynastie im Orient flüchtete ein Spross der Familie nach Spanien und führte die christlich-syrische Tradition dort fort. Pa­ rallel zur Entwicklung im Orient begann Mitte des 9. Jahrhunderts auch in al-Andalus ein religiöser Prozess, in dessen Verlauf sich das arabische Christentum zu einer eigenen Religion entwickelte. Dieser Prozess ist erst im 9. Jahrhundert so weit gediehen, dass man von der Existenz eines

„Islam“ in al-Andalus sprechen kann.

Wenngleich von Repressionen des Kalifats gegenüber Andersgläubigen berichtet wird, so spielte die Religion als trennendes Element noch in der Zeit der Taifas (1031 - 1086) nur eine untergeordnete Rolle.

Dass es auch durchaus andere Ansichten über den richtigen Glauben geben konnte, wurde den andalusischen Muslimen sehr bald mit dem Auftauchen der nordafrikanischen Dynastien der Almoraviden und Almohaden (1090- 1248) ins Bewusstsein gebracht. Diese fundamen­ talistischen Bewegungen bekämpften nicht nur die Ungläubigen, son­ dern lehrten auch die einheimischen Muslime Mores. Sie brachten den Dschihad nach al-Andalus, der auf den sich parallel dazu entwickelnden Kreuzzuggedanken traf. Der religiös motivierten conquista stellte sich die religiös motivierte reconquista entgegen. Auseinandersetzungen hat­ ten bislang nur die Verschiebung von Grenzen zum Zweck gehabt, jetzt erhielten sie eine neue Qualität.

Die reconquista verlief so erfolgreich, dass Mitte des 13. Jahrhunderts nur mehr Granada als einzig muslimisches Reich in Spanien übrig ge­ blieben war. Es war eine Vasallenexistenz von Gnaden der katholischen Herrscher aus dem Norden. 1482 leitete König Ferdinand die schrittweise Liquidierung Granadas ein, die er 1492 mit dem triumphalen Einzug in die Alhambra abschloss.

Man sieht, die Geschichte verläuft alles andere als kontinuierlich, von einer 800-jährigen muslimischen Herrschaft, geschweige denn Dominanz, kann überhaupt nicht die Rede sein. In der Rückschau wird deutlich, dass

 

der politische Niedergang des muslimischen Spanien bereits mit dem Tode Hakam II. (976) einsetzte, also kaum dass der Islam sich etabliert hatte. Die muslimische Herrschaft über al-Andalus reduziert sich auf etwa 250 Jahre, nämlich die kurze Zeit des omayadischen Kalifats und die Zeit der nordafrikanischen Fremdherrschaft.

Granada war eine territorial und bedeutungsmäßig stets schrump­ fende Enklave, die zum Schluss nur noch aus der Stadt selber bestand. Ihre Bedeutung war umgekehrt proportional zur heute üblichen Be­ trachtung.

 

Die gängige Literatur ist voll der Lobpreisung der maurischen Kultur­ leistungen.

Demnach müssten die erobernden Araber geradezu in ein Entwick­ lungsland einmarschiert sein und hätten die rückständigen Spanier kul­ turell und zivilisatorisch erst wach gerüttelt. Die für ihre agrarische und wasserwirtschaftliche                Hochblüte                bekannten                Wüstensöhne                hätten                eine Feldwirtschaft ohnegleichen implantiert. Auch die in den römischen Provinzen vollkommen unbekannte Badekultur hätten demzufolge ara­ bische Beduinen importiert. Auch wurden Bäder wie Häuser, so ist in einem Reiseführer zu lesen, mit den „typischen arabischen Luftziegeln“ eingedeckt (also jene panmediterranen Ziegel, wie man sie zum Beispiel in Pompeji und noch älteren Städten besichtigen kann). Bei der in Spa­ nien vorgefundenen architektonischen Substanz muss es sich anschei­ nend um eine Lehmbaukultur gehandelt haben, erst die augenblicklich aus dem Boden gestampften maurischen Prachtbauten wie die Alhambra waren offenbar geeignet, Kultur in Spanien zu manifestieren. Wie uns die UNESCO-Website mitteilt, hatten die Eroberer auch Toleranz und den Rationalismus im Gepäck. Die Spanier müssen also eine Sternstunde in ihrer Geschichte erlebt haben.

 

In Wirklichkeit kamen die Eroberer aus Africa, dem Rand der römischen Welt nach Hispania, in ein Herzland der römischen Welt mit allen inf­ rastrukturellen Errungenschaften der Antike, wie das beste Straßennetz und Wasserversorgungssystem der Welt, Tempelanlagen, Paläste, Bäder, Theater, großzügig angelegte Städte mit Frisch- und Abwassersystemen.

 

Es gab eine ganze Menge Nutzbares, auch noch nach dem offiziellen Ende Roms. (Die erste Mezquita besteht fast ausschließlich aus antikem Raub­ gut, aus „Zweitverwendungen“, wie es so schön heißt.)

Oleg Grabar, der exzellente Kenner islamischer Architektur und Bau­ geschichte, weist auf die Ähnlichkeiten andalusischer Paläste zu antiker Architektur hin. Die Traumvorlagen seien nicht ominöse „islamische“ Paläste gewesen, sondern Neros Domus Aurea oder Hadrians Villa. Un­ mittelbare architektonische Vorbilder waren die Paläste römischer Pro­ vinzgrößen in Spanien und Nordafrika. Diese geben mit ihren Arkaden, Säulenbögen, Doppelfenstern und Innenhöfen jene Elemente vor, die für die andalusischen Paläste typisch waren. Das Element der Wassergärten, wie der Generalife, ist sehr persisch. Die ummauerten Höfe mit ihren Gärten und Wasserspielen sind als Miniaturabbildungen des Paradie­ ses aufzufassen, eines recht ausschweifenden, vorislamischen persischen Paradieses. Diese „Paradiesgärten“ waren weit verbreitet von Syrien bis Afghanistan und fanden ihren Weg über die aus Persien stammenden

„Omayaden“ nach Spanien.

Die Qualität der andalusischen Steinmetzarbeiten reicht an jene der Gotik oder Antike nicht heran. Statt aufwendiger Bearbeitung des Steins selber wurde der tragende Unterbau mit Stuckaturen überzogen. Die ty­ pischen Verzierungsformen, die Muqarnas („Stalaktiten“, „Bienenwaben“ etc.), sind ebenfalls persischer Herkunft.

Die andalusische Pracht- und Monumentalarchitektur geht in erster Linie auf römisch-antike und in geringerem Maße auf persische Vorbil­ der zurück. „Islamische“ Vorgänger - was immer das sein mag - gibt es nicht. Die heutige Alhambra, in den Augen vieler das islamischste aller islamischen Bauwerke entstand in einer Zeit, als Spanien beim besten Willen nicht mehr islamisch genannt werden kann.

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Sakralbauten. Wie wir wissen, be­ nutzten die nordafrikanischen Invasoren die Kirche San Vicente in Cordoba einträchtig mit den Einwohnern, bevor der aus Syrien geflüchtete Abd er- Rahman darüber sein Heiligtum baute. Dieses war eine Kirche im Stile sei­ ner Heimat, mit auf antiken Säulen ruhenden Bögen als prägendes Element. Die Bögen waren typischerweise ocker/ rot segmentiert, vorgegeben von der Farbe der ursprünglichen Materialien, nämlich Ziegel und Stein. Über

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Mezquita, Cordoba. Mlhrab und Kuppel der Erweiterung AI Hakam II. um 965. Die Arbeit samt Materialien und Ausführung ist ein Geschenk des byzantinischen Kaisers Nikephoros II. Phokas. Sie stellt eine völlig neue Stilrichtung dar.

BILD 22

Der älteste Teil der Mezquita, Cordoba, aus dem 8. Jh. Es handelte sich dabei um keine Moschee, sondern um eine masjid, eine christlich-arabische Verehrungsstätte in syrischem Kirchenstil.

 

100 Jahre diente die mezqita von Cordoba als arabische Kirche, bis sie sich allmählich in eine Moschee transformierte. Äußerlich gab es dabei kaum Unterschiede, mit Ausnahme der Anbringung einer Gebetsnische (Mih­ rab), die den Unterschied von Kirchen und frühen Moscheen ausmachte. Das Bauwerk wurde ständig erweitert, die Grundelemente blieben jedoch dieselben. Der Bau von Abd er-Rahman I. (756 - 788) und die Erweiterung Abd er-Rahman II. (822-852) sind große Hallen mit einem Wald unter­ schiedlicher antiker Säulen und rot-weißen Doppelbögen darüber.

Einen völlig neuen Stil und ein künstlerisch ungleich höheres Niveau zeigt der Anbau Hakam II. (961-976), des ersten Kalifen. Besonders be­ eindruckt die Ausführung der Gebetsnische, aber sie erweckt zugleich Verwunderung, denn sie wird von einer prachtvollen byzantinischen Kuppel überwölbt, die ja bekanntlich auf einem Kreuzgrundriss basiert. Dieser Ausbau ist ein Geschenk des byzantinischen Kaisers Nikepho- ros II. Phokas, der die Künstler samt ihren Werkzeugen und dem gesam­ ten Material nach Cordoba entsandte. Was könnte der Grund gewesen sein? Wohl Beziehungspflege: denn Byzanz, das früher ja in Hispania präsent gewesen war, suchte das Kalifat wiederholt als Bündnispartner zu gewinnen. Der bald darauf folgende letzte Anbau von Al Mansur ist eine Rückkehr zum Säulenwald, aber in deutlich schlechterer Ausführung. Wohl mangels Alternative wurden oft minderwertige und beschädigte antike Säulen verwendet, die Bögen waren nicht mehr aus Stein und Zie­ gel gefügt, sondern einfach in Ziegeloptik bemalt. Die Stilrichtungen der Mezquita, die syrische Bogenarchitektur und der byzantinische Ausbau Hakam II., sind nicht andalusisch. An der Herkunft auch der sakralen Architektur des islamischen Spaniens ist absolut nichts „islamisch“, weil es eben keine islamischen Vorbilder gab.

 

Die Bedeutung von Philosophie und Wissenschaft in al-Andalus und ihr Einfluss auf Europa werden allgemein weit überschätzt. Wie schon im vorangegangenen Kapitel dargestellt, ist es vollkommen unzutreffend, überhaupt von islamischen Wissenschaften in der Spätantike zu sprechen (siehe St. 177). Es hat im Arabischen Reich zahlreiche Wissenschaftler verschiedener Nationalität und verschiedener Geisteshaltung gegeben. Sie alle hat die arabische Sprache geeint, weswegen man durchaus von

 

„arabischen Wissenschaftlern“ sprechen kann. Muslime stellten unter die­ sen allerdings die absolute Ausnahme dar. Mehr noch, die Etablierung des Islam beendete die Blütezeit der arabischen Wissenschaften in kürzester Zeit. Diese Blüte des arabischen Geisteslebens vollzog sich vornehmlich im persischen Orient. Ohne die Leistung der arabischen Wissenschaftler in irgendeiner Weise schmälern zu wollen, handelte es sich doch in erster Linie um Tradierungen, etwa der indischen („arabischen“) Zahlen oder um antike Philosophen. Diese Tradierung fand auch ohne al-Andalus statt, das oft kolportierte Zentrum der Wissenschaften war das Land nie. Dazu mag die Geschichte von den medizinischen Schriften des Dios- kurides passen, die Abd er-Rahman III. (912-929) vom byzantinischen Kaiser zum Geschenk bekam. Dieses in der Gelehrtensprache Griechisch geschriebene Werk konnte jedoch niemand in Cordoba lesen, worauf der Kaiser einen sprachgebildeten Mönch nachsenden musste.

Die Bibliothek Hakam II. (961 - 976) ließ bereits al-Mansur (938 - 1002) als bewussten koranischen Akt in Flammen aufgehen. Vernichtet wurden aber fast nur östliche Autoren, denn al-Andalus hatte bis auf Ibn Masarra noch keinen führenden Kopf auf dem Gebiet der Wissenschaft und Philo­ sophie hervorgebracht. Das war erst im 12. Jahrhundert der Fall mit Ibn Ruschd, Ibn Maymun (Maimonides) und einigen wenigen anderen. Mit diesen Namen verschwanden aber auch schon nach einem kurzen Auffla­ ckern Philosophie und Wissenschaften aus al-Andalus. Al-Ghazali hatte sich auf der ganzen Linie durchgesetzt, Wissen und Denken waren fortan auch in al-Andalus nur auf das, was im Koran stand, beschränkt.

Oder, wie der Geschichtsschreiber al-Maqqari es ausdrückte: „Philo­ sophie ist eine in Spanien verhasste Wissenschaft, die man nur im Ge­ heimen studieren kann.“

In bestem Alhambraismus belehrt uns aber Pierre Phillippe Rey120, dass Europa den Rationalismus in Wirklichkeit aus „Nord- und West­ afrika und aus al-Andalus“ bezogen habe. Leider fehlt eine Begründung dieser hochinteressanten These, aber man darf einstweilen davon aus­ gehen, dass al-Andalus weder Vermittler noch Wiege des europäischen Rationalismus war.

 

120  Pierre Phillippe Rey auf http://unesdoc.unesco.org/images/0011/001144/114426eo.pdf.

 

Die größte und unisono gefeierte Leistung von al-Andalus soll aber die Toleranz gewesen sein: das Tolerieren anderer Lebensweisen, anderer Denkarten und der jeweilig anderen Religion. Dies habe eine nie da ge­ wesene Art des Zusammenlebens erzeugt, die legendäre convivencia.

Mohamed Benchrifa schreibt dazu ebenfalls auf der UNESCO-Home­ page 121:

 

„Während der gesamten islamischen Herrschaft war Andalusien die Hei­ mat von Formen der Toleranz, wie man sie bis zu modernen Zeiten nicht mehr beobachtet hat. Es war ein Land des Dialogs, eines Dialogs, der zu­ gleich heiter und lebhaft war.“

 

Sehen wir uns kurz den heiteren und lebhaften Dialog an, den al-Andalus mit seinen bedeutendsten Köpfen, Ibn Ruschd und Maimonides, führte und den Maimonides mit eigenen Worten so zusammenfasst:

 

„Die Araber haben uns sehr stark verfolgt und bannartige und diskrimi­ nierende Gesetze gegen uns erlassen. Niemals hat uns eine Nation derartig gequält, erniedrigt, entwürdigt und gehasst wie sie.“

 

In dem heiteren Dialog, den Ibn Ruschd vor dem Gericht seiner Vater­ stadt Cordoba zu führen hatte, ging es um Leben und Tod. Er kam wegen seiner Nähe zum Herrscher mit Verbannung davon, erhielt lebenslanges Rede- und Schreibverbot, seine Werke wurden verbannt, er wurde in der islamischen Welt totgeschwiegen und erlebte erst im christlichen Europa als Averroes seine Würdigung.

Ibn Ruschd wurde 1126 in Cordoba als Sohn einer angesehenen Fa­ milie von Qadis geboren. Qadi, Richter, war nicht nur eine Berufsbe­ zeichnung, sondern ein Ehrenrang. Ruschd erlebte als junger Mann den Übergang von den Almoraviden zu den Almohaden. Sein Brotberuf war die Medizin, seine Hauptbeschäftigung aber die Physik und die Philoso­ phie. 1153 wurde er an den Almohadenhof nach Marrakesch beordert. Für den Prinzen und späteren Kalifen Jussuf Abu Jakub unternahm er

 

121 http://unesdoc.unesco.org/images/0011 /001144/114426eo.pdf.

 

verschiedene physikalische Untersuchungen und fertigte eine Aristoteles- Übersetzung an. Die meiste Zeit verbrachte er in Spanien in den Diensten des Herrschers. Dort bahnte sich auch das Unheil an. Die Zeiten der freien Rede und der freien Schrift waren Vergangenheit. Al-Ghazali und die Ultraorthodoxen waren überall im Vormarsch und sie bekämpfte Ibn Ruschd mit allen Kräften. In seiner Kausalitätslehre stellte er sich gegen Ghazali und dessen wörtliche Befolgung des Korans und warf ihm vor, er zerstöre nicht nur die Philosophie, sondern auch den Islam.

Das blieb nicht ohne Konsequenzen. Ein förmliches Verfahren gegen Ibn Ruschd im Jahre 1195 verneinte seine Rechtgläubigkeit, verbot nicht nur seine Schriften, sondern die Philosophie insgesamt. Nur die Nähe zum Herrscher, zu dessen Leibarzt er avanciert war, rettete ihn vor dem Todesurteil. Er wurde stattdessen aus Cordoba verbannt und später nach Marrakesch verbracht, wo er wenig später, 1198, starb.

Averroes retteten seine medizinischen Kenntnisse das Leben. Genauso ging es Maimonides, dem zweiten großen Denker von al-Andalus. 1135, also 9 Jahre nach Ibn Ruschd, wurde Mosche ben Maymon, wie sein ei­ gentlicher Name lautete, als Sohn eines angesehenen jüdischen Rabbiners ebenfalls in Cordoba geboren. Er wuchs in einer Atmosphäre jüdischer Gelehrsamkeit auf, die jedoch um das Jahr 1148 ihr jähes Ende fand. Die Almohaden herrschten in al-Andalus, sie zwangen alle Nichtmuslime zu Konversion oder Emigration - wenn nicht Schlimmeres. Das Wanderle­ ben der Familie ben Maymon begann, das sie durch ganz Spanien führte. Nirgendwo konnten sie sich sicher fühlen, schließlich setzten sie nach Nordafrika über und ließen sich um 1160 in Fes nieder.

Dieser Umzug in die Höhle des Löwen hat viele Spekulationen beflü­ gelt. Man kennt die wirklichen Gründe nicht, aber Marokko muss sicherer gewesen sein als Andalusien.

Oder fühlte sich Maimonides sicher, weil er zum Islam übergetreten war? Es sieht danach aus, obwohl seine Konversion nicht nachweisbar ist. Auffälligerweise aber plädiert Maimonides in mehreren Gutachten für die Konversion, allerdings im Sinne der islamischen Taqiyya122.

 

122  Taqiyya, die im Koran sanktionierte Verstellung, um Ungläubigen gegenüber einen Vorteil zu erlangen.

 

Maimonides befasste sich mit Metaphysik, Astronomie und natürlich mit Aristoteles, seine Hauptarbeit aber waren Texte zu jüdischem Glauben und Recht. Im Hauptberuf war Maimonides Arzt.

Aber der Arm der religiösen Verfolgung erreichte auch die ben May- mon. Als der Oberrabbiner von Fes wegen seiner Weigerung, zum Islam überzutreten, hingerichtet wurde, floh die Familie 1165 nach Palästina und zog von dort weiter nach Ägypten.

In Kairo wurde Mosche ein angesehenes Mitglied der jüdischen Ge­ meinde und ein gefragter Arzt am Hofe des Sultans.

Die Schatten der Vergangenheit holten ihn aber auf dem Höhepunkt seines Schaffens ein, denn es trat plötzlich ein früherer Mitarbeiter auf den Plan, der behauptete, der jetzige Rabbi Mosche sei in Fes Muslim gewesen. Letztlich entkam Maimonides auch dieser lebensbedrohlichen Situation, seine Nähe zum Sultan als Arzt dürfte ihm das Leben gerettet haben. 1204 starb Maimonides in Kairo, sein Leichnam wurde nach Tiberias in Palästina überführt, wo er in der Erde seiner Väter beigesetzt wurde.

Maimonides und Ibn Ruschd werden heute als die bedeutendsten Den­ ker von al-Andalus gefeiert. Beide wurden verfolgt und gejagt, beide leb­ ten unter Todesdrohungen, beide mussten das ach so tolerante Andalusien verlassen. Und das war nicht der Ausnahmefall in al-Andalus, es war die Regel. Geradezu grotesk erscheint, dass genau jene Konfession von Mus­ limen, die Ibn Ruschd nach dem Leben trachtete, ihn nach Jahrhunderten der vollkommenen Ignorierung nun als einen der Ihren eingemeindet. Ibn Ruschd kann sich nicht mehr dagegen wehren.

 

In Spanien lebten der Bevölkerungszahl nach geordnet Iberoromanen, Goten, Juden, „neue“ Berber, „alte“ Berber, Araber. Regional waren aber die Zusammensetzungen vollkommen unterschiedlich, die Mehrheitsver­ hältnisse konnten sich ins gerade Gegenteil verdrehen. Der Grund waren die ständig stattfindenden Eroberungen, Vertreibungen, Verschleppun­ gen, Versklavungen, Umsiedelungen. Die Karten mit Grenzziehungen stellen nur Momentaufnahmen dar.

Diese Ethnien sprachen Hocharabisch, Volksarabisch, verschiedene Berberdialekte, verschiedene romanische Dialekte, Hebräisch und La­ tein. Arabisch entwickelte sich im 9. Jahrhundert zur gebräuchlichen

 

Umgangssprache zwischen den einzelnen Gruppierungen. Neben den in ihren Territorien lebenden Christen und Muslimen gab es zu jeder Zeit spezielle Gruppierungen: die zum Islam konvertierten Christen (Mula- deri), unter dem Islam lebende Christen (Mozaraber), zum Christentum konvertierte Muslime (Morisken) und unter dem Christentum lebende Muslime (Mudecharen).

Die Konvertierungen waren niemals freiwillig. Sie erfolgten stets unter Zwang oder Druck, von rechtlicher Benachteiligung bis zu physischer Gewalt reichend.

Zu Zeiten der Eroberung stand Landnahme unter ethnischen Gesichts­ punkten im Vordergrund, nennenswerte religiöse Konflikte gab es nicht, denn die einzelnen Konfessionen standen sich im 8. Jahrhundert - trotz heftiger theologischer Dispute - noch viel zu nahe. Dies begann sich un­ ter Muhamad I. zu ändern. Eulogius von Cordoba schreibt an Bischof Wilesindus von Pamplona:

„In diesem Jahr (851) entzündete sich die Raserei des Tyrannen gegen die Kirche Gottes, stürzte alles um, verwüstete alles, verstreute alles, ker­ kerte Bischöfe, Presbyter, Äbte, Diakone und den ganzen Klerus ein.“

Wer nicht konvertierte, war Bürger zweiter Klasse (Dhimmi). Für sie gab es in al-Andalus nur die Möglichkeit Tribut, Exil oder Tod. Dass man diese eigentlich unleugbare Alternative tatsächlich anders sehen kann, zeigt die Professorin Maria Rosa Menocal in ihrem Buch „The Ornament of the World“, wenn sie meint „die islamische Politik hat nicht nur das Überleben der Christen und Juden ermöglicht, sondern sie gemäß korani- schem Auftrag im Großen und Ganzen beschützt.“

In der Zeit des Flickenteppichs der Taifas war die Situation vollkom­ men unterschiedlich. Im Allgemeinen schien die Religion nicht im Vor­ dergrund gestanden zu haben, trotzdem fand 1066 in Cordoba das erste große Abschlachten von Juden statt.

Dem ging eine Denkschrift des frommen Rechtsgelehrten Abu Ishaq voraus: „Diese Juden, die früher auf den Abfallhaufen einen Fetzen buntes Tuch suchten, um ihre Toten zu begraben, ... haben nun Granada unter sich aufgeteilt... Sie ziehen Tribute ein und kleiden sich hochelegant..., und der Affe Josef hat sein Haus mit Marmor ausgelegt ... Eilt, um ihm

 

die Kehle durchzuschneiden; er ist ein feister Hammel, nehmt ihm sein Geld weg, denn ihr verdient es eher als er!“

 

Die Toleranz, von der al-Andalus bestimmt gewesen sein soll, ist ein rei­ nes Märchen. Nirgendwo, nicht nur in Spanien, ist im europäischen Mit­ telalter Toleranz in unserem Verständnis zu finden. Das Toleranzkonzept stammt aus der Renaissance.

Dieser Toleranz liegen die Begriffe Wahrheit und Freiheit zugrunde. Bei Offenbarungsreligionen, die jeweils einen Wahrheitsanspruch für sich reklamieren, ist es deshalb mit Toleranz nicht weit her, sobald sie in der Lage sind, diesen Wahrheitsanspruch politisch umzusetzen. Freiheit und Toleranz enden sehr bald bei religiösen Vorschriften.

Geschweige denn eine tolerante Gesellschaft zu sein, war al-Andalus nicht einmal eine pluralistische. Pluralismus beinhaltet den Konsens über die grundsätzliche Gleichberechtigung aller Kulturen. Davon konnte in al-Andalus nicht die Rede sein. Toleranz und Pluralismus waren dort das Sichfügen in Gegebenheiten, die man im Moment nicht ändern konnte - aber man arbeitete daran. Das ist die „pragmatische Toleranz“ der anda- lusbewegten Toleranzbewunderer.

Religiöse Toleranz war niemals ein Konzept in al-Andalus. Die religiö­ sen Gruppierungen betrieben stets eine Übernahme- oder Absonderungs­ politik, die lediglich dann pausierte, wenn sie politisch nicht durchsetzbar war. Das war dann die legendäre convivencia, das traute Zusammensein dreier Kulturen. Sie war angeblich das Markenzeichen von al-Andalus, aber sie war in Wirklichkeit die Ausnahme. Alle drei Kulturen waren überlappt und eng verzahnt, es dominierte aber immer der Wille zu Se­ paration oder Eroberung.

Die convivencia sah ihre beste Zeit vielleicht in der kurzen Zeit der Taifas und im christlichen Toledo, als nämlich Christen, Muslime und Juden vor dem Ansturm der Nordafrikaner in großer Zahl in die christ­ lichen Landesteile flüchteten und dort zumindest vorübergehend, bis zum Tode Alfons des Weisen (1284), ungestört eine gemeinsame Kultur schufen.

Zeitgleich zerstörten die religiösen Eiferer im Süden alle Spuren christ­ lich-jüdischer Bautätigkeit wie Kirchen, Synagogen, Friedhöfe, Schulen,

 

Gemeindeeinrichtungen. Daher scheint heutzutage für den Ruinentou­ rismus die Überlegenheit der maurischen Kultur ganz eindeutig zu sein. Manchem Historiker sind damit unglücklicherweise die archäologischen Beweise der convivencia unter islamischer Herrschaft abhandengekom­ men.

Koexistenz kann nur unter der Voraussetzung der Gleichzeitigkeit der involvierten Kulturen funktionieren. Sie müssen quasi aus derselben Zeit kommen, um auf gleicher Augenhöhe zu sein. Bis ins 10. Jahrhundert war der Großteil der Iberischen Halbinsel unter der syrisch-arabischen Leitkultur ein kulturell ziemlich homogenes Gebilde. Dies setzte sich mit Abstrichen auch noch in der Taifa-Zeit fort.

Ein erster Bruch in der Gleichzeitigkeit kam mit den fundamentalisti­ schen Almoraviden und Almohaden. Sie nämlich kamen aus der Vergan­ genheit Afrikas nach Spanien in die Moderne, mit der sie nichts anfangen konnten. Sie wurden von dieser Moderne letztlich absorbiert, aber die nächste Welle mit dem unheilvollen Sog in die Vergangenheit war schon unterwegs: die neue, radikale Interpretation des Glaubens, die sich im Osten etabliert hatte und über al-Andalus hereinbrach.

Es waren nicht nur die Eiferer aus Nordafrika gewesen, die al-Andalus von der Moderne abschnitten, es war auch die Entwicklung im Osten, von der al-Andalus immer maßgeblich beeinflusst war.

Von der almoravidischen Fremdherrschaft an bis zum Ende von Gra­ nada kann man nicht mehr von Gleichzeitigkeit sprechen. Man lasse sich nicht von prächtigen Stuckaturen in einem kleinen Teil der Alhambra täuschen. Die Kathedrale von Burgos war vollendet, der Kölner Dom im Bau, pompöse Kirchen und zauberhafte palazzi waren in Florenz entstan­ den, die Pisano mit seinen unvergleichlichen Plastiken ausschmückte. Was Entwicklungen beflügelt, ist der Geist. Aber mit der Eliminierung Ibn Ruschds war in der islamischen Welt die geistige Versteinerung, die

„versiegelte Zeit“ nach Dan Diner ’23, eingetreten.

Nichts könnte den Seitenwechsel der Moderne in Spanien mehr ver­ deutlichen, als das Zusammentreffen zweier Ereignisse: 1492, in dem gleichen Jahr, als Ferdinand und Isabel die Kapitulation Granadas

 

123  Dan Diner, „Die Versiegelte Zeit", Berlin 2007.

 

entgegennahmen und der letzte muslimische Herrscher Spanien verließ, verabschiedeten sie einen Kapitän namens Christoph Columbus, der in ihrem Auftrag auf seine Entdeckungsreise in eine neue Welt ging, die man hinter dem Horizont des runden Globus vermutete.

Einst hatte der arabische (nicht islamische) Herrscher al-Mamun die Weltkugel bis auf ein paar Kilometer genau vermessen lassen. Jetzt sand­ ten die Europäer Schiffe zur Umrundung dieser Kugel aus, während man sich in der nun islamisierten arabischen Welt die Erde flach vorzustellen hatte, so wie es das Heilige Buch befahl. Durch den Einzug in die Alham­ bra vollzogen die königlichen Herrschaften aus dem Norden zunächst einmal kastilische Staatsräson. Aber sie vollzogen auch den Einzug der Moderne in die Vergangenheit.

 

„Sicherlich kann jedoch die Alhambra ein sinnbildliches Vorbild sein für ein neues, vereinigtes Europa, in dem wie nie zuvor verschiedene Religionen und Kulturen zusammenfnden können und müssen.“124

 

Wieso gerade die Alhambra ? Welche Kulturen und Religionen sollen sich vorbildhaft in ihr zusammengefunden haben ?

Wenn man schon unbedingt ein Symbol für das Zusammenleben der drei Kulturen benennen will, ist es Toledo. Wenn man schon unbedingt ein Bauwerk als Sinnbild für al-Andalus identifizieren muss, kann es nur die Mezquita von Cordoba sein. Diese Mezquita ist ein bizarres Bauwerk. Es beginnt seine Existenz auf einem ausgebeuteten Jupitertempel und einer gotischen Kirche. Es folgten eine christlich-arabische Verehrungs­ stätte in syrischem Kirchenstil, mit Erweiterungen als Moschee, die ihren künstlerischen Höhepunkt in einem zur Gänze vom Ausland, nämlich Byzanz, bezogenen Anbau findet. Der Rückfall in einen künstlerisch minderwertigen letzten Zubau folgt auf dem Fuße. Und dann wird eine Kathedrale mitten in die Moschee gesetzt. Sie passt wie die Faust aufs Auge, aber: Die Moschee wurde von den Siegern nicht plattgemacht, wie man es eigentlich erwarten müsste, sondern durch eine Kathedrale mitten darin „ergänzt“. Freilich, die Kathedrale dominiert, das Minarett ist vom

 

124  Lubisch, FAZ, 12.8.2004.

 

Kirchenturm ummantelt - aber was könnte den historischen Zickzack­ kurs besser versinnbildlichen als dieses Gebäude, das die Grundelemente der Geschichte von al-Andalus in sich vereint ?

Vorwiegend von islamischer Seite kommen Appelle und Reminiszen­ zen an die so tolerante Zeit des Islam in Spanien. Mehr Vorsicht wäre da angebracht, nachdem überall und zu jedem Zeitpunkt die nichtisla­ mischen Bürger mit Sondersteuern belegt waren und mit verminderten Rechten auskommen mussten. Alle Nichtmuslime in al-Andalus waren im Dhimmi-Status Bürger zweiter Klasse. Sieht so Toleranz aus ?

 

Von der dritten Gruppierung, den Juden, wurde bisher noch gar nicht gesprochen. Sie wanderten vornehmlich nach der Zerschlagung Judäas durch die Römer in Spanien ein, das sie Sefarad nannten, und deshalb später die Bezeichnung sefardische Juden erhielten. Im Alhambra-Pathos sind sie die „Vermittler zwischen Kulturen“. Das ist ein Euphemismus für jemanden, der zwischen den Stühlen sitzt. Die meiste Zeit wurden die Ju­ den abwechselnd von den beiden Hauptkulturen ausgegrenzt, entrechtet, ausgeplündert, vertrieben oder umgebracht.

Es werden Beispiele genannt von Juden, die es zu hohen Positionen gebracht hatten, etwa Ibn Shaprut aus Cordoba oder Ibn Negrella aus Gra­ nada. Aber das waren die großen Ausnahmen. Ibn Negrella, der Erbauer der ersten Alhambra und Ersteller des Löwenbrunnens, wurde anläss­ lich des muslimischen Pogroms von 1066 grausam ermordet. Über das Schicksal von Maimonides wurde bereits gesprochen.

Die spanienweiten Pogrome des Jahres 1391 löschten zwei Drittel der Judengemeinden aus. 1492, kurz nach der Einnahme Granadas, wurden alle Juden Spaniens aufgefordert, sich taufen zu lassen oder das Land zu verlassen. Die Mehrzahl tat Letzteres und damit war die Geschichte der Juden in Spanien weitgehend beendet.

Auch hier: Die convivencia war die Ausnahme und von den politi­ schen Umständen diktiert, nicht von Toleranz oder dem Wunsch nach Pluralismus.

Führen wir uns zum Abschluss zu Gemüt, was die UNESCO-Home- page noch alles zu bieten hat:

„Juden, Christen und Muslime waren vollkommen frei, sich zu betätigen

 

in theologischen, ja religiösen Aktivitäten ... in Verwaltung und Justiz.“

Haim Zafrani Und:

„Al-Andalus war ein bemerkenswertes und hervorragendes Modell der Toleranz. Es begann mit der Eroberung, als die Muslime die Freiheit und den Besitz ihrer Untertanen zu beschützen begannen und deren Kirchen respektierten und verteidigten“ (Mohamed Benchrifa).

 

Man möchte gerne die Kirchen sehen, die die Muslime verteidigt haben. Nur wo sind sie?

Das sind die Märchen von al-Andalus. Die historische Wirklichkeit sieht anders aus. In al-Andalus herrschte keine Toleranz. Es herrschte Hauen und Stechen. Und wo dies pausierte, herrschte Apartheid, ausge­ übt von der Seite, die politisch gerade in der Lage dazu war. Die schön besungene convivencia fand nur dann statt, wenn die Gegner sich im Patt gegenüberstanden und nicht anders konnten. So funktionierte al- Andalus.

 

„Wer hat uns das angetan ?" Erinnerungen an die Wirklichkeit

 

„Wir zahlen ihnen damit nur einen kleinen Teil von dem zurück, was sie uns angetan haben!“

Osama bin Laden zu seinen Terroraktionen

 

 

D

ie islamische Welt ist in einem schlechten Zustand. Ganz besonders ihr Kernstück, die arabischen Länder. Bei allen soziologischen Daten rangieren sie am Schluss der Weltrangliste, übertroffen nur von manchen

afrikanischen Ländern. Und das trotz des Öleinkommens.

Ganz im Gegensatz zu der klischeehaften öffentlichen Meinung sind die arabischen Staaten in ihrer Gesamtheit arm. Alle zusammen erwirt­ schaften außer Öl im Schnitt gerade einmal so viel wie das viel kleinere Spanien. Die Produktion, die in den eigenen Ländern stattfindet, beruht im Wesentlichen auf ausländischen Lizenzen. Originär geschaffen wird so gut wie nichts. Die gesamte arabische Welt brachte es im Zeitraum von 1980 bis 2000 auf 370 Patente, im Vergleich dazu Israel auf 7650 und Süd­ korea, das wegen zeitlich paralleler Entwicklung gern als Vergleichsland herangezogen wird, auf 16 300. Koreanische Arbeiter erwirtschafteten in diesen Jahren, wenn man das Öl ausnimmt, viermal so viel wie die gesamte arabische Welt.

Wozu brauchen die arbeiten, mag man einwenden, sie haben ja das Öl. Dies scheint naheliegend, ist aber auch ein Teil des Problems. Zwar wirft das Öl enorme Gewinne ab, aber der Reichtum kommt nicht an. Die Ver- schwendungs- und Prunksucht arabischer Milliardäre ist schon Legende. Aber auch ein Land wie Iran, das nun nicht für seine prassende Ober­ schicht bekannt ist, kommt wirtschaftlich nicht voran. Nur die Emirate, ei­ nige kleine Golfstaaten und Exoten wie Brunei machen eine Ausnahme.

Völlig abgeschlagen sind alle arabischen Länder in der Bildung, einem Schlüsselsektor für zukünftige Entwicklung. Der hohe - bei Frauen dra­ matisch hohe - Prozentsatz an Analphabeten schlägt sich folgerichtig in der Buchproduktion nieder: Bei einem Weltbevölkerungsanteil von fünf

 

Prozent ging 2005 gerade ein Prozent der weltweiten Buchproduktion auf die arabischen Länder, und davon waren der Löwenanteil auch noch religiöse Titel. Diese Zahlen sind im Arab Human Development Report IAH DR) nachzulesen. Dies ist ein regelmäßiger Bericht zur Lage der ara­ bischen Staaten, verfasst von arabischen Autoren. Es ist ein Bericht von beachtlicher Offenheit, aber auch nicht frei von Klischees. So werden als Gründe für die Probleme der arabischen Welt die amerikanische Nahost­ politik sowie Israel genannt. Sicher, Israel ist ein psychologisches Trauma für die Region. Aber war die Situation vor der Gründung Israels besser? Nicht wirklich.

Dass sich die arabische wie die gesamte islamische Welt in einer tiefen Krise befindet, ist offensichtlich, auch für die Betroffenen selber. Wenn etwas so gründlich schiefgelaufen ist, sollten die nächstliegenden Fragen sein:

„Was ist schiefgelaufen ?“

„Warum ist das schiefgelaufen ?“

„Was haben wir falsch gemacht?“

Nicht so in der islamischen Welt. Hier lautet die zentrale Frage:

„Wer hat uns das angetan ?“

Die Antworten sind bis auf den heutigen Tag dieselben: die Franken, die Kreuzfahrer, die Mongolen, die Franzosen, die Engländer, die Missi­ onare, die Sowjets; und aktuell die USA, die Israelis, der Westen.

Nachzulesen in jeder beliebigen Publikation eines islamischen Lan­ des.

Beschworen wird gleichzeitig die glorreiche Zeit, die „Goldenen Jahre des Islam“.

Wie konnte es zu dem Absturz aus der goldenen Vergangenheit in die triste Gegenwart kommen?, fragen sich die Muslime. Hat Allah sich abgewendet, und wenn ja, warum ?

 

Die Zeit der arabischen Reiche, ausgehend vom Jahre 622, sind die be­ schworenen und viel zitierten „Goldenen Jahre des Islam“. Wie wir wis­ sen, sind die Zeiten des Propheten mit ihren detailreichen Schilderungen nichts weiter als fromme Legenden, ebenso die explosionsartige Expan­ sion der Religion. Die reale politische Entwicklung des 7. Jahrhunderts

 

mündete in ein arabisches Großreich, keineswegs in ein islamisches, und hatte mit der Person des Propheten und mit den auf ihn künstlich aufge­ pfropften, legendenhaften Herrscherdynastien der frühen Kalifen absolut nichts zu tun. Die kulturelle Vielfalt in diesem Arabischen Reich mit ihren verschiedenen Ethnien und Religionen führte an den Höfen von Bagdad, Samarra, Damaskus, Teheran und sogar an jenen im heutigen Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan und Afghanistan zu einem beein­ druckenden Aufblühen der Kultur und der Wissenschaften.

Mit dem Zusammenbruch Roms war in Europa nicht nur die antike Kultur verschwunden, sondern auch ihr geistiges Erbe. Das Abendland versank ins „dunkle Mittelalter“. Ganz anders der Orient. Hier griffen die arabischen Wissenschaftler die griechischen Philosophen auf, disku­ tierten sie und versuchten, sie weiterzuentwickeln. Auf dem Gebiet der Astronomie, der Medizin, der Physik und namentlich in der Optik wurde Neuland betreten. Die Antike hielt im Osten viel länger an, sie führte zusammen mit dem Buddhismus die zentralasiatischen Länder in eine kulturelle Blüte; der „Mutazilismus“ eines al-Mamun war nichts weniger als ein arabischer Humanismus gewesen, bereits seine Zeit hatte die Vo­ raussetzung für eine „Renaissance“. Es kam jedoch anders: Al-Ghazali gelang die Ächtung der Ratio und des freien Denkens, der Mutazilismus unterlag, die Ultrareligiösen obsiegten, der Islam wurde Staatsreligion. Jede geistige Beschäftigung über die religiösen Bücher hinaus wurde unter Strafe gestellt - und die Renaissance fand mit Verzögerung in Europa statt. Die geistige Blüte des orientalischen Mittelalters war eine arabische, aber keine islamische. Mehr noch: Die Etablierung des Islam beendete diese arabische Blütezeit in kürzester Zeit.

 

Der Verfall des arabischen Reiches fing beim Geistesleben an und setzte sich in alle Bereiche fort. Drei Jahrhunderte später war das Arabische Reich nicht wiederzuerkennen. Die Städte waren im Verfall begriffen, das fruchtbare Umland unproduktiv, die Menschen waren in Massen aus den einstigen Kulturzentren abgewandert.

Wie konnte es dazu kommen ?

Eine beliebte Erklärung ist die Pest. Die gab es aber in Europa genauso.

Dann der Mongolensturm von 1258. Sicher, die Mongolen richteten große

 

Zerstörungen an, aber sie zogen bald wieder ab - und zwar als Mus­ lime.

Die Kreuzzüge ? Der erste Kreuzzug von 1096 war eine naive und eher idealistische Bewegung eines neuen Einzugs in das Gelobte Land, wo Milch und Honig fließen sollte. Beherrscht wurde die Region von arabischen und besonders türkischen Stämmen, die Zentralgewalt in Bagdad war im Verfall. Jerusalem wurde mehrheitlich von Christen und von Juden bewohnt und auch von Letzteren zusammen mit ägyptischen Truppen verteidigt, bei denen es sich keineswegs um Muslime gehandelt haben muss. Die Juden waren das hauptsächliche Opfer der Blutbäder, von denen berichtet wird.

1106 traf sich ein Rückkehrer aus dem Heiligen Land, der Norman­ nenfürst Bohemund, mit Papst Paschalis II. und legte ihm dar, wer der wirkliche Feind sei: Byzanz. Der Papst gab postwendend die Weisung aus, gegen Byzanz zu predigen: Dies war der frühe Wendepunkt in der Geschichte der Kreuzzüge.

Die folgenden Kreuzzüge entwickelten sich zu einer seltsamen Mi­ schung aus Religion, Politik und Geschäft mit dem Hauptziel der Zer­ störung des großen Glaubensfeindes Byzanz. Der Islam wurde nur am Rande wahrgenommen. Die Einnahme Byzanz’ gelang schließlich im April 1204 mit Hilfe der venezischen Flotte. Die Vernichtung des Byzan­ tinischen Reiches war die Grundlage für den Aufstieg der Osmanen, und wenn die Kreuzzüge darüber hinaus einen Effekt hatten, dann war es ein einigender Effekt für die Muslime, die nach Morozow damit überhaupt erst ihre Identität fanden.

Auch die Kreuzzüge sind als Erklärung des Niedergangs der arabi­ schen Reiche vollkommen untauglich. Das Phänomen des Niedergangs zeigt sich überall in den einst blühenden Ländern von Zentralasien bis Marokko. Syrien, Mesopotamien, Ägypten, Nordafrika waren einst Korn­ kammern und Kulturträger der damaligen Welt. Es gibt keine äußeren Einflüsse, die eine vernünftige Erklärung für den arabischen crash bieten würden. Die Erklärung liegt im Inneren.

 

Obwohl der Islam als Spross des Christentums in den arabischen Kern­ ländern des heutigen Irak und Syrien entstanden war, dominierten

 

schließlich wüstenarabische Einflüsse die Religion. Beduinentraditionen überwölbten bald die hellenistische Lebenswelt und mit ihnen kamen auch die Gesetze der Wüste zur Geltung und längst überwunden ge­ glaubte bronzezeitliche Traditionen.

Europäische Reisende berichteten immer wieder erstaunt von der Be­ obachtung, dass das Rad im Orient nicht im Gebrauch war - im antiken Arabien eine Selbstverständlichkeit. Kaum Wagen, kaum Karren, fast nur Lasttiere. Tatsächlich hat mit dem Einzug der Wüstenkultur in die reichen Agrarländer zwischen Tigris und Nil auch das Kamel Einzug gehalten und einen zentralen Stellenwert bekommen125. Dies blieb so bis zur Einführung von Autos und Eisenbahnen - zur Gänze westliche Ingenieurleistungen. Man kann den Einbruch ermessen, den allein dieser Rückschritt im Transportwesen bewirkt haben muss. Das antike Stra­ ßennetz verfiel, die großzügigen Kolonnaden und breiten Straßen der antiken Städte verengten sich so weit, dass, im Einklang mit der islami­ schen Rechtsprechung, gerade noch zwei Packtiere nebeneinander Platz hatten. Aus der großzügigen griechischen Stadt, der polis, ist die medina geworden.

Mit der Etablierung des Korans folgte auf dem Fuß die Unterdrückung anderer Bücher, eine Unterdrückung, die sehr bald in ein totales Verbot mündete. Während al-Mamun noch die antiken Schriften erst nach der Übersetzung ins Arabische vernichten ließ, wurde von späteren Nachfol­ gern alles Nichtislamische rigoros ausgemerzt. Die kolportierte Toleranz ist reine Legende. Über Jahrhunderte hinweg war die Eliminierung von nichtislamischem Gedankengut und abweichender Kultur wesentlicher Teil der Politik, namentlich in Indien wurden Kulturgüte unvorstellbaren Ausmaßes vernichtet. Aber auch von den Arbeiten der arabischen Auto­ ren selber gelangten letztlich nur Bruchstücke nach Europa, die trotzdem noch für eine Teilhabe an der europäischen Renaissance ausreichten.

Lange Zeit stand auf das Lesen nichtislamischer Bücher die Todes­ strafe, im günstigsten Fall war der Besitz anderer Büchern verachtet. Der Koran sei Gottes direktes Wort und enthalte Antworten auf alle Fragen

 

125  3000 Jahre lang war das Kamel der Inbegriff von Reichtum für die Wüstenbewohner. Seit 2 Jahrzehnten ist es das Symbol für Armut, abgelöst von Pick-ups aus asiatischer Produktion.

 

in Perfektion. Sämtliches weitere Wissen sei deshalb schädlich und got­ teslästerlich. Ohne neuen Zufluss folgte ein Aussterben von Wissen, die islamische Welt stand von nun an geistig still.

Nichtmuslimische Untertanen, die „Ungläubigen“, wurden zu Bürgern zweiter Klasse. Sofern sie nicht zwangskonvertiert wurden, mussten sie oft so horrende Sondersteuern zahlen, dass ihnen nur der Ausweg in Kon­ vertierung oder Abwanderung offen blieb, zumal ihnen auch viele Berufe verwehrt waren, die nur Muslimen offen standen.

Diese wüstenspezifische Ideologie, mit ihrer Verachtung von anders­ artiger Kultur und von Wissen, hatte nicht nur Eingang in die koranische Lehre gefunden, sondern wurde zu ihrem Wesen. Sie brachte innerhalb weniger Generationen Wissen und Fortschritt vollkommen zum Erliegen; produktives Gewerbe und sogar die Landwirtschaft waren schwerstens beeinträchtigt. Das Einzige, was blieb, war der Handel.

Wo sind die landwirtschaftlichen Nutzflächen geblieben, die die damalige Welt versorgten ? Wohin verschwand die Blüte des römisch­ griechisch-arabischen Orients ? Welchen unvorstellbaren Abstieg hat das antike Baktrien zum heutigen Afghanistan genommen ? Es war kein Kli­ mawandel, der diese vollkommene Änderung brachte - es war die Wüs­ tenmentalität der neuen Religion126. Sobald die vorhandene Infrastruktur aufgebraucht war, trat die kulturelle und wirtschaftliche Starre ein.

Nichts verdeutlicht die islamische Rückwendung mehr als die Zeit­ rechnung. 622, „das Jahr der Araber“, kata Araba, wie es in der Inschrift von Gadara mit dem Kreuz als Einleitung heißt. Es war das Jahr, in der die Selbstständigkeit der Araber begann. Dieses Jahr wurde als Beginn einer arabischen Zeitrechnung festgesetzt, sie folgte natürlich dem ge­ bräuchlichen Sonnenkalender. Plötzlich finden wir dieses Datum zum Jahr der Hidschra, dem Auszug des Propheten aus Mekka, umfunkti­ oniert ! Es war der auf Legenden basierende Beginn eines islamischen Kalenders, in der bronzezeitlichen Tradition Innerarabiens ein Mond­ kalender. So kam die Mondgöttin Allat wieder zu ihrer angestammten Zeitrechnung.

 

126  Die Tabuisierung von Schweinefleisch hat keine rationalen Gründe, sondern ist eher im ideo­ logischen Komplex einer Nomadenkultur gegenüber der verachteten Bauernkultur zu sehen.

 

Ein gänzlich unbrauchbarer Kalender. Wer zum Beispiel im Juni ge­ boren ist, feiert seinen nächsten und übernächsten Geburtstag im Mai, den folgenden im April und so fort, die Differenz summiert sich schließ­ lich zu Jahren. Muhamads Geburtstag oder der Fastenmonat Ramadan wird denn auch jedes Jahr zu einer anderen Zeit begangen. Weil mit einem Mondkalender wiederkehrende Termine nicht definierbar sind und er daher für entwickelte Staatswesen unbrauchbar ist, war er schon in römischer Zeit aufgegeben worden127. Die Muslime haben ihn nun wieder, obwohl auch sie keine andere Wahl haben, als im Alltag den gängigen Sonnenkalender zu benutzen, oft als „christlicher Kalender“ verteufelt.

 

Das größte islamische Reich war das der Osmanen. Gegründet 1299, wei­ tete es sich ständig aus, 1453 wurde Konstantinopel eingenommen. Im weiteren Verlauf eroberten die Osmanen die gesamte Arabische Halbinsel, Teile Russlands, den Balkan, Rumänien, Ungarn und standen schließlich zweimal vor Wien. 1683 wurden sie dort geschlagen, und von da an ging es nur noch bergab. Die Habsburger eroberten fast den gesamten Balkan zurück, die Russen nahmen den Osmanen sämtliche Gebiete jenseits des Schwarzen Meeres wieder ab, Jemen und ganz Arabien gingen verloren. 1918 war „der kranke Mann am Bosporus“ auf sein Kerngebiet, die heu­ tige Türkei, zurückgeschrumpft.

Wie konnte es zu einem so vollkommenen Kollaps kommen ? Ein Grund war die Überdehnung der Kräfte. Die wirklichen Gründe wur­ zeln wiederum tiefer. Militär und Wirtschaft waren der technischen Ent­ wicklung der Europäer nicht mehr gewachsen. Man kaufte zwar kräftig Kanonen, Musketen und die Uhren, nach denen der Orient verrückt war, bei den Ungläubigen ein, eine eigene Produktion kam aber nur zeitverzö­ gert zustande, meist als Kopien auf dem Standard des jeweils vergangenen Jahrhunderts. Dies war der Fall auf jedem beliebigen Gebiet in Wirtschaft, Wissenschaft und Technik.

 

 

127  Unter Julius Cäsar wurde der „Julianische Kalender“ eingeführt, der 1582 unter Papst Gregor XIII. geringfügig modifiziert bis heute als „Gregorianischer Kalender“ gebräuchlich ist.

 

Reisen fanden damals stets von West nach Ost statt, so gut wie nie in die andere Richtung.

Europäer bereisten den Orient, Muslime aber so gut wie nie Europa. Die islamische Welt interessierte sich außer möglichen Eroberungen nicht im Geringsten für das Abendland, man wusste buchstäblich nicht viel mehr darüber, als dass dort Ungläubige lebten.

Die Renaissance, die neuen Staatsideen, die wissenschaftlichen Fort­ schritte, das neue Bild der Erde und des Himmels blieben in der isla­ mischen Welt vollkommen unbeachtet. Die Erde ist laut Koran wie ein ausgebreiteter Teppich beschaffen, mit sieben Himmelsschichten darüber. An diesem Bild hat sich bis heute, in Zeiten von Google Earth, offiziell nichts geändert. Die Evolutionslehre ist tabu.

Der vermittelnde Handel zwischen Asien und Europa war eine er­ giebige Einkommensquelle der islamischen Länder - und bald auch die einzige. Die Entdeckung Amerikas, der Seeweg um das Kap der Guten Hoffnung, der Vorstoß bis Ostasien blieben in der Folgezeit nahezu un­ beachtet und waren keines Kommentares würdig, außer dem, dass die neu entdeckten Menschen bald zum richtigen Glauben finden mögen. Die einzig erhaltene Kopie der Karte des Kolumbus befand sich zwar in osmanischem Besitz, bis zur Entdeckung 1920 im Topkapi-Palast in Istanbul wusste jedoch niemand von ihrer Existenz.

 

Diese Jahrhunderte währende Arroganz und das schon sehr lange nicht mehr berechtigte Gefühl der Überlegenheit rächten sich bald bitter. Denn ohne dass es in Konstantinopel und der islamischen Welt überhaupt regis­ triert wurde, hatten die Europäer eigene Handelswege zur See erschlossen: in die neue Welt, aber auch nach Süd- und Ostasien. Das Handelsmonopol der islamischen Welt als Schnittstelle zwischen Europa und Asien war damit zusammengebrochen. Mit ungeheuren Folgen.

Das lässt sich an einer simplen Tasse Kaffee veranschaulichen. Der Kaffee, ursprünglich aus Äthiopien stammend, wurde im Jemen kultiviert und fand über Arabien und die Türkei seinen Weg nach Europa. Man versüßte sich den Kaffee mit Zucker aus Mesopotamien oder Ägypten, den man ebenfalls nach Europa exportierte. Als nun die Europäer beides billiger aus Lateinamerika bezogen, drehte sich der Spieß um. In der Folge

 

tranken Araber wie Türken aus Europa importierten Übersee-Kaffee und süßten ihn mit ebenfalls importiertem Zucker. Nur das Wasser war noch ihres, und das ist heutzutage auch nur noch bedingt so.

So ging es auf allen Gebieten.

Es gab zwar warnende Stimmen von den wenigen Muslimen, die Eu­ ropa kannten - vorwiegend Diplomaten -, aber sie fanden kein Gehör. Als Heilmittel für die Überwindung der durchaus erkannten Schwächen wurde die Rückkehr zu den alten osmanischen und islamischen Werten gepredigt. Damals wie heute.

Auch die wenigen Versuche, europäische Technologie in die islami­ sche Welt zu verpflanzen, etwa vom ägyptischen Khediven Muhamad Ali Anfang des 19. Jahrhunderts, schlugen fehl, weil man sich damals wie heute auf Konsum und Reproduktion beschränkte und wenig bis nichts originär produzierte.

Trotzdem fühlte sich die islamische Welt immer noch weit überlegen und weigerte sich, das Wissen der verachteten Ungläubigen auch nur zu begutachten. Der Buchdruck fand mit sage und schreibe 300 Jahren Ver­ spätung Eingang in die islamische Welt, und das auch nur äußerst zöger­ lich. Und es war ein Europäer, der die erste Druckerpresse der islamischen Welt quasi mit Gewalt installierte - nämlich Napoleon. Diesen Rückstand konnten die muslimischen Länder bis heute nicht aufholen, wie der Arab Human Development Report deutlich macht.

 

Es ist kein anderer Grund dieser selbstzerstörerischen Bildungskatast­ rophe auszumachen als der Islam. Sein Heiliges Buch, heißt es, umfasse und regele sämtliche Aspekte des menschlichen Lebens, es stamme, vom Propheten vermittelt, direkt von Gott, ihm sei nichts hinzuzufügen, nicht ein Wort sei veränderbar. Der Besitz von anderen Büchern als dem Ko­ ran war meist verboten, zu jeder Zeit war der Gebrauch nichtreligiöser Bücher gering geschätzt. Der Stundenplan saudischer Medizinstudenten muss heute noch zu 30% Religion umfassen, in anderen Studienzweigen sind es gar 50%.

Diese Einstellung hat Auswirkungen ungeheuren Ausmaßes auf die muslimische Welt. Denn sie behindert Wissen und damit Entwicklung. Aber der Koran beansprucht, auch sämtliche Lebensbereiche wie Recht,

 

Herrschaft, Bildung zu regeln - und zwar so, wie sie in idealer Weise zu Lebzeiten des Propheten bestanden hätten. Deshalb ist das islamische Denken und System normativ auf die Zeiten des Propheten und seiner Nachfolger fixiert. Als ob es eine 1400-jährige Geschichte von damals bis heute nicht gegeben hätte.

 

Eine gravierende technische Barriere der Wissensvermittlung ist die ara­ bische Sprache und Schrift. Das „Arabisch“ gibt es nicht. Es gibt arabische Umgangssprachen, und es gibt ein allgemein verbindliches Hocharabisch, die Arabiya, das jedoch vom Volk auf der Straße nur unvollkommen verstanden wird. Es ist eine formale Sprache, die sich, weil im täglichen Umgang nicht benutzt, den sich ständig ändernden Ansprüchen einer lebendigen Sprache nicht angepasst hat. Moderne Sachverhalte und The­ men lassen sich in Hocharabisch nur schwer ausdrücken.

Geschrieben wird aber nur in Hocharabisch - mit dem katastrophalen Ergebnis, das der AHDR beklagt. Die arabische Hochsprache und Schrift sind für die Muslime Sprache und Schrift ihres Heiligen Buches. Sie sind daher nichts Umgangssprachliches, nichts Profanes, sondern immer auch etwas Sakrales.

Dies ist ein Konzept, das in der modernen Welt nicht funktioniert. Sprache und Schrift müssen für alle Staatsbürger und für alle Bereiche zugänglich sein, um ihre Funktion als Wissensvermittler zu erfüllen. Der AHDR macht explizit auf diese Schwierigkeit aufmerksam, scheut sich aber, die Konsequenz zu nennen, die nur die Beschränkung der Schrift auf religiöse Anwendungen sein kann. Wohl noch für längere Zeit eine Utopie (man nennt ja die lateinische Schrift die „englische“, obwohl sie wie so viele Kulturgüter in Wirklichkeit aus dem alten Orient stammt) und ein Schritt, den bislang nur die Türkei und, kein Wunder, die ehemaligen islamischen Sowjetrepubliken geschafft haben.

 

Ein islamischer Staat muss ein Gottesstaat sein, sonst ist er per definiti- onem keiner. Dies kann natürlich keine Republik sein, wie sich etwa der Iran absurderweise nennt, denn Gewaltenteilung, eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, gibt es nicht. Alle Macht geht vom Koran, von Gott aus, das heißt, sie wird in Stellvertretung vom Klerus ausgeübt. Eine

 

zivile Gesellschaft gibt es deshalb nicht, es gibt nur die Gemeinschaft der Gläubigen (Umma), die im „Haus des Islam“ (Beit Islam) lebt. Für Ungläu­ bige ist in diesem Haus nur bestenfalls als geduldete Domestiken Platz (Dhimmi), sie rangieren gleich hinter den im Koran ausdrücklich vorgese­ henen Sklaven. Nur Frauen haben noch weniger Rechte als Dhimmi oder Sklaven, die ja durch Konvertierung ihr Schicksal ändern könnten.

Kontrolle und Gesetzgebung üben die Korangelehrten (Ulema) aus, über allem steht der Kalif. Dieser untersteht keinerlei Kontrolle, außer der Allahs, er kann nach Gutdünken schalten und walten, solange er sich nur auf der Basis des Korans bewegt. Der islamische Kulturkreis ist deshalb perfekter Nährboden für alle Arten von Despoten bis auf den heutigen Tag. Denn sie sind vom traditionellen Selbstverständnis her ihrem Staats­ volk keinerlei Rechenschaft schuldig, ausgenommen der, den Regeln des Korans zu folgen (oder es zumindest zu behaupten).

Es kann deshalb auch kein ziviles Recht geben, sondern nur religiöses, abgeleitet aus dem Koran. Das ist die Scharia. Sie ist aber keineswegs ein definiertes Rechtssystem in unserem Verständnis, sondern im Wesentli­ chen nur das Gebot, dass Rechtsfindung ausschließlich auf der Basis der Religion und ihrer Bücher zu geschehen habe. Um der Scharia Geltung zu verschaffen, braucht man, wie in den meisten islamischen Ländern geschehen, keineswegs das bestehende Gesetzeswerk zu ändern, es genügt der Zusatz, ein Rechtsspruch darf nicht dem Koran bzw. den Hadithen zuwiderlaufen.

Das bedeutet in der Praxis, dass in einem Rechtsstreit wohl nach den meist bestehenden zivilen Gesetzen geurteilt werden kann. Die unterle­ gene Partei kann jedoch den Spruch durch einen Koranverweis wieder aus den Angeln heben - juristische Endinstanz ist letztlich die Moschee.

In jüngerer Zeit haben sich in den muslimischen Ländern neben den bestehenden zivilen Kammern Scharia-Gerichte etabliert, das heißt, es gibt zwei parallele Instanzen, was zu einer völligen Unübersichtlichkeit im Rechtssystem geführt hat. In Malaysia wehrte sich der indische und chinesische Bevölkerungsteil gegen eine Behandlung nach der Scharia. Die Folge davon ist, dass es je nach Bevölkerungsanteil eine regional un­ terschiedliche Rechtsprechung gibt. In keinem islamischen Land gibt es daher Rechtssicherheit.

 

Dies geht so weit, dass muslimische Staaten internationale Vertrags­ werke, etwa die UN-Menschenrechte, nur mit der Standardeinschrän­ kung der Scharia-Kompatibilität anerkennen. Das heißt: gar nicht.

Ein besonderes Problem der Scharia ist ihre Ableitung juristischer Fälle aus den Hadithen, den gesammelten Taten und Sprüchen des Propheten. Man glaubt, sich so der Quelle der Gerechtigkeit nahe zu sein, ignoriert aber die komplett obskure Quellenlage der Hadithe und die Zeitdistanz zu den damaligen Verhältnissen.

 

All das Genannte ist in Summe nichts anderes als das Konzept einer Wüstengesellschaft vor 1400 Jahren - und just nach diesem Konzept will man die Gegenwart bewältigen und eine Zukunft schaffen. Dies ist im Prinzip auch noch (oder: wieder) die gegenwärtige Situation der meis­ ten islamischen Länder. Der Kalif mag sich heute Präsident nennen - ob er gewählt ist, ob er die Wahlen fingiert gewonnen hat oder ob er sich hochgeputscht hat, spielt kaum eine Rolle, solange er zumindest nach außen hin ein gläubiger Staatslenker im Sinne des Korans ist. Das Wort

„Freiheit“ im Koranarabischen bezeichnet denn auch keine bürgerliche Freiheit, sondern bedeutet lediglich das Gegenteil von Sklaventum. Da­ her fehlt den allermeisten Muslimen das Grundverständnis für eine freie Staatsordnung, von Demokratie überhaupt nicht zu sprechen. Demokratie widerspricht angeblich den Lehren des Korans, eine demokratische Ein­ stellung ist daher unislamisch. Auch wenn manche mit dem Gedanken einer islamischen Demokratie spielen: Man braucht kein Prophet für die Voraussage zu sein, wie die Versuche islamisches Recht und Denken mit Demokratie unter einen Hut zu bringen, enden werden. Demokratie kann niemals konfessionell bedingt sein.

Die Wissensfeindlichkeit und das Beharren auf mittelalterlichen Konzepten, beides, wenn auch vielleicht nicht im Koran, so doch in der Mainstream-Lehre festgeschrieben, sind die Bleigewichte an den Füßen der Muslime, die sie nach unten zerren und sie so gründlich an einem Weiterkommen gehindert haben.

Allenthalben werden dieser Tage vermehrt Koranstellen propagiert, die das Streben nach Wissen fordern. Nur handelt es sich dabei um koran­ konformes, also erlaubtes Wissen. Biologie zum Beispiel ist nicht dabei.

 

Folgerichtig beantragten Muslime in Deutschland, ihre Kinder vom Bio­ logieunterricht zu befreien. Unisono lehnt deshalb die islamische Welt auch die Evolution ab, in Medien gewöhnlich mit dem Hinweis versehen, dass diese schon längst wissenschaftlich widerlegt sei, ein Beleg für die Behauptung wird allerdings nirgendwo nachgereicht. Wie auch - die Be­ schäftigung damit ist je nach Land geächtet bis verboten, auch wieder in der Türkei des Jahres 2009128.

 

Die Türkei war bis in die 1920er-Jahre ein islamischer Staat wie jeder andere der Region auch. Heute rangiert sie in allen Bereichen weit vor allen anderen islamischen Staaten, und das ohne Öl. Schon Mitte des

19. Jahrhunderts begann sich im Osmanischen Reich eine oppositionelle Bewegung zu formieren, die „Jungtürken“, die grundsätzliche Reformen forderten. Die Bewegung gipfelte in Kemal Pascha. Er erkannte im Islam die Ursache für die Verkommenheit und Rückständigkeit seines Landes. 1924 schaffte er das Sultanat ab, hob die Scharia auf, entzog dem isla­ mischen Klerus alle Privilegien und ließ die Koranschulen schließen. Er übernahm das System der Staatsorganisation, der Verwaltung, der Verfassung und des Rechts von verschiedenen europäischen Staaten und formte einen organisatorisch modernen Staat. Der Kernpunkt seiner Re­ formen war die Trennung von Religion und Staat, diese unselige, in allen islamischen Ländern verankerte Einheit. Um Zeichen zu setzen, verbot er Männern den kulturtypischen Turban und öffnete erstmals Mädchen den Zugang zu Schulen und Universitäten - allerdings ohne Kopftuch und Schleier. Er führte sein Land aus der tiefsten Rückständigkeit in die Moderne, den Beinamen Atatürk, „Vater der Türken“, trägt er zu Recht.

Ein wenig beachteter, aber wichtiger Punkt seiner Reformen war die Ersetzung der arabischen Schrift durch die lateinische. An die Stelle der osmanisch-muslimischen Identität setzte Atatürk einen überzogenen tür­ kischen Nationalismus. Dennoch, die Türkei vollzog durch die Reformen Atatürks einen Quantensprung in ihrer Entwicklung, ist aber durch die

 

 

128 Im März 2009 musste „Bilim ve Teknik“, das bekannteste Wissenschaftsmagazin der Türkei, eine Geschichte über Darwin und die Evolutionstheorie auf Druck einer Regierungsstelle vom Titel nehmen.

 

Aufweichung zivilstaatlicher Grundsätze unter der Regierung Erdogan dabei, diese wieder aufs Spiel zu setzen. Man sollte nicht vergessen, dass der Erfolg der Türkei ihre Säkularisierung war.

 

Es wurde in der islamischen Welt immer wieder die Frage aufgeworfen, warum nach so einer glorreichen Vergangenheit, den „Goldenen Zeiten des Islam“, der Abstand zu den meisten Teilen der Welt so groß gewor­ den war. In fast allen Belangen nimmt die arabisch-islamische Welt eine Position ganz hinten ein, wie auch der AHDR konstatierte.

„Wer hat uns das angetan ?“

Die Antwort war und ist stets gleichlautend, „die Franken, der Westen, die USA ...“

Aber, und das ist der zweite Teil der Antwort: „Das konnte nur gesche­ hen, weil wir uns vom ursprünglichen Islam entfernt haben. Alles wird gut, wenn wir nur die Verhältnisse der .Goldenen Jahre wiederherstellen.“ Das drückt so die salafiyya aus, die wieder modern gewordene Grund­ haltung großer Teile der islamischen Welt: ein idealisierter Blick zurück in eine nicht existierende Vergangenheit.

 

Sayyid Qutb war ein ägyptischer Moslembruder, 1966 unter Nasser hin­ gerichtet. So klar wie kein anderer moderner islamischer Theoretiker for­ derte er die Rückkehr zur salafiyya, zum buchstabengetreuen Befolgen des Korans als Patentlösung für alle Probleme dieser Welt, und setzte noch eins drauf: Der koranische Inhalt dürfe nicht einmal überdacht, geschweige denn diskutiert werden. Die Muslime lebten in einer zeitlosen Welt, ein Vergleich mit anderen Kulturen sei deshalb weder möglich noch statthaft. Zeitlos deshalb, weil zur Zeit des Propheten und der Kalifen die ideale Gesellschaft bestanden habe, und diese müsse wiederhergestellt werden. Geschichte sei eine europäische Erfindung, sie finde für den Islam nicht statt. Für Qutb ist es „eine unbestrittene Tatsache“, dass die moderne Zivilisation auf dem tradierten islamischen Wissen basiere, das wiederum aus dem buchstabengetreuen Befolgen des Korans resultiere. Aus dem grundsätzlichen  Nichtverstehen  des  übernommenen  Wissens  in  Europa

„resultiere die fluchbeladene Trennung von Religion und zivilisatorischer

Renaissance“.

 

Man muss sich fragen, wer hier etwas nicht verstanden hat und auf welchem Wissensstand sich der Mann eigentlich bewegte. Qutb, die­ ser Prototyp des rückwärtsgewandten Radikalen, tat nichts weniger als Denken, Wissen, die Ratio, abzuschaffen, ja sogar zu verbieten. Al- Ghazali lässt grüßen. Qutb tat dies deshalb, weil er genau wusste, dass der Islam traditioneller Ausprägung der modernen Welt geistig und philosophisch nichts entgegenzusetzen                hat. Also müssen Vergleiche als unstatthaft hingestellt und geschichtliche Prozesse als Erfindung bezeichnet werden.

Schuld an dem von ihm durchaus konstatierten miserablen Zustand der islamischen Welt seien ausländische Mächte: Europa, Amerika, die Sowjetunion, Israel, wie gehabt. Das einzige Heilmittel sei die wörtliche Befolgung des Korans. Wohlgemerkt, die salafiyya ist eine moderne Be­ wegung, und Qutb ist nicht irgendwer. Es wäre nun falsch zu behaupten, die Mehrheit der Muslime wären Qutbisten, also Radikale. Aber nichts-

BILD 23

Sayyid Qutb (links) und Mahmud Muhammad Taha

 

destoweniger repräsentiert sein Gedankengut eine bedeutende Strömung in der islamischen Welt.

Ziehvater Sayyid Qutbs war der Pakistaner al-Maududi (1903 - 1979), der durch seine Predigten und Publikationen wie kein anderer zum Chaos in seinem Land beigetragen hat, weil er mehr Einfluss auf die Volksseele besaß als jeder Präsident der abgehobenen Politikerkaste.

Der Weg von Qutb führt direkt zu bin Laden.

Unter dem Druck der Verfolgung unter Nasser emigrierten zahlreiche Moslembrüder aus Ägypten nach Saudi-Arabien, nach seiner Freilassung 1972 auch Mohammed Qutb, der Bruder Sayyids. Sie trafen dort auf ein saudisch-wahhabitisches System.

Der Sektengründer Abdel Wahhab (1703- 1791) hatte einen Vertrag mit dem Clan der Al Sauds geschlossen, demzufolge die wahhabitische Ulema (Geistlichkeit) die Sauds unterstützen würde, umgekehrt würden diese die wahhabitische Koranauslegung als einzig Gültige zulassen.

Die Sauds gewannen im Laufe der Zeit so vollkommen die Macht, dass das Land sogar den Namen der Familie bekam, damit verbunden wurde auch der Wahhabismus zur alles dominierenden Strömung. Es ergab sich so eine enge Verquickung zwischen den Interessen des Königshauses und denen der wahhabitischen Ulema, aber auch eine starke Unzufriedenheit bei Leuten, die weder den einen noch den anderen verbunden waren. Diese fanden einen neuen Hafen bei den zugewanderten Moslembrüdern, die eine noch radikalere Lebensführung nach dem Vorbild des Propheten im Sinne Sayyid Qutbs propagierten.

1979 erschütterte ein Ereignis das Königreich: die Erstürmung der Moschee in Mekka durch eine ultrareligiöse, salafistische Gruppe, die sowohl das Königshaus als auch die wahhabitischen Ulema treffen wollte. In dasselbe Jahr fielen die iranische Revolution und die Invasion der Roten Armee in Afghanistan. In Saudi-Arabien setzte infolge dieser Vorgänge ein Konkurrenzkampf zwischen den Wahhabiten und Qutbisten ein, die sich an Radikalität gegenseitig Überboten.

Dann kam der Mega-Schock für das Königreich: Am 2. August 1990 besetzte Saddam Hussein Kuwait. Niemand erwartete, dass sich Saddam mit Kuwait zufriedengeben würde und in Saudi-Arabien brach Panik aus. Bereits am 7. August rief König Fahd die USA zu Hilfe und bat um

 

Stationierung von Truppen. Das Vorhaben, ungläubige Truppen auf hei­ liger Erde zu stationieren, führte zu einer ungeheuren inneren Zerreiß­ probe und war ohne die Zustimmung der wahhabitischen Ulema nicht zu machen. Das Königshaus hatte keine Alternative, um zu überleben, aber mit dem Abgang der Dynastie Saud wäre es mit dem staatstragen­ den Einfluss der Wahhabiten ebenfalls zu Ende gewesen. Die Ulema stimmte deshalb der Stationierung fremder Truppen zu, ließ sich diese Zustimmung allerdings mit Milliarden von Petrodollars vergolden, die in eine beispiellose, weltweite Missionierung flössen. Die jungen, radikalen Salafisten waren damit zwar nicht zufriedenzustellen, aber es ergab sich eine andere Lösung für sie: In Afghanistan hatte sich eine Dschihadisten- Szene entwickelte, und dorthin wurden die radikalen Glaubenskämpfer weggelobt, versehen mit vielen Millionen Dollars als Startkapital. So ex­ portierten die Saudis ihre Probleme nach Afghanistan.

Einer der Exportierten - denen dann umgehend die saudische Staats­ angehörigkeit entzogen wurde - war Bin Laden. Er und seine ägyptischen Ideologen hatten sehr wohl verstanden, in welcher Lage sich die islami­ sche Welt befindet, was man von der Umma, der Gemeinschaft der Gläu­ bigen, nicht behaupten kann. Bin Laden wählte die bewaffnete Variante, weil er sich in der Position des Verteidigers der Religion sah: Der Westen, besonders die USA, ist schuld an der islamischen Misere.

Wiederum, die richtige Einsicht, die falschen Schlüsse.

 

Wer hat ihnen das alles angetan ?

Sie selber. Der tiefste Grund ist die historische Ablehnung von Wissen. Von früh an wurde verbogen, verboten, gefälscht, ausgegrenzt, bestraft. Diese Scheu vor Wissen, ja oft seine Kriminalisierung, wurde Teil des Systems. Kritik wurde zu persönlicher Beleidigung, zu Gotteslästerung und Verbrechen. Das resultierte in einem Kult des Beleidigtseins und einer medialen Wut- und Verschwörungsindustrie, die so typisch für die islamischen und ganz besonders die arabischen Länder ist.

 

Richtig gestellt kann die Eingangsfrage also nur so lauten: „Was hat uns der Islam angetan!“

 

Es steht gar nicht gut um die islamische Welt, der Schein täuscht. Aber es gibt Lichtblicke. Einer ist der Zusammenschluss kleiner Emirate am Persischen Golf, die „Vereinigten Arabischen Emirate“: Auf noch gar nicht so alten Karten als „Piratenküste“ verzeichnet, trifft sich dort heute die Welt. Völlig unbedeutend, am Rande der Arabischen Halbinsel gelegen, mit vergleichsweise bescheidenen Ölvorkommen ausgestattet, startete Sheich Maktoum Rashid bin Maktoum (1943 - 2006) ein orientalisches Märchen. 1971 entstanden die Emirate aus dem Zusammenschluss von Dubai und Abu Dhabi, später kamen weitere Scheichtümer hinzu. Diese Miniländer nahmen eine bewusste Entwicklung in Richtung Moderne in Angriff.

Man holte zu diesem Zweck ausländische Spezialisten, die ein Land auf dem Reißbrett projektierten. Eine eigene Airline wurde eigens zur Anbin­ dung an die Welt gegründet, günstige Wirtschaftsbedingungen machten aus dem Wüstenflecken Dubai bald ein beliebtes Einkaufsparadies und sorgten dafür, dass praktisch jede namhafte Firma der Welt hier eine Filiale gründete. Dies schuf Arbeitsplätze, Menschen aller Herren Länder haben sich inzwischen dort niedergelassen, mit Nachkommen bereits in der zweiten Generation: ein Gemisch an Kulturen, Farben, Sprachen und Religionen. Moscheen stehen neben Kirchen aller Konfessionen, Tempeln und Pagoden.

 

So muss Bagdad zu seiner arabischen Blütezeit ausgesehen haben!

 

Aber genauso wie das alte Bagdad sind auch die Emirate eine arabische und keine islamische Erfolgsgeschichte. Gerade ihre Säkularität ist die Grundlage ihrer Blüte.

Für die arabische Welt haben die Emirate ungeheure Anziehungskraft. Saudis strömen für ihre - off wenig islamischen - Aktivitäten über die Grenze, die zähen und verlässlichen Jemeniten stellen einen Großteil des Polizeikorps, Libanesen sind in der Gastronomie erfolgreich, Palästinen­ ser, Jordanier, Ägypter in der Geschäftswelt. Dazu kommen Nichtaraber fast sämtlicher Nationen.

Alle Araber beneiden die Emirate und stellen sie ihren Regierungen ge­ genüber als Beispiel hin, als Messlatte, an der sie sich beweisen müssen.

 

Katar hat den ersten Schritt in dieselbe Richtung getan. Es begann 2007 mit der unscheinbaren Meldung, dass dort eine Kirche gebaut werde. Das Land hat den Ehrgeiz, sich als internationales Wissenschaftszentrum zu etablieren und unternimmt große Anstrengungen dafür. Das ist schlicht- weg eine atemberaubende Entwicklung.

Es ist nun beileibe nicht alles Gold, was in den Emiraten glänzt, man muss abwarten, wie sie sich in schwereren Zeiten bewähren werden und wie sie mit dem zunehmenden religiösen Druck von außen fertig wer­ den. Und man sollte an den Libanon denken, der von einem arabischen Musterländle in ein Chaos gestürzt ist. Man sollte aber auch nicht ständig auf die im Überschwang produzierten Übertreibungen starren und diese hämisch kommentieren. In Wirklichkeit sind diese islamischen Herrscher aus dem letzten Winkel Arabiens über ihren eigenen Schatten gesprun­ gen. Ein Prozess von wahrhaft historischen Dimensionen.

 

Der zweite Hoffnungsschimmer für die muslimische Welt ist weni­ ger spektakulär, womöglich aber noch hoffnungsträchtiger: Es ist die Diaspora.

So gut wie alle Muslime lebten traditionell in einem Land, in dem sie

die Mehrheit stellten und wo ihre Gesetze galten. Heute aber leben viele Muslime in nichtmuslimischen Ländern als Minderheit; etwa Türken in Deutschland, Algerier in Frankreich, Pakistaner in England.

Das Leben als Minderheit in einem nichtislamischen Land ist eine relativ neue Erfahrung für Muslime und eigentlich nicht vorgesehen. Es gibt schon seit der Niederlage des spanischen Kalifats Diskussionen unter den Korangelehrten, ob Muslime überhaupt in einem nichtislamischen Land leben dürfen. Die aus dem Koran abgeleitete Antwort ist ein eindeu­ tiges Nein. Ein Muslim darf in einem ungläubigen Land nicht leben, und wenn, dann nur, um dort für den Islam zu wirken. Bin Laden antwortete auf die Frage nach den muslimischen Opfern im zusammengestürzten World Trade Center, Gläubige hätten dort nichts zu suchen gehabt. Sie hätten sich entgegen den Geboten des Koran dort aufgehalten und damit ebenfalls den Tod verdient.129

 

129 Interview mit der pakistanischen Zeitung „Dawn", 10.11.2007.

 

Besonders gewarnt wird vor sogenannten toleranten Ländern, denn sie stellten die größte Gefahr für Gläubige dar. Nur im Dar al-Islam, dem gemeinsamen Reich der Muslime, ließen sich die Gebote des Korans und der Scharia erfüllen. Wenn ein Muslim in einem nichtislamischen Land leben müsse, dann nur, um für den Islam zu wirken. Dies ist nicht graue Theorie, wie die Erfahrungen seit dem 11. September 2001 zeigen.

Sicher, den durchschnittlichen muslimischen Arbeitnehmer in Europa oder anderswo dürften solche Überlegungen nicht sonderlich beschäfti­ gen. Aber die Forderungen sind bekannt, im Unterbewussten vorhanden und heimliches Gift für eine erfolgreiche Sozialisation, denn sie erzeugen ein latent schlechtes Gewissen. In der Tat tut sich niemand so schwer wie Muslime, sich ihrem jeweiligen Gastland anzupassen.

 

Der Islam ist eng verwandt mit dem Judentum, er hat die gleichen Wur­ zeln und stellt ähnlich radikale Anforderungen an seine strenggläubigen Mitglieder. Trotzdem haben sich die Juden meist bestens an ihre Gastlän­ der adaptiert. Der Grund liegt in dem jüdischen Gebot dina demalkhuta dina: „Das Gesetz des jeweiligen Landes ist Gesetz.“

Jesus drückte es ähnlich aus: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Dies bedeutet im Grunde schon die Privatisierung der Religion ganz im Sinne der viel später in Europa aufgekommenen Trennung von Staat und Religion. Ausserdem hatte das Judentum im

19. Jahrhundert seine Reformation durchgangen, die Haskala („Bildung“), die durchaus Vorbild für die unvermeidliche Reformation des Islam sein könnte.

Im islamischen Verständnis ist Religion immer noch öffentlich, ihr haben sich sämtliche Lebensbereiche unterzuordnen, das „wirkliche“ Recht ist religiöses Recht, eine Trennung von Religion und Staat ist nicht vorgesehen. Deshalb ist der Islam politisch. Und daher ist es für seine An­ hänger so schwierig, in einer nichtislamischen Welt zurechtzukommen und diese zu akzeptieren.

Die Muslime, die als Minderheit in einem nichtislamischen Land le­ ben, haben außer der Wiederauswanderung auf lange Sicht nur die Mög­ lichkeit der Integration, um ein friedvolles, erfolgreiches Dasein führen zu können. Auf die Integration muss das Gastland mit allem Nachdruck

 

pochen. Denn sie bedingt die Übernahme der jeweiligen Gesetze und Normen, was letztlich die Privatisierung der Religion bedeutet.

Sofern die Diaspora ein westliches Land ist, wird durch den unum­ gänglichen Schulbesuch gleichzeitig der Bildungsstandard der Muslime ansteigen. Es wird eines Tages nicht mehr befriedigen, den Koran nur zu rezitieren, anstatt zu verstehen und jahrhundertealte Interpretationen wiederzukäuen. Der selbst erschlossene Inhalt wird in einer wissenso­ rientierten Umgebung in den Vordergrund treten, und über kurz oder lang muss die jeweilige Landessprache auch die Sprache der Religion werden.

 

Wie hoffentlich deutlich wurde, haben die historischen Grundlagen des Islam nichts mit der traditionellen Darstellung zu tun. Die islamische Welt selber weiß wenig bis nichts über ihre eigenen historischen Wurzeln, sie ist noch immer dem dogmatischen Geschichtsbild des 9. Jahrhunderts verhaftet. Aber auch die islamische Welt kann sich dem fortschreiten­ den Wissen auf Dauer nicht entziehen. Dies macht eine Neubewertung des Korans und anderer Schriften über kurz oder lang unumgänglich. Um eine scheinbare Utopie fortzusetzen: In das Zentrum der Bemühung könnte rücken, theologische Inhalte von später hinzugekommenen Aus­ führungsbestimmungen und den peripheren mündlichen Überlieferun­ gen zu trennen, die nur den Blick auf das Wesentliche verstellen. Das heißt die Konzentration auf die theologisch relevanten „mekkanischen Suren“, und damit ein Ende der äußerst hinderlichen Fixierung auf die sozialen Verhältnisse                einer                mittelalterlichen                Beduinengesellschaft                als                zentraler Bestandteil der Lehre. Es könnte sich ferner herausstellen, dass Theologie und Intention des Korans von späteren Ausführungsbestimmungen fast bis zur Unsichtbarkeit überwuchert wurden. Eine kohärente Theologie fehlt bis auf den heutigen Tag, an ihrer Stelle steht buchstabengetreuer Zi­ tatengehorsam, gespeist aus teils nicht nachvollziehbaren Quellen. Diese sind in gegenwärtiger muslimischer Praxis undiskutierbar, die Forschung wird aber vor Tabus nicht haltmachen.

Der sudanesische Theologe Mahmud Muhammad Taha hatte die Zu­ rückstellung der „medinischen Suren“ gefordert, weil sie nur zeitbedingt

 

für das 7. Jahrhundert gültig wären. Er wurde dafür als „Abtrünniger“ 1985 in Khartum hingerichtet.

Der Islam wird allgemein für nicht reformfähig gehalten. Das mag auf seine klassischen Verbreitungsländer zutreffen. In der westlichen Diaspora dagegen steht der Islam unter dem Zwang, sich zu reformieren oder, je nachdem, zu einer belächelten oder bekämpften Sekte zu verkommen. Die klassischen, bärtigen Korangelehrten haben versagt und ausgedient. Der theologische Schock einer unumgänglichen Reformation wird ein ungeheurer sein. Aber von wem könnten die anstehenden Probleme sonst bewältigt werden als von gebildeten, wissensorientierten Muslimen in der westlichen Diaspora ?

Literaturliste

 

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BARTH JAKOB, „Studien zur Kritik und Exegese des Qorans“, Straßburg 1915.

 

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DINER DAN, „Versiegelte Zeit“, Berlin 2007.

 

FINSTER BARBARA, „Arabien in der Spätantike“, in: Archäologischer Anzeiger 1996.

 

FINSTER BARBARA, „Cubical Yemeni Mosques“, Seminar for Arabian Studies, London 1991.

Literaturliste         239

 

GERICKE WOFGANG, „Wann entstand das Buch ,Von den drei Betrügern ? „In: Theologische Versuche 8, Berlin 1977.

 

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KEPEL GILES, „Die neuen Kreuzzüge“, München 2004.

 

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240                  Norbert G. Pressburg | Good Bye Mohammed

 

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LÜLING GÜNTER, „Über den Urkoran. Ansätze zur Rekonstruktion der vorislamischen Strophenlieder im Koran“, Erlangen 1974.

 

LÜLING GÜNTER, „Die Wiederentdeckung des Propheten Muhammad: Eine Kritik am christlichen Abendland“, Erlangen 1981.

 

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QUTB SAYYID, „Zeichen auf dem Weg“, Köln 2005.

 

RUNCIMAN STEVEN, „Geschichte der Kreuzzüge“, München 1989.

Literaturliste         241

 

SALIBI KAMAL, „Die Bibel kam aus dem Lande Asir“, Hamburg 1985.

 

SPRENGER ALOYS, „Das Leben und die Lehre des Mohammad nach bisher grösstentheils unbenutzten Quellen“, Berlin 1869.

 

STROHMAIER GOTTHARD, „Denker im Reich der Kalifen“, Leipzig 1979.

 

STROHMAIER GOTTHARD, „Avicenna“, München 1999.

 

THOMAS JOHANNES, „Araboislamische Geschichtsschreibung und ihre Auswirkungen auf Geschichtsbilder von al-Andalus (8. Jh.)“, Saarbrücken 2010.

 

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WALDMANN HELMUT, „Die Entstehung des Zurvanismus im

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WIELAND ROTRAUT, „Offenbarung und Geschichte im Denken moderner Muslime, Wiesbaden 1971.

WERNER HELMUT, „Das Islamische Totenbuch“, Köln 2009. YEHUDA D. NEVO/JUDITH KOREN, „Crossroads to Islam“, New

York, 2003.

Personen- und Sachregister

 

 

 

A

Aachen, Pfalzkapelle 101

Aaron 126

Abbasiden 124, 125, 126

Abd Allah 88, 120

Abd al-Malik, Marw 84, 114, 122 Abd al-Malik, Chorasan 114

Abd al-Malik, Münzen 84, 114,

117

Abd al-Malik, Felsendom 86

Abd al-Malik, Glaubensbekenntnis 91

Abd al-Malik, Muhamadismus

114, 116

Abd er-Rahman 189

Abu Dawud, Hadithsammler 52,59

Abu Hanifa 63

Abraham 39, 135

Abraham, Ibrahim 39, 72

Ahmad 94

Ahmadinedschad 121

Aischa 16

Akefale 193

Akhbar Magmua 182

Akhikar 142

Alexander der Große 83 Alfons der Weise 212 Alhambra 200

Alhambra, Löwenbrunnen 215

Alhazen 164

Ali 126

 

Ali, legendarisch 71

Alif 40

Almohaden 171, 198, 213

Almoraviden 196, 213

Allat 133

Al-Andalus, Legende 179,

Al-Andalus, Rationalismus 207

Al-Andalus, Toleranz 208, 210,

212,215,216

Al-Andalus, Wissenschaften 206

Al-Aykah 38

Al-Azhar 24, 46, 187

Al-Azraqi 135

Al-Biruni 169

Al-Buhari 53

Al-Dani 46

Al-Farabi 163

A-Gharb 170

Al-Ghazali 147,171,172ff, 174,175,

219

Al Ghazali, Avicenna 174 Al Ghazali, Frauen 174 Al-Ghazali, Logik 173

Al-Guzgani 168

Al-Haitham siehe Alhazen Al-Hakam 181

Al-Hatim 134

Al-Hira 143, 158, 186

Al-Kindi 157

Al-Mamun 127, 129, 157, 214

Al-Mansur 191, 206

Al-Masihi 166

 

Al-Masud 170

Al-Maududi 232

Al-Mutawakkil 130

Al-Sigistani 46

Al-Walid 122, 144, 149

Amir al-Muminin 79, 112,

AmiribnAs 112

Ammiya 23

Anastasius 154

Ansar 71

Antiochien 108

Antiochia Margiana 114

Apartheid 216

Aramäisch siehe Syro Aramäisch Araber, Jahr der Araber 83 Arabiya 23, 36

Arabisch 142, 226

Arab Human Development Report 217, 225, 226

Arianer 185, 192

Aristoteles 158, 176

Ar-Razi 147, 161

Arser 39

Atatürk 229

Atta, Muhamad 34

Alticulac Tayyar 48

At-Tabari 17, 42, 151, 152

At-Tabari, Kopftuch 35

Autodafe 201 Averroes 170ff, 207ff

Averroes, Lehrverbot 208 Avicenna 165ff

Avicenna Biografie 165

Avicenna, Buddhismus 167

Aya 45

 

B

Bakka 129

Baktrien 166, 222

Badr 74, 129

Balh 166

Bamiyan 166

Bashear Suliman 12

Barbate 180

Behaim Martin 169

Beit Islam 227

Benchrifa Mohamed 208

Berber 179, 184, 186, 189

Bibelkritik 49

Bildung, arabische Länder 217 Bin Laden Osama 217, 232, 235

Bismillah 120

Blachere Regis 12

Black Muslims 120

Bohemund 220

Buddhismus 127, 166, 177

Byzanz 83,220

Byzanz, Persien, Dauerkonflikt 107

 

C

Caetani Leone 12

Chalkedon, Konzil 91, 108

Chayyam Omar 176

Chimar.chumur 34

Chosrau II. 109, 152, 186

Christus 93

Christentum, arabisches 132, 145

Christentum, orientalisches 132

Christus, muhamad 118

Clausewitz 155

 

Clunenser 197

Columbus Christoph 214

Conquista 180, 197, 202

Convivencia 208, 212

Cordoba 170, 190

Corpus Coranicum 48

Covadogna 180

Cusanus Nikolaus 49

 

D

Darabgerd 81

Dar al-Islam 236

Dashti, Ali 22

Demokratie 228

Dhimmi 214, 227

Diakritische Punkte 30, 37

Diaspora 235

Diatessaron 44

Dioskurides 207

Diner Dan 213

Die drei Betrüger 162 Dieterici Friedrich 173

Draz Abdallah 15, 18, 21,

Dreifaltigkeit 89, 91

Dschasira 109

Dschibril, Gabriel 67

Dschihad 181, 197, 232

Dschihilliyya 139

Dschehennam 17

Duero 189

Dyophysismus 90

 

E

Ekthesis, Hagia Sophia 102, 109,

111

 

El Cid 196

Emirate 234

Ephesos, Konzil 91

Erdogan 230

Erdumfang 128 Ess Josef van 139 Evangelium 44, 63

Evolution 229

 

F

Felsendom, Abd al-Malik 99 Felsendom, Bau 115

Felsendom, Dreifaltigkeit 89

Felsendom, Fotos 104

Felsendom, Grundriss 101

Felsendom, Inschriften 86,

Felsendom Jerusalem 86, 99,

Felsendom, Mihrab 102 Felsendom, Muhamad Himmel­

fahrt 102

Felsendom, Oktogon 100

Felsendom, Pfalzkapelle 101

Felsendom, Schriftband 86

Felsendom, Vorläufer 100

Feueranbeter 110

Ferdinand von Aragon 198,199 Florida 179

Fustat, Inschrift 112

 

G

Gabitha, Schlacht 112

Gabriel, Erzengel 67

Gadara 79

Galen 158, 162, 169

Ganjak, Feuertempel 109

 

Gewährsmänner 46

Gibraltar 180

Gnosis 194

Gog und Magog 83 Goldziher Ignaz 12, 53

Gorbatschow 176

Gottesstaat 226

Goten 179

Grabenschlacht 130

Grabar Oleg 102,204

Granada 198

Gründungsmythos 140

Guadelete 180

Gurgan 166, 170

 

H

Hadsch 71

Häresie 119, 132

Häretiker 154

Hamat Gader 79

Harun al-Raschid 127

Harran 127

Haskala 236

Hierodulen 33 Hadithe 53ff

Hadithe, Beispiele 54ff Hadithe, Alter 59

Hadithe Rechtssprechung 63

Hadithe, Überprüfung 59, 61

Hadithe, Überlieferung 60

Hadithe, Isnad 60

Hadithe, Sammlungen 53

Hadithe, Scharia 61

Hadithe, Zuverlässigkeit 61, 63

Hagariten 154

 

Handschrift, Sanaa 39, 41, 47

Haruri 193

Herakleios 82, 118

Herakleios, Feldzug 109

Hidschra 71, 122

Higr 134

Hippokrates 162 Hira, Berg, Höhle 68 Hischam, Rufasa 123

Hispania 183, 203

Hottinger Arnold 191

Hudaibiyyah 74, 130 Hunain inb Ischak 158 Huri 30

 

I

Ibad, Ibaditen 143, 187, 194

Ibn As 155

Ibn Chaldun 156

Ibn Hischam 138

Ibn Ischak 138

Ibn Kuttiya 181

Ibn Madscha, Hadithsammler 52 Ibn Masawahai 159

Ibn Masarra 194

Ibn Maymun siehe Maimonides Ibn Nasai, Hadithsammler 52 Ibn Nusair 180, 186, 189

Ibn Ruschd siehe Averroes Ibn Sina siehe Avicenna Ibrahim, Abraham 39, 72

Ifriqiya 187

Ilm al-Ridschal 61

Indische Zahlen 158

Inquisition 201

 

Isabel von Kastilien 199 Isa bin Maryam 89 Ismaeliten 119, 154

Isnad 60

Islam 97, 131, 144, 154

Islamisierung 144

Islamkritik 28

Islam, Baustil 204

Islam, Entstehung 97, 139, 145

Islam, Eroberungen 149, 156 Islam, Goldene Zeiten“ 147 Islam, politischer 236

Islam, Spanien 183

Islam, Toleranz 140, 208, 221

Islam, Wissenschaften 157,178,

228, 229, 238

Isojab III 154

 

J

Jemen 134

Jericho 144

Jesus 140

Jesus, Koran 43

Jesus, Kreuzigung 17

Jesus, Krippe 18

Jesus, Felsendom 89

Jesus, Flammenschwert 116 Jesus, Jüngstes Gericht 116 Jesus, Natur Jesus 91, 108,

Jesus, Prädikate 126, 127

Johannesbasilika 144

Johannesbasilika, Foto 105 Johannes bar Penyake 154 Johannes Damascenus 119,154 Johannes der Täufer 84

 

Joseph 125

Juden 72, 211, 215

Julian 179

 

K

Kaaba 134, 136

Kaaba, Grundriss 135 Kaaba, Schwarzer Stein 136 Kadesia 150

Kalif, Kalifat 126, 128, 129, 141,

195

Kairiner Koran 16, 46

Kalisch Muhamad 15

Kamel 220

Karl Martell 183

Karthago 183

Kasachstan 163

Katar 235

Katechon 83

Khadidscha 66

Kharidjiten 192, 194

Klimowitsch Lucjan 12

Knecht Gottes 118

Konsonantengerüst 73

Konstans II. 112

Konstantinopel 91, 200

Konzilien 91

Kopftuch 34

Koran, Ästhetik 22

Koran, Alexander der Große 83 Koran, bestätigende Schrift 44 Koran, Dogma 15

Koran, Druck 51

Koran, Fremdwörter 17

Koran, Grammatik 22

 

Koran, Herabsendung 40

Koran, Othmanischer 28, 46

Koran, Petrusbrief 43

Koran, Quellen 28

Koran, Sprache 17, 23, 144

Koran, Kairo 16, 46

Koran, Kazan 50

Koran, Sanaa 41, 47

Koran, traditionelle Geschichte 16ff

Koran, Tötungsgebot 20

Koran, Ungläubige 20

Koran, Ursprache 43

Koran, Vorläufer 138

Koran, Weihnachtsgeschichte 40

Koran, Wein 19

Koranarabisch 36, 37

Koranexegese 50

Kreuzritter 103

Kreuzzüge 12, 120, 197, 220

Kuraisch 66, 129

 

L

Lammens Henri 12

Las Navas de Tolosa 198 Laykah 38

Luqman, Esel 142

Latein, lateinische Formeln 120, 187

Leuke Korne 39

Liber Continens 161

Limes Arabicus 83

Logos 17, 42

Löwenbrunnen 215

Lüling Günter 14, 28, 135, 165

 

Lut, Lot 38, 45, 91

Luther Martin 49

Luxenberg Chr. 11, 14, 15, 29, 35 Luxenberg Chr. Weihnachts­

geschichte 42

Luxenberg Chr. Inschriften Felsen­ dom 86

Luxenberg Chr., muhamad Gerundiv 88

Luxenberg Chr., Din, Islam, Definition 89

 

M

Märchenerzähler 54 Malik bin Anas 63 Malikiten 192

Maavia 81, 84

Maavia, Christ 113,114

Maavia, Byzanz 114,

Maavia, Kalif 84, 113

Maavia, Omayaden 113

Mahdi 95, 120, 121,125

Maimonides 207, 208ff

Maktoum Raschid 234

Mamelucken 103

Manichäer 193

Marw, Antiochia Margiana 114 Marw, Foto 105

Marw, Marwan 123 Marwaniden siehe Omayaden Marx Michael 49

Maria, Koran 18, 43

Maryam, Sure 18, 30

Masjid 130, 187

Mauren, Kultur 203, 213

 

Maximus der Bekenner 112,154 Medina 71, 129

Mehmed II. 200

Mekka, legendarisch 66

Mekka 129, 133, 134

Menocal Maria 211

Messias 89

Mezqita 190,205,214

Mihrab 102, 130

Mingana Alphonse Hormizid 29 Monarchismus 90

Mondkalender 111, 222

Mondkult 132

Monophysitismus 90

Monotheletismus 90

Morisken 201,211

Morozow Nikolai 12

Morgenstern 133, 143

Moses, Koran 43

Mozaraber 211

Muawiya 80, 118, 151

Mudecharen 211

muhamad 86, 94, 124, 125, 127

muhamad, Felsendom 86

muhamad, Jesus 95

muhamad, Titel 95

muhamad, Ursprung 94

muhamad, Bedeutung 85, 94

Muhamad Abdallah 140

Muhamad Ali 223

Muhamad, Brief an Herakleios 75 Muhamad, Eigenname 94

Muhamad, Fußabdruck 69

Muhamad, Kriege 73, Muhamad, legendarisch 66ff

 

Muhamad, Himmelfahrt 102

Muhamad, Historizität 93, 95

Muhamad, Offenbarungen 28, 70

Muhamad, Schutzbrief 49 Muhamad, traditionell 65ff Muhamad Taha 231, 238

Muhamad I. 195

Muhadschirun 71

Muir William 12

Muladen 211

Muqarna 204

Musrikun 132

Muslim, Hadithsammler 53 Muslime, erste Erwähnung 120 Mutazilismus 129, 194

 

N

Nagel Tilman 22

Namenssymbolik 182

Nehawend 150

Neuwirth Angelika 14, 48

Nikäa 131

Nikäa, Konzil 91, 108, Nikephoros II. Phokas 206 Nil 127

Nöldeke Theodor 29

 

O

Ohlig Karl-Heinz 107, 124

Omayaden 122, 123, 125

Omayadenmoschee 122

Omayadenmoschee, Foto 105

Omayaden, Münzen 118

Omayaden, Spanien 185, 191, 202

Optik 164

 

Orientalistik 13,27

Osmanisches Reich 223, 229

Othman, Kalif 16, 29

Othman, Koran 28, 46, 48

 

P

Palimpsest, Sanaa 40, 41

Paracelsus 169

Paradies 34

Paradiesjungfrauen 31

Paraklet 95

Paret Rudi 27, 137

Paschalis II. 220

Pergament, Handschrift 41

Persien 155

Persien, Krieg mit Byzanz 83, 107

Petra 133

Philosophie, griechische 160, 177

Plato 160, 164

Phoinix 151

Phönizier 183

Polis 221

Popp Volker 79, 81, 129

Primärquellen 12

Prophet 140,141

 

Q

Qassas 54, 153

Qeryan 44, 45, 50, 140

Qibla 72, 190

Quran 44, 45, 144

Qutb Sayyid 153, 230, 231, 232

Quelle Zamzam 133

Quellen, ausserislamische 154

 

Quellenforschung 13,48,50,152,

181

 

R

Rajj 161

Rasm 37

Rasul 91, 120

Raubzüge 148

Reconquitsta 180, 197, 202

Renaissance 157,219

Renaissance, ostiranische 168

Rey Phillippe 207

Roderich 179, 185

Rufasa 123

 

S

Sanaa, Handschrift 39, 47

Sabier 127, 160

Saddam Hussein 125, 232

Salafisten 64,

Salafiyya 147, 230

Salibi Kamal 142

Salomon 99

Samarra 130

Sarazenen 154

Sassaniden 110

Saudi Arabien 134

Sebeos 154

Schapur I., Verschleppungen 108 Scharia 61, 227

Schiiten, Zwölferschiiten 121

Schriften, semitische 36

Schutzgewährung 80

Seidenstrasse 114

Sichelmond 133, 143

 

Sinai Kloster 49

Sira 62, 64

Sophronius 154

Sokotra 134

Sprenger Aloys 95

SS, Muftischule 28

Standing Caliph 116,117 Stein von Gadara 79 Suleiman der Prächtige, 103 Sunna 63, 64

Sure 20, 33, 16, 45

Suren, Längen, Anzahl 16, 21

Suren, medinische 142, 237

Suren, mekkanische 142, 237

Syro Aramäisch 30, 36, 38, 125,

140

Syro Aramäisch, Petrusbrief 43

 

T

Taif 79, 133

Taifa 195,202

alas, Fluss 151

Taqiyya 155, 201

Tarif 182

Tariq ibn Ziyad 179 Tariq 182

Taurah 17

Teheran 161

Thabit ibn Kurra 160 Themenkonferenz 110

Theologie 140

Thomas Johannes 182, 192

Tirmidhi, Hadithsammler 52

Tischendorf Konstantin,von 49

Topkapi 48, 69

 

Tours und Poitiers 183 Türkengefahr 199

Trepidation 161

Trinitätslehre 108

Turkmenistan 94

 

U

Ubbay 73

Ubaydallah 40

Überlieferungslücke 137, 139

Ulema 227, 232

Umar ibn al-Chatab 151,152 Umma 71

Umar II. 123

UNESCO 207, 215

UN Menschenrechte 228

Ungläubige 20

Ungläubige, Tötungsgebot 20

Urban II. 120

Urgentschl66, 170

Urkoran 122

Uzza 133

 

V

Vandalen 184

Vaterunser 63

Vereinigte Emirate 234

Verse, aufgehoben und aufhebende 19

Venus 133

Verstrenner 45

Völkerwanderung 184

 

W

Wahhab Abdel 232

 

Wahhabismus 24

Waldmann Helmut 134

Weihnachtsgeschichte 40

Weil Gustav 11

Wein, Koran 19

Westgoten 184

World Trade Center 13 Wunder 153, 155, 173

 

Y

Yarmuk, Schlacht 112,150

Yegar Sahaduta 117

 

Z

Zafrani Haim 216

Zamzam 133

Zentralasien 177

Zeitrechnung, arabisch 82,111

Zeitrechnung Hidschra 84,111,

187, 222

Zeitrechnung, kata Araba 82, 222

Zensur 138

Zikkurat 130, 131

BILD 

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